DIW Wochenbericht 35 / 2022, S. 448
Guido Baldi
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Mehr als zwei Jahre Pandemie und die durch den Krieg in der Ukraine ausgelöste Energiekrise sorgen für Dauerstress in Gesellschaft und Wirtschaft. Die Dürre im Sommer und die niedrigen Pegelstände des Rheins und von anderen Flüssen haben da gerade noch gefehlt. Der ohnehin schon absehbare Rückgang der Wirtschaftsleistung im dritten Quartal 2022 wird aufgrund der Transportengpässe infolge des Niedrigwassers womöglich noch etwas höher ausfallen als zuletzt erwartet. Sogar ein Minus von einem halben Prozent wäre keine Überraschung mehr. Insbesondere verzögern sich viele Lieferungen, weil die Schiffe auf dem Rhein oft nur noch zu weniger als der Hälfte beladen werden können. Zwar werden weniger als zehn Prozent aller in Deutschland transportierten Güter mit Binnenschiffen transportiert. Die auf dem Rhein beförderten Güter wie Kohle, Öl oder Chemikalien spielen aber für die deutsche Wirtschaft eine zentrale Rolle. Die Lage hat sich jüngst zwar ein wenig entspannt. Die negativen Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft dürften insgesamt jedoch spürbar sein, wenn auch noch nicht dramatisch.
Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Auswirkungen des Klimawandels bei uns immer deutlicher zutage treten und die Wirtschaft beeinträchtigen. Extreme Wetterereignisse wie lange Dürreperioden, Hitzewellen oder umgekehrt ausgiebige Regenfälle mit damit verbundenen Überflutungen werden aller Voraussicht nach weiter zunehmen. Die Dürre in diesem Sommer führt uns zudem einen wichtigen Aspekt der Klimaerwärmung vor Augen: Das häufigere Auftreten extremer Wetterereignisse verstärkt zunehmend die Auswirkungen anderer negativer Ereignisse. Momentan verschlimmern etwa die Kapazitätsengpässe auf dem Rhein die Energiekrise, weil Kohle und Öl nicht in gewohnter Menge transportiert werden können. Auch die im Zuge der Corona-Pandemie und des Krieges in der Ukraine entstandenen Probleme bei vielen Lieferketten verstärken sich durch die Dürre weiter. Ein eindrückliches Beispiel ist der durch den Krieg verursachte erhöhte Bedarf an Transportschiffen für Getreide auf der Donau, der zusammenfällt mit der höheren Nachfrage für solche Schiffe auf dem Rhein, da dort ein einzelnes nur noch teilweise beladen werden kann. Bereits im vergangenen Jahr haben die Pandemie und ein extremes Wetterereignis zu den Lieferengpässen bei Halbleitern beigetragen: So hat die Pandemie dazu geführt, dass die Nachfrage nach elektronischen Geräten und Autos enorm gestiegen ist. Gleichzeitig waren die Produktionskapazitäten für Halbleiter beschränkt – nicht nur, aber auch wegen eines extremen Wintereinbruchs in Texas, der die dortige Produktion zeitweise gestoppt hat.
Es deutet einiges darauf hin, dass extreme Wetterereignisse künftig gehäuft zusammen mit anderen negativen Ereignissen auftreten. Wir müssen etwa davon ausgehen, dass die geopolitischen Spannungen mit Russland und China bestehen bleiben. Gerade der sich verschärfende Konflikt um Taiwan führt uns vor Augen, wie stark wir von der dortigen Halbleiterproduktion abhängig sind. Es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft noch widerstandsfähiger werden, um mit solchen Ereignissen und dem fortschreitenden Klimawandel umgehen zu können. So werden sich Lieferketten wohl immer mehr diversifizieren. Und insbesondere in Deutschland gibt es einen enormen Nachholbedarf bei der Infrastruktur. Besonders eindrücklich zeigt die Energiekrise die riesigen Kosten der jahrelang verschleppten Energiewende. Die Pandemie hat uns die Lücken bei der Digitalisierung oder im Bildungsbereich deutlich gemacht. Und offenbar gibt es etwa beim Rhein einen teils erheblichen Bedarf an Investitionen, mit denen insbesondere die Auswirkungen von Dürren auf die Schifffahrt verringert werden können.
Auf Krisen kann man sich nicht perfekt vorbereiten, das liegt in der Natur der Sache. Es ist zwar nicht von der Hand zu weisen, dass sich die deutsche Wirtschaft in den vergangenen Krisenjahren trotz aller Probleme robust präsentiert hat. Ein Grund zum Ausruhen ist das aber nicht, die Herausforderungen sind größer denn je. Umso wichtiger ist es, vor allem die Transformation zu einer klimaneutralen und digitalen Wirtschaft schnell hinzubekommen – am besten schneller als geplant.
Dieser Kommentar ist in einer längeren Version am 28. August 2022 im Tagesspiegel erschienen.
Themen: Konjunktur, Klimapolitik
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-35-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/264916