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Von einer fairen CO2-Bepreisung profitieren das Klima und wir alle: Kommentar

DIW Wochenbericht 29/30 / 2022, S. 408

Gert G. Wagner

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Die Ampel-Koalition hat den Klimaschutz an die Spitze ihrer Prioritätenliste für die laufende Legislaturperiode gestellt. Daran hat auch der Krieg in der Ukraine nichts geändert – im Gegenteil: Der Ausstieg aus fossilen Energieträgern ist jetzt noch dringlicher als zuvor. Dabei sollte es den VerbraucherInnen nicht unnötig schwer gemacht werden, sich vernünftig zu verhalten. Eine weiter zunehmende „CO₂-Bepreisung“, also die Verteuerung des Ausstoßes von Kohlenstoffdioxid, bei der industriellen Produktion, aber zum Beispiel auch beim Autofahren, ist ein eleganter Weg: Wenn die Preise für Güter steigen, deren Produktion und Nutzung viel CO₂ freisetzt, werden wir uns nach preiswerteren Alternativen umsehen. Damit die unsichtbare Hand des Preises aber akzeptiert wird, ist es auch notwendig, dass niedrige bis mittlere Einkommen durch steigende Preise nicht überfordert werden. Der Staat darf also die Einnahmen, die er durch die CO₂-Bepreisung erhält, nicht behalten, sondern muss sie möglichst gezielt zurückgeben. Die Detailausgestaltung dieser „Rückerstattung“ sollte gründlich diskutiert werden, aber klar ist: Sie muss nachhaltig, stabil und dauerhaft angelegt sein. Es geht also um mehr als kurzfristige Ad-hoc-Hilfen, die in der jetzigen Situation sinnvoll sein können.

Repräsentative Befragungsergebnisse des Sachverständigenrates für Verbraucherfragen zeigen: Zwar geben neun von zehn befragten Personen in Deutschland an, umweltbewusste VerbraucherInnen zu sein. Eine knappe Mehrheit zeigte sich im April 2022 – trotz steigender Energiepreise – offen für die CO₂-Bepreisung. Allerdings wissen die Allermeisten gar nicht, wie groß ihr CO₂-Fußabdruck tatsächlich ist. Mehr noch: Fast ein Sechstel möchte ihn ausdrücklich gar nicht erst erfahren.Eine fair ausgestaltete CO₂-Bepreisung würde hier helfen: Der Preis, der bei der Wahl fast aller Produkte und Dienstleistungen für viele VerbraucherInnen ein wichtiges Entscheidungskriterium darstellt, führt mit sukzessive steigendem Preis für den CO₂-Ausstoß automatisch zum Ausweichen auf nachhaltige Alternativen. Zudem steigt dadurch der Anreiz für Unternehmen, weniger emissionsintensive Produkte anzubieten.

Bei einer möglichst vollständigen Rückverteilung der Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung an die VerbraucherInnen wäre für die Menschen in den unteren Einkommensgruppen sogar eine Netto-Entlastung möglich. Um die Rückverteilung der Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung langfristig, verteilungspolitisch fair, transparent und verlässlich auszugestalten, sollte sie institutionell verankert werden. Vorbild könnte die seit Jahrzehnten im Kern stabile Umverteilung über die gesetzliche Renten- und Krankenversicherung sein. Möglich wäre beispielsweise eine Pro-Kopf-Rückerstattung, die der normalen progressiven Einkommensbesteuerung unterzogen wird.

Langfristig ist natürlich nichts sicher auf dieser Welt. Aber man kann institutionelle Vorkehrungen treffen, damit eine sozial ausgewogene Rückverteilung der Einnahmen, die der Staat durch die CO₂-Bepreisung generiert, auf die VerbraucherInnen langfristig möglichst gut gesichert ist. Die Rückverteilung als eine der Aufgaben im kommenden „Klima- und Transformationsfonds“ zu verankern, wäre eine gute Möglichkeit der nachhaltigen Absicherung der Rückverteilung.

Aber wie realistisch ist das alles? Werden LobbyistInnen den skizzierten Weg nicht blockieren? Der damalige Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller schrieb dazu im Jahr 1971 (im „Wirtschaftsdienst“): „Sterbende Innenstädte, verstopfte Ausfallstraßen und Zersiedlung des städtischen Umlandes sind (…) keine unvermeidbaren Folgen der marktwirtschaftlichen Ordnung, genausowenig wie verschmutzte Flüsse, Smog und überbordende Müllkippen. In vielen Fällen fehlt es lediglich an entsprechenden Vorschriften.“ Und: „Vieles spricht dafür, dass sich Regelungen wie das Verursacherprinzip im Umweltschutz gegenüber Privatunternehmen qua Marktmechanismus leichter durchsetzen lassen als in einer Planwirtschaft gegenüber staatlichen Konzernen.“ In der Tat: Der Blick nach Asien zeigt, dass unsere vielkritisierte marktwirtschaftliche Ordnung dem Staat effektive Möglichkeiten an die Hand gibt, gesellschaftliche Vernunft durchzusetzen. Dies geschieht natürlich nicht perfekt – denn Perfektion gibt es nur im Lehrbuch.

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