DIW Wochenbericht 14 / 2022, S. 228
Alexander S. Kritikos, Alexander Kriwoluzky
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„Wer sich nicht seiner Vergangenheit erinnert, ist verurteilt, sie zu wiederholen“, sagte der spanische Philosoph George Santayana einst. Auf die FDP scheint das in diesen Wochen wieder zuzutreffen. Vor kurzem hat sich die Ampelkoalition auf ein umfangreiches Paket geeinigt, das die Bürgerinnen und Bürger von den zuletzt stark gestiegenen Energiekosten wirkungsvoll entlasten soll. Der ursprünglich von Bundesfinanzminister Christian Lindner ins Spiel gebrachte Tankrabatt ist in eine neue Verpackung gegossen worden. Die Spritpreise sollen nun über die Energiesteuer um 30 Cent pro Liter bei Benzin und 14 Cent bei Diesel gesenkt werden.
Das klingt auf den ersten Blick nach einer Maßnahme, die alle Autofahrenden gleichermaßen unterstützt. Auf den zweiten Blick hilft die Rabattierung der Kraftstoffpreise aber vor allem Haushalten, die viel Geld für Benzin und Diesel ausgeben. Das sind die wohlhabendsten Haushalte der Republik: Laut Statistischem Bundesamt gibt ein Haushalt mit einem monatlichen Nettoeinkommen von 5000 Euro im Vergleich zu einem Haushalt mit einem Nettoeinkommen unter 1300 Euro im Durchschnitt das Neunfache im Monat für Kraftstoffe aus – im Vergleich zu einem Haushalt mit einem Nettoeinkommen von 1300 bis 1700 Euro ist es im Durchschnitt immer noch das Vierfache. Haushalte, die auf solche Hilfen weit weniger angewiesen sind, wären die größten Profiteure des Tankrabatts – vorausgesetzt, die Tankstellenbesitzer sacken nicht auch noch einen Teil der Steuersenkung ein, indem sie gleich die Nettopreise auf Treibstoff anheben. Das Absenken der Energiesteuer auf Treibstoff ist nichts anderes als eine Einzelmaßnahme mit unklarer volkswirtschaftlicher Gesamtwirkung.
Wiederholt die FDP also alte Fehler? Eine Ursache für das katastrophale Abschneiden der Liberalen im Jahr 2013, als sie aus der Regierungsverantwortung heraus krachend aus dem Bundestag flogen, war deren Wahrnehmung als Klientelpartei. Kaum war die Partei nach der Bundestagswahl 2009 an der Regierung, setzte sie im Rahmen des damaligen dritten Konjunkturpakets die Hotelsteuer durch, wonach Hoteliers für Übernachtungen nur noch sieben statt 19 Prozent Umsatzsteuer entrichten mussten. Das war nicht nur eine sinnlose aktionistische Einzelmaßnahme ohne volkswirtschaftliche Wirkung, sondern auch ein Bürokratiemonster für Unternehmen und Finanzämter. 2021 schrieb die FDP in ihrem Parteiprogramm: „Wir Freie Demokraten fordern die Rückkehr zu marktwirtschaftlichen Prinzipien. (…) Der Weg zu immer mehr Nothilfen lässt sich nicht aufrechterhalten. (…) Er ist ineffizient, verzerrt den Wettbewerb und reduziert die Wettbewerbsfähigkeit.“ Kaum ist die Partei 100 Tage an der Regierung, schlägt ihr Finanzminister Christian Lindner als aktionistische Einzelmaßnahme den Tankrabatt in Höhe von 40 Cent vor.
Dabei spricht nicht zuletzt das ordnungspolitische Programm der FDP selbst gegen diese Maßnahme. Danach haben Preise eine wichtige Lenkungsfunktion. Sie bewegen die Menschen dazu, ihr Verhalten zu ändern. Sind bestimmte Güter zu teuer, werden sie weniger verbraucht. Werden alternative Möglichkeiten der Fortbewegung günstiger, steigt deren Attraktivität. Mehr Menschen würden in diesem Fall vom Auto auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen. Und würde der Kraftstoffpreis nicht durch staatliche Interventionen günstiger gemacht, würde auch wieder mehr auf die Sparsamkeit der Autos beim Spritverbrauch geachtet werden.
Vor diesem Hintergrund muss man sich in jedem Fall fragen, was passieren muss, damit die Ausrichtung des ordnungspolitischen Kompasses nicht jedes Mal in Vergessenheit gerät, sobald die FDP von der Opposition in die Regierung wechselt. Von einer Partei, die „glaubt, dass Deutschland jetzt einen Neustart braucht“, erhofft man sich etwas anderes als wiederholt klientelpolitische Einzelmaßnahmen wie bei ihrer letzten Regierungsbeteiligung. Zumindest Christian Lindner sollte sich doch an die Ereignisse des Jahres 2013 und deren Ursachen erinnern, war er doch damals während der außerparlamentarischen Opposition seiner Partei schnell zum Hoffnungsträger avanciert.
Dieser Kommentar ist in einer längeren Version am 29. März 2022 in der WELT erschienen.
Themen: Verkehr, Steuern, Ressourcenmärkte, Energiewirtschaft
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-14-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/252298