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Deutsche Wirtschaft wird durch Krieg, Inflation und chinesische Lockdowns ausgebremst: Kommentar

DIW Wochenbericht 19 / 2022, S. 284

Guido Baldi

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Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine haben sich die Aussichten für die deutsche Wirtschaft eingetrübt. Die hohen Energiepreise befeuern die Inflation, und die Unsicherheiten hinsichtlich des weiteren Verlaufs des Krieges und der Energieversorgung belasten die wirtschaftliche Entwicklung. Ein Rückgang der Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal 2022 wäre somit keine Überraschung. So ist das DIW Konjunkturbarometer im April auf nur noch 86 Punkte eingebrochen – der neutrale Wert liegt bei 100 Punkten. Auch andere Konjunkturindikatoren wie der ifo-Geschäftsklimaindex oder der GfK-Konsumklimaindex deuten seit Kriegsbeginn auf eine schwächere Entwicklung hin. Zwischen Januar und März hat das Bruttoinlandsprodukt bereits lediglich um 0,2 Prozent zugelegt.

Die Konjunkturrisiken für die deutsche Wirtschaft sind enorm. Neben dem Krieg bremsen auch die breitflächigen Lockdowns in China. Vor allem die ohnehin schon bestehenden Lieferengpässe werden so weiter verschärft. Die Auftragsbücher der deutschen Industrie sind zwar noch voll, aber der Materialmangel ist gravierend. Hinzu kommt, dass einige Unternehmen angesichts der unsicheren weltpolitischen Lage bemüht sind, ihre Lager aufzufüllen, was die Engpässe bei Vorleistungen zusätzlich erhöht. Die Dienstleistungen, die während der Pandemie stark gelitten haben, sind von den internationalen Spannungen und den Lieferengpässen weniger betroffen. Zudem wirken die zunehmenden Lockerungen der Corona-Schutzmaßnahmen belebend. Allerdings verringert die hohe Inflation die Kaufkraft und bremst so die Zuwächse beim Konsum.

Die Inflation wird immer mehr zu einem zusätzlichen Hemmschuh für die deutsche Wirtschaft. Die Energiepreise werden wohl auf absehbare Zeit erhöht bleiben. Die Inflation, die bislang zu einem bedeutenden Teil von den Energiepreisen getrieben wurde, wird sich so wohl nur langsam zurückbilden. Für das laufende Jahr ist mit einem Anstieg der Verbraucherpreise von mehr als sechs Prozent zu rechnen; das wäre so viel wie seit 40 Jahren nicht mehr. Anlass zu Besorgnis besteht zudem, weil nicht nur die Preise für Energie anziehen, sondern auch für andere Güter wie etwa Nahrungsmittel. Zudem haben die Probleme bei internationalen Lieferketten die Kosten für Vorprodukte in die Höhe getrieben und viele Unternehmen können diese angesichts der vorerst noch soliden Nachfrage an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergeben.

Immer wieder wird die Europäische Zentralbank beschuldigt, zu lange an einer expansiven Geldpolitik festgehalten und so eine Mitschuld an der hohen Inflation zu haben. Viele dieser Vorwürfe sind übertrieben. Zwar muss sich die EZB den Vorwurf gefallen lassen, die Inflationsrisiken unterschätzt zu haben. Aber der starke Anstieg der Preise ist in erster Linie auf Faktoren zurückzuführen, die nichts mit Geldpolitik zu tun haben – etwa die erfreulich schnelle wirtschaftliche Erholung von der Corona-Pandemie, eine expansive Fiskalpolitik in den USA, Lockdowns in China und nun der vom russischen Präsidenten angezettelte Krieg in der Ukraine. Nicht von der Hand zu weisen ist allerdings, dass solche außergewöhnlichen Ereignisse in einem Umfeld von Niedrigzinsen und Wertpapierkäufen eher zu einer hartnäckig hohen Inflation führen können.

Die EZB steht nun angesichts einer in vielen Ländern ausgebremsten wirtschaftlichen Erholung und hohen Teuerungsraten vor der Gratwanderung, den Inflationsdruck zu bremsen, ohne die wirtschaftliche Lage noch weiter zu verschlechtern. Hinzu kommt, dass die Euro-Mitgliedstaaten nicht im gleichen Ausmaß von Krieg und Inflationsdruck betroffen sind. Deutschland könnte etwa wirtschaftlich mehr in Mitleidenschaft gezogen werden als Frankreich oder die Niederlande. Umso mehr sollten Deutschland und der Euroraum insgesamt nun mit Zukunftsinvestitionen die Produktivität der Wirtschaft steigern. Das wäre mittelfristig eines der besten Mittel gegen niedrige Zinsen und Inflationsrisiken.

Dieser Kommentar ist in einer kürzeren Version am 6. Mai 2022 in der Fuldaer Zeitung erschienen.

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