Statement vom 30. Mai 2022
Mit steigender Inflation sind laut Statistischem Bundesamt die Reallöhne im ersten Quartal 2022 um 1,8 Prozent gesunken. Welche Maßnahmen die Politik nun ergreifen muss, um die Auswirkungen vor allem für die unteren Einkommensschichten abzumildern, kommentiert Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), wie folgt:
Die Inflation in Deutschland ist so hoch wie seit 50 Jahren nicht mehr, und dies lässt nun auch die Reallöhne sinken. Wir erleben eine höchst unsoziale Inflation, da gerade Menschen mit geringen Einkommen besonders stark durch höhere Preise für Energie und Lebensmittel belastet werden. Eine Studie am DIW Berlin zeigt, dass sich für Menschen mit sehr geringen Einkommen die steigenden Energiepreise relativ zu ihrem Einkommen drei- bis viermal so stark niederschlagen wie für Menschen mit hohen Einkommen.
Die Politik ist in der Pflicht und muss deutlich mehr tun, um die sozialen Härten der Inflation abzufedern. Die EZB sollte sehr bald die Zinsen erhöhen, auch wenn dies in diesem und nächsten Jahr nur wenig an der hohen Inflation ändern wird. Die Bundesregierung wiederum muss sehr viel zielgenauer als bisher die am härtesten betroffenen Menschen unterstützen und entlasten. Das Entlastungspaket der Bundesregierung war bisher nicht zielgenau genug und teilweise sogar kontraproduktiv. Die Spritpreisbremse ist eine Umverteilung von Arm zu Reich und konterkariert den Klimaschutz. Außerdem erhalten zu viele bedürftige Menschen, allen voran Rentnerinnen und Rentner, kaum Unterstützung.
Die Bundesregierung sollte nun ein kluges Entlastungspaket planen, mit dem ausschließlich Menschen mit geringen und mittleren Einkommen entlastet werden. Familien mit geringen Einkommen sollten nicht nur einmalig, sondern permanent entlastet werden. Ein Anstieg des Mindestlohns auf zwölf Euro ist das wichtigste Instrument für die zehn Millionen Beschäftigten im Niedriglohnbereich, auch um sich gegen die steigenden Preise zu schützen. Der Staat muss zudem dringend die Sozialleistungen erhöhen und beispielsweise den Hartz-IV-Satz sowie die Grundsicherung um 100 bis 150 Euro monatlich anheben. Den Spielraum hat sie, da sich mit steigender Inflation auch die Steuereinahmen erhöhen.
Und wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass die Spitze des Inflationsanstiegs vermutlich noch nicht erreicht ist. Ich befürchte, dass wir das Risiko einer weiteren Eskalation des Krieges ebenso unterschätzen wie die Gefahr einer weiteren Corona-Welle.
Themen: Geldpolitik