Direkt zum Inhalt

Das starre Bekenntnis zu fossilem Erdgas ist kontraproduktiv und gefährlich: Kommentar

DIW Wochenbericht 6 / 2022, S. 84

Claudia Kemfert

get_appDownload (PDF  168 KB)

get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF  2.68 MB)

Nicht zum ersten Mal befindet sich Europa inmitten eines fossilen Gaskonflikts. Und nicht zum ersten Mal nutzt Russland seine Gaslieferungen als politische Waffe – wie jetzt im Ukraine-Konflikt. Als Deutschland vor mehr als 15 Jahren entschieden hat, eine direkte Pipeline nach Russland zu bauen, haben wir vom DIW Berlin darauf hingewiesen, dass dies ein großer Fehler ist, der sich rächen könnte. Und genau das ist nun eingetreten: Die Pipeline verschärft die geopolitische Krise.

Dass Erdgas zudem ausgerechnet jetzt durch die EU-Taxonomie als nachhaltig deklariert wird, zeugt von einem starren Bekenntnis zu fossilem Erdgas, das kontraproduktiv und, wie sich im aktuellen Konflikt mit der Ukraine zeigt, gefährlich ist. Dieses Vorgehen der EU, Gas und Atom als nachhaltige Investmentziele zu deklarieren, ist nicht mit den Klimaschutzzielen vereinbar und behindert zudem den Umstieg hin zur Vollversorgung mit erneuerbaren Energien.

Drei Dinge sollten nun gemacht werden, um aus dem Schlamassel von geopolitischen Energiekonflikten und falschen Investmentanreizen herauszukommen: Erstens sollte die Energiewende hin zum Ausbau erneuerbarer Energien, zu Energiesparen, Elektromobilität und grünem Wasserstoff massiv forciert werden. Nur durch eine Vollversorgung aus erneuerbaren Energien können Klimaziele nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch effizient erreicht werden. Zudem stärkt eine heimische Energieversorgung die Versorgungssicherheit und macht Europa resilient gegen fossile Energiekrisen und Energiekriege. Erneuerbare Energien werden zudem immer billiger. Die Investitionen in Zukunftsmärkte schaffen Wertschöpfungen und Arbeitsplätze.

Zweitens sollte weder Atom noch fossiles Erdgas in die EU-Taxonomie aufgenommen werden. Die Finanzierung von fossilem Erdgas verursacht hohe Treibhausgasmengen und ist nicht kompatibel mit den Pariser Klimabeschlüssen. Der Bau von Atomkraftwerken ist nicht nur enorm teuer, risikoreich und zeitaufwendig, sondern dauert viel zu lange. Dafür EU-Gelder auszugeben ist widersinnig. Und beides behindert den Umstieg hin zur Vollversorgung mit erneuerbaren Energien. Deutschland sollte in der EU-Taxonomie gegen die Atomkraft stimmen, Frankreich gegen Erdgas, dann hätten wir eine wirklich nachhaltige EU-Taxonomie ohne Gas und Atom und könnten eine echte Energiewende einleiten.

Und drittens sollte Nordstream 2 nicht in Betrieb gehen. Schon der Bau der ersten Pipeline war ein Fehler. Nordstream 2 ist teuer, unnötig und behindert den Umstieg hin zu einer echten Energiewende. Anders als andere europäische Länder hat Deutschland die Abhängigkeit zu russischen Gaslieferungen erhöht statt auf eine Diversifikation der Gasbezüge zu setzen. Schon 2005, als Gerhard Schröder und Wladimir Putin den Bau der ersten Doppelröhre vereinbarten, hatten wir vom DIW Berlin empfohlen, besser einen Terminal für Flüssiggas zu bauen. So eine Entladestation für Tankschiffe hätte uns in die Lage versetzt, Erdgas aus vielen Lieferländern zu beziehen und die Abhängigkeit von Russland zu verringern. Bekanntlich hat die Bundesregierung entgegen wissenschaftlicher Ratschläge damals anders entschieden. Schlimmer noch: Sie wiederholte den Fehler 2013 mit Nordstream 2. Heute ergibt ein LNG-Terminal keinen Sinn mehr, besser wäre ein Wasserstoff-Terminal, um grünen Wasserstoff nach Deutschland zu importieren. Und wir benötigen endlich eine strategische Gasreserve, genau wie wir auch über eine Ölreserve verfügen. Die Gasspeicher, die an Gazprom verkauft wurden, sollten am besten zurückgekauft und verstaatlicht werden und als strategische Gasreserve dienen.

Mit diesen Maßnahmen ließen sich die Fehler noch korrigieren, die damals und heute gemacht werden. Und damit eine echte Energiewende einleiten, mit der sich die Klimaschutzziele erreichen lassen. Die Lobbyisten der Vergangenheit mögen anderes behaupten. Aber ökonomisch haben Gas und Atom keine Zukunft mehr und hängen nur noch am Tropf politisch (und militärisch) motivierter Subventionen. Wir benötigen Zukunftstechnologien, kein unnötig langes Festhalten an der Vergangenheit.

Dieser Kommentar ist einer kürzeren Fassung am 28. Januar in der Hannoverschen Allgemeinen und anderen Lokalzeitungen erschienen.

Claudia Kemfert

Abteilungsleiterin in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt

keyboard_arrow_up