Um mit einer Gasmangellage umzugehen, müssen Haushalte 20 bis 30 Prozent Gas einsparen: Interview

DIW Wochenbericht 36 / 2022, S. 464

Karsten Neuhoff, Erich Wittenberg

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Herr Neuhoff, wie groß ist aktuell die Gaslücke in Deutschland und wie viel Gas müsste eingespart werden, um eine Gasmangellage zu vermeiden? Sollte die Versorgung aus Russland ganz unterbrochen werden, gehen wir davon aus, dass 40 Prozent der bisherigen Gaslieferungen nicht mehr stattfinden. Die internationale Energieagentur schätzt, dass rund 15 Prozent über internationale Flüssiggaslieferungen ersetzt werden könnten. In dem Fall müssten wir rund 25 Prozent Gas einsparen. Wenn wir das nur im Industriebereich machen würden, dann würden viele Industriebetriebe stillstehen, deswegen müssten alle Gasnutzungssegmente beitragen. Also müssten auch die Haushalte 20 bis 30 Prozent Gas einsparen.

Mit welchen Preissteigerungen müssen die VerbraucherInnen noch rechnen? Die Großhandelspreise liegen mit derzeit rund 200 Euro pro Megawattstunde schon auf einem extrem hohen Level. Das ist mehr als das Zehnfache der durchschnittlichen Preise der vergangenen Jahre. Die EndkundInnen haben diese ganz hohen Preise noch nicht vollständig zu sehen bekommen, da die Importverträge den durchschnittlichen Preis der letzten zwei Jahre abbilden und auch die Tarife der Gasversorger eine Abfederung beinhalten. Das heißt, wenn wir so weitermachen wie bisher, werden die Preise noch deutlich steigen.

Welche Maßnahmen könnten die privaten Haushalte entlasten? Es gibt unterschiedliche Ansätze. Man kann sich auf einkommensschwache Haushalte fokussieren. Hier wäre eine Ausweitung des Wohngelds ein wirkungsvolles Instrument, um damit ergänzend zu anderen sozialen Sicherungssystemen die stark betroffenen Haushalte abzusichern und ihnen die Mehrkosten zu erstatten. Allerdings sind die Kostenanstiege so groß, dass größere Teile der Bevölkerung hart getroffen werden, wenn die hohen Gaspreise vollständig weitergegeben werden. Deswegen kann man überlegen, ob der Staat ein Gaspreislimit festlegt und so die Mehrkosten für zum Beispiel 80 Prozent des durchschnittlichen Gasverbrauchs der letzten zwei, drei Jahre abfedert. So könnte sichergestellt werden, dass die Preise nicht zu stark steigen, sodass die Endkundenpreise für diese 80 Prozent des historischen Gasverbrauchs nur auf rund zehn Cent pro Kilowattstunde von aktuell sieben Cent steigen.

Welche Vor- und Nachteile haben Pauschalzahlungen, wie zum Beispiel ein einmaliger Heizkostenzuschuss oder eine Energiepreispauschale? Pauschalen sind natürlich einfacher umzusetzen und haben zweitens den Vorteil, dass ärmere Haushalte leicht geringere Heizkosten haben und dementsprechend von einer Pauschale etwas besser abgefedert werden als reichere Haushalte. Sie haben aber den Nachteil, dass sie nicht auf die Gegebenheiten der jeweiligen Wohnungen Rücksicht nehmen. Alte und schlecht gedämmte Gebäude, die oft von ärmeren Menschen bewohnt werden, haben häufig sehr hohe Heizkosten. Wenn die Pauschale nicht sehr hoch angesetzt wird, bleiben diese Haushalte immer noch auf einer großen zusätzlichen Kostenbelastung sitzen. Wenn ich die Pauschale aber sehr hoch ansetze, gibt es viele Mitnahmeeffekte bei besser gedämmten Wohnungen.

Warum plädieren Sie dafür, eine Gaspreisgarantie auf einen gewissen Anteil des Vorjahresverbrauchs zu limitieren? Um mit der Gasmangellage umzugehen, müssen alle Haushalte 20 oder vielleicht sogar 30 Prozent Gas einsparen. Mit einer limitierten Gaspreisgarantie könnten wir dafür sorgen, dass der verbleibende Gasanteil kostengünstig bleibt. Jeder, der dieses Ziel nicht erreicht, muss dann für das zusätzliche Gas im Zweifelsfall einen recht hohen Preis zahlen. Damit werden das gesellschaftliche Ziel und die Glaubwürdigkeit einer solchen Norm unterstützt.

Das Gespräch führte Erich Wittenberg.

O-Ton von Karsten Neuhoff
Um mit einer Gasmangellage umzugehen, müssen Haushalte 20 bis 30 Prozent Gas einsparen - Interview mit Karsten Neuhoff

Karsten Neuhoff

Abteilungsleiter in der Abteilung Klimapolitik

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