DIW Wochenbericht 48 / 2021, S. 783-789
Oliver Giering, Alexandra Fedorets, Jule Adriaans, Stefan Kirchner
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„Beim Stichwort Künstliche Intelligenz wird häufig an futuristische Roboter gedacht. Deshalb ist vielen oft nicht bewusst, dass KI-basierte Systeme bereits jetzt alltäglicher Teil ihrer Arbeit sind. Mit einer realistischeren Perspektive auf KI können Erwerbstätige von einer besseren Zusammenarbeit mit digitalen Systemen profitieren.“ Oliver Giering
Der Begriff der Künstlichen Intelligenz (KI) bleibt im Arbeitsalltag für Erwerbstätige oftmals undurchschaubar. Das zeigt eine Auswertung der Verbreitung von KI in der Arbeitswelt in Deutschland mithilfe des neuen Datenmoduls des SOEP-IS zum Thema Digitalisierung. Fragt man die Erwerbstätigen direkt nach der Nutzung von digitalen Systemen mit „Künstlicher Intelligenz“, geben rund 20 Prozent an, solche Systeme zu nutzen. Erfragt man die Nutzung dagegen indirekt, also ohne Nennung des Begriffs KI, geben fast doppelt so viele Personen an, täglich eine oder mehrere digitale Systeme mit entsprechenden Funktionen zu nutzen. Viele arbeiten demnach schon mit KI-basierten Systemen, ohne dies zu wissen. Das legt nahe, dass die aktuelle Debatte um befürchtete Arbeitsplatzverluste durch KI (Substitution) um Perspektiven der Zusammenarbeit (Kollaboration) zwischen Menschen und Maschinen erweitert werden muss. Tatsächlich erledigen derzeit viele Erwerbstätige bestimmte Tätigkeiten noch selbst, werden dabei aber (auch) von KI-basierten Systemen unterstützt. Damit möglichst viele Menschen vom technologischen Fortschritt in Deutschland profitieren und diesen mitgestalten können, sollten Weiterbildungen angeboten werden, die Wissen über KI vermitteln und nötige Fähigkeiten stärken.
Künstliche Intelligenz (KI) wird vielfach als Schlüsseltechnologie bezeichnet, die maßgeblich die Digitalisierung der Arbeitswelt beeinflusst. Die Debatten um KI beschränken sich allerdings nicht auf den wissenschaftlichen Bereich, sondern sind auch in öffentlichen Auseinandersetzungen allgegenwärtig.Sarah Fischer und Cornelius Puschmann (2021): Wie Deutschland über Algorithmen schreibt. Eine Analyse des Mediendiskurses über Algorithmen und Künstliche Intelligenz (2005–2020). Gütersloh; Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee (2014): The second machine age: Work, progress, and prosperity in a time of brilliant technologies. New York. Der Begriff der KI ist somit durchaus im alltäglichen Sprachgebrauch angekommen. In den Debatten über KI steht dabei häufig die Frage im Vordergrund, inwiefern KI künftig zahlreiche Tätigkeiten oder ganze Berufe ersetzt und somit Arbeitsplätze vernichtetDavid Autor und Anna Salomons (2018): Is Automation Labor Share–Displacing? Productivity Growth, Employment, and the Labor Share. Brookings Papers on Economic Activity, 1–63; Katharina Dengler und Britta Matthes (2018): The impacts of digital transformation on the labour market: Substitution potentials of occupations in Germany. Technological Forecasting and Social Change, 137 (1), 304–316. oder im Gegenteil neue Produktivitätspotentiale erschließt, neue Arbeitsplätze schafft und so die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft steigert.McKinsey (2017): Smartening up with Artificial Intelligence (AI) – What's in it for Germany and its Industrial Sector? New York (online verfügbar. Abgerufen am 25. November 2021. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen in diesem Bericht, sofern nicht anders angegeben); PricewaterhouseCoopers GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (2019): Künstliche Intelligenz in Unternehmen. Eine Befragung von 500 Entscheidern deutscher Unternehmen zum Status quo – mit Bewertungen und Handlungsoptionen von PwC. Frankfurt am Main (online verfügbar). Obwohl die Digitalisierung und die Nutzung von KI präsent thematisiert und weitgehende Folgen für den Arbeitsmarkt und viele Berufsbilder diskutiert werdenInitiative Intelligente Vernetzung (2019): Künstliche Intelligenz – Impulse zu einem Megatrend. Berlin; Christian Kellermann und Alexander Petring (2019): Künstliche Intelligenz und Arbeit. Gesellschaftliche Dimensionen einer Technikfolgenabschätzung. WISO Direkt 2019 (18), 1–4. , bleiben empirisch gesicherte Befunde zu den aktuellen Folgen des technologischen Wandels deutlich hinter den Erwartungen der Debatten zurück. Wichtige Gründe dafür sind der bisher übermäßige Fokus auf weitreichende Thesen beziehungsweise Prognosen und die uneindeutige Definition und Operationalisierung sowie Einbettung von KI, die die Forschung bisher insgesamt erschweren.Oliver Giering (2021): Künstliche Intelligenz und Arbeit: Betrachtungen zwischen Prognose und betrieblicher Realität. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft (online verfügbar). Der öffentliche Diskurs zu KI wird durch visionäre Zukunftsbilder von nahezu menschlichen Robotern illustriert, die scheinbar ohne Voraussetzungen den Arbeitsalltag ergänzen und die Arbeitsqualität maßgeblich beeinflussen. Empirisch zeigt sich bisher hingegen lediglich ein oberflächlicher Einfluss von KI auf die Arbeitsqualität. Weiterhin lassen sich Zusammenhänge zu bestimmten digitalen Arbeitsmitteln und der beruflichen Position finden, die über den Einsatz sowie die Auswirkungen von KI entscheiden.Oliver Giering und Stefan Kirchner (2021): Künstliche Intelligenz am Arbeitsplatz. Forschungsstand, Konzepte und empirische Zusammenhänge zu Autonomie. Soziale Welt (im Erscheinen).
Obwohl die Zukunftsbilder von autonomen, menschenähnlichen KI-Robotern in der Realität selbst in technologisch fortgeschrittenen Umgebungen nicht existieren, prägen sie die öffentliche Wahrnehmung. Vor dem Hintergrund dieser wirkmächtigen Narrative stellt sich die Frage, inwiefern der Umgang mit neuartigen Technologien zuverlässig gemessen werden kann. Dieser Bericht verdeutlicht diese Problematik anhand eines thematischen Digitalisierungs-Datenmoduls im Innovation Sample des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP-IS) und vergleicht die von den Befragten angenommene, das heißt direkt berichtete, Nutzung von KI am Arbeitsplatz mit der indirekt erfassten, tatsächlichen Verwendung (Kasten). Dabei erfragt die indirekte Messung von KI-Nutzung die Nutzung von Funktionen, die KI-basierte Systeme gegenwärtig vornehmlich bieten.
Die Berechnungen in diesem Wochenbericht nutzen die Innovationsstichprobe des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP-IS), eine repräsentative Panelbefragung, welche die Hauptbefragung des SOEP durch innovative Befragungs- und experimentelle Module ergänzt.David Richter und Jürgen Schupp (2015): The SOEP Innovation Sample (SOEP IS). Schmollers Jahrbuch: Journal of Applied Social Science Studies/Zeitschrift für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften 135 (3): 389–400.
Die AutorInnen dieses Wochenberichts konzipierten ein innovatives Datenmodul zum Thema Digitalisierung, welches nach einer fachlichen Evaluierung in die SOEP-IS Befragung im Jahr 2019 aufgenommen wurde.Siehe Informationen zum Datensatz auf der Webseite des SOEP (online verfügbar). Die Umfrage erfolgte unter allen Erwerbstätigen in einem zufälligen Stichprobenteil. Der kleine Stichprobenumfang (N = 785) ist auch die Haupteinschränkung für die Auswertung, die als erster Hinweis für die Verbreitung von KI als Technologie im Arbeitsalltag dienen soll. Eine weitere Einschränkung bezieht sich auf die breite Formulierung der Funktionen (Erkennen und Verarbeiten von Sprache, Bildern, Texten sowie Beantworten von Fragen zum Fachwissen), die Anwendungen mit unterschiedlichem Potenzial zur Digitalisierung beinhalten können.
Das Modul beinhaltet eine Reihe von Fragen zu Digitalisierung, vor allem zur Verbreitung von KI, zur Nutzung digitaler Technologien und einer dementsprechenden Ausstattung am Arbeitsplatz und zur Verbreitung der Plattformökonomie.Carsten Schröder et al. (2020): The economic potentials of the German Socio-Economic Panel Study. German Economic Review 21 (3), 335–371. Dieses Modul wurde in einer etwas verkürzten Form auch in die Befragung des SOEP 2020 überführt und wird mit der nächsten Datenweitergabe für die Forschung zugänglich sein. Die Reichweite dieser Umfrage umfasst circa 15000 Erwerbstätige.
Dieser Wochenbericht entstand im Rahmen des Förderprojekts „Beschäftigungsrisiken und Arbeitsqualität in der digitalen Transformation: Empirische Analysen zu KI, Plattformarbeit und digitalen Arbeitsplätzen mit dem SOEP“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.Die Fördernummer des Projekts lautet DKI.00.00014.20. Das Projekt ist eine Kooperation zwischen dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und der Technischen Universität Berlin.
Selbst in der Wissenschaft gibt es bisher keine umfassende oder einheitliche Definition von KI. Künstliche Intelligenz kann grundsätzlich als Konzept der Informatik verstanden werden. Im Kern steht dabei der Gedanke, dass Maschinen befähigt werden sollen, bestimmte Aufgaben in einer intelligenten Art und Weise auszuführen. Dabei beschreibt der Begriff KI aber weder eindeutig, um welche Technologien es sich konkret handelt, noch was intelligent in diesem Zusammenhang im Detail bedeutet.Inga Döbel et al. (2018): Maschinelles Lernen. Eine Analyse zu Kompetenzen, Forschung und Anwendung. München (online verfügbar). Beispielsweise umfasst KI technologisch-simuliertes Suchen, Sortieren, Erlernen und Entscheiden.Stuart J. Russell und Peter Norvig (2012): Künstliche Intelligenz: ein moderner Ansatz. München, Harlow, Amsterdam, Madrid, Boston, San Francisco, Don Mills, Mexico City, Sydney. In manchen Bereichen wird bereits eine einfache automatisierte Abfrage als KI bezeichnet, wohingegen in anderen Bereichen der Anspruch an KI weitaus höher liegt.
Konzeptionell wird daher zwischen starker und schwacher KI unterschieden. Starke KI beschreibt eine Maschine, die ein eigenes Bewusstsein hat und dem Menschen in jeglicher Hinsicht überlegen ist. Aus heutiger Sicht ist starke KI eine unrealistische Zukunftsvision.Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien & Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (2017): Künstliche Intelligenz. Wirtschaftliche Bedeutung, gesellschaftliche Herausforderungen, menschliche Verantwortung. Berlin & Kaiserslautern (online verfügbar). Die bereits existierenden KI-Technologien zählen somit ausnahmslos zum Bereich der schwachen KI: der Übernahme einzelner Aufgaben von computergesteuerten Systemen, die bestimmte Fähigkeiten des Menschen imitieren.Bundesregierung (2018): Strategie Künstliche Intelligenz der Bundesregierung. Berlin (online verfügbar). Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass schwache KI eine menschliche Handlung immer nur imitiert, nicht aber aneignet, weil ihr grundlegende menschliche Eigenschaften wie Kreativität, Spontanität oder emotionale Intelligenz fehlen, sie somit zwar ähnliche Ziele erreicht, aber grundlegend verschiedene Erfassungs- und Bearbeitungswege nutzt.Norbert Huchler (2020): KI in der Arbeitswelt – und der Mensch? ansätze, ESG Nachrichten 1–3 (2020): 13–17. Gegenwärtig besonders bedeutsam ist dabei Maschinelles Lernen (ML) – ein Teilbereich von KI, der Computerprogramme umfasst, die in der Lage sind, aus dem Umgang mit vielen Daten zu lernen und ihre eigene Leistung allmählich durch dieses Training zu steigern. Solche KI-Technologien werden bereits bei Aufgaben wie der automatischen Sprach-, Bild- oder Textverarbeitung, aber auch in der medizinischen Diagnostik genutzt.Initiative Intelligente Vernetzung (2019), a.a.O. Die Voraussetzung für den Lernprozess ist allerdings der Zugriff auf bestehende, große Datenmengen.Inga Döbel, Inga et al. (2018), a.a.O. Einige einfache Anwendungen dieser Technologie wie die personalisierte Werbung, das automatisierte Buchen von Zahlungsein- und -ausgängen oder das automatisierte Beantworten von Anfragen/Reklamationen werden bereits vielfach genutzt, wobei fortgeschrittene Anwendungen noch die Ausnahme sind.Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (2020): Künstliche Intelligenz. Einsatz und Forschung in Deutschland. Berlin (online verfügbar). Somit finden sich die real existierenden KI-basierten Anwendungen im Arbeitsalltag in automatisierten Algorithmen oder integrierten Softwarefunktionen, beispielswiese bei der Nutzung von Such-, Email- oder Übersetzungsdiensten, die nicht zwangsläufig von den NutzerInnen als KI-basierte Systeme erkannt werden.Florian Butollo (2017): Automatisierungsdividende und gesellschaftliche Teilhabe. Regierungsforschung.de – Wissenschaftliches Online-Magazin der NRW School of Governance: 3–8 (online verfügbar).
Der gravierende Unterschied zwischen den schillernden Zukunftsvisionen von KI und den real existierenden Anwendungen erschwert die Abfrage der Nutzung KI-basierter Systeme in Befragungen. Bei Erwerbstätigenbefragungen spielt es zusätzlich eine Rolle, dass viele Erwerbstätige nicht im Detail wissen, welche Technologien in den von ihnen verwendeten technischen Geräten und Softwareanwendungen integriert sind.
Anhand des neuen Datenmoduls im SOEP-IS 2019 lassen sich zwei Ansätze, die Nutzung von KI-basierten Systemen zu erfassen, vergleichen – direktes und indirektes Abfragen. Zunächst wird eine direkte Frage gestellt: „Denken Sie, dass Sie an Ihrem Arbeitsplatz mit digitalen Systemen arbeiten, die Künstliche Intelligenz oder Maschinelles Lernen nutzen?“ Ein Großteil der befragten Erwerbstätigen (67 Prozent) verneint diese direkte Nachfrage (Abbildung 1). Immerhin 20 Prozent der Befragten geben an, mit digitalen Systemen der Künstlichen Intelligenz beziehungsweise des Maschinellen Lernens zu arbeiten, während 13 Prozent diese Frage nicht sicher beantworten können. Dieses Ergebnis könnte eventuell darauf hindeuten, dass viele Erwerbstätige umfänglichere Vorstellung von KI haben und ihr Antwortverhalten deshalb eher zurückhaltend ausfällt.
Die darauffolgende indirekte Nachfrage, die auf eine implizite Nutzung KI-basierter Systeme abzielt, fokussiert sich auf gegenwärtig geläufige KI-Technologien des Maschinellen Lernens, die bestimmte Tätigkeiten automatisiert übernehmen. Diese indirekte Abfrage vermeidet es bewusst, den Begriff KI zu erwähnen. Die Frage lautet: „Einige von diesen Tätigkeiten werden auch durch digitale Systeme erledigt. Wie häufig arbeiten Sie bei Ihrer Arbeit mit digitalen Systemen, die …
Es zeigt sich dabei, dass rund 45 Prozent der Befragten zumindest eines dieser vier KI-basierten Systeme mindestens wöchentlich nutzen, während 55 Prozent diese digitalen Systeme seltener oder nie nutzen (Abbildung 2). Das bedeutet, dass gut die Hälfte aller Erwerbstätigen gegenwärtig bereits mindestens wöchentlich mit digitalen Systemen arbeitet, die KI-Technologien zur Übernahme bestimmter Tätigkeiten beinhalten. Selbst bei der Zusammenfassung der Antwortkategorien auf die tägliche Nutzung zeigt sich, dass immer noch rund 37 Prozent der Erwerbstätigen mindestens ein KI-basiertes System mindestens einmal täglich nutzen. Dies weist darauf hin, dass diese KI-Technologien bereits in hohem Maße in der Arbeitswelt angekommen sind.
Diverse KI-basierte Systeme werden dabei unterschiedlich häufig benutzt. Am häufigsten sind KI-basierte Systeme verbreitet, die Text automatisch erkennen und verarbeiten. Fast 27 Prozent der befragten Erwerbstätigen nutzen solche digitalen Systeme täglich oder mehrmals täglich (Abbildung 3). An zweiter Stelle der Verbreitung befinden sich digitale Expertensysteme, die Fragen zu Fachwissen beantworten. 22,5 Prozent der Befragten nutzen solche digitalen Systeme täglich oder mehrmals täglich. An dritter Stelle befinden sich digitale Systeme der Bild-, Video- und Fotoerkennung, die von circa 17 Prozent der Befragten täglich oder mehrmals täglich genutzt werden. Digitale Systeme der Spracherkennung sind etwas weniger verbreitet – rund 15 Prozent der Befragten nutzen sie mindestens einmal täglich.
Der Vergleich zwischen der Auswertung der direkten und indirekten Abfragen zur Nutzung KI-basierter Systeme zeigt, dass Erwerbstätige in vielen Fällen Funktionen nutzen, ohne diese als KI-Technologien wahrzunehmen, was womöglich auf die Alltäglichkeit der KI-basierten Anwendungen in der Wahrnehmung zurückzuführen ist. Zudem fallen solche integrierten KI-Technologien als Bestandteil von Software nicht gesondert auf. Dies kann ebenfalls bedeuten, dass auch die indirekte Abfrage die wahre Verbreitung von KI-Technologien unterschätzt.
Die Verbreitung der oben beschriebenen KI-basierten Systeme zur Übernahme von Tätigkeiten wird durch die Entwicklung der einschlägigen Technologien angekurbelt. Jedoch wurden diese Tätigkeiten früher ausschließlich von Menschen erfüllt und auch heutzutage gibt es weiterhin zahlreiche Bereiche, in denen Menschen die gleichen Tätigkeiten ausüben, zu denen KI-basierte Systeme tendenziell fähig sind. Eine zusätzliche Abfrage erfasst daher, ob Erwerbstätige Tätigkeiten wie die Erkennung und Verarbeitung von Sprache, Bildmaterial und Texten selbst ausführen beziehungsweise Fragen zu Fachwissen selbst beantworten. Die Frage lautete: „Denken Sie bitte an Ihre berufliche Haupttätigkeit. Sagen Sie mir bitte, wie häufig Sie diese Tätigkeiten bei Ihrer Arbeit selbst ausführen.“ In den Antworten zeigt sich, dass die Tätigkeiten, zu denen die KI-basierten Systeme fähig wären, nach wie vor noch häufiger von Menschen selbst durchgeführt werden (Abbildung 4). Am häufigsten ist die Erkennung und Verarbeitung von Texten verbreitet – circa 60 Prozent der befragten Erwerbstätigen geben an, diese Tätigkeit täglich oder mehrmals täglich zu erledigen. Ähnlich weit verbreitet ist das Beantworten von Fragen zu Fachwissen: Mehr als die Hälfte der Befragten tut dies täglich oder mehrmals täglich. Etwas über 40 Prozent der Befragten geben an, Sprache und Sprachbefehle in ihrer Arbeit täglich oder mehrmals täglich zu erkennen und zu verarbeiten. Etwa ein Drittel der Befragten beschäftigt sich täglich oder mehrmals täglich mit Erkennung und Verarbeitung von Bildern, Videos oder Fotos.
Vergleicht man, wie häufig KI-basierte Systeme Tätigkeiten übernehmen, und wie häufig diese Tätigkeiten noch von Menschen ohne technische Unterstützung erledigt werden, liegt ein Schluss nahe: KI-Technologien werden im Moment nur teilweise für die Tätigkeiten eingesetzt, zu denen sie fähig wären. Dies ist aus ökonomischer Sicht zum einen durch die Preise der KI-Technologien zu erklären, die die einschlägigen Anwendungen nicht überall wirtschaftlich sinnvoll erscheinen lassen. Zum anderen ist es wahrscheinlich, dass auch soziale, (arbeits-)politische, technische, rechtliche und ethische Gründe dafür sorgen, dass Arbeitsprozesse nicht bis ins letzte Detail automatisiert werden.Hartmut Hirsch-Kreinsen (2015): Digitalisierung von Arbeit: Folgen, Grenzen und Perspektiven. Soziologisches Arbeitspapier Nr. 43/2015. Dortmund (online verfügbar). Das Erfahrungswissen der Beschäftigten spielt dabei beispielsweise ebenfalls eine maßgebliche Rolle.Norbert Huchler (2017): Grenzen der Digitalisierung von Arbeit – Die Nicht-Digitalisierbarkeit und Notwendigkeit impliziten Erfahrungswissens und informellen Handelns. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 71 (4), 215–223.
Wie oben gezeigt werden bestimmte Tätigkeiten sowohl von Menschen als auch von Computern erledigt. Dabei zeigen sich deutliche Schnittmengen. Das heißt, Erwerbstätige berichten sowohl, dass sie bestimmte Tätigkeiten selbstständig ausführen, aber gleichzeitig auch mit KI-basierten Systemen arbeiten, die ähnliche Tätigkeiten automatisch ausführen (Abbildung 5). So beschäftigten sich beispielsweise rund 13 Prozent der befragten Erwerbstätigen mindestens einmal täglich mit Spracherkennung und Verarbeitung sowohl selbstständig als auch mit Unterstützung durch KI-basierte Systeme. Rund zwölf Prozent der Befragten beschäftigen sich mit Bild-, Video- und Fotoerkennung und -verarbeitung sowohl mit Hilfe von KI-basierten Systemen als auch ohne. Bei Texterkennung und -verarbeitung beträgt diese Schnittmenge rund 26 Prozent und bei Beantwortung von Fragen zum Fachwissen rund 19 Prozent.
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Bereiche bestehen, in denen KI-basierte Systeme Menschen bei ihrer Arbeit in Erkennung und Verarbeitung von Sprache, Bildern, Texten beziehungsweise Beantwortung der Fragen zum Fachwissen ergänzen. Dabei zeigt sich auch, dass nur ein geringer Anteil der Erwerbstätigen ausschließlich KI-basierte Systeme für die jeweiligen Tätigkeiten nutzt.
Der Vergleich unterschiedlicher Abfragen zum Thema KI unter Erwerbstätigen zeigt deutliche Unterschiede. Ein Unterschied bezieht sich auf den Vergleich der direkten und der indirekten Fragen zur Nutzung KI-basierter Systeme. Die indirekte Abfrage der Nutzung gängiger KI-Technologien ohne die Nennung des Begriffs KI zeigt, dass ihre tägliche Nutzung doppelt so oft genannt wird wie bei der direkten Abfrage der Nutzung von KI im Arbeitsalltag.
Ein weiterer Unterschied bezieht sich auf die Schnittmenge zwischen der Nutzung KI-basierter Systeme für bestimmte Tätigkeiten und der selbstständigen Ausführung ähnlicher Tätigkeiten. Die Auswertung zeigt, dass nach wie vor Tätigkeiten, die tendenziell auch von KI-basierten Systemen ausgeführt werden könnten, bedeutend öfter selbständig und ohne KI-Unterstützung von Menschen ausgeführt werden. Gleichzeitig gibt es aber auch Bereiche, in denen Erwerbstätige Aufgaben wie die Erkennung und Verarbeitung von Sprache, Bildern und Texten bzw. Beantwortung von Fragen zum Fachwissen sowohl ohne technologische Assistenz als auch mit solcher erledigen.
Die Befragungsergebnisse weisen darauf hin, dass KI-basierte Systeme bereits deutlich öfter genutzt werden, als es die Erwerbstätigen selbst wahrnehmen. Einige dieser Systeme erscheinen somit bereits alltäglich und weit entfernt von den öffentlichkeitswirksam geprägten Zukunftsvisionen von KI. Gleichwohl ist anzumerken, dass es bereits einen großen Anteil von Erwerbstätigen gibt, der mit KI-basierten Systemen arbeitet und weder von der Technologie verdrängt wurde noch eine radikale Veränderung des Arbeitsalltags spüren dürfte. Neben Untersuchungen zu Arbeitsplatzverlusten durch KI ist daher mehr Forschung zur Kollaboration mit KI, also der Zusammenarbeit zwischen Menschen und Maschinen am Arbeitsplatz, nötig.
Die Anwendung von KI-Technologie ist auch deshalb weiter eingeschränkt, da es bei weitem nicht immer sinnvoll oder wirtschaftlich ist, Technologie für alle Aufgaben anzuwenden, zu denen sie fähig ist. Der reine Rückschluss von technologischer Machbarkeit auf ihren Einsatz und ihre Auswirkungen greift daher zu kurz. Dennoch erscheint es wahrscheinlich, dass KI-basierte Systeme in der Zukunft einige Arbeitsplätze verdrängen und zahlreiche Berufsbilder verändern werden. Gleichzeitig dürften dabei auch neue Arbeitsplätze entstehen. Damit diese Bilanz positiv ausfällt und möglichst viele Beschäftigte von der Technologie profitieren, sollten die Bereiche der erfolgreichen Zusammenarbeit von Menschen und KI detaillierter untersucht werden, damit die Weiterbildungsbedarfe zielgenauer erfasst werden können.
Die Auswertung in diesem Bericht ermöglicht erste Schlussfolgerungen zum Thema KI. Erstens erscheinen die öffentlichen Zukunftsvisionen von KI – beispielsweise in Form von menschenähnlichen Robotern – überzogen und verzerren die Wahrnehmung des technologischen Fortschritts in der Bevölkerung. Viele Menschen arbeiten bereits täglich mit KI-basierten Systemen, ohne diese jedoch als solche wahrzunehmen. KI am Arbeitsplatz erscheint daher in der Praxis für viele undurchsichtig. Die Nutzung von KI-Technologien als Bestandteil von Software fällt damit womöglich bereits heute wesentlich umfangreicher aus, als es die Beschäftigten selbst wahrnehmen und damit in dieser Analyse tatsächlich erfasst werden kann. Diese Einschränkungen in der Wahrnehmung von KI-Nutzung sollten bei den einschlägigen Befragungen bedacht werden. Zweitens deuten sich Potentiale zur breiteren Anwendung von KI an, die allerdings durch Sinnhaftigkeit des Einsatzzwecks, Arbeitspolitik, technologische Möglichkeiten und Wirtschaftlichkeit begrenzt werden. Allzu oft wird in den öffentlichen Diskussionen nicht eindeutig beschrieben, was KI in der Praxis überhaupt bedeutet. Für den gesellschaftlichen Erfolg der geplanten Digitalisierungs-Offensive der politischen EntscheidungsträgerInnen ist es erforderlich, die KI-Nutzung für alle Erwerbstätigen möglichst transparent zu machen – sowohl durch Aufklärung als auch durch Weiterbildungen im Umgang mit modernen Technologien.
Themen: Digitalisierung, Arbeit und Beschäftigung
JEL-Classification: O30;C83
Keywords: digitalisation, artificial intelligence, labor market, work
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2021-48-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/248536