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Staaten können sich nicht einfach aus Rezessionen heraussparen: Interview

DIW Wochenbericht 24 / 2022, S. 351

Stephanie Ettmeier, Erich Wittenberg

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Frau Ettmeier, im Mai 2022 hat sich das Ende von Reichskanzler Heinrich Brünings Amtszeit zum 90. Mal gejährt. Sie haben nun erstmals die ökonomischen Folgen der von Brüning erlassenen Spardekrete quantifiziert. Was kennzeichnete diese sogenannte Austeritätspolitik Brünings? Brüning hat zum einen die deutschen Staatsfinanzen kompromisslos ohne Rücksicht auf soziale Nöte in der deutschen Bevölkerung saniert. Über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren wurden Löhne, Beamtengehälter und -pensionen real gesenkt, Sozialleistungen verringert und Steuersätze erhöht. Zum anderen umging Brüning mit seiner Politik der Notverordnungen bewusst die demokratischen Strukturen der Weimarer Republik.

Welche wirtschaftlichen Folgen hatte das damals? Unsere Berechnungen zeigen, dass Brünings Austeritätskurs die durch Weltwirtschafts- und Bankenkrise gebeutelte deutsche Wirtschaft noch zusätzlich belastet hat. Die Politik mittels Notverordnungen zu regieren verringerte das reale Bruttoinlandsprodukt um 4,5 Prozent im Vergleich zum Referenzjahr 1932 und kostete rund 3,3 Millionen Menschen die Arbeitsstelle. Brünings Sparkurs hatte also keine konsolidierende Wirkung, sondern verschlimmerte sogar die Rezession. Dies war nicht nur aus wirtschaftlicher Perspektive fatal. Die Jahre erlebter wirtschaftlicher Not trugen auch dazu bei, dass sich die Menschen auf der Suche nach wirtschaftspolitischen Alternativen von den etablierten Regierungsparteien abwandten. Letztlich profitierte davon die NSDAP die aggressiv gegen Brünings Sparpolitik Wahlkampf machte.

Was bedeuten Ihre Ergebnisse für uns heute, angesichts eines bedrohlich hohen Schuldenstands? Erst einmal bedeuten die durch die Corona-Rezession angestiegenen Schuldenstände, dass aus wirtschaftspolitischen Fehlern der Vergangenheit gelernt wurde. Staaten können sich nicht einfach aus Rezessionen heraussparen. Die EU-Staaten haben gut daran getan, frühzeitig fiskalpolitische Rettungspakete zu schnüren. Sonst wären die langfristigen Schuldenstände wohl noch viel höher ausgefallen.

Im Zuge der Euro-Schuldenkrise wurden damals Griechenland hohe Sparmaßnahmen auferlegt. War das im Kontext Ihrer Studie kontraproduktiv? Mit unserer Analyse der Brüningschen Sparpolitik, einer der folgenreichsten Austeritätsinterventionen der jüngeren Geschichte, liefern wir weitere empirische Evidenz für die konjunkturbelastende Wirkung von Austeritätsmaßnahmen. Inwieweit die im Zuge der Eurokrise von der Troika auferlegten Sparmaßnahmen Länder wie Griechenland wirtschaftlich geschädigt haben, untersuchen wir gerade in einer laufenden Arbeit.

Die EU-Kommission hat 2020 die Defizitregeln für die EU-Staaten ausgesetzt, um den Folgen der Corona-Krise zu begegnen. Wie schnell sollten diese sogenannten Maastricht-Kriterien wieder eingesetzt werden? Transparente und praxistaugliche Fiskalregeln sind gerade in einer Währungsunion unerlässlich. Ob der bisherige Regelrahmen diesem Anspruch gerecht wird, wird derzeit von Seiten der EU-Kommission diskutiert. Aus ökonomischer Sicht ist klar, die Rückkehr zu einem nichtreformierten Stabilitäts- und Wachstumspakt würde in der aktuellen Situation, egal ob kurz- oder mittelfristig, enorme wirtschaftliche Belastungen für die europäischen Volkswirtschaften darstellen.

O-Ton von Stephanie Ettmeier
Staaten können sich nicht einfach aus Rezessionen heraussparen - Interview mit Stephanie Ettmeier

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