DIW Wochenbericht 33/34 / 2022, S. 436
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Das Schuljahr 2022/23 verspricht erneut kein leichtes zu werden: viertes Corona-Schuljahr, Lehrkräftemangel, Energiekrise, die Integration von mittlerweile über 150000 geflüchteten ukrainischen Kindern und Jugendlichen in das deutsche Bildungssystem – das sind nur einige der Herausforderungen, vor denen Schulen aktuell stehen. Das Problem: Leider spiegelt sich die Größe der Herausforderungen nach wie vor nicht in den Geldern wider, die der Staat für Bildung ausgibt.
Die verheerenden Ergebnisse des jüngsten IQB-Bildungstrends, einer regelmäßigen Untersuchung des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, zeigen die Dringlichkeit einer ausreichenden Finanzierung einmal mehr auf. Immer mehr ViertklässlerInnen erfüllen die Mindestanforderungen im Mathe- und Deutschunterricht nicht. Schon seit 2011 geht es deutlich bergab. Auch in Sachen Chancengleichheit sieht es schlecht aus: Die PISA-Ergebnisse hingen zuletzt wieder zunehmend vom Elternhaus ab – stärker als im OECD-Durchschnitt ist dieser Zusammenhang in Deutschland ohnehin noch immer.
Dafür ist nicht nur die Corona-Pandemie verantwortlich, sondern auch die anhaltende Unterfinanzierung des öffentlichen Bildungssektors. Gemessen an der Wirtschaftsleistung liegen die öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland mit zuletzt 4,7 Prozent seit Jahrzehnten unter dem OECD-Durchschnitt. 2008 wurden auf dem Dresdner Bildungsgipfel sieben Prozent als Ziel ausgerufen.
Bislang wurde diese Zielgröße nie erreicht. Trotzdem ist seitdem natürlich viel passiert – allen voran der Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreuung und der Ganztagsschulen. Der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung für unter Dreijährige seit 2013 und auf einen Ganztagsschulplatz bis 2026 hat jeweils wichtige Weichen für mehr Chancengleichheit gestellt. Nun gilt es, mehr in einheitliche Qualitätsstandards der Betreuungsangebote zu investieren. Wichtig für die Rekrutierung von gutem Personal ist zudem eine angemessene Bezahlung.
Dass wir von dem Sieben-Prozent-Ziel noch immer so weit entfernt sind, ist besonders deshalb problematisch, weil es im Vergleich zu 2008 ganz neue – und unter vielen Gesichtspunkten größere – Herausforderungen gibt. Nach der Aufnahme hunterttausender aus Syrien geflüchteter Kinder und Jugendlicher nach 2015 stehen wir nun vor der Mammutaufgabe der erfolgreichen Integration ukrainischer Geflüchteter in das deutsche Bildungssystem. Zum Ende des letzten Schuljahres wurden an deutschen Schulen knapp 150000 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine registriert. Laut Kultusministerkonferenz könnten es bis zu 400000 werden. Die Erfahrungen von 2015 lehren uns, wie wichtig Schulen für die Integration von jungen Geflüchteten sind: Sie sind Dreh- und Angelpunkt einer erfolgreichen Integration.
Konkret heißt das: Es braucht neben zusätzlichen Lehrkräften auch weiteres Personal wie PsychologInnen und SozialarbeiterInnen, die in der Lage sind, den besonderen Bedürfnissen dieser Gruppe sowie auch aller anderen SchülerInnen gerecht zu werden. Nicht zuletzt ist als Folge der Corona-Pandemie auch die Zahl an Kindern und Jugendlichen mit psychosozialen Belastungen ohne Fluchthintergrund stark angestiegen. Hinzu kommen der ohnehin seit Jahren grassierende und bislang ungelöste Fachkräftemangel sowie der Sanierungsstau an deutschen Schulen – und die finanziellen Herausforderungen des vierten Corona-Jahres: Wieder muss mit Mehrausgaben für die Bereitstellung kostenloser Schnelltests, Luftfilter und IT-Ausstattung und -personal gerechnet werden.
All dies lässt wenig Hoffnung zu, dass für das nächste Schuljahr eine Trendwende in PISA und IQB-Bildungstrend zu erwarten ist. Neben den Leistungen sollte uns aber vor allem das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen interessieren: Nach drei Corona-Schuljahren, in denen deren Interessen nur wenig gehört wurden, ist es jetzt umso wichtiger, dass sie wieder mehr in den Fokus rücken. Eine angemessene Finanzausstattung ist die Grundvoraussetzung für ein hochwertiges Bildungsangebot. Und dieses ist die Grundlage für den zukünftigen Wohlstand unseres Landes.
Themen: Verteilung, Ungleichheit, Arbeit und Beschäftigung
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-33-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/264912