DIW Wochenbericht 38 / 2022, S. 487-493
Heiner von Lüpke, Catherine Marchewitz, Karsten Neuhoff, Charlotte Aebischer, Mats Kröger
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„Die Pariser Klimaziele können nur erreicht werden, wenn die Industrie in allen Teilen der Welt dekarbonisiert wird. Industrieländer müssen Schwellen- und Entwicklungsländer finanziell unterstützen, damit dies auch gelingt.“ Catherine Marchewitz
Um emissionsintensive Industriesektoren zu dekarbonisieren und die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen, müssen Industriestaaten und Schwellenländer kooperieren. Deutschland und die übrigen Staaten der G7 haben sich dazu verpflichtet, die Schwellen- und Entwicklungsländer bei ihren Klimaschutzanstrengungen durch internationale Klimafinanzierung zu unterstützen. Allerdings ist offen, wie die Umsetzung gelingen kann. Aktuell werden diverse Klimakooperationsinitiativen wie Klimaclubs, Klimapartnerschaften und Allianzen diskutiert, die eine Grundlage für Klimafinanzierung bieten können. Für Industriestaaten und Schwellenländer bestehen jedoch nicht dieselben Anreize, derartige Kooperationen einzugehen. Im Zentrum des Diskurses über internationale Klimakooperation in Form von Klimaclubs stehen aktuell CO2-Preise, ein CO2-Grenzausgleich sowie Anreize für eine Mitgliedschaft und Sanktionen bei Nichterfüllung der selbstgesteckten Regeln. Eine finanziell-technische Unterstützung der Schwellenländer als wichtige klimapolitische Partner wird in den Debatten bislang nicht ausreichend diskutiert. Aufbauend auf Befragungen von VertreterInnen des Stahlsektors, des Finanzsektors, internationaler Organisationen und Think Tanks sowohl der Europäischen Union als auch von Schwellenländern analysiert dieser Beitrag bestehende Lücken in der Zusammenarbeit. Zudem wird erörtert, wie internationale CO2-Differenzverträge (Carbon Contracts for Difference – CCfD) als Finanzierungsinstrument dabei die Dekarbonisierung der Stahlindustrie durch gemeinschaftliche Deckung der entstehenden Mehrkosten durch Geber- und Empfängerländer unterstützen können.
Um das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen und die globale Dekarbonisierung voranzutreiben, unterstützt Deutschland Schwellen- und Entwicklungsländer dabei, den Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas voranzutreiben.Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2022): Die G7-Route zur grünen Industrie. Schlaglichter der Wirtschaftspolitik. Monatsbericht 08 (online verfügbar).,Andererseits wird seitens der Schwellenländer durchaus die Ambivalenz der europäischen und deutschen Energiepolitik bemerkt, die Gas als nachhaltig einstuft. Trotz Ankündigungen der Bundesregierung, die Klimafinanzierung um 126 Millionen Euro zu erhöhen,Pressemitteilung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) vom 08. Juli 2022: Habeck: „Mehr denn je, kommt es jetzt auf die globale Energiewende an“ (online verfügbar). fällt der Beitrag für die Dekarbonisierung immer noch zu niedrig aus, vor allem im Industriesektor mit sieben Milliarden US-Dollar weltweit.Climate Policy Initiative (2022): Global Landscape of Climate Finance 2021 (online verfügbar). Unterstützung wurde dieses Jahr auch im Rahmen diverser Kommuniqués der G7 unter deutschem Vorsitz angekündigt: So etwa mit der Clean Energy Ministerial Industrial Deep Decarbonisation Initiative (IDDI),Siehe Kommuniqué der G7 zur industriellen Dekarbonisierungsagenda. die die Nachfrage nach kohlenstoffarmen Produkten fördern soll, der G7 Berlin Roadmap on Resource Efficiency and Circular EconomySiehe Kommuniqué der G7 zur Berliner Roadmap für Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft. zum Ausbau der Kreislaufwirtschaft und dem Vorschlag zur Gründung eines Klimaclubs als Zusammenschluss von Staaten mit ähnlich ambitionierten Klimazielen „zur Unterstützung der wirksamen Umsetzung des Übereinkommens von Paris durch eine Beschleunigung von Klimaschutzmaßnahmen und ambitioniertere Zielsetzung mit besonderem Schwerpunkt auf der Industrie.“Siehe G7-Erklärung zum Klimaclub. Die zahlreichen Initiativen sind mit Blick auf die Frage, wie Industrie- und Schwellenländer beim globalen Klimaschutz zusammenarbeiten können und welche Instrumente hilfreich wären, aber noch sehr unkonkret.
In diesem Wochenbericht wird das Zusammenspiel von Politikinstrumenten am Beispiel des Stahlsektors von Schwellenländern und Europa betrachtet. Ausgehend von der Bedeutung, die in anderen Sektoren der Absicherung regulatorischer Risiken für Investitionen beigemessen wird, erkunden wir dabei für den Stahlsektor, welchen Beitrag CO2-Differenzverträge als Finanzierungsinstrumente leisten können.
Wie komplex eine Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Schwellenländern beim globalen Klimaschutz sein kann, lässt sich am Stahlsektor gut verdeutlichen. 2020 wurden global 1,19 Milliarden Tonnen Stahl produziert. Allerdings ist dies unter den jetzigen politischen und technologischen Rahmenbedingungen nicht vereinbar mit der Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaabkommens.IEA, Direct CO2 intensity of steel production in the Net Zero Scenario, 2018–2030, IEA, Paris (online verfügbar). So verursacht der Stahlsektor bereits heute circa acht Prozent der globalen CO2-Emissionen.International Energy Agency (IEA) (2021). World Energy Outlook 2021 (online verfügbar).
Zwar hat mittlerweile eine erhebliche Anzahl an Staaten Absichtserklärungen zur Dekarbonisierung des Stahlsektors gemacht, doch in der Umsetzung bestehen große Unterschiede zwischen Industriestaaten, insbesondere der EU und Schwellen- und Entwicklungsländern. Tatsächlich befinden sich mehr als 60 Prozent der derzeit laufenden Projekte für die Produktion kohlenstoffarmen Stahls in der EU, während der Großteil der Nachfrage zukünftig jedoch insbesondere aus Ländern und Regionen außerhalb der EU kommen wird (Abbildung 1).Valentin Vogl et al. (2021): Green Steel Tracker, Version 11/2021 (Datensatz) (online verfügbar). Neben dem unzureichenden Zugang zu Finanzmitteln und Technologien in Schwellen- und Entwicklungsländern lässt sich diese Diskrepanz dadurch erklären, dass die Dekarbonisierung der Industrie dort keine klimapolitische Priorität hat.Timo Gerres et al. (2021): Green steel production: How G7 countries can help change the global landscape. LeadIT (online verfügbar). Dies zeigt sich unter anderem auch in dem unterschiedlichen Umfang an Maßnahmen zur Dekarbonisierung des Stahlsektors, wie sie in den Langfriststrategien sowie den nationalen Klimaschutzbeiträgen (Nationally Determined Contributions – NDCs)National festgelegte Beiträge (NDCs) sind das Herzstück des Pariser Abkommens und der Erreichung der langfristigen Ziele. Die NDCs verkörpern die Bemühungen jedes Landes zur Reduzierung der nationalen Emissionen und zur Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels (Pariser Abkommen, Artikel 4). Siehe dazu auch UNCC (online verfügbar). der Länder beschrieben werden.Eigene Recherchen der Autoren auf der Grundlage von UNFCCC Long-term strategies portal (online verfügbar) und NDC Registry (online verfügbar).
Die Einhaltung des Pariser Abkommens kann jedoch nur dann gelingen, wenn der Stahlsektor weltweit und als Ganzes dekarbonisiert wird. Schwellen- und Entwicklungsländer müssen hierfür die entsprechende Unterstützung von Industrieländern erhalten, auf die sie angesichts der knappen nationalen Finanzierungsmöglichkeiten angewiesen sind. Die Lücke zwischen der tatsächlichen Klimafinanzierung und dem Bedarf ist immens (Abbildung 2).
Darüber hinaus ist der Stahlsektor wie kaum ein anderer durch internationalen Handel gekennzeichnet. Bei der Gestaltung der regulatorischen Rahmenbedingungen in den einzelnen Staaten sollte deshalb auch die Wirkung auf andere Regionen mitberücksichtigt werden.BMWK (2022): Die G7-Route zur grünen Industrie. Schlaglichter der Wirtschaftspolitik. Monatsbericht 08/2022 (online verfügbar). Peng Wang et al. (2021). Efficiency stagnation in global steel production urges joint supply- and demand-side mitigation efforts. Nature Communications, 12 (2066) (online verfügbar). Die unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen einzelner Länder verkomplizieren hier zwar ein einheitliches Vorgehen, bieten jedoch auch Möglichkeiten, die verschiedenen natürlichen Ressourcen zu nutzen. So wurde etwa vorgeschlagen, dass Südafrika die heimischen Wind- und Solarpotenziale nutzt, um klimaneutrales Eisen herzustellen und dieses dann für die Produktion von grünem Stahl etwa in Europa zu exportieren.Siehe z.B. Hilton Trollip, Bryce McCall und Chris Bataille (2022): How green primary iron production in South Africa could help global decarbonization. Climate Policy, 22:2, 236–247 (online verfügbar). Ob und für welche Grundstoffe eine derartige Verlagerung der Primärproduktion wirtschafts- und gesellschaftspolitisch gewünscht ist, sollte bei der Ausgestaltung der Maßnahmen berücksichtigt werden. Alternativ könnte sich die Zusammenarbeit darauf fokussieren, in Entwicklungs- und Schwellenländern den Übergang zu klimaneutralen Produktionsprozessen für die dortige Nutzung von Grundstoffen zu unterstützen.
Aus der Unterzeichnung der „Glasgow Breakthrough Initiativen“Durch die Glasgow Breakthroughs haben sich die unterzeichnenden Länder zusammengeschlossen, um die Dekarbonisierung des Stahl-, Energie-, Landwirtschafts-, Wasserstoff- und Verkehrssektors voranzutreiben. im Zuge der UN-Klimakonferenz COP26 geht hervor, dass prinzipiell eine Bereitschaft zur Kooperation besteht: Mehr als 42 Länder haben sich bereit erklärt, nahezu vollständig klimaneutralen Stahl herzustellen und zu handeln. Wie genau diese Kooperation aussehen soll und welche Instrumente und Faktoren sie vorantreiben sollen, ist jedoch weitgehend unklar. Auch bleibt offen, wie die teils erheblichen Mehrkosten gegenüber konventionellen Prozessen in den Ländern selbst gedeckt werden können.
Die Anreize für Industriestaaten und Entwicklungs- und Schwellenländer, Initiativen wie Klimaclubs, sektorale Allianzen wie Glasgow-Breakthrough-Initiativen oder Klimapartnerschaften einzugehen, unterscheiden sich grundlegend.Für einen detaillierteren Vergleich der drei Formen von Initiativen Klimaclubs, sektorspezifische Allianzen, und Klimapartnerschaften siehe auch: Heiner von Lüpke, Karsten Neuhoff und Catherine Marchewitz (2022): Bridges over troubled waters: Climate clubs, alliances and partnerships as safeguards for effective international cooperation? Politikberatung kompakt 179/2022, DIW Berlin (online verfügbar). Dies ist nicht zuletzt auf die verschiedenen Ausgangsvoraussetzungen für die Energiewende zurückzuführen, die sich wiederum auch auf die Dekarbonisierung der Stahlindustrie auswirken. Schwellenländer stehen vor der Herausforderung, einerseits die steigende Elektrizitätsnachfrage zu bedienen und andererseits den Strom- und Industriesektor dekarbonisieren zu müssen.Shoibal Chakravarty und Massimo Tavoni (2013). Energy poverty alleviation and climate change mitigation: Is there a trade off?.Energy Economics, 40 (1), 67–73. Neben Klimaschutz und Armutsbekämpfung stehen für Entwicklungs- und Schwellenländer zudem die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und Anschlussfähigkeit bei Technologien und Energieeffizienz im Stahlsektor im Vordergrund. Potenzielle Kooperationen sollen daher auch wirtschaftliche Vorteile bringen, schwindende Einnahmen ausgleichen sowie neue Arbeitsplätze schaffen.Hilton Trollip, Bryce McCall und Chris Bataille (2022). How green primary iron production in South Africa could help global decarbonization, Climate Policy, 22:2, 236–247 (online verfügbar).
Für Industriestaaten steht hingegen neben den Verpflichtungen zum globalen Klimaschutz insbesondere die finanzielle Unterstützung von Schwellen- und Entwicklungsländern, geregelt in Artikel 9 des Pariser Abkommens, im Vordergrund.Artikel 9 des Pariser Abkommens schreibt fest, dass Industrieländer finanzielle Mittel für die Unterstützung der Entwicklungs- und Schwellenländer beim Klimaschutz bereitstellen (online verfügbar).
Wenn CO2-Preise wie in der EU eine zentrale Rolle spielen sollen, um eine Transition zur Klimaneutralität zu unterstützen, besteht das Risiko, dass dies zu einer Verlagerung von Produktionsstätten führt (Leakage-Effekt). Daher soll mit einem CO2-Grenzausgleich, der auch Importe mit einem vergleichbaren CO2-Preis belegt, das Risiko der Verlagerung reduziert werden. Die EU-Kommission schlägt vor, dass Importeure von Stahlprodukten, Zement und Düngemitteln nachweisen müssen, welche Emissionen bei der Produktion angefallen sind. Für diese Emissionen müssen sie dann – analog zu den europäischen Grundstoffherstellern – CO2-Zertifikate einreichen.
Der hohe administrative Aufwand beim Nachweis produktspezifischer Emissionen führt aber dazu, dass die CO2-Mehrkosten bei Importen nicht für die Grundchemie und nicht für komplexere Produkte erhoben werden.Karsten Neuhoff et al. (2022): Addressing export concerns in the CBAM file. Policy Brief. Climate Strategies (online verfügbar). Somit besteht weiterhin das Risiko der Verlagerung von Produktion und Emissionen ins Ausland.
Trotz dieser Schwachstelle wird ein CO2-Grenzausgleich basierend auf den Emissionen und der Differenz zu den CO2-Preisen in Drittstaaten vorgeschlagen, um Anreize für die Umsetzung von CO2-Preisen und Emissionsminderungen im Industriebereich bei Partnerländern zu setzen. Allerdings ergibt sich aus Befragungen von VertreterInnen des Stahlsektors, aus Politik und internationalen Organisationen, dass damit oftmals statt Kooperationsbereitschaft politischer Gegenwind erzeugt wird. Zugleich reichen diese Anreize nicht aus, um Investitionen in klimaneutrale Technologien in Drittstaaten zu fördern. Vielmehr ist zu befürchten, dass die weitere Verschiebung der Einführung von effektiven CO2-Preisen insgesamt zu einer zeitlichen Verzögerung der Transition zur Klimaneutralität führt.Für eine Darstellung der Reformmöglichkeiten des CBAM und einen Instrumentenmix für die europäische Industriedekarbonisierung siehe auch: Karsten Neuhoff et al. (2021): Closing the Green Deal for Industry. Position Paper. Climate Strategies (online verfügbar).
Deswegen sollte ein CO2-Grenzausgleich darauf fokussiert sein, Anreize für klimaneutrale Produktion, Wahl, Nutzung und Recycling von Grundstoffen innerhalb der EU zu setzen – auch wenn dann vorerst keine Anreize für Emissionsminderungen oder CO2-Bepreisung in Drittstaaten entstehen. Dies wäre mit einem pauschalen Klimabeitrag möglich, der ergänzend zum EU-Emissionshandel pro Tonne Grundstoff, zum Beispiel Stahl, erhoben wird. Erfasst werden dann auch Importe entlang der Wertschöpfungskette, während bei Exporten der Klimabeitrag erlassen wird. So kann sichergestellt werden, dass der CO2-Preis alle notwendigen Anreize für die Transition zur Klimaneutralität erzeugt. Zugleich können CO2-Emissionszertfikate kostenlos an Grundstoffhersteller vergeben werden, wenn sie eine Transitionsstrategie zur Klimaneutralität umsetzen. So kann zugleich vermieden werden, dass Carbon Leakage entsteht. Mit einem Teil der Erlöse von jährlich rund 35 Milliarden Euro (bei 60 Euro/Tonne CO2)Jan Stede et al. (2021): Carbon pricing of basic materials: Incentives and risks for the value chain and consumers.Ecological Economics (online verfügbar)., können dann Entwicklungsländer bei der Transition zur Klimaneutralität unterstützt werden. Die Diskussion um den CO2-Grenzausgleich verdeutlicht aber auch, dass derzeit international anwendbare und wirksame Instrumente zur Unterstützung der Dekarbonisierung im Stahlsektor fehlen.
Angesichts der benötigten Investitionsvolumina und Mehrkosten wird die Dekarbonisierung der Stahlindustrie in Schwellen- und Entwicklungsländern nur erfolgreich initiiert werden, wenn Industrienationen geeignete Finanzierungsmechanismen und -mittel beitragen. Laut einer Berechnung der Mission Possible PartnershipDie Mission Possible Partnership (MPP) ist eine Koalition aus der Energy Transitions Commission, dem Rocky Mountain Institute, der We Mean Business Coalition und dem Weltwirtschaftsforum und soll die Dekarbonisierung von Industrien beschleunigen. Mehr Informationen auf der Website. werden bis 2050 zusätzliche 200 Milliarden US-Dollar an Investitionsmitteln benötigt, damit die Transition im Stahlsektor gelingt. Als Finanzierungsinstrumente können CO2-Differenzverträge einen Beitrag leisten, die zwischen einem Staat und kommerziellen Unternehmen geschlossen werden. Es wird ein CO2-Ausgangspreis (in Euro/Tonne CO2-Äquivalent) für einen bestimmten Zeitraum vereinbart. Liegt der tatsächliche variable Referenzpreis in jedem Jahr dieses Zeitraums unter dem vertraglich vereinbarten Preis, zahlt der Staat dem Unternehmen die Differenz zwischen dem Ausgangs- und dem Referenzpreis (zum Beispiel dem realisierten Durchschnittspreis für EU-Emissionshandelszertifikate). Liegt der tatsächliche Referenzpreis über dem vereinbarten Vertragspreis, entschädigt das Unternehmen den Staat für die Differenz. CO2-Differenzverträge wurden als risikominderndes Instrument für klimaneutrale Investitionen in der Schwerindustrie in Industrieländern vorgeschlagen. Sie sind aktuell in mehreren EU-Ländern in der Umsetzungsphase. So sichern CO2-Differenzverträge die Unsicherheiten der zukünftigen CO2-Preisentwicklung ab und helfen, die zusätzlichen Kosten (Transformationskosten) zu decken, die bei der Umstellung der Produktion von konventionellen, kohlenstoffintensiven Technologien auf kohlenstoffarme beziehungsweise kohlenstoffneutrale Technologien entstehen.Jörn Richstein und Karsten Neuhoff (2022): Carbon contracts-for-difference: How to de-risk innovative investments for a low-carbon industry. iScience, 25(8) (online verfügbar). Das sichert wiederum die Erlösströme für die Unternehmen und fördert notwendige Investitionen.DIW Glossar, Differenzverträge (Contracts for Difference) (online verfügbar).
Im Rahmen der internationalen Klimazusammenarbeit stellt sich die Frage, ob CO2-Differenzverträge ebenfalls Transformationskosten finanzieren und Risiken mindern können und somit auch einen Rahmen für privatwirtschaftliche Investitionen in die Dekarbonisierung von Industrien in Schwellenländern schaffen können. Dies würde Geber- und Empfängerländern ermöglichen, die industrielle Transformation gemeinsam zu gestalten (Abbildung 3).
Die Expertenbefragungen haben ergeben, dass im internationalen Kontext insbesondere die hohen Finanzierungskosten auf den heimischen Kapitalmärkten und Wechselkursrisiken bei der Nutzung internationaler Kapitalmärkte zu berücksichtigen sind. Eine Ausgestaltung des CO2-Differenzvertrages, bei dem Teile der Absicherung von Mehrkosten zum Beispiel in Euro erfolgen, würde Wechselkursrisiken beim Finanzmarktzugang vermeiden und könnte somit die zu deckenden Mehrkosten reduzieren.
Frühere Forschungen im Rahmen des SNAPFI-ProjektsMehr zum Projekt „Strengthen national climate policy implementation: Comparative empirical learning & creating linkage to climate finance – SNAPFI“ (online verfügbar). argumentieren, dass nationale politische Maßnahmen und nicht internationale Unterstützung oder Druck die Geschwindigkeit der Dekarbonisierungspfade von Schwellenländern bestimmen.Tamiksha Singh et al. (2020): Transitioning India’s steel and cement industries to low carbon pathways (SNAPFI Country Study) (online verfügbar). Es gilt also, internationale CO2-Differenzverträge nicht als eigenständiges Instrument zu verhandeln, sondern als einen Aspekt im Rahmen einer Klimakooperation gemeinsam zu entwickeln. Dabei müssen gleichzeitig auch die weiteren Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Transition zur Klimaneutralität definiert werden – zum Beispiel, wie das Wechselkursrisiko effektiv gemindert werden kann. Auch sollte vermieden werden, dass die internationale Förderung der Transition eines Landes zur Klimaneutralität abnimmt, wenn es plötzlich CO2-Preise einführt. Die Kosteneinsparungen, die bei CO2-Differenzverträgen entstehen, sollten eher für weitere Transitionsmaßnahmen in dem Land genutzt werden.
Insgesamt sind CO2-Differenzverträge auch im internationalen Kontext, also zwischen Geber- und Schwellen- oder Entwicklungsländern, ein vielversprechendes Instrument, um den Bedarf an (zusätzlicher) Finanzierung für die Transformation von Industriesektoren wie der Stahlindustrie zu decken. Indem sie das kommerzielle Risiko eines grünen Stahlwerks im Vergleich zur Investition in eine konventionelle Anlage effektiv abdecken, reduzieren sie das Risiko eines solchen Programms erheblich. Die Einführung internationaler CO2-Differenzverträge hat eine Reihe weiterer Implikationen, die wir im Folgenden diskutieren.
Geber müssten die finanziellen Mittel bereitstellen und die Regierungen der Empfängerländer ihrerseits eine Kofinanzierung bieten sowie dafür sorgen, dass weitere Politikinstrumente für die Unterstützung der sektorweiten Transformation eingeführt werden. Letztere können beispielsweise die Lücken zwischen Bedarf- und Angebotsseite von grünem Stahl decken (etwa durch nachhaltige öffentliche Beschaffungsstandards) oder Standards für die Stahlproduktionsprozesse setzen.Singh et al. (2020), a.a.O.
Die Experteninterviews haben ergeben, dass es vor allem hinsichtlich des gegenseitigen Vertrauens Defizite im Bereich der internationalen Klimafinanzierung gibt, die auch im Rahmen der CO2-Differenzverträge adressiert werden sollten. Dies bezieht sich auf die Erwartungshaltung seitens der Geberländer, dass Partnerregierungen ihren Abmachungen der Kofinanzierung und der Einführung von Politikinstrumenten zur Transition nachkommen. Auf Seite der Empfänger wird hauptsächlich befürchtet, dass negative Auswirkungen wie Schulden oder Währungswechselnachteile durch bestimmte Finanzierungskonditionen entstehen. Durch konkrete gegenseitige vertragliche Verpflichtungen zu Zahlungen und Einsparungen innerhalb eines CO2-Differenzvertrages könnten einige der Bedenken ausgeräumt werden.
Eine weitere Lösung für solche Probleme und um die Kooperation zu verbessern, könnte in politischen Dialogen zwischen Gebern und Empfängern liegen, in denen die fundamentale Frage geklärt wird, ob und unter welchen Bedingungen eine internationale Einmischung in nationale Politikprozesse legitim ist. Neu im Vergleich zu bestehenden Dialogen wäre ein politischer Dialogprozess, der unter den Charakteristika der globalen Klimagemeinschaftsgüter organisiert würde: Es kann letztlich eine vertrauensbildende Maßnahme sein, wenn auch die Geberländer ihre politischen Maßnahmen in den Bereichen Klima und Energie für einen gegenseitigen Bewertungsprozess öffnen, wie es etwa im Rahmen von OECD-Peer-Review-Prozessen in Sektoren wie Bildung gemacht wird.OECD-Peer-Review-Prozesse sind beschrieben als “… the systematic examination and assessment of the performance of a state by other states, with the ultimate goal of helping the reviewed state improve its policy making, adopt best practices and comply with established standards and principles.” In Fabricio Pagani (2002). Peer review as a tool for co-operation and change: An analysis of an OECD working method. African Security Review, 11(4). Weiterhin könnte über solche Prozesse deutlich gemacht werden, wie Geber- und Empfängerländer entsprechend ihrer gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung stehen. Darüber ließe sich die Legitimität schaffen, um letztlich über Politik und Reformen sprechen zu können, denn sowohl Politikprogramme der Geber- als auch der Empfängerländer sind für das globale Klima entscheidend.
Die aktuellen Vorschläge zur internationalen Klimakooperation zeigen, dass die Bedeutung einer guten Zusammenarbeit mit Schwellenländern zur Industriedekarbonisierung erkannt wurde. Allerdings besteht noch Klärungsbedarf zu den konkreten Instrumenten zur Unterstützung der Transition und den grenzübergreifenden Bedingungen für eine erfolgreiche Kooperation.
Kritisch ist das bisherige Ziel zu sehen, durch die Ausgestaltung des CO2-Grenzausgleichsmechanismus der EU Drittstaaten dazu zu bewegen, Emissionen zu mindern und CO2-Preise einzuführen. Die einseitige Einführung widerspricht den Prinzipien einer wirksamen Klimakooperation. Zugleich werden Anreize zur Emissionsminderung in der EU geschwächt. Beide Nachteile könnten vermieden werden mit einem pauschalisierten Ansatz wie einem Klimabeitrag als Ergänzung zum Emissionshandel. So wird die Transition zur Klimaneutraltät in Europa unterstützt, ohne dass dabei zugleich Anreize für Politik oder Wirtschaft in Drittstaaten Anreizen ausgesetzt wird.
Für die internationale Zusammenarbeit können andere Instrumente wirkungsvoller sein. Zum Beispiel könnten internationale CO2-Differenzverträge Teile der Mehrkosten für die Dekarbonisierung von Prozessen in der Grundstoffproduktion decken. Damit dies erfolgreich gelingt, sind neue Formen des politischen Dialogs, Vertrauen, ein gemeinsames Verständnis von Industriepolitik sowie eine grenzübergreifende Institutionalisierung notwendig.
Dadurch, dass insbesondere der Einsatz von CO2-Differenzverträgen zur Unterstützung der Dekarbonisierung der Stahlindustrie in Schwellenländern auch Eigenleistungen von den Partnerregierungen verlangt, ist ein politisch behutsames Vorgehen vonnöten. Ein Instrument, das dafür Vertrauen und politische Legitimität schafft, könnten gegenseitige Bewertungsprozesse der jeweiligen Politikprogramme von Geber- und Empfängerländer sein. OECD-Peer-Review-Prozesse in Sektoren wie beispielsweise der Bildung können hierfür als Beispiel dienen. Einen weiteren geeigneten Rahmen für solche internationalen Politikdialoge können dann auch die von der Bundesregierung geplanten Klimapartnerschaften darstellen. Dies insbesondere, da sie eine fokussierte, und über die Zeit intensivere, Zusammenarbeit mit Partnerregierungen erlauben.
Themen: Umweltmärkte, Klimapolitik, Industrie, Energiewirtschaft
JEL-Classification: Q40;Q41;Q42;Q48;F3;F63;F65
Keywords: climate policy, international climate finance, cooperation, decarbonisation
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-38-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/265855