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Hohe Gaspreisanstiege: Entlastungen notwendig

DIW Wochenbericht 36 / 2022, S. 455-463

Karsten Neuhoff, Maximilian Longmuir, Mats Kröger, Franziska Schütze

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  • Rückgang der Gaslieferungen erfordert kurzfristig Einsparungen bei Privathaushalten, Industrie und Stromerzeugern
  • Bericht vergleicht verschiedene Maßnahmen, um Haushalte angesichts steigender Gaspreise zu entlasten
  • Gaspreisgarantie für den Grundbedarf kann Kostenanstieg für Haushalte begrenzen und zugleich Anreize zum Energiesparen teilweise bewahren
  • Gaspreisgarantien kommen allen Einkommensgruppen zugute und verursachen dadurch relativ hohe Kosten
  • Auf arme Haushalte begrenzte Pauschalzahlung günstiger, aber unzureichend für Mehrkosten in schlecht gedämmten Wohnungen – Ausweitung des Wohngelds könnte Alternative sein

„Die Regierung muss entscheiden, wie sie Haushalte bei einer Gasmangellage entlasten will. Mit einer Pauschalzahlung an arme Haushalte könnte sie Betroffene direkt unterstützen, vor allem bei schlecht gedämmten Wohnungen könnten so aber nicht alle Kosten aufgefangen werden. Eine Gaspreisgarantie für den Grundbedarf bietet einen umfassenderen Ausgleich, ist aber vergleichsweise teuer.“ Karsten Neuhoff

Aufgrund der starken Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas müssen alle Möglichkeiten zum Gassparen genutzt werden, um eine mögliche Gasknappheit zu vermeiden. Zugleich sind die Gaspreise stark gestiegen und besonders betroffene Haushalte müssen entlastet werden. Auf Grundlage einer Auswertung des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) werden verschiedene Entlastungsoptionen verglichen und deren Vor- und Nachteile diskutiert. Die Untersuchung legt dabei den Fokus auf die Verteilungseffekte und die Ausgaben für den Staat. Die Effekte der Maßnahmen auf das Energiesparverhalten der Haushalte können auf Basis der Daten nicht sicher abgeschätzt werden. Neben Pauschalzahlungen nur an einkommensschwache oder an alle Haushalte wird eine Preisgarantie für einen Grundbedarf von 80 Prozent des vorherigen Gasverbrauchs untersucht. Für den darüber liegenden Verbrauch fiele der deutlich höhere Marktpreis an, was für alle Haushalte einen Anreiz für Einsparungen setzen würde. Eine Preisgarantie für einen Grundbedarf wäre teurer als eine Pauschalzahlung an einkommensschwache Haushalte, aber günstiger als eine Pauschalzahlung an alle Haushalte. Eine Pauschalzahlung hat jedoch den Nachteil, dass sie Haushalte in energieeffizienten Wohnungen überkompensiert, während Haushalte in schlecht isolierten Gebäuden nicht ausreichend entlastet werden. Eine Abwägung ist daher notwendig.

Bis Ende des Jahres 2021 bezog die Europäische Union (EU) rund 40 Prozent ihres Erdgases aus Russland.infoVgl. Eurostat (2022): Imports of natural gas by partner country database (nrg_ti_gas) (online verfügbar, abgerufen am 5. September 2022. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Bei einem Ausfall könnten erhöhte Gaslieferungen aus anderen Ländern – inklusive Flüssigerdgas – kurzfristig etwa 15 Prozent des europäischen Erdgasbedarfs decken, wie die Internationale Energieagentur schätzt.infoVgl. International Energy Agency (2022): A 10-Point Plan to Reduce the European Union’s Reliance on Russian Natural Gas (online verfügbar). Dafür sind auch die in der EU vorhandenen Transportkapazitäten ausreichend.infoVgl. Franziska Holz et al. (2022): Energieversorgung in Deutschland auch ohne Erdgas aus Russland gesichert. DIW Aktuell Nr. 83 (online verfügbar). Im Falle einer vollständigen Unterbrechung der russischen Gaslieferungen müsste die EU aber auf rund 25 Prozent ihres bisherigen Verbrauchs verzichten.

Kurzfristige Einsparungen in allen Ländern und Sektoren notwendig

Die privaten Haushalte und die Wirtschaft in Deutschland haben in den letzten Monaten bereits auf die veränderten Bedingungen reagiert und bis Mai 2022 temperaturbereinigt rund 6,4 Prozent des Gasverbrauchs aus dem Vorjahr eingespart.infoBDEW (2022): Konjunktur und Energieverbrauch, 30. Juni 2022 (online verfügbar). Sollte die Versorgung aus Russland vollständig unterbrochen werden, müsste die Einsparmenge also etwa vervierfacht werden, um rund 25 Prozent Einsparung zu erreichen. Dazu müssen private Haushalte, Industrie und Stromerzeuger sowie der Staat gemeinsam beitragen.

Da private Haushalte bei einer Gasmangellage besonders geschützt sind, müsste die Versorgung anderer Kunden – wie etwa der Industrie – eingeschränkt werden, falls die Sparziele nicht erreicht werden. Auf Vorschlag der Europäischen Kommission hat der Europäische Rat ein Gaseinsparziel von 15 Prozent für alle Mitgliedsstaaten festgelegt, das vorerst auf freiwilliger Basis umgesetzt werden soll.infoVgl. EU-Kommission (2022): Save Gas for a Safe Winter – gas demand reduction plan (online verfügbar); Pressemitteilung des Europäischen Rats vom 5. August 2022: Rat erlässt Verordnung zur Senkung der Gasnachfrage im nächsten Winter um 15 % (online verfügbar).

Im Bereich der privaten Haushalte sind Investitionen in Wärmedämmung und (stromnutzende) Wärmepumpen ein wichtiges Element einer Gassparstrategie. Sie werden aber in den nächsten ein bis zwei Jahren nicht ausreichen, um die notwendigen Einsparungen beim Gasverbrauch zu erreichen.

Dementsprechend müssen private Haushalte den Verbrauch deutlich reduzieren. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde zunächst auf hohe Gaspreise als Anreiz für Einsparungen gesetzt. Allerdings ist insgesamt unsicher, wie stark Preisanreize das Heizverhalten beeinflussen, denn existierende Schätzungen der Nachfrageelastizität variieren stark und basieren auf deutlich geringeren Gaspreisveränderungen.infoVgl. Karsten Neuhoff (2022): Defining Gas Price Limits and Gas Saving Targets for a Large-scale Gas Supply Interruption: Final Report, DIW Politikberatung Kompakt 180 (online verfügbar). Für zwölf europäische Länder (1978–2002) sowie zwölf OECD-Länder (1980–2008) wird die Nachfrageelastizität bei Haushalten auf 0,24 geschätzt.

Vor diesem Hintergrund setzen Regierungen vermehrt auf zusätzliche Appelle und Gassparprogramme. Die Erfahrung aus der Wasserknappheit in Südafrika zeigt, dass solche Appelle allerdings allein nicht wirken, sondern erst dann, wenn ein gemeinsames Ziel klar definiert wird. Wichtig ist zudem, dass es regelmäßige Berichte zu Fortschritten bei der Erreichung des Ziels gibt. Weiterhin muss es die Möglichkeit geben, Fehlverhalten zu sanktionieren.infoGina Ziervogel (2019): Unpacking the Cape Town drought: lessons learned. African Centre for Cities (online verfügbar). Als ein solcher Sanktionsmechanismus könnten auch hohe Gaspreise für über den vereinbarten Zielen liegenden Verbrauch angesehen werden. So könnte insgesamt die gesellschaftliche Verankerung von Einsparzielen unterstützt werden.infoVgl. Maike Sippe, Chris Shaw und George Marshall (2022) Ten Key Principles: How to Communicate Climate Change for Effective Public Engagement. Climate Outreach Working Paper, Oxford University (online verfügbar). Gestiegene Gaspreise treffen private Haushalte unterschiedlich stark. Obwohl ärmere Haushalte mit Gasheizung im Durchschnitt auf weniger Quadratmetern pro Kopf leben, gaben sie im Jahr 2020 einen deutlich höheren Anteil ihres Einkommens für Raumwärme aus (6,2 Prozent) als Haushalte im oberen Einkommensdezil (1,5 Prozent).infoVgl. Mats Kröger et al. (2022): The Costs of Natural Gas Dependency: Price Shocks, Inequality, and Public Policy. DIW Discussion Paper 2010 (online verfügbar). Wenn die hohen Großhandelspreise für Erdgas – für die Untersuchungen werden 150 Euro pro Megawattstunde (Euro/MWh) angenommen – schrittweise an die EndkundInnen weitergegeben werden, könnten sich die Kosten für Erdgas von durchschnittlich circa 6,5 Cent pro Kilowattstunde (ct/kWh) in den letzten zehn JahreninfoVgl. Jan Stede, Franziska Schütze und Johanna Wietschel (2020): Wärmemonitor 2019: Klimaziele bei Wohngebäuden trotz sinkender CO2-Emissionen derzeit außer Reichweite. DIW Wochenbericht Nr. 40, 769–779 (online verfügbar). auf circa 23 ct/kWh mehr als verdreifachen. Bei einer Verdreifachung der Endkundenpreise würden die Kosten für Haushalte im unteren Einkommensdezil, die oftmals in schlecht gedämmten Wohnungen leben, im Durchschnitt auf rund 15 Prozent des Haushaltseinkommens ansteigen, bei den zehn Prozent dieser Haushalte in schlecht gedämmten Wohnungen auf über 27 Prozent (Abbildung 3).

Der Notfallplan Gas der Bundesregierung sieht vor, bei einem akuten Gasmangel den Preisanpassungsmechanismus im Energiesicherungsgesetz (§ 24 EnSiG) einzusetzen. Damit werden hohe Großhandelspreise noch schneller an EndkundInnen weitergegeben. Darüber hinaus hat die Bundesregierung eine Gasumlage beschlossen, um die Insolvenz von Gasversorgern zu verhindern. Diese Umlage erhöht die Preise für alle GaskundInnen voraussichtlich um circa 2,4 ct/kWh ab Oktober 2022.infoVgl. Pressemitteilung der Trading Hub Europe GmbH vom 15. August 2022: Gasbeschaffungsumlage ab Oktober 2022 (online verfügbar). Einige Tage später wurde als Ausgleich dieser Zusatzbelastung entschieden, dass der Mehrwertsteuersatz für den gleichen Zeitraum, für den die Gasumlage gilt, von 19 auf sieben Prozent gesenkt werden soll.infoVgl. Pressemitteilung der Bundesregierung vom 18. August 2022: Mehrwertsteuer auf Gas wird gesenkt (online verfügbar).

Unterschiedliche Entlastungsmöglichkeiten denkbar

Die Bundesregierung hat die steigenden Energiekosten als ein zentrales Problem für Haushalte erkannt. Diskutiert wird derzeit eine Entlastung über Pauschalzahlungen wie sie bereits im ersten und zweiten Entlastungspaket der Bundesregierung beschlossen wurde (Tabelle). Zum einen wurde ein einmaliger Heizkostenzuschuss für Wohngeld- und BAföG-BezieherInnen von 230 bis 270 Euro pro Person (plus 70 Euro für jedes weitere Familienmitglied) beschlossen und zum anderen eine einmalige Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro für alle einkommenssteuerpflichtigen Erwerbstätigen.infoVgl. Webseite des Bundesfinanzministeriums (online verfügbar). Auf Grund der stark gestiegenen Gaspreise müsste diese Pauschale speziell für GaskundInnen jedoch deutlich erhöht werden.

Tabelle: Überblick über die untersuchten Maßnahmen

Politikoption Annahmen
keine Maßnahme Kostenanstieg der Großhandelspreise auf 150 Euro/MWh
Pauschale für arme Haushalte Pauschalzahlung von 1240 Euro, nur für Haushalte, die mit Gas heizen und weniger als 60 Prozent des Medians des Äquivalenzeinkommens beziehen (Armutsgrenze)
Pauschale für alle Pauschalzahlung von 1240 Euro für alle Haushalte, die mit Gas heizen
Gaspreisgarantie Staatliche Gaspreisgarantie für 8000 kWh pro Haushalt für 20 Euro/MWh Großhandelspreis (statt angenommenen 150 Euro/MWh)
Partielle Preisgarantie, Pro-Haushalt-Limit Staatliche Gaspreisgarantie für 50 Euro/MWh für 80 Prozent des Gasverbrauchs der Vorjahre und für bis zu 8000 KWh pro Haushalt
Partielle Preisgarantie, Pro-Kopf-Limit Staatliche Gaspreisgarantie von 50 Euro/MWh für 80 Prozent des Gasverbrauchs der Vorjahre und bis zu 8000 KWh pro Person
Externes Preislimit EU-Regulierung für Versorgungsengpassfall limitiert Gaskosten auf 50 Euro/MWh

Anmerkungen: Eine Pauschalzahlung von 1240 Euro entspricht einem Ausgleich der Mehrkosten bei einem Preisanstieg von 20 Euro/MWh auf 150 Euro/MWh bei einem Verbrauch von 8000 kWh.

Quelle: Eigene Darstellung.

Pauschalzahlungen sind für den Staat attraktiv, da sie verhältnismäßig unbürokratisch umgesetzt werden können. Die Staatsausgaben für diese Maßnahmen können reduziert werden, indem sie wie im ersten Entlastungspaket gezielt an einkommensschwache Haushalte ausgezahlt werden. Die Heterogenität der Heizkosten schränkt jedoch die Wirkung solcher Pauschalzahlungen ein: Während eine einkommensabhängige Pauschalzahlung zur Überkompensation von Haushalten in gut gedämmten, kleineren Wohnungen führt, reicht sie nicht aus, um die starken Kostensteigerungen bei Haushalten in schlecht gedämmten, größeren Wohnungen zu kompensieren. Daher wird seit Beginn des Jahres der Vorschlag diskutiert, statt pauschaler Zahlungen an einkommensschwache Haushalte den Mechanismus des Wohngeldes zu nutzen und auszuweiten, um die Mehrkosten durch höhere Gaspreise für einkommensschwache Haushalte zu erstatten.infoVgl. Karsten Neuhoff et al. (2022): Gaspreisschock macht kurzfristige Unterstützung und langfristige Effizienzverbesserung erforderlich. DIW Aktuell Nr. 78 (online verfügbar). Um Anreize zum Gassparen zu erhalten, könnte die Erstattung der Mehrkosten auf 80 Prozent des historischen Gasverbrauchs eines Haushaltes beschränkt werden.

Ein alternativer Ansatz wäre eine Gaspreisgarantie, die die Kosten für alle Haushalte verbrauchsabhängig begrenzt, wonach ein Preisdeckel von 7,5 ct/kWh bis zu einem maximalen Verbrauch von 8000 kWh pro Haushalt vorgeschlagen wird (mit der Option einer Staffelung nach Haushaltsgröße).infoVgl. Sebastian Dullien und Isabella Weber (2022a): Mit einem Gaspreisdeckel die Inflation bremsen. Wirtschaftsdienst 102(3), 154–155 (online verfügbar); Sebastian Dullien und Isabella Weber (2022b): Höchste Zeit für einen Gaspreisdeckel: ein wichtiges Instrument im Kampf gegen Energiepreisbelastung. Wirtschaftsdienst 102(3), 595–598 (online verfügbar). So könnte für alle Haushalte durch staatliche Förderung eine Mindestmenge an bezahlbarem Gas gesichert werden. Ein Kritikpunkt an dieser Maßnahme ist, dass sie für Haushalte in gut gedämmten Wohnungen mit weniger als 8000 kWh Gasbedarf durch die gestiegenen Gaspreise keine zusätzlichen Anreize setzt, den Verbrauch zu reduzieren. Zusätzlich werden Haushalte in schlecht gedämmten Wohnungen nicht ausreichend entlastet.

In diesem Bericht soll daher die Möglichkeit einer Begrenzung der Gaspreisgarantie auf einen Grundbedarf von 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs untersucht werden. Zusätzlich wird dabei ein absolutes Limit von 8000 kWh entweder pro Haushalt oder in einer alternativen Ausgestaltung pro Person, die in einem Haushalt gemeldet ist, angenommen. Dabei werden mit der Gaspreisgarantie Großhandelskosten für die Versorgung von Haushalten auf 50 Euro/MWh und damit die Gaspreise für EndkundInnen auf rund 10,9 ct/kWh begrenzt. Es werden also nicht die historischen Gaspreise von rund 7,5 ct/kWh untersucht. Damit bleiben die Anreize zum Energiesparen, die von höheren Preisen ausgehen, erhalten und es wird vermieden, dass Gasheizungen gegenüber Kohle- oder Ölheizungen bevorzugt werden. Zugleich entfällt die Gaspreisgarantie, sobald die Großhandelspreise wieder unter 50 Euro/MWh fallen.

Der Mechanismus der Gaspreisgarantie für den Grundbedarf wird an einem Beispiel deutlich: Für einen Haushalt mit einem historischen Verbrauch von 8000 kWh würden für die ersten 6400 kWh (80 Prozent) 10,9 Cent anfallen. Für jede darüber hinaus verbrauchte kWh würde der aktuelle Marktpreis (Annahme hier: 22,8 Cent/kWh) anfallen.infoEs wird angenommen, dass Endkundenpreise um den Kostenanstieg bei Großhandelspreisen auf 150 Euro/MWh und die Mehrwertsteuer auf diese zusätzlichen Kosten ansteigen. Läge der historische Verbrauch des Haushalts bei 20000 kWh, würde der Preis gemäß des Haushaltslimits für 8000 kWh garantiert.

Die Gaspreisgarantie ist eine neuartige Maßnahme, während Pauschalzahlungen an Haushalte ein erprobtes Instrument darstellen, das in der aktuellen Krise bereits zum Einsatz kam. Für beide Instrumente können allerdings mit den vorliegenden Daten nicht die genauen Einspareffekte berechnet werden. Im Folgenden werden verschiedene Ausgestaltungsmöglichkeiten einer Preisgarantie beschrieben.

Gaspreisgarantie für den Grundbedarf kann Effizienzanreize und Entlastung verbinden

Indem die Gaspreisgarantie auf den Grundbedarf beschränkt wird, bleiben Anreize zum Energiesparen für den darüberhinausgehenden Gasbedarf erhalten. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass sich alle Haushalte ein Mindestmaß an Wärmeversorgung leisten können. Da der Gasverbrauch aufgrund der Energieeffizienz der Gebäude zwischen Haushalten variiert, sollte sich der Grundbedarf am Gasverbrauch der Vorjahre orientieren, wenn große Mehrkosten abgefangen werden sollen. Der Grundbedarf sollte sich nach dem Gasvolumen richten, das auch bei einem umfassenden Versorgungsengpass zur Verfügung steht. Je nach Verteilung der dann notwendigen Einsparungen von circa 25 Prozent auf die EU-Länder sowie auf die Bereiche Gebäudewärme, Industrie und Stromerzeugung wäre es notwendig, bei der Gebäudewärme 20 bis 30 Prozent einzusparen. Entsprechend könnte privaten Haushalten eine Preisgarantie für 70 bis 80 Prozent ihres bisherigen Gasverbrauchs gewährt werden. Als Referenz für den bisherigen Gasverbrauch könnte analog zum Energiebedarfsausweis der durchschnittliche Energiebedarf der letzten drei Jahre genutzt werden. Im Falle eines Neubezugs könnten Daten aus den Energieausweisen herangezogen werden.

Durch diese Festlegung wird eine Zielvorgabe für die von jedem Haushalt zu erbringenden Einsparungen formuliert. Zugleich entstehen aus den höheren Preisen für den Verbrauch oberhalb dieser Zielvorgabe Anreize, die Zielvorgabe zu erreichen. Das kann dazu beitragen, dass sich das bei einem Versorgungsengpass zu erreichende Einsparziel von 20 bis 30 Prozent zu einem gesellschaftlichen Ziel entwickelt, dem sich alle BürgerInnen verpflichtet fühlen. Für darüberhinausgehende Gaseinsparungen reduziert die Gaspreisgarantie Anreize auf das Preisniveau der Garantie.

Um zu verhindern, dass reiche Haushalte übermäßig kompensiert werden, sollte die Preisgarantie eine absolute Grenze beinhalten. Der Deckel für die Preisgarantie, mit dem die Kosten für den Staat bei Haushalten mit sehr hohem Verbrauch begrenzt werden, könnte zum Beispiel an der durchschnittlichen Wohnungsgröße pro Kopf und dem Verbrauch des neunten Dezils der Heizkostenverteilung pro Quadratmeter und pro Kopf basieren.infoDie absolute Grenze würde einmal berechnet werden und dann für alle Haushalte beziehungsweise Personen gelten. Auf Basis der SOEP-Daten würde sich daraus ein absolutes Limit von 8000 kWh pro Person ergeben. In der nachfolgenden Berechnung wird auch aufgezeigt, wie es sich auf die Belastung der Haushalte auswirkt, ob das absolute Limit beim Verbrauch an Haushalten bemessen wird oder an einzelnen Personen.infoVgl. Dullien und Weber (2022a), a.a.O.

Durch den Bezug der Gaspreisgarantie auf den Verbrauch der Vorjahre könnten solche Haushalte großen Belastungen ausgesetzt sein, bei denen der Heizbedarf etwa durch eine Veränderung der Haushaltsgröße stark gestiegen ist. Hierfür könnte eine Härtefallregelung zum Beispiel über die Wohngeldstellen umgesetzt werden.

Gasversorger könnten die Gaspreisgarantie umsetzen

Die Abrechnung des garantierten Preises für einen Grundbedarf und des höheren Preises für die über solch einen Grundbedarf hinausgehende Menge könnten über die bestehenden Abrechnungssysteme von Gasversorgern, Wärmeversorgern oder über die Abrechnungssysteme in Mehrfamilienobjekten erfolgen.infoVgl. Dullien und Weber (2022a), a.a.O. Bei einem absoluten Limit pro Haushalt ist die Umsetzung deutlich einfacher als bei einem Limit pro Kopf. Bei einem Limit pro Kopf sollte geprüft werden, ob die Anzahl von BewohnerInnen pro Wohneinheit über eine automatisierte Melderegisterauskunft nach § 49 Bundesmeldegesetz abfragt werden kann. Ein entsprechender Vorlauf für die Anpassung der Abrechnungssysteme wäre notwendig.

Die Gasversorger müssten für die Abrechnung gegenüber der Bundesnetzagentur darlegen, wie viel Gas sie zur Deckung der Grundbedarfe abgegeben haben, vergleichbar zur Regelung für die Gasumlage.infoGasversorger führen im Allgemeinen ein Portfolio von Verträgen zum Gaseinkauf und dessen preislicher Absicherung. Der volumengewichtete durchschnittliche Gaspreis aller Verträge für den Bezug innerhalb eines Monats sollte gemeldet werden, um die Vergütung des Versorgers gegenüber dem abgesicherten Preis zu bestimmen. Da die Versorger weiterhin Gas jenseits der von der Preisgarantie gedeckten Grundbedarfe verkaufen, haben sie nach wie vor Anreize, kosten- und risikominimierend zu beschaffen.infoBeim Tankrabatt wurde kontrovers diskutiert, ob die staatlichen Subventionen auch an die EndkundInnen weitergegeben wurden. Hier könnte erwogen werden, dass Gasversorger nicht nur Kosten für Steuern, Abgaben und Netzentgelte (inklusive Entgelte für Messstellenbetrieb) gesondert auf der Gasrechnung ausweisen (§ 40 Abs. 3 EnWG), sondern auch die durchschnittlichen Beschaffungskosten.

Gezielte Unterstützung armer Haushalte ist die günstigste Variante

Um die Mehrkosten für private Haushalte sowie die Ausgaben des Staats für die verschiedenen Entlastungsoptionen zu berechnen, wird ein Großhandelspreis von 150 Euro/MWh angenommen sowie jeweils ein Szenario mit und ohne Verbrauchsrückgang von 20 Prozent berechnet. Die Berechnung basiert auf einer detaillierten Gaskostenabfrage des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP, v.37) von 2020. Es werden die verschiedenen Ausgestaltungen einer Preisgarantie sowie von Pauschalzahlungen analysiert.

Eine gezielte Pauschalzahlung für Haushalte unter der Armutsgrenze ist aufgrund ihres deutlich kleineren Empfängerkreises die günstigste Variante für den Staat mit 2,8 Milliarden Euro auf der Ausgabenseite (Abbildung 1). Bei einer Einsparung von 20 Prozent würden sich die Mehrkosten für diese Haushalte von mehr als 1500 Euro auf circa 240 Euro reduzieren (alle Kosten inklusive 19 Prozent Mehrwertsteuer).

Wenn die Pauschale auf alle Haushalte mit Gasheizungen ausgedehnt wird, entstehen die höchsten Ausgaben mit 20,7 Milliarden Euro.infoDie Kosten einer Pauschalzahlung für alle könnten reduziert werden, indem der Zahlungsbetrag verringert wird. Dies belässt jedoch höhere Kosten bei den Haushalten. Vgl. Neuhoff et al. (2022), a.a.O.

Wenn alle Haushalte statt einer Pauschale eine partielle Gaspreisgarantie mit einem Pro-Kopf-Limit erhalten, verbleiben bei Haushalten unter der Armutsgrenze im Durchschnitt Mehrkosten von 570 Euro, die Gesamtausgaben dafür belaufen sich auf 17,5 Milliarden Euro. Bei einer partielle Preisgarantie mit einem absoluten Limit pro Haushalt statt pro Kopf reduzieren sich die zusätzlichen Ausgaben für den Staat auf 13,5 Milliarden Euro. In dieser Variante verbleiben allerdings bei Haushalten unter der Armutsgrenze durchschnittliche Mehrkosten von 720 Euro.

Ein Gaspreisdeckel würde die Kosten der Haushalte deutlich stärker reduzieren, da ein Gaspreis von nur 7,5 ct/kWh angesetzt wird. Dafür ist der Gaspreisdeckel mit 18,5 Milliarden Euro für den Staat allerdings auch teurer. Für Haushalte unter der Armutsgrenze verbleiben Kostenanstiege von 500 Euro.

Bei den Berechnungen wurde nicht berücksichtigt, dass bei diesem Vorschlag für Haushalte mit weniger als 8000 kWh Gasbedarf die Grenzpreise bei 7,5 ct/kWh liegen und somit – im Gegensatz zu den anderen Vorschlägen, bei denen die Grenzpreise nicht reduziert werden – keine zusätzlichen Anreize zum Gassparen durch Verhalten oder Investitionsentscheidungen gesetzt werden. Das könnte zu leicht höherem Gasverbrauch und damit auch Ausgaben für den Staat führen.

Durch eine europaweite Koordination der Einkaufspreise – wie von der EU-Kommission vorgeschlagen – könnten sich bei allen Vorschlägen die Ausgaben für den Staat weiter reduzieren oder sogar entfallen und die Mehrkosten für Haushalte ebenfalls niedriger ausfallen.infoDer Europäische Rat hat die EU-Kommission beauftragt, Vorschläge zur Ausgestaltung dieses Prozesses zu untersuchen. Vgl. zur möglichen Ausgestaltung Neuhoff (2022), a.a.O.

Kostenanstiege treffen auch Haushalte mit höheren Einkommen und können abgefedert werden

Vergleicht man die Ausgestaltungsvarianten der Pauschalzahlungen und der partiellen Gaspreisgarantie unter Annahme einer Verbrauchsreduktion von 20 Prozent pro Haushalt, so ergibt sich eine unterschiedliche Verteilung der Mehrkosten innerhalb der Dezile (Abbildung 2). Pauschalzahlungen belassen hohe Kosten bei Haushalten, die besonders hohe Gaskosten haben, beispielsweise weil sie in schlecht gedämmten Wohnungen leben. So verbleiben bei zehn Prozent der Haushalte in den zwei untersten Dezilen Mehrkosten von mehr als 710 Euro beziehungsweise 1630 Euro. Diese Spitzen werden durch eine Gaspreisgarantie besser abgefedert. Zugleich kompensieren Pauschalzahlungen andere Haushalte über. Wird die Pauschale an alle Haushalte gezahlt, ist dies bei mehr als 25 Prozent der Haushalte im reichsten Dezil der Fall.

Schließlich zeigt sich, dass eine gezielte Pauschale nur für Haushalte unter der Armutsgrenze hohe Mehrkosten bei Haushalten der (unteren) Mittelschicht belässt.infoVgl. Alexander S. Kritikos et al. (2022): Untere Einkommensgruppen noch gezielter entlasten. Wirtschaftsdienst 102(8), 590–594 (online verfügbar). Für Haushalte im dritten und vierten Dezil der Einkommensverteilung kommt es im Durchschnitt zu Belastungen von über neun Prozent des verfügbaren Einkommens. Diese Belastung würden mit den verschiedenen Modellen einer partiellen Gaspreisgarantie oder eines Gaspreisdeckels deutlich reduziert.

Flankierende Maßnahmen für Versorger und VermieterInnen notwendig

Unabhängig vom gewählten Entlastungsmechanismus ist es elementar, Haushalte in die Lage zu versetzen, ihren Gasverbrauch zu kontrollieren und anzupassen. Ab 2022 verpflichtet die neue Heizkostenverordnung VermieterInnen, den MieterInnen monatliche Information über ihren Verbrauch mitzuteilen, sofern fernablesbare Messgeräte installiert sind. Um eine bessere Erfolgsmessung der Gaseinsparung zu erreichen, sollten VermieterInnen verpflichtet werden, MieterInnen wöchentlich Zugang zu Informationen zum Gasverbrauch (beziehungsweise Wärmeverbrauch) und den erreichten Einsparungen zu ermöglichen.infoMessdienstleister könnten diese bei Haushalten mit elektronischen Zählern direkt umsetzen, beziehungsweise bei mechanischen Zählern Portale zur Auswertung der von BewohnerInnen abgelesenen Zählerstände entsprechend weiterentwickeln.

Diese Messungen könnten auch dazu genutzt werden, den Erfolg von Maßnahmen wie regionalen Beratungs- und Informationskampagnen zu evaluieren. Zusätzlich sind Versorger über die bestehende Verordnungsermächtigung des Energiedienstleistungsgesetzes verpflichtet, VerbraucherInnen regelmäßig Informationen über weitere Einsparmöglichkeiten zuzusenden.

Die BürgerInnen müssen bei ihren Einsparbemühungen unterstützt werden. So können in vermieteten Wohnungen auch die VermieterInnen kurzfristig zu zusätzlichen Einsparungen beitragen. VermieterInnen könnten etwa dazu verpflichtet werden, den effizienten Betrieb der Gasheizungen sicherzustellen. Bis zur nächsten Heizkostenabrechnung sollten sie nachweisen, dass sie ein Mindestmaß an kurzfristigen energetischen Maßnahmen wie beispielsweise einen hydraulischen Abgleich durchgeführt haben. Wenn sie dieser Anforderung nicht nachgekommen sind, sollten sie einen Teil der Mehrkosten übernehmen müssen.

Des Weiteren sollten staatliche Programme zur Förderung energetischer Sanierungen ausgeweitet werden, da diese zu deutlich höheren und langfristigen Einsparungen führen als verhaltensbasierte Maßnahmen. Somit können sie in Summe die Gasabhängigkeit spürbar reduzieren und einkommensschwache Haushalte langfristig entlasten.

Fazit: Politik muss Abwägung treffen

Bei einem vollständigen Wegfall oder einer weiteren Drosselung russischer Erdgaslieferungen sind deutliche Einsparungen im Verbrauch notwendig. Es ist noch unklar, wie sich die verschiedenen vorgeschlagenen Mechanismen auf Gaseinsparungen auswirken; die vorhandenen Daten erlauben nicht, dies genauer zu berechnen.

Die Analyse der Kosten und der Verteilungswirkung verschiedener Politikinstrumente kommt zu dem Ergebnis, dass bei der Wahl des Politikinstruments abgewogen werden muss: Eine Pauschalzahlung überkompensiert Haushalte in energieeffizienten Wohnungen und belässt relativ hohe Kosten bei Haushalten in schlecht gedämmten Wohnungen. Sie lässt sich jedoch einfacher auf einkommensschwache Haushalte begrenzen und ist damit insgesamt günstiger für den Bundeshaushalt. Für eine gezielte Unterstützung einkommensschwacher Haushalte könnte statt einer Pauschalzahlung erwogen werden, angefallene Mehrkosten durch Gaspreisanstiege über das Wohngeld zu erstatten. Wenn nur Gaspreisanstiege für 80 Prozent des historischen Gasbedarfs erstattet werden, würden dabei Anreize zum Gassparen – wenn auch in abgeschwächter Form – erhalten bleiben.

Da auch einige Haushalte der Mittelschicht hohe Belastungen zu erwarten haben, ist zu erwägen, ob die Begrenzung über die armen Haushalte hinausgehen sollte. Eine Pauschalzahlung an alle Haushalte würde allerdings hohe Ausgaben für den Staat verursachen.

Ein von staatlicher Seite garantiertes Gaspreislimit für einen Grundbedarf könnte alle Haushalte vor potenziell existenzbedrohenden Kosten der hohen Gaspreise schützen. Wird die Preisgarantie auf einen Grundbedarf von 80 Prozent des vorherigen Verbrauchs begrenzt, bleiben die Anreize durch hohe Gaspreise zum Einsparen von 20 Prozent erhalten, für darüberhinausgehende Einsparungen gibt es nur Anreize in Höhe des garantierten Gaspreises. Eine partielle Gaspreisgarantie würde aber höhere Kosten für den Staat verursachen, weil auch mittlere und reichere Haushalte entlastet werden würden. Ein absolutes Limit beim Grundverbrauch wäre daher eine wichtige Stellschraube, um die Kosten zu begrenzen, ohne die Entlastung bei unteren Einkommen aufzugeben.

Zusätzlich sind weitere Maßnahmen – etwa die Bereitstellung regelmäßiger Informationen zum Gasverbrauch, kurzfristige technische Optimierungen sowie Programme zur Steigerung der Energieeffizienz – notwendig, um eine solidarische Lösung der Krise zu ermöglichen.

Mats Kröger

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Klimapolitik

Franziska Schütze

Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Klimapolitik

Karsten Neuhoff

Abteilungsleiter in der Abteilung Klimapolitik



JEL-Classification: D30;Q41;I38
Keywords: Natural gas prices, income distribution, energy savings, climate policy
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-36-1

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