Medienbeitrag vom 15. September 2021
Dieser Gastbeitrag von Karsten Neuhoff ist am 15.09.2021 bei Focus Online erschienen.
Der Übergang zur Klimaneutralität ist machbar, aber eine große Aufgabe. Darum ist es nicht überraschend, dass Politik und Gesellschaft noch zögern, sich der Aufgabe zu stellen. Allerdings birgt eine zögerliche Klimapolitik auch Gefahren für Gesellschaft und Wirtschaft.
Klimaneutralität ist die neue Norm nicht nur in Europa, sondern auch für Klimaziele in Ländern wie USA und China. Damit steigen die Risiken für Investitionen in CO2-intensive Industrieprozesse und Produkte. Zugleich fehlen aktuell jedoch noch klare Rahmenbedingungen für Investitionen in klimaneutrale Prozesse und Produkte. So wird zum Beispiel erst jetzt von der EU-Kommission ein Grenzausgleichsmechanismus für CO2 Preise vorgeschlagen, damit CO2 Preise im Industriebreich effektiv wirken und nicht zur Verlagerung von Produktion und Emissionen in andere Länder führen, dem sogenannten „carbon leakage“.
Die Bundesregierung kritisiert zwar die Unzulänglichkeit des Vorschlages, da er Exporte benachteiligt, zögert jedoch auch, sich für eine wirksame Alternative wie zum Beispiel einen Klimabeitrag einzusetzen. Klarheit zu den zukünftigen Rahmenbedingungen ist dringend notwendig, damit Investitionen überhaupt erfolgen können.
Ein zögerlicher Ausbau von erneuerbaren Energien führt zu höheren Kosten und Abhängigkeiten beim zukünftigen Import von sauberer Energie. Wir brauchen dringend eine Politik, die klare Rahmenbedingungen für die Finanzierung erneuerbarer Energien schafft. Dazu sollten regulatorische Risiken für Investoren und Strompreisrisiken für Kunden vermieden werden durch staatlich abgesicherte Differenzverträge. Vereinfachte und verbesserte Finanzierungsbedingungen reduzieren nicht nur die Kosten, sondern erlauben es zugleich einer größeren Vielfalt von Akteuren, Projekte zu entwickeln und dabei mehr Aufmerksamkeit auf die Einbindung von Anwohnern zu legen. Je offensichtlicher wird, dass der Ausbau von erneuerbaren Energien alle betrifft, aber auch über eine saubere Stromversorgung, Industrieproduktion, Wärme und Transport allen zugute kommt, desto schneller wird auch die Akzeptanz wieder steigen.
Seit Jahren verfehlen wir die Ziele für energetische Sanierungen und Energieeinsparungen im Gebäudebereich. Das führt zu steigenden Heizkosten und hohen Kostenrisiken für die wiederholte energetische Sanierung dieser Gebäude. Deswegen müssen unbedingt in einer Sanierungsoffensive zunächst Förderprogramme verstetigt und gestärkt werden. Im Gegenzug müssen klare Anforderungen, wie ein Sanierungsfahrplan an Eigentümer, formuliert und dabei auch konsequent Themen wie Mieterschutz weiterentwickelt werden. Eine erfolgreiche Sanierungsstrategie bringt dann Vorteile sowohl für die Gesellschaft als auch die Eigentümer, die Mieter und das Klima.
Das Klimaschutzgesetz ist eine wichtige Grundlage für Klimapolitik. Bisher beinhaltet es allerdings nur Emissionsminderungsziele für einzelne Sektoren. Daraus ergibt sich jedoch keine Klarheit, wie diese Minderungen erreicht werden sollen und wohin sich dadurch Gebäude, Verkehrssektor oder Industrie verändern. In einem gemeinsamen politischen Prozess müssen dringend Visionen formuliert und mit Zielen hinterlegt werden, nicht nur im Energiesektor zum Ausbau von erneuerbarer Energie, sondern auch für die anderen Sektoren, zum Beispiel zu energetischen Gebäudesanierungen oder zum Anteil klimaneutraler Industrieproduktion. Dann können Parlament und Ministerien auch klare Politiken zum Erreichen dieser Ziele formulieren, verabschieden und umsetzen, und das für unsere Demokratie so wichtige Vertrauen in die Teilhabe an Entscheidungsprozessen wird gestärkt.
Die Vielzahl von Stimmen und Positionen in Deutschland und Europa erschwert oftmals die internationale Zusammenarbeit und Verhandlungen. Eine gemeinsame Norm ist notwendig um klare Positionen zu Formulieren und zu verhandeln. Klimaneutralität kann solch eine Norm sein. Von Friday’s for Future im Diskurs verankert, von der Wissenschaft als Notwendigkeit etabliert, von der Wirtschaft als machbar eingeschätzt, ist Klimaneutralität jetzt eine Norm in der Mitte unserer Gesellschaft. Wenn Deutsche und Europäische Energie- und Klimapolitik sich jetzt an dieser Norm orientiert – dann bietet das eine glaubwürdige Grundlage für effektive internationale Zusammenarbeit im Sinne der Kooperationsprinzipien der Nobelpreisträgerin Ostrom. Dann haben wir keine imperialistische Androhung von Strafzöllen gegenüber Drittstaaten nötig, sondern die innere Stärke für die gemeinsame Erarbeitung von Übergangsstrategien zur Klimaneutralität mit unseren Handelspartnern. So können wir auch Schwellen- und Entwicklungsländern eine Perspektive bieten – und zugleich Partnerschaften stärken.
International wird Deutschland als eins der reichsten und technologisch fortschrittlichsten Länder angesehen. Im harten internationalen Wettbewerb können wir diese Stellung nur bewahren, wenn wir nicht zaudern und zögern, sondern eine klare Perspektive für den Übergang zur Klimaneutralität entwickeln. Davon lebt unsere Exportwirtschaft und daraus ergibt sich die Chance neue Technologien, Geschäftsmodelle und Verhalten zu prägen und internationale Partnerschaften zu stärken.
Themen: Klimapolitik