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Das Ende des digitalen Wilden Westens: Kommentar

DIW Wochenbericht 15/16 / 2022, S. 240

Tomaso Duso

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Die Zeit sei gekommen, so formulierte es kürzlich die EU-Parlamentarierin Arba Kokalari, dem digitalen „Wilden Westen“ ein Ende zu setzen. Internetgiganten wie Google, Meta, Amazon oder Apple konnten jahrelang quasi uneingeschränkt und ungeniert ihre Macht ausspielen, sensible Daten kombinieren und Konkurrenten diskriminieren. Die EU-Kommission hat in den vergangenen Jahren zwar mitunter Milliardenstrafen verhängt, weil sich große Digital-Unternehmen wettbewerbswidrig verhalten haben. Unter dem Strich blieb die Wettbewerbspolitik aber größtenteils ein zahnloser Tiger.

Auch deswegen hat sich in den vergangenen drei Jahren von den Vereinigten Staaten über Europa bis nach Australien und Südkorea die Erkenntnis durchgesetzt, dass die großen Player der digitalen Welt reguliert werden müssen – und dass dies auch möglich ist. Das soll nun in Europa passieren: Im März haben sich EU-Kommission, Mitgliedsländer und EU-Parlament auf den Digital Markets Act (DMA) geeinigt. Dieser soll klar festlegen, was die sogenannten digitalen Gatekeeper dürfen und was nicht. Die Macht der großen Internetplattformen dürfte künftig deutlich kleiner sein.

Klar ist, dass Alphabet (Google), Meta (Facebook), Apple, Amazon und Microsoft betroffen sein werden. Aber auch andere Plattformen wie das chinesische Alibaba oder Booking.com aus den Niederlanden dürften vom DMA betroffen sein. Etwas kleinere, aber schnell wachsende Plattformen wie Zalando müssen noch zittern. Die neuen Regeln adressieren viele der zuletzt kritisierten Praktiken der Big-Tech-Unternehmen: Sie verbieten zum Beispiel die Wiederverwendung privater Daten, die von einem Dienst für die Zwecke eines anderen Dienstes gesammelt wurden. Damit wird die Kombination von Nutzerdaten aus verschiedenen Quellen – wie es etwa Facebook nach der Übernahme von Instagram und WhatsApp getan hat – nicht mehr möglich sein. Außerdem müssen Gatekeeper App-Entwicklern einen fairen Zugang zu den Zusatzfunktionalitäten von Betriebssystemen ermöglichen. Auch die Bündelung von Diensten durch Vorinstallation wird verboten: So darf beispielsweise Google künftig auf Mobilgeräten mit dem hauseigenen Betriebssystem Android nicht mehr Chrome als Standardbrowser und die Google-Suche als Standardsuchmaschine festlegen. Auch soll beispielsweise Amazon seine eigenen Produkte oder Dienstleistungen in den Ergebnislisten nicht mehr ganz oben vor anderen Anbietern platzieren dürfen. Ebenfalls für VerbraucherInnen nützlich: WhatsApp-NutzerInnen können künftig mit NutzerInnen des Konkurrenzdienstes Signal kommunizieren. Zudem erhält die EU-Kommission die Möglichkeit Marktuntersuchungen durchzuführen. Bei sogenannten Killerakquisitionen, bei denen große Konzerne entstehende potentielle Wettbewerber übernehmen, um Wettbewerbsdruck von vornherein zu vermeiden, muss sie fortan frühzeitig informiert werden.

Sicherlich ist der Digital Markets Act Neuland. Deswegen bleiben zunächst Unsicherheiten. Insbesondere Fragen der Durchsetzung und der Komplementarität mit den Instrumenten der Wettbewerbspolitik müssen in der Praxis beantwortet werden. Darüber hinaus wird es zentral sein, eine optimale Teilung der Kompetenzen zwischen EU-Kommission und nationalen Behörden wie dem Bundeskartellamt zu finden. Trotzdem ist diese historische Einigung sehr zu begrüßen – nicht zuletzt, weil sie durch einen ziemlich offenen Prozess zwischen unterschiedlichen europäischen Institutionen, Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und beteiligten Unternehmen zustande gekommen ist. Ob die Hoffnungen berechtigt sind, dass der DMA einen offenen, fairen und effizienten Wettbewerb in der digitalen Welt fördern kann, muss sich zeigen.

Der Blick in die Zukunft darf aber durchaus positiv sein: Vergangene Regulierungserfahrungen, etwa der Telekommunikationsindustrie in den 1980er und 1990er Jahren, haben gezeigt, dass sie funktionieren und VerbraucherInnen schützen können. Möglicherweise wird die Praxis zeigen, dass Nachjustierungen nötig sind – auch die Wissenschaft wird dazu ihren Beitrag leisten. Doch das Signal, dass in der digitalen Welt nicht überall Wilder Westen ist, ist deutlich – und enorm wichtig.

Dieser Kommentar ist in einer längeren Version am 11. April 2022 in der Frankfurter Rundschau erschienen.

Tomaso Duso

Abteilungsleiter in der Abteilung Unternehmen und Märkte

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