DIW Wochenbericht 3 / 2022, S. 43
Virginia Sondergeld, Erich Wittenberg
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Frau Sondergeld, die Zahl der Frauen in den Vorständen großer deutscher Unternehmen ist in den letzten Jahren nur langsam gestiegen. Wie hat sich der Frauenanteil in Vorständen im Jahr 2021 entwickelt? Anders als in den Vorjahren ist der Frauenanteil in den Vorständen im vergangenen Jahr bemerkenswert stark gestiegen. So hat sich beispielsweise in der Top-200-Gruppe, also bei den 200 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland, der Frauenanteil von 11,5 Prozent auf knapp 15 Prozent erhöht. Dies ist eine Steigerung, die wir seit Beginn der Aufzeichnungen des Managerinnen-Barometers im Jahr 2006 noch nie beobachten konnten.
Wo liegen die Gründe für diesen Anstieg? Im letzten Jahr wurde das Beteiligungsgebot für Vorstände im Rahmen des zweiten Führungspositionen-Gesetzes (FüPoG II) beschlossen. Es sieht vor, dass in börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen, die einen Vorstand von mindestens vier Personen haben, jeweils mindestens eine Frau beziehungsweise mindestens ein Mann vertreten sein muss. Davon sind derzeit 66 Unternehmen betroffen und man sieht gerade in den Top-200, dass viele Unternehmen kürzlich ihre erste Frau im Vorstand benannt haben. Das Gesetz hat also scheinbar eine Antizipationswirkung ausgelöst, denn es gilt erst für Neuberufungen in die Vorstände ab August 2022.
Ist auch der Anteil von Frauen unter den Vorstandsvorsitzenden gestiegen? Ja, auch hier sehen wir eine steigende Tendenz. Allerdings liegt der Frauenanteil unter den Vorstandsvorsitzenden immer noch auf wesentlich niedrigerem Niveau, bei den Top-200-Unternehmen sind es derzeit acht Prozent. Im Zusammenhang mit der Mindestbeteiligung für Vorstände sehen wir auch, dass Unternehmen ihren Vorstand vergrößern, also eine zusätzliche Position geschaffen und die dann mit einer Frau besetzt haben, aber selten als Vorstandsvorsitzende.
Wie war die Entwicklung in den Aufsichtsräten? Für die Aufsichtsräte börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen gilt schon seit dem ersten Führungspositionen-Gesetz im Jahr 2015 eine Geschlechterquote von 30 Prozent. Wir konnten in den letzten Jahren sehen, dass diese gut gewirkt hat und der jährliche Anstieg relativ hoch war. Jetzt ist die Dynamik eher abgeflacht, was natürlich auch damit zu tun hat, dass die meisten Unternehmen, für die die Quote gilt, diese bereits erfüllen.
Inwieweit gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen Unternehmensgruppen? Dynamik in den Vorständen sehen wir vor allem bei den Top-200- und den börsennotierten Unternehmen. Bei den Banken und Versicherungen ist das ähnlich. Anders ist es bei den Unternehmen mit Bundesbeteiligungen, wo der Bund aktiv bei der Besetzung der Vorstände mitwirken kann. Hier ging es im vergangenen Jahr nicht weiter aufwärts, allerdings muss man berücksichtigen, dass sich der Frauenanteil in Vorständen dort schon länger auf einem deutlich höheren Niveau befindet, zuletzt bei fast 28 Prozent.
Wie beurteilen Sie die Wirkung gesetzlich vorgeschriebener Geschlechterquoten? Wir haben diese Wirkung auf Basis europäischer Daten analysiert. In der EU haben von 27 Ländern derzeit neun in den vergangenen 15 Jahren eine solche Geschlechterquote für Spitzengremien eingeführt. Wir kommen zu dem Ergebnis, dass diese Geschlechterquoten definitiv ein effektives Instrument sind, um Frauenanteile in den jeweiligen Gremien zu erhöhen. In der Gruppe der Länder, die eine solche Quote eingeführt haben, sind die Frauenanteile seit 2003 bis heute viel stärker angestiegen als in der Gruppe der Länder, die diese nicht eingeführt haben. Auch, wenn das FüPoG II erst seit kurzem in Kraft ist, erhoffen wir uns natürlich eine ähnliche Wirkung in Deutschland.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Unternehmen, Gender, Europa, Arbeit und Beschäftigung
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-3-4
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/251396