DIW Wochenbericht 5 / 2022, S. 72
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Die Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008/09 hat viele vermeintliche Gewissheiten erschüttert und gezeigt, wie krisenanfällig der Finanzsektor ist. Um gerade Banken widerstandsfähiger gegen Schocks zu machen, wurde damals beschlossen, den Finanzsektor stärker zu regulieren. Die jüngste Entscheidung der deutschen Finanzaufsicht BaFin, die Anforderungen an die Kapitalpuffer für Banken zu erhöhen, ist von daher eine gute Nachricht. Tatsächlich zeigt sie aber auch, wie halbherzig diese Regulierung immer noch angegangen wird.
Ein zentraler Bestandteil der damals neu eingeführten makroprudenziellen Regulierung ist der antizyklische Kapitalpuffer (AKP), der die Ausschläge des Finanzzyklus dämpfen soll: Im Finanzboom steigen die Eigenkapitalanforderungen für Kreditinstitute gegen den Zyklus – und sinken umgekehrt in der Finanzkrise. Damit kann die Kreditvergabe verstetigt und der Finanzsektor widerstandsfähiger gemacht werden.
Ein Beispiel: Reißt etwa ein Vermögenspreisboom (wie derzeit bei Wohnimmobilien konstatiert) ab, dann greifen zwei Mechanismen. Zum einen sind die bestehenden Hypothekenkredite bei den Geldinstituten mit reichlich Eigenkapital unterlegt und können diese bei einem Ausfall nicht mehr so schnell in Schwierigkeiten bringen. Zum anderen sinkt diese Anforderung. Dadurch müssen die steigenden Risiken und Kreditausfälle nicht durch ein sinkendes Kreditvolumen abgefedert werden. Vielmehr verschafft die reduzierte Eigenkapitalanforderung den Kreditinstituten etwas Spielraum. Diese Mechanismen des AKP können aber nur wirken, wenn im Finanzboom – also jetzt – ein Puffer geschaffen wurde.
Nachdem die Deutsche Bundesbank in ihrem Finanzstabilitätsbericht Ende November 2021 angeregt hatte, den AKP für Kreditinstitute zu erhöhen, passierte auf der Sitzung des Ausschusses für Finanzstabilität Anfang Dezember erst mal – nichts. Mitte Januar hat aber die BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) eine Erhöhung zum 1. Februar angekündigt. Dabei überrascht vor allem das Ausmaß von 0,75 Prozent (bezogen auf die risikogewichteten Aktiva). Positiv ist die Überraschung aber nur, wenn man die zögerliche Haltung aus der Vergangenheit zum Maßstab nimmt. Tatsächlich liegt das vorgesehene Ausmaß immer noch deutlich unter dem, was „normal“ sein sollte.
Bei einer Spanne des AKP von 0 bis 2,5 Prozent sollte dieser in „normalen“ Zeiten des Finanzzyklus in der Mitte liegen, d.h. bei 1,25 Prozent. In Deutschland wurde der AKP mit den Corona-bedingten Einschränkungen des (Wirtschafts-) Lebens im Frühjahr 2020 von 0,25 Prozent auf null gesetzt.
Da der Finanzzyklus aktuell boomt, ist eine Erhöhung des AKP auf über 1,25 Prozent dringend geboten. Tatsächlich mag auf den ersten Blick der Zeitpunkt überraschen, findet denn die Wirtschaft nicht gerade erst aus dem Tief der letzten Krise heraus? Sollte also eine AKP-Erhöhung nicht warten? Drei Gründe sprechen dagegen. Erstens bezieht sich der antizyklische Kapitalpuffer auf den Finanzzyklus, nicht auf den Konjunkturzyklus. Zählt beim Konjunkturzyklus zum Beispiel die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts, sind für den Finanzzyklus Indikatoren wie die Kreditvergabe, Immobilienpreise und Aktienkurse ausschlaggebend. Und diese Indikatoren stehen auf Boom. Die Bundesbank konstatiert, dass die Kreditvergabe expansiver ist als vor der Krise, für den Immobilienmarkt stellt sie bereits seit Jahren zunehmende Überbewertungen in Ballungsräumen fest, und der deutsche Aktienindex Dax stürmt von einem Hoch zum nächsten.
Zweitens ist der Ausblick für die Realwirtschaft hoffnungsvoll. Trotz aller wiederholten Einschränkungen durch die Corona-Krise, Lieferengpässe und Arbeitskräfteknappheit wird die deutsche Wirtschaft im Jahr 2022 voraussichtlich auf den Stand vor der Krise wachsen. Drittens lässt die Aufsicht für die Umsetzung des AKP ein ganzes Jahr Zeit, folglich wird auch ein sofortiger Beschluss zur Anhebung erst zum Februar 2023 voll wirksam. Damit ist klar: Die aktuelle Entscheidung kommt zu spät und ist zu schwach, aber ein guter Anfang. Hoffentlich hat die Bafin die Entschlossenheit zu weiteren Erhöhungen.
Der Beitrag ist in einer längeren Fassung am 1. Februar im Handelsblatt erschienen.
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-5-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/251402