DIW Wochenbericht 39 / 2022, S. 508
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Deutschland droht ein harter Winter. In vielen Haushalten dürften sich die Heizkosten leicht verdoppeln, bei Gasheizungen sogar verdreifachen. Auch der Strom verteuert sich kräftig. Bei typischen Privathaushalten kommen schnell Kostensteigerungen von 300 bis 500 Euro im Monat zusammen. Zusammen mit der übrigen Inflation sind das Belastungen, die Geringverdienende und die Mittelschicht hart treffen. Anders als bei Besserverdienenden haben diese meist nur geringe finanzielle Spielräume. Die Entlastungspakete im Umfang von bis zu 90 Milliarden Euro wirken den Mehrkosten nur begrenzt entgegen. Sie sind relativ breit gestreut auf viele Einzelmaßnahmen und die gesamte Bevölkerung, so dass nicht viel bei den einzelnen Haushalten ankommt. Zum Teil profitieren auch Besserverdienende absolut in Euro stärker als Geringverdienende.
Dies gilt unter anderem für die Einkommensteuer, da Besserverdienende höher belastet sind und daher von der Senkung mehr profitieren. Die geplanten Entlastungen bei der kalten Progression oder den Rentenbeiträgen sind für sich genommen sinnvoll. Die Mittel fehlen aber bei der Entlastung von unteren und mittleren Einkommen. Die Erhöhung des Kindergelds entlastet alle Familien in gleicher Höhe, allerdings nur um 18 Euro je Kind und Monat. Besserverdienende bekommen noch einen Zuschlag von bis zu sechs Euro durch den höheren Kinderfreibetrag – darauf hätte man verzichten können. Die Energiepreispauschale von einmalig 300 Euro geht in die richtige Richtung, da sie einkommensteuerpflichtig ist und somit bei den höheren Einkommen abgeschmolzen wird. Diese soll nun auch an Rentner und Studierende gezahlt werden. Aber das ist nur ein kleiner Beitrag zur Entlastung. Immerhin werden Haushalte in der Grundsicherung weitgehend kompensiert durch die Übernahme der Heizkosten und die geplante Erhöhung des Regelbedarfs im Rahmen der Bürgergeld-Reform. Wohngeldbeziehende bekommen einen weiteren Heizkostenzuschuss sowie ab 2023 höheres Wohngeld, der Kinderzuschlag für Erwerbstätige mit geringen Einkommen soll ebenfalls erhöht werden.
Bei Haushalten jenseits dieser Sozialleistungen tut sich aber eine Lücke auf. Sie profitieren von den allgemeinen Entlastungen nur moderat. Hinzu kommt, dass viele Berechtigte Grundsicherung oder Wohngeld und Kinderzuschlag nicht in Anspruch nehmen, aus Unkenntnis oder Scham, oder weil diese Leistungen recht aufwändig beantragt werden müssen. Die versteckte Armut nimmt deutlich zu. Hier sind Nachbesserungen dringlich.
Der Energiepreisschock macht Deutschland insgesamt ärmer. Das schließt nicht aus, dass auch im Inland Einzelne von der Krise kräftig profitieren, vor allem in der Energiewirtschaft. Dazu werden Übergewinnsteuern und ähnliche Instrumente diskutiert, die gegebenenfalls bei einer Strompreisbremse wirken. Aber die importierten Mehrkosten können nur umverteilt werden. Der Staat kann nicht alle vollständig kompensieren.
Daher spricht vieles dafür, weitere Entlastungen auf die Geringverdienenden und untere Mittelschicht zu konzentrieren. Hierzu bieten sich vor allem pauschale Zahlungen an Haushalte an. Das hat auch den Vorteil, dass die Anreize zum Energiesparen nicht reduziert werden, wie beim Tankrabatt oder den diskutierten Gas- und Strompreisbremsen und -deckeln, soweit diese vom aktuellen Verbrauch abhängen. Um mehr Geld für die vulnerablen Gruppen zu haben, sollten die Leistungen bei höheren Einkommen reduziert werden. Die Energiepreispauschale ist ein gutes Vorbild und könnte in den nächsten Monaten wiederholt werden.
Bisher ist die Energiepreispauschale steuerpflichtig. Das heißt, dass sie mit dem Grenzsteuersatz reduziert wird, der bei Geringverdienenden schnell auf 25 Prozent und mehr ansteigt. Besser- und Hochverdienende mit einen Grenzsteuersatz von 42 und 45 Prozent plus Solidaritätszuschlag bekommen die Pauschale aber auch noch zu mehr als der Hälfte ausgezahlt. Es wäre sinnvoller, die Pauschale bis etwa 2000 Euro Bruttoeinkommen voll zu zahlen, dann aber bei höheren Einkommen sukzessive auf null abzuschmelzen, bis zum Beispiel 4000 Euro brutto. Geringverdienende bekommen die Pauschale dann vollständig, Besser- und Hochverdienende dagegen nicht.
Dieser Beitrag erschien am 24. September 2022 in längerer Fassung im Tagesspiegel.
Themen: Verteilung, Ungleichheit
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-39-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/265859