DIW Wochenbericht 10 / 2022, S. 159-165
Stefan Bach, Peter Haan, Katharina Wrohlich
get_appDownload (PDF 420 KB)
get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF 2.62 MB)
„Mit der Abschaffung der Lohnsteuerklasse V will die Ampel-Koalition die hohen Steuerbelastungen der zweitverdienenden EhepartnerInnen reduzieren. Das sollte durch eine Reform des Ehegattensplittings ergänzt werden.“ Stefan Bach
Die Ampel-Koalition plant die Abschaffung der Lohnsteuerklassenkombination III und V für Ehepaare. Dadurch sollen die hohen Lohnsteuerbelastungen von zweitverdienenden EhepartnerInnenn in der Steuerklasse V vermieden werden. Bei der dann geltenden Lohnsteuerklassenkombination IV/IV sinken die Grenz- und Durchschnittsbelastungen von Zweitverdiensten erheblich, die Belastungen der Erstverdienste steigen dagegen. Zu hohe Lohnsteuerzahlungen gegenüber der gemeinsamen Einkommensteuerveranlagung können vermieden werden, wenn EhepartnerInnen eine Besteuerung entsprechend ihres Anteils an der gemeinsamen Einkommensteuer beantragen (Faktorverfahren). Ergänzend könnte ein automatischer gemeinsamer Lohnsteuer-Jahresausgleich angeboten werden. Spürbare Beschäftigungswirkungen dieser Maßnahmen sind nur zu erwarten, soweit Paare ihre Erwerbsentscheidungen von den laufenden Lohnsteuerbelastungen und nicht von der letztlich maßgeblichen Steuerbelastung im Rahmen der gemeinsamen Einkommensteuer abhängig machen. Dies ist allerdings unsicher und schwer abzuschätzen, da es hierfür nur wenig empirische Evidenz gibt. Die Reform der Lohnsteuer sollte längerfristig um eine Reform des Ehegattensplittings ergänzt werden, vor allem bei hohen Einkommen und hohen Einkommensteuervorteilen durch das Ehegattensplitting.
Die Ampel-Koalition plant eine Reform bei der Lohnsteuer von EhepartnerInnen.Koalitionsvertrag (2021): Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP), 115 (online verfügbar, abgerufen am 24.2.2022. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Die Kombination der Lohnsteuerklassen III und V soll abgeschafft werden. Im Gegenzug soll die Möglichkeit gestärkt werden, bei der Lohnsteuer in der Steuerklasse IV/IV den Steuervorteil des Ehegattensplittings nach den jeweiligen Anteilen an der gemeinsamen Einkommensteuerlast zu verteilen (Faktorverfahren). Mit dieser Reform sollen die hohen Belastungen von zweitverdienenden EhepartnerInnen im Lohnsteuerverfahren reduziert werden – das betrifft zumeist Ehefrauen, die häufig deutlich geringere Einkommen haben als ihre Ehemänner.Stefan Bach (2017): Frauen bekommen nur ein Drittel aller Einkommen. DIW Wochenbericht Nr. 43, 962-970 (online verfügbar). Die Lohnsteuerbelastungen der Erstverdienenden, die derzeit in der Steuerklasse III wie Alleinverdiener besteuert werden, würden steigen.
Allerdings ist die Lohnsteuer nur eine Vorauszahlung auf die Einkommensteuer. Abweichende Steuerbelastungen werden bei der Veranlagung zur Einkommensteuer im Folgejahr korrigiert.Das Veranlagungsverfahren ist ein Verwaltungsverfahren zur Ermittlung der Bemessungsgrundlage und Festsetzung der Einkommensteuer. Insoweit ändert die Reform der Lohnsteuer die gesamte Einkommensteuerbelastung der Ehepaare und damit auch das Steueraufkommen zunächst nicht – unter der Annahme von konstanter Beschäftigung. Lediglich die zeitliche Verteilung der Steuerzahlungen sowie die Aufteilung der Steuerlast zwischen den PartnerInnen kann sich verschieben.
Ob die Lohnsteuer und deren Reform die Arbeitsmarktentscheidung der EhepartnerInnen beeinflusst – vor allem die der verheirateten Frauen – ist offen. Denn für die Belastungswirkungen der Einkommensteuer bezogen auf das Jahreseinkommen ist letztlich die Veranlagung zur Einkommensteuer maßgeblich. Sofern die Steuerpflichtigen diesen Zusammenhang nicht realisieren und sich bei ihren wirtschaftlichen Entscheidungen auch an den laufenden Lohnsteuerzahlungen orientieren, kann die Lohnsteuerreform die Arbeitsmarktbeteiligung erhöhen. Ferner beeinflusst die Lohnsteuer sowie das daraus resultierende Netto-Arbeitsentgelt die Höhe der Lohnersatzleistungen.
Die Besteuerung des gemeinsamen Einkommens mit Ehegattensplitting führt zu deutlich höheren Belastungen der Zweitverdienenden gegenüber einer Individualbesteuerung. Dies ist ein wichtiger Grund für das relativ geringe Arbeitsvolumen von verheirateten Frauen in Deutschland.Johannes Becker (2022): Ehegattenbesteuerung in Deutschland. Bertelsmann Stiftung (online verfügbar); Stefan Bach et al. (2020): Reform des Ehegattensplittings: Realsplitting mit niedrigem Übertragungsbetrag ist ein guter Kompromiss. DIW Wochenbericht Nr. 41, 785-794 (online verfügbar); Maximilian Blömer, Przemyslaw Brandt und Andreas Peichl (2021): Raus aus der Zweitverdienerinnenfalle. Reformvorschläge zum Abbau von Fehlanreizen im deutschen Steuer- und Sozialversicherungssystem. Bertelsmann Stiftung (online verfügbar); Ronald Bachmann, Philipp Jäger und Robin Jessen (2021): A split decision: Welche Auswirkungen hätte die Abschaffung des Ehegattensplittings auf das Arbeitsangebot und die Einkommensverteilung? RWI Materialien 144 (online verfügbar); Martin Beznoska et al. (2019): Die Besteuerung von Ehepaaren in Deutschland. Ökonomische Effekte verschiedener Reformvorschläge. IW-Analysen 133 (online verfügbar). Reformen des Ehegattensplittings, die SPD und Grüne im Wahlkampf vorgeschlagen hatten, plant die Ampel-Koalition nicht ausdrücklich. Sie kündigt aber eine Weiterentwicklung der der Familienbesteuerung an, mit der „die partnerschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche Unabhängigkeit mit Blick auf alle Familienformen gestärkt werden“ soll.Koalitionsvertrag (2021), a.a.O., 115. Es wurde aber nicht vereinbart, wie dies ausgestaltet sein soll.
Die Lohnsteuer ist eine besondere Erhebungsform der Einkommensteuer für Arbeitseinkommen. Sie sichert das laufende Steueraufkommen und vermeidet in einfachen Fällen die Veranlagung zur Einkommensteuer. Die Arbeitgeber ziehen die Lohnsteuer monatlich vom Bruttolohn auf Rechnung ihrer Arbeitnehmer ab. Die Berechnung der Lohnsteuer berücksichtigt Abzüge für Werbungskosten, Sonderausgaben und Kinder, den Familienstand sowie den aktuellen Einkommensteuertarif.
Für Ehepaare sowie Alleinerziehende gibt es besondere Lohnsteuerklassen. Zusammenlebende EhepartnerInnen werden grundsätzlich in die Lohnsteuerklasse IV eingruppiert.Zum Folgenden ausführlich: Ulrike Spangenberg, Gisela Färber und Corinna Späth (2020): Mittelbare Diskriminierung im Lohnsteuerverfahren. Auswirkungen der Lohnsteuerklassen auf Nettoeinkommen und Lohnersatzleistungen. Working Paper Forschungsförderung Nr. 190, Hans-Böckler-Stiftung, 25ff. (online verfügbar). Die Lohnsteuer wird dann wie in der Steuerklasse I berechnet, die für Ledige oder getrennt lebende EhepartnerInnen gilt. Die PartnerInnen versteuern ihr eigenes Einkommen unabhängig voneinander – es gilt Individualbesteuerung. Bei unterschiedlichen Einkommen der PartnerInnen führt der progressive Einkommensteuertarif zu einer insgesamt höheren Lohnsteuerbelastung als dies bei einer gemeinsamen Einkommensteuerveranlagung mit Ehegattensplitting der Fall ist. Nach einer Einkommensteuererklärung und -veranlagung wird zu viel gezahlte Lohnsteuer zurückerstattet.
Um zu viel gezahlte Lohnsteuerbeträge (Überzahlungen) bei Paaren mit Alleinverdienenden oder Paaren mit deutlich unterschiedlichen Lohneinkommen zu vermeiden, gibt es die Lohnsteuerklassen III und V. In der Steuerklasse III wird die Lohnsteuer für Alleinverdienende berechnet. Dabei gilt das volle Splittingverfahren einschließlich des Abzugs beider Grundfreibeträge. Dadurch ist die Lohnsteuer deutlich niedriger als in den Steuerklassen I oder IV.
Zweitverdienende PartnerInnen müssen dann die Lohnsteuerklasse V wählen. Die Lohnsteuer wird dabei so bemessen, dass sie zusammen mit der Lohnsteuer der Erstverdienenden nach Steuerklasse III der gemeinsamen veranlagten Einkommensteuer entspricht. Dabei wird angenommen, dass die Lohneinkommen von Erst- und Zweitverdienenden im Verhältnis von 60 zu 40 Prozent stehen. Bei größeren Einkommensunterschieden fällt die Lohnsteuerzahlung zu gering aus (Unterzahlung), bei geringen Unterschieden entsteht eine Überzahlung.
Da bei Erstverdienenden in der Lohnsteuerklasse III bereits der volle Splittingtarif wirksam ist, ist die Lohnsteuerklasse V so konstruiert, dass das zugrundliegende steuerpflichtige Einkommen als Nebenverdienst dem mutmaßlichen gemeinsamen Einkommen hinzugerechnet und darauf die zusätzliche Einkommensteuerbelastung berechnet wird.Einkommensteuergesetz (EStG) § 39b, Absatz 2, Satz 7 (online verfügbar). Der Nebenverdienst unterliegt der vollen Progression der Einkommensteuer. Dies führt zu erheblichen Belastungen von Zweitverdiensten in der Lohnsteuerklasse V sowohl im Vergleich zur Lohnsteuerklasse IV als auch im Vergleich zur gemeinsamen Besteuerung nach der Einkommensteuerveranlagung. Entsprechend niedriger sind die Belastungen der Erstverdienenden in der Steuerklasse III.
Die Wirkungen dieser Regeln auf die Grenz- und Durchschnittsbelastung des Erst- und Zweitverdienstes sind erheblich. Diese werden hier für ein Ehepaar mit einem oder einer Erstverdienenden mit einem zu versteuernden Einkommen von 45000 Euro im Jahr dargestellt (Abbildungen 1 bis 3).Bei Standardabzügen entspricht ein versteuerndes Einkommen von 45000 Euro einem jährlichen Bruttolohn von 56000 Euro und damit dem Durchschnittslohneinkommen männlicher Vollzeitbeschäftigter im Jahr 2020. Statistisches Bundesamt (2021): Verdienste und Arbeitskosten. Arbeitnehmerverdienste 2020. Fachserie 16 Reihe 2.3, Tabelle 1.1 (online verfügbar).
In der Steuerklasse III bezahlt der oder die Erstverdienende auf ihr zu versteuerndes Einkommen einen Grenzsteuersatz von gut 27 Prozent und einen Durchschnittssteuersatz von knapp 13 Prozent (Abbildung 1). Zweitverdienende unterliegen schon bei geringen Einkommen einer Grenz- und Durchschnittsbelastung von 14 Prozent. Ab einem zu versteuernden Einkommen von 8000 Euro steigen Grenz- und Durchschnittsbelastung sehr steil an. Bei einem jährlichen Bruttolohn von 20000 Euro bis 35000 Euro (dies entspricht einem zu versteuernden Einkommen zwischen 15000 Euro bis 30000 Euro), in dem sich die meisten zweitverdienenden Ehefrauen bewegen, liegt die Grenzbelastung durchgängig bei 42 Prozent, die Durchschnittsbelastung beträgt zwischen 20 Prozent und 30 Prozent. Die nach der Veranlagung maßgebliche gemeinsame Einkommensteuerbelastung bewegt sich zwischen den Belastungen der EhepartnerInnen.
Allerdings führt die Lohnsteuerklassen-Kombination III/V bei niedrigen Einkommen der Zweitverdienenden zu einer deutlichen Unterzahlung durch die Lohnsteuer, die in dem hier gewählten Beispiel bis zu 1600 Euro im Jahr oder 3 Prozent des gemeinsamen zu versteuernden Einkommens ausmachen kann. Daher ist bei dieser Steuerklassenkombination eine Veranlagung zur Einkommensteuer vorgeschrieben, bei der in diesen Fällen die Einkommensteuer nachzuzahlen ist. Ab einem zu versteuernden Einkommen von Zweitverdienenden von 30000 Euro führt die Kombination III/ V zu einer Überzahlung, ab 32000 Euro ist die Kombination IV/IV günstiger.
Die Lohnsteuerklassenkombination IV/IV kehrt dieses Bild vollständig um (Abbildung 2). Hier gilt bei der Lohnsteuer die Individualbesteuerung. Auch Zweitverdienende haben einen eigenen Grundfreibetrag und die Steuerbelastung steigt mit dem normalen Einkommensteuertarif. Bei den Erstverdienenden fällt dagegen der Splittingvorteil weg. Im hier gewählten Beispiel mit einem zu versteuernden Einkommen von 45 000 Euro haben die Erstverdienenden in der Lohnsteuerklasse IV eine Grenzbelastung von gut 36 Prozent und eine Durchschnittsbelastung von gut 22 Prozent.
Allerdings entsteht in der Lohnsteuerklassenkombination IV/IV bei geringen Zweitverdiensten gegenüber der gemeinsamen Einkommensteuer eine deutliche Überzahlung, da der Splittingvorteil in diesen Fällen besonders hoch ist. Hinzu kommt, dass Ehepaare seit 2010 das Faktorverfahren wählen können. Dabei wird die Lohnsteuer nach der Steuerklasse IV um einen Faktor vermindert, der sich aus dem Verhältnis der gemeinsamen Einkommensteuer zur Summe der Lohnsteuer der PartnerInnen für die voraussichtlichen Einkommen ergibt. Hierdurch wird die Überzahlung der Lohnsteuer vermieden, so dass vor allem die Lohnsteuerbelastungen des oder der Erstverdienenden bei niedrigem Zweitverdiener-Einkommen deutlich sinken (Abbildung 3). Entsprechend sinken auch die Belastungen niedriger Zweitverdienste mit Einkommen oberhalb des Grundfreibetrags.
Das Faktorverfahren wird bisher nur von weniger als einem Prozent der lohnsteuerpflichtigen Ehepaare genutzt.Spangenberg, Färber, Späth (2020), a.a.O., 29f. Es ist kaum bekannt und wohl auch unattraktiv, da das Antragsverfahren aufwändig ist und alle zwei Jahre erneuert werden muss.Vgl. Antrag auf Steuerklassenwechsel bei Ehegatten/Lebenspartnern, 2 (online verfügbar). Beide Ehepartner müssen ihren voraussichtlichen Jahreslohn angeben und verschiedene Angaben zu Versorgungsbezügen und Renten-, Kranken und Pflegeversicherung machen. Vor allem bei wechselnden oder unstetigen Beschäftigungen sind diese Angaben nur schwer zu leisten. Dies dürfte viele Steuerpflichtige überfordern oder abschrecken.
Die Einkommenswirkungen der Lohnsteuerklassenwahl sind hoch (Abbildung 4). Bei der Darstellung bezogen auf den Bruttojahreslohn sind auch die Arbeitnehmer-Sozialbeiträge berücksichtigt, bei der Pflegeversicherung ist der niedrigere Beitragssatz für Versicherte mit Kindern angesetzt.
In der Lohnsteuerklasse V liegt die Belastung des Bruttolohns durchgängig über alle Einkommensgruppen um mindestens 10 Prozentpunkte höher als in der Lohnsteuerklasse IV. Bei Jahresbruttolöhnen von 20000 Euro bis 35000 Euro, in denen sich die meisten zweitverdienenden Ehefrauen bewegen, macht die Mehrbelastung 11 bis 12 Prozentpunkte aus – das sind 200 bis 300 Euro im Monat. Das Faktorverfahren reduziert die Lohnsteuerbelastung noch etwas stärker, je nach Einkommen des Erstverdienenden – im hier gewählten Beispiel sind es bis zu 0,5 Prozentpunkte bei Bruttolöhnen um die 24000 Euro.
Entsprechend ist bei der Lohnsteuerklasse V das laufende Nettolohneinkommen am geringsten. Dieses ist für die Berechnung der meisten Lohn- beziehungsweise Entgeltersatzleistungen der Sozialversicherungen und staatlicher Behörden maßgeblich. Vor allem betrifft dies das Arbeitslosengeld einschließlich Kurzarbeiter- und Insolvenzgeld, Krankengeld, Mutterschaftsgeld und Elterngeld sowie eine Reihe weiterer Leistungen.Weitere Leistungen sind Verletztengeld und Übergangsgelder der gesetzlichen Unfall- und Rentenversicherung, das Pflegeunterstützungsgeld der gesetzlichen Pflegeversicherung oder Verdienstausfallentschädigungen nach dem Infektionsschutzgesetz. Dabei wird das wegfallende Nettoeinkommen zumeist zu mindestens 60 Prozent ersetzt, bei Familien mit Kindern zu 67 Prozent, bei manchen Leistungen wie dem Krankengeld auch mehr, mitunter ist auch temporär ein vollständiger Einkommensersatz vorgesehen. Dazu auch Spangenberg, Färber, Späth (2020), a.a.O., 191f.
Damit beeinflusst die Wahl der Lohnsteuerklasse die Höhe dieser Leistungen beträchtlich. Ein Wegfall der Lohnsteuerklasse V führt zu höheren Leistungen bei den Lohnersatzleistungen für Zweitverdienende. Zugleich beziehen Erstverdienende in der bisherigen Lohnsteuerklasse III geringere Leistungen.
Unter der Annahme, dass sich das Arbeitsangebot nicht verändert, sollte sich das Steueraufkommen durch die Abschaffung der Steuerklassenkombination III/V kaum ändern. Abweichende Steuerbelastungen werden bei der Veranlagung zur Einkommensteuer im Folgejahr korrigiert. Allerdings ist die Annahme eines konstanten Arbeitsangebots nicht plausibel. Die zentrale empirische Frage ist, ob das Arbeitsangebot vom individuellen monatlichen Nettoeinkommen abhängt oder ob sich die EhepartnerInnen eher am gemeinsamen Netto-Jahreseinkommen orientieren, das über die Steuererklärung durch die Einkommensteuer bestimmt wird. Diese geschieht meist im folgenden Frühjahr und Sommer, bei freiwilliger Veranlagung mitunter auch erst deutlich später.
Es ist durchaus plausibel anzunehmen, dass für manche verheirateten Frauen und Männer nicht nur das gemeinsame Netto-Jahreseinkommen sondern auch das monatliche individuelle Nettoeinkommen eine Rolle für die Arbeitsangebotsentscheidung spielt. Wie stark die Effekte einer Abschaffung der Lohnsteuerklassenkombination III/V sind, hängt entscheidend davon ab, an welcher Größe – gemeinsame Netto-Jahreseinkommen oder individuelles monatliche Nettoeinkommen – sich verheiratete Personen bei ihrer Entscheidung, ob und wieviel sie arbeiten, orientieren.
Angesichts der Auswirkungen, die eine Abschaffung der Lohnsteuerklassenkombination III/V auf die individuellen monatlichen Einkommen der jeweiligen PartnerInnen haben, dürften Zweitverdienende ihre Beschäftigung erhöhen – auch wenn sich nicht genau abschätzen lässt, in welchem Umfang. Im Gegenzug kann aber auch erwartet werden, dass die Person mit den höheren Einkommen, die durch die Abschaffung der Steuerklasse III nun eine deutlich höhere Grenzbelastung ihres Einkommens hat, ihre Beschäftigung reduziert. Die Literatur zeigt, dass die Arbeitsangebotseffekte bei Frauen, die in der Regel das geringere Einkommen haben, höher als bei Männern sind.Becker (2022), a.a.O., 16f. Daher sollte der Gesamteffekt positiv sein. Insofern kann die geplante Lohnsteuerreform positive Auswirkungen für die Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt haben und darüber hinaus eventuell auch zur Verringerung der ungleichen Aufteilung von Erwerbsarbeit und unbezahlter Sorgearbeit im Haushalt beitragen.
Wenn nach der Abschaffung der Lohnsteuerklassenkombination III/V eine Überzahlung der Lohnsteuer vermieden werden soll, muss die Beantragung des Faktorverfahrens erleichtert werden. Zugleich kann oder sollte man das Faktorverfahren aber nicht zwingend für alle Ehepaare vorschreiben, da dies den Datenschutz und das Steuergeheimnis potentiell verletzen würde.
Ferner sollte man vermeiden, dass Ehepaare den Splittingvorteil der gemeinsamen Veranlagung nicht nutzen und letztlich zu viel Steuern zahlen, vor allem Paare mit geringem Einkommen. Denn bei der Lohnsteuerklassenkombination IV/IV ist eine Einkommensteuerveranlagung nicht zwingend erforderlich, sofern die Steuerpflichtigen keine individuellen Freibeträge bei der Lohnsteuer beantragt haben oder keine sonstigen Gründe für die Veranlagung bestehen (etwa Lohnersatzleistungen oder sonstige Einkünfte).
Eine pragmatische Ergänzung zum Faktorverfahren wäre ein automatischer gemeinsamer Lohnsteuer-Jahresausgleich zwischen den PartnerInnen nach Ablauf des Kalenderjahres. Dazu müssten die EhepartnerInnen nur eine Bankverbindung angeben, bräuchten aber keine komplizierten Angaben wie beim Faktorverfahren zu machen. Im folgenden Frühjahr würde das Finanzamt einen Lohnsteuer-Ausgleich für die PartnerInnen machen, ihnen einen Bescheid schicken und zu viel gezahlte Lohnsteuern erstatten. Zusätzlich könnte man den Steuerpflichtigen nach dem ersten Jahresausgleich anbieten, das Faktorverfahren zu wählen, ohne dass dazu komplizierte Formulare ausgefüllt werden müssten.
Dies wäre faktisch eine automatische Steuerveranlagung und würde vielen Paaren die Einkommensteuererklärung ersparen, die derzeit nur wegen der Lohnsteuerklassenkombination III/V eine Steuererklärung abgeben müssen, aber ansonsten keine weiteren Abzüge deklarieren. Ferner bestünde der Vorteil, dass ein unterjähriger Lohnsteuerausgleich stattfinden würde, falls der Arbeitgeber keinen Lohnsteuer-Jahresausgleich macht.Dies führt derzeit zu spürbaren Überzahlungen bei der Lohnsteuer, dazu Tobias Hauck und Luisa Wallossek (2021): Automatische Einkommensteuererstattungen zur Entlastung niedriger Einkommen. Wirtschaftsdienst 2021, Heft 12 (online verfügbar). Dies wäre auch ein großer Schritt in Richtung von vorausgefüllten Steuererklärungen (Easy Tax), die im Ampel-Koalitionsvertrag angekündigt werden und eine erhebliche Vereinfachung bei der Steuererklärung bedeuten würden.Koalitionsvertrag (2021), a.a.O., 166. Zudem könnte ein automatisiertes Veranlagungsverfahren weitere Einkünfte einbeziehen, die den Finanzbehörden gemeldet werden, insbesondere Alterseinkommen und Lohnersatzleistungen.
Die Abschaffung der Lohnsteuerklasse V ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die hohen laufenden Belastungen von Zweitverdienenden in der Lohnsteuerklasse V werden vermieden. Dies betrifft zumeist Frauen. Wenn Teilzeit erwerbstätige Frauen 200 bis 300 Euro mehr im Monat auf ihrem Konto haben, stärkt das ihre Verhandlungsposition im Haushalt und erhöht auch tendenziell ihr Arbeitsangebot. Da sich allerdings viele Paare vermutlich am gemeinsamen Nettoeinkommen nach der Einkommensteuerveranlagung und somit am Ehegattensplitting orientieren, sind die positiven Wirkungen einer Reform der Lohnsteuerklassen auf die Beschäftigung von verheirateten Frauen und deren Gleichstellung im Arbeitsleben begrenzt.
Daher sollte die Reform der Lohnsteuer längerfristig um eine Reform des Ehegattensplittings ergänzt werden, vor allem bei hohen Einkommen und hohen Steuervorteilen durch das Splitting. Als Kompromisslinie zeichnet sich hierzu in der Reformdiskussion in den letzten Jahren zumeist ein „Realsplitting“ ab.Analog zu den Regelungen für Unterhaltszahlungen zwischen getrennt lebenden oder geschiedenen EhepartnerInnen können dabei die höherverdienenden PartnerInnen einen Übertragungsbetrag als Sonderausgaben von ihren steuerpflichtigen Einkommen abziehen, den die empfangenden PartnerInnen als sonstige Einkommen versteuern müssen. Vergl. dazu Bach u.a. (2020), a.a.O. Dabei würde sich für Ehepaare mit niedrigen und mittleren Einkommen – also für die überwiegende Mehrheit der Paare – nichts oder nur wenig ändern. Entsprechend gering wären allerdings die Beschäftigungseffekte, die zudem erst langfristig entstehen, soweit ein Bestandsschutz für bestehende Ehen oder ältere Ehepaare vorgesehen ist.
Themen: Steuern, Gender, Familie, Arbeit und Beschäftigung
JEL-Classification: H24;J22;D13;D31
Keywords: Family taxation, income tax reform, female labor supply
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-10-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/251420