DIW Wochenbericht 6 / 2022, S. 83
Franziska Holz, Erich Wittenberg
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Frau Holz, es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie das europäische Energiesystem in Zukunft ohne fossile Energieträger auskommen könnte. Sie haben drei Szenarien untersucht. Welche sind das? Wir haben drei eher extreme Szenarien untersucht, die den Fokus auf jeweils einen bestimmten Energieträger legen. Das ist zum einen ein Szenario Elektrifizierung, bei dem besonders viel Strom verwendet wird, zum anderen ein Szenario Wasserstoff, in dem sehr viel Wasserstoff genutzt wird, sogar so viel, dass er zusätzlich auch importiert werden muss und zum dritten ein Szenario Synthetisches Gas, in dem besonders viel synthetisches Gas verwendet wird. Auch da müssten wir zusätzlich importieren.
Welcher dieser Energieträger ist am ehesten geeignet, fossile Energie in Zukunft zu ersetzen? Wahrscheinlich werden wir in Zukunft einen Mix dieser drei Energieträger haben, aber eine ganz besondere Rolle wird dabei elektrischer Strom spielen, da er für die Erzeugung von Wasserstoff und synthetischem Gas Strom notwendig ist. Um grünen Wasserstoff und grünes synthetisches Gas zu erzeugen, brauchen wir erneuerbaren Strom. Das heißt, nicht nur im Szenario Elektrifizierung, sondern auch in den Szenarien Wasserstoff und Synthetisches Gas brauchen wir einen starken Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung.
Welches Szenario verspricht die geringsten Kosten? Wir vergleichen die Bereitstellungskosten für die einzelnen Energieträger und da sehen wir, dass das Szenario Elektrifizierung das günstigste Szenario ist, weil wir uns damit die zusätzliche Umwandlung von Strom in Wasserstoff und womöglich weiter noch in synthetisches Gas ersparen.
Werden in Zukunft Wasserstoff und synthetisches Gas trotzdem eine Rolle spielen? Sowohl erneuerbarer Wasserstoff als auch synthetisches Gas können gewisse Vorteile im Energiesystem bieten. Die Frage ist, in welchem Umfang sie genutzt werden. Wasserstoff hätte den Vorteil, dass er ein gasförmiger Energieträger ist, das heißt, da wo wir heute Erdgas verwenden, könnte auch Wasserstoff eingesetzt werden. Das teurere synthetische Gas wiederum hätte den Vorteil, dass die bestehenden Pipelinenetze für Erdgas eins zu eins verwendet werden könnten, denn beides ist Methan. Ob bei Wasserstoff diese Pipelinenetze wiederverwendet werden können, wissen wir noch nicht hundertprozentig. Je nach Anwendung muss abgewogen werden, welche Energieträger in Zukunft verwendet werden. Diese Abwägung betrifft den Industriesektor, aber auch den Verkehrssektor, insbesondere den Schwerlastbereich, die Schifffahrt und den Flugverkehr, wo die Option der Elektrifizierung schwer zu realisieren sein wird.
Was muss die Politik tun, damit sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageseite bereit sind, entsprechende Investitionen zu tätigen? Aus der Politik müssen jetzt klare Signale kommen, in welche Richtung sich das Energiesystem entwickeln soll. Zum einen ist es ganz wichtig, dass die Politik sich auch europaweit zu dem Ziel der Klimaneutralität bekennt und es nicht mit Maßnahmen konterkariert, in denen zum Beispiel der Kohlesektor weiterhin gefördert wird. Wir sehen dieses Problem derzeit vor allen Dingen in Osteuropa. Investitionen, die heute in langlebige Energieanwendungen getätigt werden, müssen in erneuerbare und klimafreundliche Anwendungen fließen, die entweder strombasiert funktionieren oder mit erneuerbaren Energieträgern. Aber die Investoren brauchen Sicherheit, dass diese erneuerbaren Energieträger auch noch in zehn bis 20 Jahren tatsächlich angeboten werden. Dafür brauchen wir heute von der Politik klare Signale.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Umweltmärkte, Klimapolitik, Europa, Energiewirtschaft
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-6-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/251406