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Für den Spracherwerb ist es wichtig, auf Lerngelegenheiten in der Umgebung zu stoßen: Interview

DIW Wochenbericht 5 / 2022, S. 70

Cornelia Kristen, Erich Wittenberg

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Frau Kristen, Sie haben das Erlernen der deutschen Sprache bei unterschiedlichen Gruppen von Neuzugewanderten verglichen. Inwieweit unterscheidet sich der Zweitspracherwerb bei Geflüchteten und anderen Zugewanderten? Personen, die neu nach Deutschland kommen, ob Geflüchtete oder andere Neuzugewanderte, haben ähnliche Verläufe beim Zweitspracherwerb. Auch die Bedingungen, die zum Spracherwerb führen, sind in den verschiedenen Gruppen ähnlich. Der Unterschied ist, dass die Geflüchteten, wenn sie ankommen, über fast gar keine deutschen Sprachkenntnisse verfügen, während die anderen Zugewanderten häufig schon deutsche Sprachkenntnisse haben. Das heißt, die verschiedenen Gruppen steigen auf einem unterschiedlichen Niveau ein, aber ab da ist die Entwicklung ganz ähnlich. Am Anfang wird sehr viel dazugelernt, dann gleichen sich die Verläufe dieser zwei Gruppen an.

Was bringt den größeren Lernerfolg – Sprachkurse oder Alltagskontakte mit Deutschen? Beides ist gleichermaßen relevant. Für den Spracherwerb ist es wichtig, auf Lerngelegenheiten in der Umgebung zu stoßen. Diese Lerngelegenheiten ergeben sich ungesteuert aus ganz normalen Alltagskontakten, einfach wenn man mit anderen Menschen in der neuen Sprache spricht. Es gibt aber auch gesteuerte Lerngelegenheiten, die in strukturierten Lernumgebungen stattfinden, zum Beispiel in Sprachkursen, Bildungseinrichtungen oder in der Schule. Beides ist wichtig für den Spracherwerb und beides, gesteuerte und ungesteuerte Lerngelegenheiten, spielen eine zentrale Rolle.

Gilt das für alle Gruppen von Zugewanderten gleichermaßen? Die Wirkungsweise dieser Bedingungen ist in den verschiedenen Gruppen ähnlich. Der zentrale Unterschied ist aber, dass die Geflüchteten meist auf andere Bedingungen treffen als die anderen Zugewanderten. Zum Beispiel leben viele Geflüchtete am Anfang in Sammelunterkünften und haben deshalb weniger Kontakt zu Personen, die deutsch sprechen. Das ergibt zunächst weniger Lerngelegenheiten. Umgekehrt nehmen sie aber häufig an Sprachkursen teil und lernen dort auch sehr gut Deutsch. Der Unterschied zwischen den zwei Gruppen ist hier, dass die Geflüchteten häufiger in die Sprachkurse gehen und dort ihre Kenntnisse verbessern und die anderen Zugewanderten in stärkerem Maße von Lerngelegenheiten in ihrem Alltagsumfeld profitieren.

Wie steht es um die Akzeptanz von Sprachkursen? Die Akzeptanz ist sehr hoch. Insgesamt haben über 70 Prozent der Geflüchteten an einem Sprachkurs teilgenommen. Das ist ein sehr hoher Wert. Gleichzeitig muss man natürlich sagen, dass nicht jeder in den Sprachkursen gleich das höchste Niveau erreicht, sondern unterschiedliche Stufen durchlaufen kann. Diesen hohen Anteil von über 70 Prozent findet man nicht unter anderen Zugewanderten. Aber die Geflüchteten erhalten auch mehr Angebote, an Sprachkursen teilzunehmen. Das heißt, sie werden in stärkerem Maße in Sprachkurse kanalisiert. Bei den anderen Zugewanderten ist das nicht im gleichen Maße der Fall.

Wie könnten Geflüchtete und Zugewanderte noch besser beim Erlernen der deutschen Sprache unterstützt werden? Man sollte versuchen, möglichst früh Lerngelegenheiten zu schaffen. Das gilt für alle Neuankömmlinge gleichermaßen. Das kann über Alltagskontakte geschehen, sollte aber vor allem in Sprachkursen passieren. Auch sollte man versuchen zu erreichen, dass die Personen in den Kursen diesen bis zum Ende machen und ein Zertifikat erwerben. Es hat sich gezeigt, dass dieses strukturierte Lernen große Vorteile für den Spracherwerb bringt.

Das Gespräch führte Erich Wittenberg.

O-Ton von Cornelia Kristen
Für den Spracherwerb ist es wichtig, auf Lerngelegenheiten in der Umgebung zu stoßen - Interview mit Cornelia Kristen

Cornelia Kristen

DIW Fellow in der Infrastruktureinrichtung Sozio-oekonomisches Panel

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