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Der flexible Renteneintritt ist ein zweischneidiges Schwert: Kommentar

DIW Wochenbericht 20 / 2022, S. 296

Johannes Geyer, Peter Haan, Arthur Seibold

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Eine Anhebung des Renteneintrittsalters haben im Wahlkampf alle Parteien ausgeschlossen. Stattdessen will die Koalition den freundlich klingenden „flexiblen Renteneintritt nach skandinavischem Vorbild“ prüfen. Neben der gewonnenen Freiheit helfe die Flexibilisierung – so der politische Wunsch –, Menschen länger im Beruf zu halten. Durch die Möglichkeit gezielter Arbeitszeitreduktion sollen Erwerbstätige länger körperlich und psychisch in der Lage sein, ihrem Beruf nachzugehen. Ein anteiliger Rentenbezug kann in diesem Fall das wegfallende Erwerbseinkommen ausgleichen. Auch nach Erreichen der Regelaltersgrenze soll es einfacher werden, erwerbstätig zu sein. Auf den ersten Blick ist das Konzept überzeugend. Allerdings hat die Idee zwei Schwachstellen.

Entscheidungsfreiheit führt nicht unbedingt zu höherer Beschäftigung und mehr Arbeitsstunden – eher das Gegenteil ist zu erwarten. Es gibt bisher keine belastbare Evidenz, dass Menschen durch mehr Flexibilität länger arbeiten. Bestehende Möglichkeiten wie die „Flexirente“ werden praktisch nicht genutzt. Und die etwas häufiger genutzte Altersteilzeit dient vor allem dem früheren Komplettausstieg aus dem Erwerbsleben und zum Personalabbau durch die Betriebe. Studien sprechen eher dafür, dass ein flexibles Renteneintrittsalter vor der Regelaltersgrenze die Beschäftigung reduziert. Jüngere empirische Forschung verweist darauf, dass nicht nur finanzielle Anreize eine Rolle spielen, sondern eine festgelegte Altersgrenze als Norm für den Erwerbsaustritt gilt. Viele Beschäftigte gehen an der frühestmöglichen Altersgrenze in Rente, selbst wenn eine Weiterbeschäftigung finanziell attraktiv wäre. Das spricht gegen eine Absenkung des frühestmöglichen Rentenzugangsalters.

Ein flexibler Renteneintritt ist auch sozialpolitisch problematisch. Welche Rentenabschläge soll es bei früherem Renteneintritt geben? Die derzeitigen Abschläge werden oft als zu gering kritisiert, auch mit Verweis auf die skandinavischen Länder, die höhere Abschläge bei früherem Renteneintritt ansetzen. Höhere Abschläge würden zu geringeren Rentenanwartschaften bei vorzeitigem Renteneintritt führen und die Ungleichheit der Renteneinkommen erhöhen. Der flexible Renteneintritt ist daher ein zweischneidiges Schwert. Einerseits könnte es Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen helfen, ohne zu großen Einkommensverzicht während der Erwerbsphase die Arbeit zu reduzieren.

Andererseits führt ein reduzierter Erwerbsumfang oder der frühere Renteneintritt zu geringeren Renten. Da nicht alle Menschen optimale finanzielle Entscheidungen treffen, kann mehr Flexibilität zu nicht auskömmlichen Renten führen. Um Transferabhängigkeit durch frühen Rentenbezug zu verhindern, wird vorgeschlagen, Menschen mit Rentenanwartschaften unter dem Grundsicherungsniveau vom flexiblen Renteneintritt auszunehmen. Damit würde ein flexibler Renteneintritt jedoch der Gruppe verwehrt, die auf besondere Unterstützung angewiesen ist.

Angesichts der Herausforderungen durch den demografischen Wandel für Arbeitsmarkt und Sozialpolitik sind andere Aspekte des Rentensystems wichtiger als die Einführung eines flexiblen Renteneintritts: Mit der Einführung der Rente mit 67 hat die Politik ein klares Signal gesetzt, allerdings nicht für das früheste Renteneintrittsalter, sondern für das normale Renteneintrittsalter. Nach diesem Alter sollten die Möglichkeiten zur Weiterarbeit verbessert werden – flexibel und mit finanziellen Anreizen. Es muss der Politik aber klar sein, dass eine wesentliche Wirkung auf die Beschäftigung längerfristig nur von einer weiteren Erhöhung der Regelaltersgrenze zu erwarten ist.

Gleichzeitig muss es Ausnahmen für Menschen geben, die es nicht schaffen, bis zur Regelaltersgrenze zu arbeiten. Sozialpolitisch ist eine auskömmliche Erwerbsminderungsrente notwendig, und nur mit dieser Absicherung kann die Erhöhung des Renteneintrittsalters umgesetzt werden.

Dieser Gastkommentar ist am 25. April 2022 in der FAZ erschienen.

Johannes Geyer

Stellvertretender Abteilungsleiter in der Abteilung Staat

Peter Haan

Abteilungsleiter in der Abteilung Staat

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