DIW Wochenbericht 18 / 2022, S. 269
Adriana Cardozo Silva, Erich Wittenberg
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Frau Cardozo Silva, viele Geflüchtete fühlen sich in verschiedenen Lebensbereichen aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert. Hat die von den Geflüchteten wahrgenommene Diskriminierung in den vergangenen Jahren zu- oder abgenommen? Die Analyse der Daten zeigt, dass die wahrgenommene Benachteiligung im Jahr 2020 im Vergleich zum Jahr 2019 in den Bereichen Arbeitssuche, Bildungseinrichtungen, Arbeitsplatz oder Ausbildung und Alltagsleben deutlich zugenommen hat.
In welchen Lebensbereichen wird eine Diskriminierung besonders stark wahrgenommen? Vor der Corona-Pandemie nahmen Geflüchtete in Deutschland eine besonders starke Diskriminierung in den Bereichen Wohnungssuche und Arbeitsmarkt wahr. Im Jahr 2020 hat die wahrgenommene Diskriminierung am stärksten in den Bereichen Bildungseinrichtungen und Arbeitssuche zugenommen.
Was könnten die Ursachen für diesen Anstieg sein? Es gibt mehrere mögliche Gründe: Zum einen erschwerten zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 die Eindämmungsmaßnahmen die nötige Kommunikation und Interaktion von und mit Geflüchteten, um Bildungs- und Integrationsmaßnahmen durchzuführen. Außerdem arbeiteten Geflüchtete häufiger als Einheimische in befristeten Arbeitsverhältnissen, mit reduzierten Arbeitszeiten oder in Berufen, die nicht in das Homeoffice verlegt werden konnten. Daher waren sie von den Kürzungen, Entlassungen und Einstellungsstopps viel stärker betroffen als andere Bevölkerungsgruppen. Zum anderen gibt es Evidenz dafür, dass Geflüchtete angesichts der Angst und Unsicherheit, die die Pandemie verursacht hat, Zielscheibe fremdenfeindlicher Diskurse und Gewalt geworden sind.
Welche Rolle spielen dabei Geschlecht und Alter, aber auch andere Faktoren wie zum Beispiel der Bildungsstand? Unsere Analyse zeigt, dass geflüchtete Frauen, die auf dem Arbeitsmarkt aktiv sind, häufiger Diskriminierung erleben als erwerbstätige, geflüchtete Männer. Das gilt auch für die Arbeitssuche. Zudem nehmen jüngere Geflüchtete eher Benachteiligungen wahr als ältere. Dies zeigt sich besonders im Alltag, aber auch bei der Arbeits- und Wohnungssuche, in Bildungseinrichtungen und bei Behördengängen. Auch empfanden Geflüchtete mit schlechteren Deutschkenntnissen in den meisten untersuchten Bereichen eher Diskriminierung als solche mit guten Deutschkenntnissen.
Gibt es Regionen in Deutschland, in denen Geflüchtete Diskriminierung stärker oder schwächer wahrnehmen? Geflüchtete in Ostdeutschland nahmen Diskriminierung häufiger wahr als jene in Westdeutschland. Das zeigt sich insbesondere mit Blick auf den Arbeitsmarkt, auf dem in Ostdeutschland weniger Geflüchtete tätig sind als im Westen. Da aber der Arbeitsmarkt in Ostdeutschland angespannter ist, kann dies einen großen Einfluss auf die hier wahrgenommene und auch tatsächliche Diskriminierung haben.
Was könnte oder müsste getan werden, damit Geflüchtete weniger Benachteiligung erfahren? Es ist wichtig, weiterhin gezielt in staatliche Maßnahmen zur Verbesserung der Integration von Geflüchteten zu investieren. Dazu gehören zum Beispiel vertiefende Integrationsmaßnahmen wie Sprachkurse sowie auch Beratungen, die es Geflüchteten ermöglichen, fehlende soziale Netzwerke und Erfahrungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu kompensieren. Es ist auch wichtig, die Arbeitsbedingungen der Geflüchteten zu verbessern, damit der Integrationsprozess in Krisenzeiten fortgesetzt werden kann und Geflüchtete im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen nicht benachteiligt werden. Und angesichts der neuen Fluchtbewegung aus der Ukraine braucht das System ein gewisses Maß an Flexibilität, weil nicht vorhersehbar ist, wie viele Geflüchtete künftig nach Deutschland kommen und bleiben werden.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Ungleichheit, Migration, Gesundheit, Bildung, Arbeit und Beschäftigung
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-18-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/259566