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Energieimporte aus Russland sind nicht alternativlos: Kommentar

DIW Wochenbericht 11 / 2022, S. 180

Claudia Kemfert

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Ja, es ist richtig: Deutschland ist sehr abhängig von fossilen Energien aus Russland. Wir importieren über 50 Prozent unseres fossilen Erdgases, über 30 Prozent des Öls und über 50 Prozent der Steinkohle aus Russland. Aber: Russland hat kein Monopol. Für Steinkohle gibt es leicht verfügbare, alternative Lieferanten, etwa Südafrika oder Kolumbien. Auch Öl ist derzeit auf dem Weltmarkt nicht knapp. Die OPEC kann ihre Förderquoten erhöhen, die USA werden das sicher auch tun. Nur beim Gas ist es komplizierter, aber auch hier ist russisches Erdgas nicht alternativlos: Zwar können viele Förderländer wie Norwegen ihre Fördermengen kaum erhöhen, dennoch können wir durch Anpassungen mehr Gas aus Norwegen oder Holland importieren. Und ein anderer Teil kann mittels Flüssigerdgas (LNG) beispielsweise aus Katar oder den USA nach Europa transportiert werden.

Ja, richtig ist auch: Ein Importstopp kostet Geld. Doch die derzeit steigenden Preise an der Tanksäule oder auf der Heizungsrechnung sind vor allem der Preis der verschleppten Energiewende. Teil einer entschlossenen Energiewende hätte nämlich ein Fokus auf konsequentem Energiesparen sein müssen. Seit Jahrzehnten verschwenden wir Energie, indem wir sie ineffizient verbrennen. Ob in der Industrie, im Gebäudesektor oder im Verkehr – es gäbe tausende Möglichkeiten, Energie zu sparen, ohne auf irgendeine Leistung zu verzichten. In punkto Energieeffizienz sind erneuerbare Energien unschlagbar; wir haben nur versäumt, rechtzeitig auf sie umzusteigen. Deswegen sind wir nun von stetig teureren fossilen Energien abhängig. Niemand kann sagen, er oder sie hätte das nicht gewusst.

Aber: Wir können auch jetzt die Energiekosten reduzieren, indem wir endlich unseren Verbrauch drosseln. Das muss nicht mal unsere Lebensqualität mindern. Statt „Spritpreisbremsen“ brauchen wir „Verschwendungsbremsen“. Warum starten wir nicht sofort eine Energiesparkampagne? Der autofreie Sonntag aus den 1970ern zur Bewältigung der Ölkrise ist der älteren Generation sehr positiv im Gedächtnis. Und im Netz kursieren bereits Slogans wie „Tempo 100 für eine freie Ukraine!“ oder „1 Grad weniger ist Feuer unter Putins Hintern!“.

Sicher, wenn wir Putin jetzt für sein aggressives und menschenverachtendes Verhalten durch einen Stopp möglichst aller Geschäftsbeziehungen aus der Weltgemeinschaft und unserer globalen Wirtschaft ausschließen wollen, steigen die Öl- und Gaspreise zusätzlich. Aber das tun sie sowieso. Denn die Öl- und Gaspreise steigen aufgrund von Russlands Krieg, nicht aufgrund eines (lediglich antizipierten) Importstopps. Sollte es einen geben, das zeigen jüngste Studien, könnte das zwischen 0,3 und drei Prozent des deutschen Bruttosozialprodukts kosten. Das tut weh, keine Frage. Aber selbst, wenn wir aus Sorge um die wirtschaftlichen Folgen einen Importstopp ausschließen, wäre es umso wahrscheinlicher, dass Putin seinerseits die Gas- und Öllieferungen stoppt. Schließlich weiß er spätestens dann, wie sehr er uns damit treffen würde. Wir müssen uns also ohnehin darauf vorbereiten. Ein proaktives Embargo wäre ein sehr souveräner Akt der Selbstverteidigung, bei dem wir die Handlungshoheit über den Zeitpunkt bewahren.

Ohne Frage würde das starke soziale Verwerfungen mit sich bringen. Die Preisexplosion bei fossilen Energien belastet Wirtschaft und private Haushalte schon jetzt. Vor allem Menschen mit niedrigen Einkommen und wenig Vermögen werden die steigenden Preise schmerzlich spüren. Wir müssen einkommensschwachen Haushalten helfen, ihre Heizkosten zu bezahlen, den ÖPNV billiger machen, ein Mobilitätsgeld bezahlen. Eine einkommensunabhängige und auf Umweltschutz ausgerichtete Mobilitätsprämie für alle statt einer Erhöhung der Pendlerpauschale hilft allen, nicht nur einkommensstarken VielfahrerInnen. Eine E-Auto-Quote samt Ausbau der Ladeinfrastruktur ist überfällig. Wir brauchen ein Mitmachprogramm, um Energie einzusparen. Alles andere können wir uns nicht leisten!

Dieser Kommentar ist in einer längeren Version am 11. März in Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) erschienen.

Claudia Kemfert

Abteilungsleiterin in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt

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