DIW Wochenbericht 23 / 2022, S. 338
Markus M. Grabka, Erich Wittenberg
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Herr Grabka, wie haben sich die Löhne in den letzten 25 Jahren entwickelt? Man kann die Entwicklung in drei Phasen unterteilen: In den neunziger Jahren hatten wir nur leichte Veränderungen in den realen Bruttostunden- und den Bruttomonatslöhnen. In den frühen 2000er Jahren sind die Bruttostundenlöhne im Durchschnitt real gesunken. Bei den Monatslöhnen war die Entwicklung etwas positiver. In der Phase ab 2013 können wir wieder starke reale Lohnsteigerungen erkennen. Über die letzten 25 Jahre heißt das, dass zum Beispiel die Bruttostundenlöhne inflationsbereinigt für alle Beschäftigten um elf Prozent zugenommen haben. Bei den Vollzeitbeschäftigten ist der Zuwachs mit 22 Prozent doppelt so groß.
Wie unterscheidet sich die Entwicklung in den verschiedenen Gruppen? Die Bruttomonatslöhne der abhängig vollzeitbeschäftigten Erwerbstätigen in Deutschland erreichen im Jahr 2020 im Durchschnitt einen Wert von etwa 3500 Euro. Diese Entwicklung war bei den Vollzeitbeschäftigten deutlich positiver als bei allen abhängig Beschäftigten. Das liegt vor allem daran, dass wir bei der Gesamtheit der Arbeitnehmer geringfügig Beschäftigte und Teilzeitbeschäftigte haben, deren Lohnentwicklung wesentlich schwächer ausgefallen ist. Die Gründe hierfür liegen darin, dass wir bei diesen Beschäftigungsformen einen höheren Frauenanteil und eine geschlechtsspezifische Lohnlücke in einer Größenordnung von 18 Prozent haben, so dass Vollzeitbeschäftigte insgesamt besser abgeschnitten haben.
Was bedeutet diese Entwicklung für die Lohnungleichheit in Deutschland? In den neunziger Jahren messen wir ein sehr niedriges Niveau von Lohnungleichheit bei den Stundenlöhnen mit einem Wert von 3,3 bis 3,4 gemessen am 90:10-Perzentilverhältnis. Diese Lohnungleichheit hat bis etwa Mitte der 2000er Jahre stark zugenommen. Erfreulicherweise ist diese Ungleichheit in den letzten Jahren wieder auf ein Niveau wie zu Beginn der 2000er Jahre zurückgegangen. Bei den Monatslöhnen sieht es noch nicht ganz so gut aus.
Wie haben sich die Haushaltsnettoeinkommen in den letzten 25 Jahren entwickelt? Hier ist die Entwicklung sogar noch etwas positiver als bei den Löhnen. Über die letzten 25 Jahre sind die Haushaltsnettoeinkommen in Deutschland bis zu Beginn der Corona-Pandemie um mehr als 25 Prozent gestiegen. Allerdings ist dieser Zuwachs je nach Einkommensposition deutlich unterschiedlich. Am unteren Rand der Einkommensverteilung liegen die Zuwächse gerade einmal bei fünf bis acht Prozent über den gesamten Zeitraum, während die oberen zehn Prozent der Einkommensbezieher einen Zuwachs von etwa 40 Prozent erzielen konnten. Insgesamt bedeutet dies, dass die Schere zwischen den ärmeren und reicheren Haushalten bis zum Jahr 2005 klar auseinandergegangen ist, danach aber nicht weiter.
Inwieweit ist bereits abzuschätzen, wie sich die aktuell hohe Inflation, die Corona-Pandemie und auch der Krieg in der Ukraine auf die Ungleichheit in Deutschland auswirken werden? In früheren Krisen wie der Finanzkrise und auch während der Coronakrise ist die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auseinandergegangen, weil die Bundesregierung dem durch geeignete Maßnahmen entgegengewirkt hat. Was mich aber besorgt, ist die derzeit hohe Inflation, die aller Wahrscheinlichkeit nach dazu führen wird, dass die Bevölkerung in den kommenden Jahren real weniger Einkommen zur Verfügung haben wird. Wenn man sich vorstellt, insgesamt würde die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergehen, aber gleichzeitig würden alle Menschen von realen Einkommenszuwächsen profitieren, wäre das weniger problematisch, als wenn sich die Schere zwischen Arm und Reich vielleicht sogar schließt, aber die Gesamtheit der Bevölkerung durch hohe Inflation real verlieren würde.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Verteilung, Ungleichheit, Arbeit und Beschäftigung
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-23-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/260559