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Mietpreiskontrollen können Einkommensungleichheit nicht nachträglich kompensieren: Interview

DIW Wochenbericht 12 / 2022, S. 197

Konstantin A. Kholodilin, Erich Wittenberg

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Herr Kholodilin, sind in der Ungleichheitsdebatte die Mieten bislang zu wenig beachtet worden? Ja, das würde ich sagen. Diesbezüglich werden vor allem andere Faktoren betont, wie zum Beispiel progressive Steuersätze, bei denen reichere Haushalte mehr Steuern zahlen müssen, oder bessere Ausbildungschancen für Menschen aus Schichten mit niedrigerem Einkommen, aber die Mietpreiskontrolle wurde bislang, wenn überhaupt, nur am Rande dieser Diskussion betrachtet.

Welchen Einfluss hat die Mietpreisregulierung auf die ökonomische Ungleichheit? Wir unterscheiden zwischen zwei Kanälen, durch die die Mietpreiskontrolle auf Ungleichheit wirken kann. Der erste Kanal ist die Mietbelastung. Mietbelastung ist der Anteil der Mietkosten am gesamten Einkommen des Haushaltes. Es ist aus Analysen bekannt, dass die Mietbelastung bei Haushalten mit niedrigerem Einkommen höher ist als bei Haushalten mit höherem Einkommen. Mietpreiskontrolle bedeutet, dass entweder das Niveau der Mieten oder das Wachstum der Mieten beschränkt wird, wodurch die Mietbelastung sinkt. Die Profiteure dieser Politik sind die Haushalte mit niedrigerem Einkommen: sie mögen in absoluten Zahlen weniger, relativ zum Einkommen aber deutlich stärker entlastet werden. Der zweite Kanal sind die Mieteinnahmen. Aus Mikrodaten wissen wir, dass die Haushalte in den oberen Einkommensschichten mehr Einnahmen aus Vermietung erzielen als die Haushalte in den niedrigeren Schichten. Durch Mietpreiskontrolle sinken die Mieteinnahmen der reicheren Menschen und auch das senkt die Ungleichheit.

Wie groß ist der Effekt einer Mietpreiskontrolle auf die Einkommensungleichheit? Die Effekte der Mietpreiskontrolle hängen von der Intensität der Eingriffe ab. Es gibt moderatere Formen, wo die Mietanstiege nicht schneller als die allgemeine Inflation steigen dürfen, und strengere Formen, wo die Mietniveaus eingefroren werden. Eine sehr strenge Mietpreiskontrolle kann kurzfristig zu einer Absenkung der Ungleichheit um rund fünf Prozent führen.

Hat eine zu starke Mietpreiskontrolle nicht auch negative Folgen? Ja, das stimmt. Die Mietpreiskontrolle hat intendierte und nicht intendierte Effekte. Der Haupteffekt ist die Senkung der Mieten, aber zusätzlich kommt es zu einer Reihe von anderen Effekten. Ein Effekt ist die Senkung der Ungleichheit, aber es gibt auch weniger wünschenswerte Effekte. So zum Beispiel ein negativer Effekt auf die Neubauaktivität, auf Renovierungen oder auch auf die Mobilität der MieterInnen. Die Mobilität sinkt normalerweise, wenn die Mieten eingefroren werden, weil die Menschen weniger Anreize haben, regulierte Wohnungen mit niedrigen Mieten zu verlassen. Das führt zu einer ineffizienten Verteilung des Wohnraums.

Sind Mietpreiseingriffe besser geeignet, die Ungleichheit zu verringern als andere verteilungspolitische Instrumente wie zum Beispiel die Einkommens- und Vermögensbesteuerung? Das ist eine ziemlich komplexe Frage. Eine Sache ist, die Effekte der Mietpreiskontrolle miteinander zu vergleichen, eine andere Sache ist zu sehen, welche von den existierenden Instrumenten zum Senken der Ungleichheit geeignet sind. Im Vergleich zur progressiven Steuern oder Chancenverbesserung für Menschen aus Schichten mit niedrigerem Einkommen spielt die Mietpreiskontrolle eher eine untergeordnete Rolle, weil die Effekte dieser Politik relativ moderat sind. Die Mietgesetzgebung kann natürlich auch nicht die durch ungleiche Arbeitseinkommen produzierten Ungleichheiten nachträglich kompensieren. Zudem gibt es, wie gesagt, auch negative Effekte der Mietpreiskontrolle. Ob die positiven Effekte die negativen teilweise oder komplett kompensieren, wissen wir nicht. Dafür benötigen wir eine komplexe Analyse, die bis jetzt nicht gemacht wurde. Aber das ist eine sehr interessante Frage, die hoffentlich in der Zukunft beantwortet wird.

O-Ton von Konstantin A. Kholodilin
Mietpreiskontrollen können Einkommensungleichheit nicht nachträglich kompensieren - Interview mit Konstantin A. Kholodilin

Konstantin A. Kholodilin

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Makroökonomie

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