DIW aktuell ; 85, 5 S.
Jürgen Schupp, Rolf G. Heinze, Nico A. Siegel
2022
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18. Oktober 2022 – Ein Klimageld als sozialer Kompensationsmechanismus zur CO2-Bepreisung gehört zu den Kernprojekten der Ampel-Regierung, um die Akzeptanz des Marktsystems zu gewährleisten. Zuletzt wurde die Erhöhung der CO2-Bepreisung im Rahmen des dritten Entlastungspaket bis 2024 allerdings ausgesetzt. Eine repräsentative Befragung zeigt jetzt, dass rund drei Viertel der deutschen wahlberechtigten Personen mit Onlinezugang einem Klimageld als monatliche Pro-Kopf-Erstattung für alle Bürger*innen zustimmen. Ähnlich viele Menschen stimmen einer Erhöhung der sogenannten Pendlerpauschale zu, mit der Arbeitswege steuerlich abgeschrieben werden können. Vertiefende Analysen zeigen, dass vor allem Menschen, die sich um die eigene wirtschaftliche Situation sorgen, das Klimageld unterstützen.
Bereits lange vor den rasant gestiegenen Energiepreisen infolge des Ukrainekrieges wurde auf die Notwendigkeit eines Sozialausgleichs bei der klimapolitisch erforderlichen CO2-Bepreisung hingewiesen.Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2019): Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik – Sondergutachten. Stuttgart. Einkommensschwächere Haushalte müssen bei steigenden CO2-Preisen einen höheren Anteil ihres verfügbaren Einkommens für fossile Energienutzung aufwenden. Gefordert wurde deshalb von wissenschaftlichen Expertengruppen schon vor der Zuspitzung der Energiekrise eine zügigere und konsequente Umsetzungsstrategie.Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina (2019): Klimaziele 2030. Wege zu einer nachhaltigen Reduktion der CO2-Emissionen. Halle; Matthias Kalkuhl et al. (2022): Auswirkungen der Energiepreiskrise auf Haushalte in Deutschland. Sozialpolitische Herausforderungen und Handlungsoptionen. Berlin (online verfügbar) Statt sich einseitig auf eine Bepreisung des Kohlendioxidausstoßes zu fixieren, müsse man Klima- und Sozialpolitik verbinden. Die Leopoldina forderte in einer Stellungnahme 2019 unter anderem die Einnahmen aus dem CO2-Preis in den sozialen Ausgleich und in die Infrastruktur zu reinvestieren.Leopoldina (2019), a.a.O.
Auch das DIW Berlin hat im Rahmen eines Gutachtens für das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) bezüglich möglicher Verteilungswirkungen einer wachsenden CO2-Bepreisung bereits das Modell einer sogenannten Klimaprämie ins Gespräch gebracht. Diese soll als einheitlicher Pro-Kopf-Transfer von 100 Euro im Jahr ausgestaltet werden, die als gleicher Beitrag an jeden Einwohner ausgezahlt wird.Stefan Bach et al. (2019): CO2-Bespreisung im Wärme- und Verkehrssektor: Diskussion von Wirkungen und alternativen Entlastungsoptionen. DIW-Politikberatung kompakt Nr. 140 (online verfügbar). Das Klimageld zählt zu den Vorhaben der Ampel-Regierung, um die mittelfristig ansteigende CO2-Bepreisung sozial auszugleichen.Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP (2021) (online verfügbar).
Aus einigen Ländern liegen bereits Erfahrungen mit CO2-Bepreisungen sowie Rückgabemodellen der staatlichen Zusatzeinnahmen vor.Vgl. SVR, a.a.O. In der Schweiz und in Kanada wurde zudem eine längsschnittliche Befragung zur Akzeptanz der unterschiedlichen Erstattungsmodi vorgenommen.Matto Mildenberger et al. (2022): Limited impacts of carbon tax rebate programmes on public support for carbon pricing. Nature Climate Change 12, 141-147 (online verfügbar).
In Deutschland hingegen liegen bislang nur spärliche sozialwissenschaftliche Studienergebnisse zum Klimageld vor und zudem ist die Frage einer optimalen Auszahlungswegs derzeit auch noch nicht entschieden.Roland Ismer et al. (2019): Sozialverträglicher CO2-Preis: Vorschlag für einen Pro-Kopf-Bonus durch Krankenversicherungen. DIW Aktuell Nr. 21 (online verfügbar); Jan Stede et al. (2020) Optionen zur Auszahlung einer Pro-Kopf-Klimaprämie für einen sozialverträglichen CO2-Preis. DIW Politikberatung kompakt Nr. 155 (online verfügbar). Eine qualitative Studie mit Hilfe von Fokusgruppeninterviews zeigte, dass in jedem Fall noch Handlungsbedarf auch in der Kommunikationsstrategie besteht: „Es wird nicht gesehen, dass durch Pro-Kopf-Rückverteilung ein sozialer Ausgleich geschaffen wird. Wir vermuten, dass der Begriff ‚Rückverteilung‘ den Eindruck erweckt, der erhöhte Preis werde wieder zurückgenommen, was die Idee der Steuerung durch Bepreisung konterkarieren würde.“Ellen Matthies, Annalena Becker und Sebastian Bobeth (2020): CO2-Bepreisung zwischen wirkungsvollem Instrument und Überforderung? Eine Pilotstudie zu Bedingungen der Akzeptabilität. GAIA – Ecological Perspectives for Science and Society 29(4), 249-257 (online verfügbar). Eine kürzlich vorgelegte bevölkerungsrepräsentative Erhebung konzentrierte sich vor allem auf die generelle Akzeptanz einer CO2-Bepreisung und weniger auf die unterschiedlich möglichen Rückzahlungsmodi.Christian Gross, Veronika Grimm und Gert G. Wagner (2022): Eine faire CO2-Bepreisung macht es Verbraucher*innen leicht, sich klimafreundlich zu entscheiden. Policy Paper des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen (online verfügbar). Die Autor*innen plädieren dafür, den Beginn der CO2-Bepreisung auch mit einer klaren Kommunikationsstrategie zu verknüpfen. Dass an dieser Stelle noch Handlungsbedarf besteht, bestätigte auch eine empirische Studie, die sowohl mit Hilfe von Fokusgruppen (Feldzeit: Sommer 2021) als auch einer deutschlandweiten quantitativen Befragung (Feldzeit Nov./Dez. 2021) auf Akzeptanzprobleme eines Klimageldes aufmerksam machte: „In beiden empirischen Untersuchungen wird die Klimadividende (Klimageld) schlecht bewertet. Es scheint, dass sowohl die fehlende Klimawirkung, die fehlende Steuerung (Gießkannenprinzip) als auch der als hoch wahrgenommene bürokratische Aufwand zu einer negativen Einschätzung führen.“Anton Barckhausen et al. (2022): Akzeptanz und Kommunikation eines CO2-Bepreisungssystems. Berlin.
In einer im August 2022 durchgeführten repräsentativen Umfrage der erwachsenen deutschen Bevölkerung mit Online-Zugang, die im Rahmen der COMPASS-ErhebungenVgl. die Webseite von infratest dimap erfolgte, wurden der Grad der Zustimmung/Ablehnung zu sieben verschiedene Möglichkeiten von staatlichen Entlastungsmaßnahmen aufgrund gestiegener Öl- und Gaspreise abgefragt (Abbildung 1). Für die Befragung wurde eine Zufallsstichprobe aus Mitgliedern des Paypack-Online-Panels erhoben und auf Basis des Mikrozensus gewichtet. Den Befragten wurden ohne eine explizite Erklärung der jeweiligen klimapolitischen Folgen sieben mögliche Formen von Entlastungsmöglichkeiten gestellt. Insgesamt wurden vom 8. bis zum 17. August 2117 Personen befragt.
Den höchsten Grad an Zustimmung (stimme voll und ganz zu) erzielt in der Befragung mit 43 Prozent (77 Prozent einschließlich stimme eher zu) das Klimageld als monatliche Pro-Kopf-Erstattung für alle Bürger*innen, knapp gefolgt mit 42 Prozent Zustimmung (ebenfalls 77 Prozent einschließlich stimme eher zu) für eine Erhöhung der steuerlichen Abschreibungsmöglichen des Arbeitswegs (Pendlerpauschale).
Auch eine Bonuszahlung ausschließlich für diejenigen Bürger*innen, die ihren Energieverbrauch im Vergleich zum Vorjahr reduziertenVgl. Nina Scheer und Jens Südekum (2022) Energesparbonus (ESB). Diskussionspapier (online verfügbar). findet bei 28 Prozent der Befragten voll und ganz die Zustimmung und bei 71 Prozent, wenn man auch die eher Zustimmenden bei der Bewertung einschließt. Eine ähnlich hohe Zustimmung erfährt freilich auch das Modell, gänzlich auf eine Rückzahlung der Steuermehreinnahmen an die Bevölkerung zu verzichten und stattdessen gezielt in den Ausbau erneuerbarer Energiequellen zu investieren. Bemerkenswert fällt der vergleichsweise geringere Grad an Zustimmung (28 Prozent voll und ganz) einer Rückerstattung ausschließlich an Bürger*innen mit niedrigen Einkommen vorzunehmen beziehungsweise die Pauschalen bei Wohngeldempfänger*innen (19 Prozent voll und ganz) zu erhöhen. Die geringste Zustimmung fanden Kaufprämien für regenerativ betriebene Fahrzeuge (15 Prozent voll und ganz).
Abbildung 1: Bewertung verschiedener öffentlich diskutierter Entlastungsmaßnahmen für gestiegene Öl- und Gaspreise
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der COMPASS-Online Befragung.
© DIW Berlin
In einem zweiten Schritt wurde die Gruppe der Zustimmenden für ein Klimageld analysiert. Anhand logistischer Regressionsmodelle wurde geschätzt, anhand welcher sozio-demographischen Merkmale sich die Gruppe der Zustimmenden von den Nicht-Zustimmenden unterscheidet (Abbildung 2). Die bei zahlreichen Merkmalen breiten Konfidenzbänder sind dem vergleichsweise kleinen Sample geschuldet. Gleichwohl wird die Richtung der in das Schätzmodell einbezogenen soziodemografischen Merkmale sichtbar. Demnach fällt die Zustimmung zu einem Klimageld unter Frauen geringer aus als bei Männern. Jüngere Befragte befürworten ein Klimageld eher als Ältere. Auch hinsichtlich des schulischen Bildungsniveaus stimmen Personen mit höchstens Hauptschulabschluss tendenziell eher einem Klimageld zu, während Personen mit (Fach‑)Hochschulreife signifikant seltener ein Klimageld präferieren als die Referenzgruppe der Personen mit mittlerer Reife.
Auch hinsichtlich der Höhe des Haushaltsnettoeinkommens sind die Tendenzen deutlich erkennbar. Personen mit einem Einkommen unter 1 500 Euro pro Monat tendieren dazu, sich für ein Klimageld auszusprechen. Personen mit einem Nettoeinkommen über 5 000 Euro lehnen ein Klimageld hingegen eher ab. Personen, die in Ostdeutschland leben, präferieren eher das Klimageld, wenngleich der Effekt gering und auch nicht signifikant gegenüber Befragten aus Westdeutschland ist. Interessant sind auch einige Präferenzen sowie Sorgen der Befragten hinsichtlich des Zusammenhangs mit Zustimmung zu einer Klimageld-Kompensation gestiegener Preise. So befürworten vor allem Personen ein Klimageld, die sich große Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation machen.
Eher unerwartet ist der Befund, dass Personen die sich große Sorgen um den Schutz von Umwelt und Klima machen, signifikant seltener dem Klimageld zustimmen.
Schließlich wurde noch geprüft, ob die Zustimmung zur Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens auch zu einer höheren Zustimmung für das Klimageld führt. Hier ist das Ergebnis eindeutig: Personen, die für ein Grundeinkommen plädieren, sprechen sich auch signifikant häufiger für ein Klimageld aus.Vgl. zum Zusammenhang von Klimageld und Grundeinkommen ausführlich: Rolf G. Heinze und Jürgen Schupp (2022): Grundeinkommen – Von der Vision zur schleichenden sozialstaatlichen Transformation. Wiesbaden, 270ff. Ohne an dieser Stelle tiefer auf die möglichen Ursachen für die Kovarianz eingehen zu können, kann hier eine allgemeine Präferenz für nicht leistungs- oder verbraucherbezogene staatliche Transferleistungen eine Rolle spielen. Die Befragungsergebnisse bestätigen, dass trotz der vergleichsweise hohen allgemeinen Zustimmung für ein Klimageld noch die Notwendigkeit besteht, gezielt vor allem bei Älteren wie auch Bessergebildeten für ein solches Instrument zu werben.
Abbildung 2: Zustimmung zu Klimageld nach soziodemografischen Merkmalen sowie subjektiver Präferenzen
Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der COMPASS-Online Befragung.
© DIW Berlin
Das von etlichen wissenschaftlichen Kommissionen und in diversen Gutachten seit Jahren vorgeschlagene Klimageld als Pro-Kopf-Kompensationsmechanismus für steigende CO2-Preise genießt in der Bevölkerung gemäß einer repräsentativen Befragung im Sommer 2022 mit 77 Prozent einen vergleichsweise hohen Grad an Zustimmung. Das Klimageld verknüpft zudem in besonderer Weise sowohl klimapolitische und sozial- wie verteilungspolitische Ziele, während zugleich Marktprinzipien gewahrt bleiben. Insofern handelt es sich beim Klimageld um eine Positivsummenspiel zwischen verschiedenen politischen Zielen. Die Nachricht an die politisch Verantwortlichen fällt damit eindeutig aus: Anstrengungen zu einer raschen Einführung einer finanziellen Pro-Kopf-Kompensation sollten auch in Deutschland hohe Priorität eingeräumt werden.
Themen: Verteilung, Umweltmärkte, Klimapolitik, Energiewirtschaft
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/266256