Ampel-Pläne lassen auf fortschrittliche Klimapolitik hoffen: Kommentar

DIW Wochenbericht 48 / 2021, S. 792

Claudia Kemfert

get_appDownload (PDF  224 KB)

get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF  2.76 MB)

Die Politik der kleinen Schritte war das Markenzeichen der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die neue Ampel-Regierung will nunmehr Fortschritt wagen, also deutlich mutigere Schritte nach vorn gehen. Und: Die Richtung stimmt. Anders als früher, als man gern nach zwei Vorwärtsschritten drei Schritte rückwärts einlegte, soll es jetzt nur nach vorn gehen. Der Koalitionsvertrag trägt die Handschrift einer echten Modernisierung für mehr Klimaschutz.

Es wird am 1,5-Grad-Ziel festgehalten. Das allein ist schon nicht selbstverständlich. Erfreulich ist zudem die (überfällige) Einrichtung von Klima-Bürgerräten als Ergänzung zum parlamentarischen Prozess. Der Kohleausstieg soll bis 2030 erreicht werden, wenn auch nur „idealerweise“. Aber da der Strombedarf in den nächsten Jahren sicher zunehmen wird, macht das Versprechen, ihn zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien decken zu wollen, den Ausstieg durchaus vorstellbar. Der vereinbarte CO2-Mindestpreis von 60 Euro pro Tonne sendet zudem wichtige Preissignale.

Dennoch bleibt viel zu tun: Das Ausbautempo der erneuerbaren Energien müsste mindestens verdrei- oder besser versechsfacht werden. Und dafür wäre eine Reihe existierender Marktbarrieren und Hemmnisse abzubauen: Um den Anteil der Windenergie zu steigern, müssen mehr Flächen ausgewiesen werden. Im Klartext: In jedem Bundesland, also auch in Bayern und Nordrhein-Westfalen, müssten jeweils zwei Prozent der Fläche für Windenergie ausgewiesen werden. Pauschale Abstandsregeln müssen zudem abgeschafft, Genehmigungsverfahren erleichtert und finanzielle Beteiligungen erweitert werden. Zuschläge bekommen dürften nicht nur die kosteneffizientesten, sondern auch die systemrelevanten Anlagen.

Manches davon kommt im Koalitionsvertrag zur Sprache, aber festgeschrieben ist kaum etwas. Zudem ist die künftige Regierung damit noch nicht komplett auf dem Paris-kompatiblen Pfad. Besser als die erneute Formulierung willkürlicher Emissionsminderungsziele wäre es, ein festes CO2-Budget zu definieren. Das fordert nicht nur die Wissenschaft, das mahnte unlängst auch das Bundesverfassungsgericht an. Unnötig und hinderlich ist auch die Festschreibung von fossilem Erdgas als Brückentechnologie. Ein überflüssiges Geschenk an die Lobbyisten der Vergangenheit. Die größte Enttäuschung ist aber sicherlich der Verkehrssektor: Auf der Haben-Seite stehen der Ausbau der Ladeinfrastruktur, die Stärkung der Schiene und der deutliche Ausbau der Elektromobilität. Überfällige Maßnahmen, die inzwischen selbst die Industrie lautstark fordert. Dagegen fehlt es an zentralen Stellschrauben für eine nachhaltige Verkehrswende: Verschärfung der CO2-Grenzwerte, Tempolimit und die Abschaffung umweltschädlicher Subventionen.

Im Verkehrssektor steht die Ampel auf Gelb; dabei bräuchte man gerade hier eine grüne Welle. Statt das widersinnige Dieselprivileg endlich abzuschaffen, wird es lediglich überprüft. Auch andere umweltschädliche Subventionen wie das Dienstwagenprivileg, die fehlende Kerosinsteuer oder die fehlende Mehrwertsteuer auf internationale Flüge werden leider nicht angetastet. Auf den Prüfstand gehören Kfz-Steuer und Pkw-Maut. Auch darf die Kaufprämie für E-Autos nicht abgeschafft werden. Ergänzend wäre eine E-Auto-Quote von 25 oder 30 Prozent angebracht.

Auch das neu geschaffene Wirtschafts- und Klimaministerium droht ohne ein explizites Vetorecht zum zahnlosen Tiger zu werden. Umso wichtiger ist die Beibehaltung der Emissionsminderungsziele für alle Sektoren, die nicht durch sektorübergreifende Anrechnungen verwässert werden dürfen. Nur eine konsequente Sektorenkopplung – die bedeutet, dass der Ökostrom sowohl im Gebäude, als auch im Verkehrssektor prioritär eingesetzt wird – wird die Energiewende zum Erfolg führen können.

Unter dem Strich ist dieser Koalitionsvertrag durchaus ein ambitioniertes Klimaschutzprogramm. Aber anders als behauptet: Physikalisch und technisch und vor allem ökonomisch wäre deutlich mehr machbar. Jetzt kommt es darauf an, dass auf die vielversprechenden Pläne eine geschlossene Fortschrittspolitik folgt.

Dieser Beitrag ist in einer längeren Version am 28. November 2021 beim Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) erschienen.

Claudia Kemfert

Abteilungsleiterin in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt

keyboard_arrow_up