DIW Wochenbericht 38 / 2022, S. 494
Heiner von Lüpke, Erich Wittenberg
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Herr von Lüpke, Deutschland und die übrigen Staaten der G7 haben sich dazu verpflichtet, die Schwellen- und Entwicklungsländer bei ihren Klimaschutzanstrengungen durch internationale Klimafinanzierung zu unterstützen. Warum ist eine Unterstützung notwendig? Klimaschutz braucht eine weltweite Anstrengung. Nicht nur eine Staatengruppe, sondern alle Staaten müssen ihre Beiträge bringen. Die Industriestaaten haben eine besondere Verantwortung, weil sie historisch viel mehr emittiert haben, allerdings holen die Schwellen- und Entwicklungsländer jetzt nach. Ihnen fehlen aber Kapazitäten und finanzielle Ressourcen, um in kürzerer Zeit Politikprogramme zur Emissionsreduzierung durchführen zu können.
Können Sie ein Beispiel für einen besonders relevanten Bereich nennen? Ein Beispiel ist der Stahlsektor. Derzeit trägt dieser insgesamt etwa acht Prozent zur globalen CO2-Emission bei. Schwellenländer wie Indien haben sich zum Ziel gesetzt, die Stahlproduktion bis zum Jahr 2030 zu verdoppeln. Wenn da aber gleichzeitig keine Minderungsmaßnahmen eingeleitet werden etwa durch eine CO2-arme Produktion, trägt das natürlich zu einer Erhöhung der Emissionsmenge bei.
Wie kann man sich die Klimafinanzierung in diesem Sektor vorstellen? Die G7 hat ganz konkret den Vorschlag eines Klimaclubs auf die Agenda gesetzt, der einen Rahmen für Kooperationen und politische Absichtserklärungen darstellt, beispielsweise zwischen Indien und Deutschland. Wir haben uns den Stahlsektor angeschaut und verschiedene Vorschläge erarbeitet, wie so etwas konkret aussehen kann.
Wie sehen Ihre Vorschläge aus? Wir haben untersucht, wie die Finanzierungsstruktur und die technologische Struktur im Stahlsektor aussehen können, zum Beispiel in Indien. Dort sind Investitionen in grüne Technologien nötig, aber die Finanzierung ist schwierig. Ein Finanzierungsinstrument wie CO2-Differenzverträge könnte ein geeignetes Instrument für die Zusammenarbeit sein.
Wie kann man sich einen solchen CO2-Differenzvertrag vorstellen? Angesichts der Finanzierungslücke und der Risiken, die neue Technologien mit sich bringen, entstehen relativ hohe operationale Kosten auf Betriebsebene. Ein Differenzvertrag würde, je nach Abmachung zwischen den Partnern, die Mehrkosten decken, die für eine grüne Produktion von Stahl nötig ist.
Sind die Anreize, eine Klimakooperation einzugehen, auf beiden Seiten die gleichen? Ein wesentlicher Bestandteil für die Dekarbonisierung des Industriesektors ist die Bereitstellung von erneuerbaren Energien. Allerdings ist die Anreizstruktur in den Schwellenländern eine andere, weil die Energiesicherheit im Vordergrund steht und es beispielsweise darum geht, die flächendeckende Elektrifizierung sicherzustellen. In der EU, beispielsweise in Deutschland, haben wir im Zuge der Energiewende andere Startvoraussetzungen. Mit Blick auf die Schwellenländer gilt es, die Balance zwischen Entwicklungszielen und Klimazielen zu finden.
Sind die aktuellen Vorschläge zur internationalen Klimakooperation ausreichend? Meiner Meinung nach wird der Bereich der politischen Aushandlung von Unterstützungsangeboten und konkreten -formaten oftmals vernachlässigt. Wenn der Industriesektor in Indien dekarbonisiert wird, dann hat das ja Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Beschäftigung nicht nur in diesem Sektor, sondern auch in denjenigen Branchen, die eng mit der Stahlindustrie verwoben sind – wie etwa die Bereiche Energie und Energieinfrastruktur, Baugewerbe oder Auto- und Maschinenbau. Das erfordert, dass man ein entsprechendes Unterstützungsangebot zwischen den Gebern und beispielsweise der indischen Regierung und ihren politischen Vertretern im Sektor aushandelt. Die Zusammenarbeit ist jedoch noch zu wenig institutionalisiert.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Umweltmärkte, Klimapolitik, Industrie, Energiewirtschaft
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-38-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/265857