DIW Wochenbericht 21 / 2022, S. 308
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Die Nachrichten aus der Ukraine, die Bilder von unzähligen toten Zivilisten sind ein Albtraum. Und Deutschland hat nichts Besseres zu tun, als über Spritpreise und zu hohe Kosten eines möglichen Importstopps russischer Energieträger zu debattieren. Das allein ist schon absurd genug. Absurd muten aber auch einige Argumente gegen einen sofortigen Importstopp an.
Das gewichtigste ist derzeit, dass diese Energieimporte aus Russland nicht ersetzt werden könnten. Dies ist aber nur bedingt richtig. Sicherlich wird es nicht reichen, nur die Einfuhren aus anderen Ländern zu erhöhen, um den Wegfall russischer Energieimporte zu kompensieren. An zwei weiteren Stellschrauben muss dringend gedreht werden: unserem Verbrauch und einer effizienteren Pipeline- und Speicherinfrastruktur. Aktuelle Berechnungen zeigen, dass ein Wegfall russischer Energieimporte verkraftbar wäre.
Richtig ist, dass Deutschland abhängig von russischen Energieimporten ist. Aber diese Importe sind nicht alternativlos; Russland hat kein Monopol. Für Steinkohle gibt es leicht verfügbare, alternative Lieferanten, etwa Südafrika oder Kolumbien. Auch Öl ist derzeit auf dem Weltmarkt nicht knapp. Die OPEC kann ihre Förderquoten erhöhen, die USA werden das sicher auch tun.
Nur beim Gas ist es komplizierter, aber auch hier ist russisches Erdgas nicht alternativlos. Viele Förderländer wie die Niederlande und Norwegen könnten ihre Fördermengen erhöhen. Zusätzlich kann ein Teil des Gases über existierende Pipelinerouten beispielsweise aus Nordafrika importiert werden. Und ein anderer Teil kann mittels Flüssigerdgas (LNG) beispielsweise aus Katar oder den USA nach Europa transportiert werden.
Teil einer stringenten Energiewende muss aber auch ein Fokus auf konsequentem Energiesparen sein. Seit Jahrzehnten verschwenden wir Energie, indem wir sie ineffizient verbrennen. In punkto Energieeffizienz sind erneuerbare Energien unschlagbar. Weil wir versäumt haben, rechtzeitig auf sie umzusteigen, sind wir nun von stetig teureren fossilen Energien abhängig. Aber: Wir können auch jetzt die Energiekosten reduzieren, indem wir endlich unseren Verbrauch drosseln. Das muss nicht mal unsere Lebensqualität mindern.
Statt „Spritpreisbremsen“ brauchen wir „Verschwendungsbremsen“. Gespart werden müsste vor allem beim Erdgas. Bei den Haushalten kann dies durch ein Absenken der Raumtemperatur, der Warmwassernutzung sowie den kurzfristig stärkeren Verbau von Wärmepumpen erreicht werden. Doch auch in der Industrie kann kräftig gespart werden. Unsere aktuellen Berechnungen basieren beispielsweise auf einer vollständigen Substitution von Erdgas in der Stromerzeugung (ohne Wärmeerzeugung). Insgesamt könnten Industrie und private Haushalte so 18 bis 26 Prozent an Erdgas einsparen. Wenn wir also davon ausgehen, dass das Angebot über andere Länder erhöht wird und gleichzeitig die Nachfrage durch Einsparungen sinkt, ist in einem realistischen Importstopp-Szenario lediglich mit einer Deckungslücke von zehn Prozent zu rechnen.
Um die Energieversorgung im kommenden Winter zu sichern, ist es notwendig, die vorhandenen Speicher rechtzeitig vor der nächsten Heizperiode auf 80 bis 90 Prozent aufzufüllen. Eine effizientere Nutzung des deutschen und europäischen Erdgaspipelinesystems auch zur Verbindung Deutschlands mit Südeuropa könnte die Situation weiter entspannen.
Angesichts der immer bedrohlicheren Klimakrise müssen wir ohnehin alles dafür tun, so schnell wie möglich von den klimazerstörenden fossilen Energien wegzukommen. Der Ausbau erneuerbarer Energien muss Priorität haben und Versorgungssicherheit erste Priorität. Planungs- und Ausbauverfahren sollten und können mit der Begründung der Sicherstellung der Versorgung beschleunigt werden. Wir brauchen einen Booster für erneuerbare Energien und Energiesparen insbesondere im Gebäudebereich, aber auch in der Industrie. Ein Importstopp könnte ein solcher Booster sein.
Dieser Kommentar ist in einer längeren Fassung im FAZ-Magazin „Verantwortung“ in der Ausgabe 2/2022 erschienen.
Themen: Ressourcenmärkte, Klimapolitik, Energiewirtschaft
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-21-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/259576