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Steuereinnahmen haben sich von Corona bereits erholt – in der Finanzkrise hat es länger gedauert

DIW Wochenbericht 11 / 2022, S. 171-179

Kristina van Deuverden

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  • Trotz schwächelnder Wirtschaft liegen Steuereinnahmen 2021 über Vorkrisenniveau – in der Finanzkrise hinkte die Erholung der Steuereinnahmen der Wirtschaft hinterher
  • Nahezu alle Steuereinnahmen tragen den merklichen Anstieg, überraschend hohe Dynamik zeigt sich aber bei Gewinnsteuern
  • Unterschiedliche Reaktion der Steuereinnahmen liegt an Ursachen beider Krisen, aber auch an den wirtschaftspolitischen Maßnahmen
  • Politik reagiert auf Corona-Pandemie deutlich schneller und massiver und kann Einkommen dadurch stabilisieren
  • Allerdings stützt auch die Teuerung die Steuerentwicklung; darauf zurückgehende Einnahmen sollten an die privaten Haushalte zurückgegeben werden

„Die Unternehmen und Selbstständigen sind wohl besser durch die Pandemie gekommen, als sie erwartet hatten. Dafür spricht die Entwicklung bei der veranlagten Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer. Dass diese schon im Jahr 2021 wieder sprudelten, dürfte an den schnellen wirtschaftspolitischen Hilfen liegen.“ Kristina van Deuverden

Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland weiter lahmt, legen im Jahr 2021 die Steuereinnahmen trotz der mit Mindereinnahmen verbundenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen deutlich zu und überschreiten ihr Vorkrisenniveau. Während der Finanzkrise 2008 bis 2011 war dies anders: Die wirtschaftliche Erholung war der Steuerentwicklung vorgelagert. Erst im Jahr 2011 wurde das Vorkrisenniveau bei den Steuern überschritten. Im Jahr 2021 steigen die Mehrwertsteuer nach der temporären Senkung im Vorjahr und die Lohnsteuer wegen des Rückgangs der Kurzarbeit wie zu erwarten; unerwartet hoch ist demgegenüber die Dynamik der Gewinnsteuern. Offensichtlich gelingt es der Wirtschaftspolitik in der Corona-Pandemie besser als in der Finanzkrise, durch schnelle und umfangreiche wirtschaftspolitische Maßnahmen die Einkommen zu stabilisieren. Der kräftige Anstieg der – nominalen – Gewinneinkommen dürfte aber auch von der Preisentwicklung getragen werden. Auch deshalb sind die Pläne, die privaten Haushalte bei den Energiepreisen zu entlasten und den Grundfreibetrag zu erhöhen, richtig.

Seit zwei Jahren hat die Corona-Pandemie Deutschland voll im Griff. Die wirtschaftliche Entwicklung lahmt, und kurze Erholungsphasen brechen immer wieder ab. Die Steuereinnahmen haben sich davon allerdings abgekoppelt und sprudeln bereits wieder. Im Januar 2022 nimmt der deutsche Fiskus 22,4 Prozent mehr Steuern (ohne Gemeindesteuern) ein als im Vorjahresmonat.infoVgl. Bundesministerium der Finanzen (2022): Monatsbericht Februar 2022 (online verfügbar, abgerufen am 4. März 2022. Dies gilt auch für alle anderen Onlinequellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Die vom Bundesministerium der Finanzen regelmäßig berichteten Steuereinnahmen beziehen sich auf die kassenmäßigen Zahlungseingänge ohne Gemeindesteuern. Zwar ist dieses Monatsergebnis durch Sonderfaktoren verzerrt, die Steuereinnahmen ziehen allerdings bereits seit dem Sommer 2021 dynamisch an. Im Herbst hebt der Arbeitskreis Steuerschätzungen beim Bundesministerium der Finanzen seine Vorhersage für das Jahr 2021 um 38,5 Milliarden an und prognostiziert einen Zuwachs von 9,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr,infoVgl. Bundesministerium der Finanzen (2021): Ergebnisse der 161. Sitzung des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“, Pressemitteilung 24, Anlage 2 (online verfügbar). womit das Vorkrisenniveau bereits wieder überschritten wäre. Tatsächlich steigen die Steuereinnahmen sogar stärker. Die Steuereinnahmen ohne Gemeindesteuern, für die inzwischen statistische Daten vorliegen, nehmen im vergangenen Jahr um 11,5 Prozent zu.

Ein Vergleich mit der globalen Finanzkrise in den Jahren 2008 bis 2011, als die Wirtschaft und nachfolgend die Steuereinnahmen ebenfalls deutlich einbrachen, zeigt erhebliche Abweichungen bei der jeweiligen Entwicklung. Für eine abschließende Analyse der Ursachen dieser unterschiedlichen Dynamik ist es derzeit zwar noch zu früh, eine vorläufige Bestandsaufnahme ist jedoch bereits möglich. Erste Erkenntnisse verspricht vor allem eine Analyse der unterschiedlichen Steuerarten und ein Vergleich der wirtschaftspolitischen Maßnahmen während beider Krisen.

Einbruch und Erholung der Steuereinnahmen während Finanzkrise und Corona-Pandemie

Die Entwicklung der Steuereinnahmen wird zum einen von der wirtschaftlichen Entwicklung beeinflusst. Diese wird – ob in ökonomischen Analysen, bei politischen Entscheidungen oder in der breiten öffentlichen Diskussion – mit der realwirtschaftlichen Entwicklung, also mit dem um Preiseinflüsse bereinigten Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemessen. Für die Entwicklung der (nominalen) Steuereinnahmen ist allerdings die nominale Wirtschaftsleistung, also die nicht inflationsbereinigte Entwicklung, die entscheidende Bezugsgröße. Für eine Analyse reicht das BIP allein aber nicht aus. So hat für die Entwicklung der Steuern in Deutschland beispielsweise die Veränderung der Bruttolohnsumme oder der – nominale – Konsum einen hohen Erklärungswert. Zum anderen wird die Entwicklung des Steueraufkommens entscheidend von wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft beeinflusst, denn damit werden teils die Steuereinnahmen direkt und teils die für das Steueraufkommen relevanten wirtschaftlichen Aktivitäten beeinflusst.

In der Finanzkrise im Jahr 2009 brach das nominale BIP um 4,0 Prozent ein (Kasten 1). Währenddessen gingen die Steuereinnahmen um 5,3 Prozent zurück (Abbildung 1).infoDie Analyse der Reaktion von Steuereinnahmen und Sozialbeiträgen auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und der wirtschaftspolitischen Maßnahmen basiert auf der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR). Während die Kassenstatistik die Einnahmen gemäß Zahlungseingang berichtet, werden Steuern in den VGR zeitlich ihrem Entstehungszeitpunkt zugeordnet. Auch werden Tatbestände anders eingeordnet. Dies betrifft beispielsweise die Erhöhung des Kindergelds und die Kinderboni, die in beiden Krisen als wirtschaftspolitische Maßnahme gewährt wurden. Diese Ausgaben mindern den Lohnsteuerabzug, haben zu großen Teilen allerdings den Charakter von Transferzahlungen und werden in den VGR teilweise dort berichtet. Im Jahr 2020 bricht die nominale Wirtschaftsleistung um 3,0 Prozent ein, die Steuereinnahmen gehen jedoch stärker zurück: um 6,5 Prozent.

Die Finanzkrise hatte ihren Ursprung im globalen Finanzsektor.infoWissenschaftlicher Dienst des Deutscher Bundestags (2009): Verlauf der Finanzkrise, Entstehungsgründe, Verlauf und Gegenmaßnahmen (online verfügbar). Die deutsche Wirtschaft bekam die Auswirkungen im Herbst 2008 zu spüren. Im vierten Quartal 2008 sank das reale BIP gegenüber dem Vorquartal um 1,6 Prozent, nachdem die deutschen Exporte um 6,4 Prozent nachgelassen hatten. Im ersten Quartal 2009 brachen sie gegenüber dem Vorquartal nochmals um 12,9 Prozent ein (Abbildung).

Die wirtschaftliche Entwicklung belastete auch den Arbeitsmarkt. Zwar nahm die Zahl der Beschäftigten im Jahr 2009 um 52.000 Personen zu, allerdings allein wegen der massiven Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld (Kasten 2). In der Spitze, im Mai 2009, bezogen 1,69 Millionen Personen Kurzarbeitergeld.infoIn Beschäftigungsäquivalenten gerechnet war der Höhepunkt im April 2009 mit 407933 Personen erreicht. Da mit Kurzarbeitergeld nur ein Teil der regulären Bezüge erstattet wird, nahm die Bruttolohnsumme im Jahr 2009 nur um 0,2 Prozent zu. In der Folge war der private Konsum ab dem zweiten Quartal 2009 bis zum Ende des Jahres rückläufig. Die Unternehmensgewinne, die mit der Konjunktur im Jahr 2008 um 5,2 Prozent zurückgegangen waren, sanken im Jahr 2009 nochmals – um 12,9 Prozent.

Preisauftrieb bestand in dieser wirtschaftlichen Lage nur wenig. Während das reale BIP im Jahr 2009 um 5,7 Prozent zurückging, sank das nominale BIP um vier Prozent; im Jahr 2010 stieg das reale BIP um 4,2 Prozent, das nominale um 4,9 Prozent.

In der Corona-Pandemie bricht mit dem ersten Lockdown am 20. März 2020 vor allem die inländische Nachfrage ein. Die Maßnahmen zur Eindämmung des Pandemiegeschehens treffen insbesondere die kontaktintensiven Bereiche. Da viele Länder gleichzeitig ähnliche Maßnahmen ergreifen, lässt auch die ausländische Nachfrage nach und die globalen Lieferketten haken. Dadurch bricht die Produktion im zweiten Quartal 2020 ein und viele Unternehmen stellen Investitionsprojekte zurück.

Um Beschäftigung zu erhalten, werden die Voraussetzungen zur Inanspruchnahme von Kurzarbeit ausgeweitet, die während der Corona-Pandemie eine deutlich stärkere Rolle spielt als während der Finanzkrise. Im April 2020 beziehen über sechs Millionen Menschen Kurzarbeitergeld, dies entspricht mehr als drei Millionen Beschäftigungsäquivalenten. Zwar kann ein Beschäftigungsabbau nicht vermieden werden, die Zahl der ArbeitnehmerInnen im Jahr 2020 liegt in langfristiger Betrachtung aber immer noch auf dem dritthöchsten Niveau seit Bestehen der Bundesrepublik.

Die Bruttolöhne je Beschäftigten gehen im Jahr 2020 um 0,2 Prozent gegenüber Vorjahr zurück; die Bruttolohnsumme sinkt um 0,7 Prozent. Dem wird allerdings durch eine Vielzahl einkommensstützender Maßnahmen entgegengewirkt. Auch die Unternehmen erhalten Unterstützungsleistungen. Ihre Gewinne brechen im Jahr 2020 trotzdem kräftig ein, um 10,2 Prozent; im Jahr 2021 nehmen sie allerdings bereits wieder um 15 Prozent zu.

Für den privaten Konsum bestehen damit von der Einkommensseite her kaum Beschränkungen. Auch dürfte er von der temporären Senkung der Mehrwertsteuersätze in der zweiten Hälfte 2020 profitieren. Die in den Lockdowns wegfallenden Konsummöglichkeiten schränken die Ausgabemöglichkeiten allerdings stark ein: die realen Konsumausgaben der privaten Haushalte lassen im Jahr 2020 um 5,8 Prozent nach. In der Folge bilden die Haushalte hohe – unfreiwillige – Ersparnisse, die auch nicht während der Phasen temporärer Lockerungen abgebaut werden.

Alles in allem, sinkt das reale BIP im Jahr 2020 um 4,6 Prozent und im Jahr 2021 um 2,9 Prozent. Das Niveau des Vorkrisenjahres 2019 wird dabei noch deutlich unterschritten. Dies gilt auch für das BIP in nominaler Rechnung, das im vergangenen Jahr allerdings doppelt so stark wie die reale Wirtschaftsleistung zulegt. Die Preisentwicklung wird zum einen durch die Wiederanhebung der Mehrwertsteuersätze getrieben. Da viele Unternehmen wegen der zunehmenden Lieferengpässe unter ihren Produktionsmöglichkeiten bleiben, liegt die Nachfrage der privaten Haushalte – auch wegen der hohen unfreiwilligen Ersparnisse – in vielen Bereichen über dem Angebot. Einige Unternehmen haben damit Preissetzungsspielräume, was zu der dynamischen Gewinnentwicklung beitragen dürfte. In der zweiten Hälfte des Jahres steigen außerdem die Energiepreise kräftig. In der Folge liegt der BIP-Deflator im Jahr 2021 bei drei Prozent.

Die Entwicklung im jeweils ersten Krisenjahr ist durchaus vergleichbar, wenn die steuerpolitischen Maßnahmen (Kasten 2) berücksichtigt werden. Gemessen am nominalen BIP lagen die mit den diskretionären Maßnahmen verbundenen Steuermindereinnahmen im Jahr 2009 bei 0,2 Prozent, im Jahr 2020 bei 0,9 Prozent. Hätte die steuerliche Entlastung ebenfalls bei 0,2 Prozent gelegen, wären die Steuereinnahmen im Jahr 2020 um lediglich vier Prozent gesunken. Dies ist gemessen am Rückgang des BIP eine der Reaktion im Jahr 2009 vergleichbare Entwicklung. Dies gilt hingegen nicht für die Jahre 2010 und 2021, also die jeweils zweiten Krisenjahre: Gemessen am BIP waren die mit diskretionären Eingriffen verbundenen Steuermindereinnahmen in beiden Jahren gleich groß. Während das nominale BIP im Jahr 2010 um 4,9 Prozent zunahm, stiegen die Steuern um 0,4 Prozent. Im Jahr 2021 nehmen sie hingegen um 12,9 Prozent zu, obwohl das BIP „nur“ um 6,0 Prozent steigt.

Als im September 2008 mit der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers das Vertrauen auf den Finanzmärkten einbrach, unterschätzte die Politik in Deutschland lange Zeit die möglichen Folgen der Finanzkrise für die Realwirtschaft. Die ergriffenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen, wie die Einrichtung des Finanzmarktstabilisierungsfonds, sollten in erster Linie die Liquidität im Bankensektor aufrechterhalten.

Auf die realwirtschaftlichen Auswirkungen reagierte die Politik erst am 5. November 2008 mit einem Konjunkturpaket von 11,8 Milliarden Euro oder etwa einem halben Prozent des nominalen BIP. Schnell zeichnete sich aber ab, dass dieses Paket nicht ausreichen würde. Bereits am 13. Februar 2009 verabschiedete der Bundestag ein zweites Konjunkturpaket mit einem Umfang von 50 Milliarden Euro oder zwei Prozent in Relation zum nominalen BIP. Mit dem Paket wurden die Mittel für staatliche Investitionen noch einmal deutlich angehoben, weitere Steuer- und Abgabensenkungen beschlossen sowie arbeitsmarktpolitische Maßnahmen vereinbart. Die Regelungen beim Bezug von Kurzarbeit wurden noch mal verbessert. Zudem sollten weitere Hilfen wie die sogenannte „Abwrackprämie“ den Konsum ankurbeln.

Viele Maßnahmen konnten im Jahr 2009 allerdings nicht mehr wirksam werden. Dies betraf nicht nur Investitionsprojekte, die mit einer längeren Planungsperiode einhergingen. Auch andere Maßnahmen konnten erst im Jahr 2010 wirken. Von der Anhebung der Pendlerpauschale profitieren ArbeitnehmerInnen beispielsweise erst ein Jahr später bei ihrer Einkommensteuererklärung.

Die beschlossenen Konjunkturpakete entlasteten private Haushalte und Unternehmen im Jahr 2009 um 40 Milliarden Euro oder 1,4 Prozent des BIP (Tabelle). Im Jahr 2010 lag der Impuls bei 24,3 Milliarden Euro oder 0,8 Prozent des BIP. Die Einkommen der privaten Haushalte konnten durch die beschlossenen Maßnahmen in beiden Jahren in Höhe von etwa einem viertel Prozent des nominalen BIP profitieren, die Unternehmen in Höhe von jeweils einem halben Prozent.

Tabelle: Finanzpolitische Maßnahmen in der Finanzkrise und in der Corona-Pandemie

Haushaltsentlastungen (+) und Haushaltsbelastungen (−) in Milliarden Euro gegenüber Vorjahr

2008 2009 2010 2020 2021
Steuereinnahmen2 −2,2 −5,8 −5,0 −29,0 −8,4
davon:
Private Haushalte 4,3 −8,3 −3,8 −23,6 7,5
Unternehmen −6,5 −2,9 −3,9 −5,5 −6,6
Sozialbeiträge −4,9 0,0 −8,8 −8,0 1,8
sonstige Einnahmen 1,0 0,0 0,0 0,0 7,8
Einnahmen insgesamt −6,1 −11,3 −16,5 −37,0 10,5
Ausgaben der Gebietskörperschaften3 −11,2 −24,2 −5,5 −100,2 −76,6
Ausgaben der Sozialversicherungen −1,2 −4,5 −2,3 −16,4 −2,8
Ausgaben insgesamt −12,4 −28,7 −7,8 −116,6 −79,4
davon:
Transfers an private Haushalte4 −6,0 −0,9 0,0 −41,0 −13,9
Hilfen an Unternehmen4 −3,5 −9,3 −5,0 −48,1 −29,4
Summe −18,5 −40,0 −24,3 −153,6 −68,9
In Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt −0,7 −1,4 −0,8 −4,6 −2,2
Nachrichtlich
darunter: Investitionen −2,2 −5,1 −5,0 −9,4 −7,8

1 Summe aller finanzpolitischen Impulse, ohne makroökonomische Rückwirkungen.

2 Die Wirkungen der Steuerrechtsänderungen beziehen sich auf das Kassenjahr.

3 Inklusive Steuerausgaben wie beispielsweise Kindergeld, Kinderbonus oder Pendlerpauschale.

4 Dabei handelt es sich nicht allein um klassische Transferausgaben oder Finanzhilfen. Es werden alle Maßnahmen zusammengefasst, die direkt am Einkommen ansetzen.

Quelle: Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, Herbst des jeweiligen Jahres; eigene Berechnungen und Schätzungen.

Als während der Corona-Pandemie der erste Lockdown am 20. März 2020 das wirtschaftliche Leben in Deutschland lahmlegt, reagiert die Politik schnell. Bereits am 30. März 2020 werden Soforthilfen verabschiedet – am 9. April sind bereits 7,3 Milliarden Euro bewilligt – und es wird signalisiert, dass weitere Maßnahmen folgen können. In großem Umfang werden die Kreditrahmen der staatlichen Förderbanken erhöht. Am 3. Juni 2020 werden weitere 130 Milliarden Euro bereitgestellt. Ein großer Teil davon ist auf die Stützung von Unternehmen, Kleinunternehmen und Selbstständigen gerichtet. In mehreren Etappen bringt die Politik weitere Hilfen auf den Weg.

Auf der Einnahmenseite werden private Haushalte und Unternehmen im Jahr 2020 um 37 Milliarden Euro entlastet, davon 29 Milliarden bei den Steuern. Die größten Mindereinnahmen gehen dabei auf die temporäre Mehrwertsteuersenkung im zweiten Halbjahr 2020 zurück. Eine wichtige Rolle spielen auch Entlastungen für die Unternehmen, wie die Verbesserung von Abschreibungsmöglichkeiten oder die Ausweitung der Verlustrücktragsmöglichkeiten. Neben direkten Überbrückungszahlungen an Unternehmen und Transferzahlungen wie beispielsweise dem Kinderbonus wird wieder die Kurzarbeiterregelung ausgeweitet. Zudem verhindert der Staat einen Anstieg der Sozialbeiträge, und der Staatskonsum steigt kräftig.

Die Maßnahmen entlasten die deutsche Wirtschaft im Jahr 2020 um 153,6 Milliarden Euro oder 4,6 Prozent des BIP. Die Einkommen der privaten Haushalte werden dabei gemessen am nominalen BIP im Jahr 2020 um zwei Prozent und im Jahr 2021 bei nun wieder angehobenen Mehrwertsteuersätzen um 0,2 Prozent gestützt. Für die Unternehmen liegt der direkte Impuls der wirtschaftspolitischen Maßnahmen gemessen am BIP im Jahr 2020 bei 1,6 Prozent, im Jahr 2021 kommen zusätzliche Maßnahmen in Höhe von 1,1 Prozent des BIP hinzu.

Die unterschiedliche Reaktion der Steuereinnahmen zeigt sich deutlicher anhand der Entwicklung der Steuerquoten, die das Steueraufkommen in Relation zum nominalen BIP abbilden (Tabelle).infoDie Steuerquote stellt das gesamtwirtschaftliche Steueraufkommen und das gesamtwirtschaftliche Einkommen einander gegenüber. Vgl. DIW Glossar (online verfügbar). Im Allgemeinen sinkt die Steuerquote im Abschwung und steigt im Aufschwung. Im Jahr 2009 ging sie um 0,3 Prozentpunkte zurück, im Jahr 2010 um einen Prozentpunkt. Im Jahr 2011 stieg die Steuerquote zwar, war aber immer noch deutlich niedriger als im Jahr 2008. Im Jahr 2020 geht die Steuerquote kräftig(er) zurück: sie sinkt um 0,8 Prozentpunkte.infoEine deutlich andere Entwicklung der Steuereinnahmen deutet sich nicht nur in Deutschland an. In der aktuellen Ausgabe der Revenue Statistics stellt die OECD auf Basis vorläufiger Daten für das Jahr 2020 bereits merkliche Unterschiede für viele ihrer Mitgliedsländer fest. Vgl. OECD (2021): Revenue Statistics 1965–2020. The Initial Impact of COVID-19 on OECD Tax Revenues (online verfügbar). Aus Gründen der internationalen Vergleichbarkeit bezieht die Untersuchung der OECD die Sozialbeiträge mit ein. Bei ihrer Entwicklung lassen sich für Deutschland aber keine so ausgeprägten Unterschiede feststellen. Im Jahr 2021 steigt sie hingegen: auf 24,4 Prozent – dem höchsten Wert seit der Wiedervereinigung.

Tabelle: Ausgewählte Einnahmen-/Ausgabengrößen des Staates1

In Relation zum nominalen BIP in Prozent

Staatseinnahmen Staatsausgaben Finanzierungssaldo
insgesamt

darunter:

Steuern

Sozialbeiträge insgesamt In Prozentpunkten (gerundet)
2008 44,1 23,1 16,2 44,2 −0,1
2009 45,0 22,8 17,0 48,2 −3,2
2010 43,8 21,8 16,6 48,3 −4,6
2011 44,4 22,3 16,4 45,2 −0,9
2012 44,9 22,9 16,6 44,9 0,0
2019 46,5 23,8 17,2 45,0 1,5
2020 46,5 23,0 18,1 50,8 −4,3
2021 47,8 24,4 17,7 51,5 −3,7

1 In der Abgrenzung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen.

Quellen: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen.

Die Entwicklung der Steuerquoten hängt maßgeblich von drei Faktoren ab. Erstens ist das nominale BIP die Bezugsgröße; ein Anstieg des BIP um sechs Prozent hätte die Quote für sich genommen zurückgehen lassen müssen. Zweitens schlagen sich die steuerpolitischen Maßnahmen im Steueraufkommen nieder. Diese führten im Vergleich zum Vorjahr allerdings zu Mindereinahmen, wodurch die Quote ebenfalls hätte zurückgehen müssen. Es bleibt, drittens, die aus der Entwicklung der steuerlichen Bemessungsgrundlage resultierende Dynamik.

Steuereinnahmen legen bereits seit Mitte 2021 dynamisch zu

Die Entwicklung des Steueraufkommens wird zwar maßgeblich von der wirtschaftlichen Entwicklung und von Rechtsänderungen bestimmt. Eine Rolle spielen aber auch andere Faktoren, wie das Steuersystem, die Steuererhebung oder die Reaktionen der SteuerzahlerInnen. Die wesentlichen Einflüsse werden für ausgewählte aufkommensstarke Steuern abschließend kurz beleuchtet.infoDie Analyse der ausgewählten Steuereinnahmen basiert auf finanzstatistischen Daten.

Zuwächse bei Lohn- und Mehrwertsteuer überraschen wenig, …

Die aufkommensstärkste Steuer in Deutschland ist die Lohnsteuer. Sie belastet die Einkommen der abhängig Beschäftigten, die gesamtwirtschaftlich als Bruttolohnsumme zusammengefasst werden, zum Zeitpunkt ihres Entstehens. Die Lohnsteuer, als besondere Erhebungsform der Einkommensteuer, ist eine progressive Steuer. Für ihre Entwicklung ist daher nicht nur die Lohnsumme insgesamt ausschlaggebend, sondern auch die Entwicklung der Löhne je Beschäftigten.

Sowohl während der Finanzkrise als auch während der Corona-Pandemie wurden die Möglichkeiten zur Inanspruchnahme von Kurzarbeit ausgeweitet. Da die Einkommenseinbußen der Beschäftigten dabei nicht vollständig ausgeglichen werden, entwickelt sich die Lohnsumme schwach beziehungsweise geht zurück. Gleichzeitig bleibt die Zahl der Beschäftigten durch diese Maßnahmen hoch. Die (gesamtwirtschaftlich gemessenen) Lohnzuwächse je ArbeitnehmerIn sind dementsprechend niedrig beziehungsweise negativ. Neben Steuerentlastungen erklärt dies die Rückgänge bei der Lohnsteuer in den Jahren 2009 und 2020 (Abbildung 2). Im Jahr 2010 war die Arbeitsmarktentwicklung zwar immer noch schwach, der nochmalige Rückgang bei der Lohnsteuer erklärt sich aber durch steuerpolitische Eingriffe. Diese spielen für die Lohnsteuer im Jahr 2021 eine geringere Rolle. Der hohe Beschäftigungsstand und die 2021 deutlich niedrigere Inanspruchnahme von Kurzarbeit lassen die Lohnsteuer (vor Abzug von Kindergeld) daher um 3,7 Prozent steigen. Der Zuwachs lässt sich damit durch Rechtsänderungen und die gesamtwirtschaftliche Entwicklung erklären.

Die Steuer mit dem zweithöchsten Aufkommen ist die Mehrwertsteuer. Im Jahr 2009 nahm sie wegen des in nominaler Rechnung stagnierenden privaten Konsums um nur 0,6 Prozent zu. Im Jahr 2010 stieg die Konsumnachfrage zwar wieder kräftiger, die Mehrwertsteuereinnahmen legten mit 1,7 Prozent aber vergleichsweise wenig zu. Dies kann daran liegen, dass der Anteil der mit dem Standardsteuersatz belasteten Güter am Endverbrauch zurückging.

Im Jahr 2020 lassen die Maßnahmen zur Eindämmung des Pandemiegeschehens den Konsum deutlich einbrechen. Der kräftige Rückgang der Mehrwertsteuereinnahmen dürfte aber in noch viel stärkerem Maß von der temporären Senkung der Mehrwertsteuersätze in der zweiten Jahreshälfte hervorgerufen worden sein. Dies ist auch der maßgebliche Grund für den merklichen Anstieg um 14,4 Prozent im Jahr 2021. Hinzu kommt, dass die Konsumausgaben – nicht der reale Konsum – wegen des Preisauftriebs ab Mitte 2021 deutlich steigen.

… Zuwächse bei den Gewinnsteuern sind hingegen unerwartet hoch

Während die Entwicklung der Lohn- und Mehrwertsteuer durch Rechtsänderungen oder die ihnen zugrundeliegende wirtschaftliche Dynamik gut erklärt werden kann, gilt dies nicht für die Gewinnsteuern. Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen nehmen 2021 um 15 Prozent zu, nachdem sie 2020 um 10,2 Prozent zurückgegangen sind. Die veranlagte Einkommensteuer steigt in finanzstatistischer Abgrenzung um 13,7 Prozent. Die Körperschaftsteuereinnahmen nehmen um 73,6 Prozent zu.infoAuch die Gewerbesteuer – für die derzeit allerdings erst Daten bis zum dritten Quartal 2021 vorliegen – legt nach einem schwachen ersten Quartal überraschend dynamisch zu. Zusammengenommen liegen die Einnahmen in den ersten drei Quartalen um 28,3 Prozent höher als im Vorjahr. Damit deutet sich bei den Gewinnsteuern eine Abkoppelung der Steuereinnahmen von der Wirtschaftsleistung an.

Die veranlagte Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer sind sogenannte Veranlagungssteuern, bei denen die Steuerpflichtigen jeweils am Quartalsende Vorauszahlungen auf den von ihnen für das laufende Jahr erwarteten Gewinn leisten. Diese Vorauszahlungen können auch während eines Jahres angepasst werden, wenn die tatsächliche Entwicklung von der ursprünglich erwarteten abweicht. Auch ist eine nachträgliche Anpassung der Vorauszahlungen in späteren Jahren möglich. Die Entwicklung der Vorauszahlungen lässt daher gewisse Rückschlüsse auf die Gewinnerwartungen der Unternehmen und Selbstständigen zu. Wenn – in den meisten Fällen ein Jahr oder zwei Jahre nach Abschluss des Geschäftsjahres – die Steuerveranlagung durch das Finanzamt erfolgt, fließen entweder Steuerrückerstattungen oder Nachzahlungen.

Mit dem Überschwappen der Finanzkrise auf die Realwirtschaft im Herbst 2008 zeigten sich bei der Einkommensteuer, bei der beispielsweise Personengesellschaften und Selbstständige veranlagt werden, noch keine Anpassungen bei den Vorauszahlungen. Anders bei der Körperschaftsteuer: Die Vorauszahlungen für das laufende Jahr und auch die angepassten für das Vorjahr gingen im vierten Quartal 2008 deutlich zurück. Im Jahr 2009 lagen die Vorauszahlungen bei der Körperschaftsteuer nochmals sehr deutlich unter ihrem Vorjahresniveau. Bei der veranlagten Einkommensteuer sanken die Vorauszahlungen nun ebenfalls, wenngleich nicht ganz so stark. Auch im Jahr 2010 entwickelten sich die Vorauszahlungen in einigen Monaten noch rückläufig. Da es in den weiteren Jahren weder zu besonders hohen Nachzahlungen noch zu Rückerstattungen kam, scheinen die Unternehmen ihre Gewinnsituation während der Finanzkrise „zutreffend schlecht“ eingeschätzt zu haben.

Auch im Jahr 2020 reagieren die Unternehmen schnell und passen ihre Vorauszahlungen an. Wieder sind die Rückgänge bei der Körperschaftsteuer deutlich höher als bei der veranlagten Einkommensteuer. Verglichen mit der Finanzkrise werden dabei die Vorauszahlungen für Vorjahre deutlich stärker angepasst. Dies dürfte auch an der Ausweitung der Verlustverrechnungsmöglichkeiten liegen. Ab dem zweiten Quartal 2021 ändert sich dieses Bild allerdings grundlegend. Bei der Einkommensteuer nehmen die Vorauszahlungen für das laufende Jahr, ab dem zweiten Halbjahr auch die angepassten Vorauszahlungen für Vorjahre – teils deutlich – zu. Bei der Körperschaftsteuer ziehen ab dem zweiten Quartal sowohl die Vorauszahlungen für das laufende Jahr als auch für Vorjahre an – und zwar sehr kräftig.

Diese Entwicklung deutet darauf hin, dass die Unternehmen ihre Gewinnerwartungen für das Jahr 2021 deutlich nach oben korrigiert haben.infoZu einem gewissen Teil können auch andere Gründe für die Anpassungen eine Rolle spielen, wie der Zinssatz für Steuerguthaben oder bei großen Konzernen die internationale Aufteilung der Steuerschuld. Die nachträgliche Korrektur der Vorauszahlungen für das Vorjahr spiegelt zum einen die Ausnutzung der bestehenden Möglichkeiten zum Verlustrücktrag wider, deutet aber ebenfalls darauf hin, dass die Gewinnerwartungen zu stark zurückgenommen worden sind und die wirtschaftliche Entwicklung sich besser herausgestellt hat, als von den Unternehmen erwartet worden ist.

Fazit: Finanzpolitische Maßnahmen federn Verwerfungen in Corona-Pandemie besser ab als in Finanzkrise

Im März 2022, zwei Jahr nachdem die Corona-Pandemie in Deutschland zu einem ersten Lockdown führt, kann allenfalls eine erste, vorläufige Analyse der überraschend dynamischen Entwicklung der Steuereinnahmen im Jahr 2021 vorgenommen werden. Ein Grund, warum sich die Steuereinahmen im Vergleich zur globalen Finanzkrise so viel kräftiger entwickeln, liegt sicherlich in den unterschiedlichen Ursachen der Krisen selbst. Die globale Finanzkrise war eine Folge langjähriger Fehlentwicklungen im Finanzsektor, deren Überwindung längere Zeit in Anspruch nahm.

Die Corona-Pandemie trifft die Wirtschaft als plötzlicher, exogener Schock. Mit dem Abklingen der Ursache kann das Wirtschaftswachstum unmittelbar wieder einsetzen. Dies bestätigt sich auch durch die wirtschaftlichen Belebungsphasen, die eintreten, sobald die pandemischen Eindämmungsmaßnahmen gelockert werden. Auch wenn sich durch die Schwierigkeiten bei den Lieferketten mittlerweile realwirtschaftliche Probleme manifestieren, spricht vieles dafür, dass sich diese Probleme relativ schnell auflösen werden, wenn die pandemischen Maßnahmen nur noch eine geringe Rolle spielen – vorausgesetzt der Konflikt in der Ukraine bleibt begrenzt.

Ein anderer Grund für die unterschiedliche Entwicklung in den beiden Krisen liegt in den wirtschaftspolitischen Maßnahmen. Während der Corona-Pandemie scheint es der Politik besser zu gelingen, die Einkommen der privaten Haushalte und der Unternehmen zu stabilisieren, was viele wohl unterschätzt haben. Dies hat viele veranlasst, im Jahr 2021 ihre Steuerzahlungen bei der veranlagten Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer anzupassen. Während stützende Maßnahmen in der Finanzkrise erst relativ spät ergriffen wurden und außerdem schnell nachgelegt werden musste, wird im Jahr 2020 schnell und in erheblichem Umfang reagiert. Auch wenn dadurch nicht alle Gelder zielgerichtet eingesetzt worden sein dürften, konnte der wirtschaftliche Einbruch massiv abgefedert werden.

Derzeit profitiert der Staat allerdings auch von der anziehenden Inflation. Sie schlägt sich in den – nominalen – Gewinneinkommen wie auch den Konsumausgaben der privaten Haushalte nieder und stützt auch in diesem Jahr die Steuereinnahmen. Auch aus diesem Grund sind die derzeitigen Überlegungen, die privaten Haushalte bei den Energiepreisen zu entlasten, richtig – zumal sich die Teuerung durch die derzeitige militärische Auseinandersetzung in der Ukraine deutlich beschleunigt. Die rückwirkende Erhöhung des steuerlichen Grundfreibetrags mildert zudem die Auswirkungen der kalten Progression, die durch die diesjährigen Verschiebungen der Steuereckwerte bei der Einkommensteuer nur unzureichend ausgeglichen worden wäre.

Kristina van Deuverden

Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Vorstand



Keywords: tax revenue, macroeconomic development, corona economic crisis, global financial crisis
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-11-1

Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/252287

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