DIW Wochenbericht 44 / 2022, S. 567-574
Alexander S. Kritikos, Irene Bertschek, Jörn Block, Caroline Stiel
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Selbstständige haben während der Covid-19-Pandemie im Vergleich zu abhängig Beschäftigten besonders starke Einkommensverluste erlitten. Zu ihrer Unterstützung hat die Bundesregierung daher verschiedene Programme mit Liquiditätshilfen aufgelegt. Im Frühjahr 2020 startete der Bund die Soforthilfe, die für von Umsatzrückgängen betroffene Selbstständige Einmalzahlungen von bis zu 15000 Euro vorsah. Für die Hilfen gab es rund 2,2 Millionen Anträge – rund die Hälfte aller Selbstständigen wollte diese somit in Anspruch nehmen. Analysen zur Wirkung des Programms auf Grundlage von Online-Umfragedaten mit 27000 Selbstständigen zeigen: Unter den Selbstständigen, die die Soforthilfe bezogen haben, hat sich die Einschätzung, dass ihre Unternehmung die Krise überstehen würde, im Durchschnitt nur moderat erhöht. Allerdings wirken die staatlichen Hilfen bei Selbstständigen mit stark digitalisierten Unternehmungen deutlich stärker als bei Selbstständigen mit weniger digitalisierten Unternehmungen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn die Selbstständigen bereits vor der Krise mit den Digitalisierungsprozessen begonnen haben. Die Ergebnisse machen damit wichtige Zusammenhänge zwischen staatlichen Förderprogrammen und dem Digitalisierungsgrad von Unternehmungen deutlich. Die Studie hilft somit der Politik, die Wirkung krisenbezogener Politikinstrumente zu verbessern. Dazu gehören nicht nur kurzfristige Politikinstrumente wie die Soforthilfe, sondern auch Instrumente, die die Digitalisierung unternehmerischer Tätigkeit langfristig erleichtern.
Der wirtschaftliche Schock infolge der Maßnahmen gegen das Covid-19-Virus hat vor allem in den Jahren 2020 und 2021 den Dienstleistungssektor erheblich beeinträchtigt – ein Sektor, in dem viele Selbstständige tätig sind. In der Folge hatten in den beiden Jahren die rund vier Millionen Selbstständigen anteilig so hohe Einkommenseinbußen hinnehmen müssen wie kaum eine andere Gruppe unter den Erwerbstätigen.Siehe Alexander S. Kritikos, Daniel Graeber und Johannes Seebauer (2020): Corona-Pandemie wird zur Krise für Selbständige. DIW Aktuell Nr. 47 (online verfügbar. Abgerufen am 26. Oktober 2022; dies gilt für alle Online-Quellen, sofern nicht anders vermerkt); Johannes Seebauer, Alexander S. Kritikos und Daniel Graeber (2021): Warum vor allem weibliche Selbstständige Verliererinnen der Covid-19-Krise sind. DIW Wochenbericht Nr. 15, 261–269 (online verfügbar). Aufgrund der Regulierung der Öffnungszeiten und der Abstandsregelungen konnten viele Betroffene ihre Unternehmungen nicht betreiben. Während in dieser Situation die abhängig Beschäftigten durch das Kurzarbeitergeld vor größeren Einkommensverlusten geschützt waren, gab es für Selbstständige kein vergleichbares Instrument, um diese existenzielle Bedrohung abzufedern.
Als Reaktion auf die massiven Einschränkungen hatte die letzte Bundesregierung die sogenannte Soforthilfe als erstes Nothilfeprogramm eingeführt, das Selbstständige und Kleinstunternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten durch Liquiditätszuschüsse stützen sollte. Im weiteren Verlauf der Pandemie wurden mit den Überbrückungshilfen I, II, III, III Plus und IV, den November- und Dezemberhilfen 2020 sowie verschiedenen Formen der Neustarthilfen für Soloselbstständige weitere Hilfsprogramme für diese Erwerbsform aufgelegt.Siehe Alexandra David et al. (2022): Unternehmerisches Handeln und staatliche Unterstützungsmaßnahmen in der Covid-19-Pandemie. ReCOVery Policy Brief. Gelsenkirchen: Institut für Arbeit und Technik.
Erste deskriptive Analysen zeigen, dass Selbstständige, die einen höheren Digitalisierungsgrad ihrer Unternehmung angaben, weniger stark von der Covid-Krise betroffen waren.Siehe Irene Bertschek und Daniel Erdsiek (2020): Soloselbstständigkeit in der Corona-Krise; Digitalisierung hilft bei der Bewältigung der Krise. ZEW-Kurzexpertise 20-08. Dies spricht dafür, dass Selbstständige, die ihre Unternehmungen digitalisiert hatten, besser in der Lage waren, auf einen Schock flexibel zu reagieren und diesen gegebenenfalls sogar unternehmerisch zu nutzen. Auch haben frühere Analysen darauf hingewiesen, dass digitalisierte Unternehmungen Krisenzeiten besser überstehen. So waren etwa während der Finanzkrise 2008/2009 digitalisierte Unternehmungen weniger stark von den Folgen der Krise betroffen, was die Bedeutung digitaler Technologien für die Widerstandsfähigkeit von Unternehmungen unterstreicht.Irene Bertschek, Michael Polder und Patrick Schulte (2019): ICT and Resilience in times of crisis: evidence from cross-country micro moments data. Economics of Innovation and New Technology, 28 (8), 759–774. In der Covid-19-Krise kam der Digitalisierung eine Schlüsselrolle dabei zu, die Geschäftstätigkeit trotz Kontaktbeschränkungen aufrecht zu erhalten. Auf der anderen Seite zeigen die erhobenen Daten, dass bisherige Investitionen vor allem in die Digitalisierung der internen Geschäftsprozesse geflossen waren, während Geschäftsbereiche wie Kundenberatung und Vertrieb, die von den Einschränkungen besonders betroffen waren, zu Beginn der Krise einen geringeren Digitalisierungsgrad aufwiesen.
Bis heute gibt es wenig belastbare Evidenz, wie die verschiedenen Hilfsprogramme für Selbstständige wirkten.Vgl. Caroline Stiel et al. (2021): Soforthilfe für Selbstständige wirkt vor allem positiv, wenn sie rasch gewährt wird. DIW Aktuell Nr. 60 (online verfügbar). Eine Politikevaluation dieser Maßnahmen ist jedoch angesichts der enormen Ausgaben von insgesamt mehr als 71 Milliarden Euro dringend geboten.Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2022): Überblickspapier Corona-Hilfen. Rückblick. Bilanz. Lessons Learned. (online verfügbar). Dieser Wochenbericht greift dieses Thema auf und untersucht die Wirksamkeit der Soforthilfe, für die allein rund 50 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt wurden.Zu den Details dieser Analyse siehe auch: Irene Bertschek et al. (2022): German Financial State Aid during Covid-19 Pandemic: Higher Impact among Digitalized Self-Employed. DIW Discussion Paper Nr. 2018 (online verfügbar). Analysiert wird dabei insbesondere, inwieweit die Programmwirkung von Grad und Art der Digitalisierung in den betroffenen Unternehmungen abhängt. Auf diese Weise zeigt der Bericht, wie sich das Zusammenspiel zwischen einem Förderprogramm und dem Digitalisierungsgrad von Unternehmungen auf die Widerstandsfähigkeit und das Selbstvertrauen der Selbstständigen auswirkt, Krisen zu überstehen. Die vorliegende Studie basiert auf einer Umfrage unter 27262 Selbstständigen, die im Frühjahr 2020 durchgeführt wurde (Kasten 1).
Die vorliegende Studie wertet die Antworten einer Online-Umfrage aus, die zwischen dem 7. April 2020 und dem 4. Mai 2020 vom DIW Berlin in Kooperation mit dem ZEW Mannheim, dem Forschungszentrum Mittelstand an der Universität Trier und dem Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD) e.V. durchgeführt wurde. Die Auswahl der Stichprobe beruht auf dem sogenannten Schneeballverfahren, um innerhalb kurzer Zeit eine möglichst hohe Zahl an Selbstständigen zu befragen. Ziel der Umfrage war es, angesichts der fehlenden Datenlage und der dynamischen pandemischen Lage zeitnah belastbare Erkenntnisse über die Betroffenheit der Selbstständigen durch die Pandemie und die staatlichen Eindämmungsmaßnahmen zu gewinnen, sowie Informationen zur finanziellen Situation und der Inanspruchnahme staatlicher Hilfsprogramme zu erhalten. Darüber hinaus gibt die Umfrage Einblick in die betrieblichen Anpassungsstrategien zur Überwindung der Krise, persönliche Zukunftseinschätzungen und soziodemografische sowie unternehmensbezogene Merkmale. Insgesamt haben 27 262 Selbstständige an der Umfrage teilgenommen.Eine ausführliche Dokumentation der Umfrage und der Daten findet sich in Irene Bertschek et al. (2022): Umfrage: Selbstständige während der Covid-19-Pandemie in Deutschland 2020. DIW Data Documentation Nr 102. Der Datensatz ist als Scientific-Use-File am FDZ-BO zugängig (https://doi.org/ 10.25652/diw_data_S0021.1)
Die Pandemie und die damit verbundenen Eindämmungsmaßnahmen führten in vielen Branchen zu starken Umsatzrückgängen. In der Gastronomie und Hotelbranche sowie unter den Kulturschaffenden berichteten im Frühjahr 2020 neun von zehn Selbstständigen von Umsatzrückgängen von mehr als 75 Prozent.Stiel et al. (2021), a.a.O. Auch Selbstständige, die Gesundheits- und soziale Dienstleistungen ausübten, oder Selbstständige, die im Bereich Training, Coaching und Unterricht tätig waren, waren mit Umsatzrückgängen konfrontiert.Jörn Block et al. (2022): Emergency-aid for self-employed in the Covid-19 pandemic: A flash in the pan? Journal of Economic Psychology, 93 (2022). Einen Vorteil hatten solche Selbstständige, die ihre Produkte und Dienstleistungen virtuell anbieten konnten oder im Vorfeld Teile ihrer Geschäftsprozesse bereits digitalisiert hatten. Die Umfrage zeigt, dass Unternehmungen mit einem hohen Digitalisierungsgrad weniger stark von den Auswirkungen der Krise betroffen waren. Von ihnen erlitten weniger als die Hälfte Umsatzrückgänge von mehr als 75 Prozent, während es unter den gering digitalisierten Unternehmungen knapp zwei Drittel waren (Abbildung 1). Der Digitalisierungsgrad beruht auf einer Selbsteinschätzung der Befragten und bezieht sich auf die angebotenen Produkte und Dienstleistungen, die internen Geschäftsprozesse sowie auf Kundenbetreuung und Vertrieb.Die befragten Selbstständigen konnten auf einer Fünf-Punkte-Likert-Skala (sehr gering, eher gering, teils/teils, eher hoch, sehr hoch) den Digitalisierungsgrad der drei genannten Bereiche einschätzen.
Um eine drohende Welle von Betriebsschließungen und Insolvenzen von Selbstständigen zu verhindern, wurde im Frühjahr 2020 mittels der Soforthilfe eine schnelle und leicht zugängliche finanzielle Unterstützungsmaßnahme ins Leben gerufen Das Soforthilfepaket in Höhe von 50 Milliarden Euro stand vom 25. März 2020 bis Ende Mai 2020 zur Verfügung. In dessen Rahmen konnten Selbstständige eine finanzielle Soforthilfe von bis zu 15000 Euro erhalten – der Höchstbetrag hing von der Anzahl der Beschäftigten im jeweiligen Unternehmen ab, wenn sie nachweisen konnten, dass die Betriebseinnahmen in den nächsten drei Monaten nicht ausreichen würden, um die Verbindlichkeiten zu decken.Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2020): Eckpunkte „Corona-Soforthilfe Kleinstunternehmen und für Soloselbstständige“. 23. März 2020 (online verfügbar).
Die individuelle Höhe der Fördermittel entsprach der Finanzierungslücke zur Deckung der fixen Betriebskosten. Die Mittel aus dem Förderprogramm durften entsprechend auch nur zur Deckung dieser Betriebskosten verwendet werden; die Finanzierung privater Lebenshaltungskosten war ausgeschlossen. Das Förderprogramm stieß auf eine große Resonanz. Insgesamt gingen mehr als 2,2 Millionen Anträge ein – angesichts von etwa vier Millionen Selbstständigen haben also wohl rund die Hälfte aller Selbstständigen einen Antrag gestellt. Von den bereitgestellten 50 Milliarden Euro wurden mehr als 13 Milliarden Euro ausgezahlt.Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2022), a.a.O. Das erklärte Ziel der Soforthilfe-Maßnahme war es, in Not geratene Selbstständige mit Liquiditätszuschüssen zu unterstützen und sie gleichzeitig darin zu bestärken, ihre Unternehmungen fortzuführen. Die Bundesregierung wollte auch dahingehend Vertrauen erzeugen, dass sich die Selbstständigen, wie es der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier auf einer Pressekonferenz formulierte, vom Staat nicht im Stich gelassen fühlten.Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2020): 50 Milliarden Euro Soforthilfen für kleine Unternehmen auf den Weg gebracht. Gemeinsame Pressemitteilung mit dem Bundesministerium der Finanzen vom 23. März 2020 (online verfügbar); vgl. auch die Aussagen bei der Pressekonferenz der Bundesregierung am 10. März 2022. Im Vergleich zu abhängig Beschäftigten spielt dabei für Selbstständige die persönliche Wahrnehmung über die Zukunftsaussichten eine zentrale Rolle für den Weiterbestand der Unternehmung, da Selbstständige als Risikotragende selbst darüber entscheiden, ob sie ihre Unternehmung weiterführen oder nicht. So kommen Studien zu dem Ergebnis, dass die eigene Zukunftsprognose den Aufwand, den die Selbstständigen in ihre Unternehmung stecken, das Investitionsverhalten und letztendlich das Fortbestehen der Unternehmung maßgeblich beeinflussen.Deniz Ucbasaran et al. (2010): The Nature of entrepreneurial experience, business failure and comparative optimism. Journal of Business Venturing 25(6), 541–555; Philipp Koellinger, Maria Minniti und Christian Schade (2007): “I think I can, I think I can”: Overconfidence and entrepreneurial behavior. Journal of Economic Psychology 28(4), 502–527; Juan-Carlos Ayala und Guadalupe Manzano (2014): The resilience of the entrepreneur. Influence on the success of the business. A longitudinal analysis. Journal of Economic Psychology 42, 126–135; Shuai Li, Dongshuo Wu und Youxia Sun (2021): The impact of entrepreneurial optimism and labor law on business performance of new ventures. Frontiers in Psychology 12, 697002.
Selbstständige sind mit unterschiedlichen Voraussetzungen in die Pandemie gestartet: Während die IT- und Designbranche sowie der Onlinehandel bereits vor der Pandemie verstärkt auf Digitalisierung gesetzt haben, schätzen im stationären Handel sowie im Gesundheits- und Sozialwesen weniger als 14 Prozent der Selbstständigen den Digitalisierungsgrad ihrer Unternehmung als hoch ein (Abbildung 2). Von den Eindämmungsmaßnahmen besonders betroffene Branchen wie die Event- und Veranstaltungsbranche, Kulturschaffende und die Gastronomie waren vor Pandemiebeginn nur wenig digitalisiert.
Unterscheidet man innerhalb der Unternehmungen nach Geschäftsbereichen, wird deutlich, dass die Digitalisierung interner Geschäftsprozesse vor der Pandemie am weitesten fortgeschritten war, während die Produkte und Dienstleistungen selbst weniger digitalisiert waren (Abbildung 3). So gaben 59 Prozent der Selbstständigen an, dass ihre internen Geschäftsprozesse einen mittleren bis hohen Digitalisierungsgrad aufweisen, während dies bei den Produkten und Dienstleistungen nur bei 45 Prozent der Selbstständigen der Fall war.
Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie im Frühjahr 2020 schränkten das persönliche Aufeinandertreffen von Menschen ein, was dazu führte, dass Produkte und Dienstleistungen, die einen persönlichen Kontakt erforderten, kaum oder gar nicht angeboten werden konnten. Auch der Austausch mit Kund*innen war häufig nur noch virtuell oder telefonisch möglich. Infolgedessen suchten Selbstständige nach neuen Wegen, um ihre Produkte und Dienstleistungen anzubieten. Immerhin rund 20 Prozent aller Selbstständigen investierten in die Digitalisierung ihrer Unternehmungen in dieser ersten Phase der Pandemie. Der ausgelöste Digitalisierungsschub erstreckte sich vor allem auf die Geschäftsbereiche, die von den Eindämmungsmaßnahmen besonders betroffen waren und bisher nur einen geringen Digitalisierungsgrad aufwiesen, also Produkte und Dienstleistungen sowie den Vertrieb.
Es gab dabei große Unterschiede zwischen den von der Krise betroffenen Branchen: Während es für Selbstständige, die Trainings, Coachings oder Unterricht anbieten, relativ leicht war, ihre Dienstleistungen ins Internet zu verlagern, stellte die Digitalisierung in der Event- und Veranstaltungsbranche oder der Gastronomie keinen Lösungsweg dar (Abbildung 4). Bei diesen konsumnahen Dienstleistungen ist in der Regel der direkte Kundenkontakt erforderlich, der während der Covid-Krise stark eingeschränkt war. Dort berichten nur 16 beziehungsweise elf Prozent der Selbstständigen, in die Digitalisierung ihrer Unternehmung investiert zu haben.
Der Digitalisierungsschub erfasste jedoch auch Branchen, die von den Eindämmungsmaßnahmen nur indirekt betroffen waren und kaum Umsatzeinbußen erlitten hatten. So gaben rund 45 Prozent der Selbstständigen in den unternehmensnahen Dienstleistungen an, Geschäftsbereiche digitalisiert zu haben und auch 30 Prozent der Selbstständigen in der IT-Branche investierten weiter in die Digitalisierung ihrer Unternehmung.
Angesichts der hohen Ausgaben für die Soforthilfe-Maßnahme ist es wichtig zu verstehen, welche Faktoren die Wirksamkeit des Förderprogramms beeinflusst haben. Der Grad der Digitalisierung hat während der Pandemie eine zentrale Rolle gespielt, um die Kontaktbeschränkungen zu kompensieren und die Geschäftstätigkeit aufrecht zu erhalten. Um daher die Wirkung der Soforthilfe in Abhängigkeit vom Digitalisierungsgrad der Unternehmungen zu analysieren, wurden Selbstständige, an die die Soforthilfe bereits ausgezahlt wurde, mit jenen verglichen, die zum Zeitpunkt der Befragung nur geplant hatten, diese Unterstützung zu beantragen (Kasten 2). Im Zentrum der Analyse stand dabei die Frage, wie sich die eigene Zukunftsprognose, die Selbstständigkeit trotz der Covid-19-Pandemie innerhalb der nächsten zwölf Monate weiter ausüben zu können, durch die Soforthilfe verändert hat.
Die Wirkung der Soforthilfe auf die Zukunftseinschätzung der Selbstständigen wurde mithilfe eines Treatment-Effects-Modell geschätzt. Hierfür wurde die subjektive Wahrscheinlichkeit, selbstständig zu bleiben, zwischen zwei Gruppen verglichen: Jene, die die Soforthilfe erhalten hatten (Maßnahmengruppe) und jene, die geplant hatten, die Soforthilfe zu beantragen, es jedoch zum Zeitpunkt der Befragung noch nicht getan hatten (Kontrollgruppe). Konkret wurden die Selbstständigen gefragt, für wie wahrscheinlich sie es auf einer Skala von eins (sehr gering) bis fünf (sehr hoch) halten, ihre Selbstständigkeit innerhalb der nächsten zwölf Monate aufgrund der Covid-19-Krise aufgeben zu müssen. Anschließend wurden die Ausprägungen zu zwei Kategorie zusammengefasst, wobei „sehr gering“ und „gering“ die neue Kategorie „wahrscheinlich überstehen“ bilden und der Rest die Kategorie „wahrscheinlich nicht überstehen“. Für jede Person aus der Maßnahmengruppe wurden mithilfe des Propensity-Score-Matching-Verfahrens Personen aus der Kontrollgruppe ausgewählt, die dieser Person am stärksten ähneln und anschließend die subjektive Wahrscheinlichkeit zwischen beiden Untergruppen verglichen. Die Ähnlichkeit wurde auf Basis von 66 Merkmalen bestimmt, darunter soziodemografische und unternehmensbezogene Charakteristika, die finanzielle Situation der Selbstständigen und der Zeitpunkt der Befragung. Der einzige beobachtbar verbleibende Unterschied zwischen den beiden Untergruppen war, ob sie die Soforthilfe erhalten haben oder nicht. Unter der Annahme, dass sich die beiden Gruppen sonst nicht weiter unterscheiden, kann somit davon ausgegangen werden, dass Unterschiede in der Zukunftseinschätzung auf den Bezug der Soforthilfe zurückzuführen sind. Um den Einfluss der Digitalisierung zu untersuchen, wurden die Gruppen noch einmal nach dem Digitalisierungsgrad vor der Pandemie und Veränderungen im Digitalisierungsgrad während der Pandemie unterteilt. Insgesamt gab es unter den Befragten 6 756 Selbstständige, die entweder die Soforthilfe erhalten haben oder planten, sie zu beantragen, und die Angaben zu den Vergleichsmerkmalen gemacht haben.
Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Soforthilfe grundsätzlich positiv auf die Einschätzung der Zukunftsaussichten der Selbstständigen ausgewirkt hat. Im Durchschnitt hat sich die persönliche Einschätzung, trotz der Pandemie weiter selbstständig zu bleiben, dank der finanziellen Unterstützung um 6,5 Prozentpunkte erhöht (Tabelle 1).Vergleiche auch Stiel et al. (2022), a.a.O. zu Unterschieden nach Branchen und zum Einfluss der Bearbeitungsdauer und der Zeit, die seit der Bewilligung vergangen ist. Allerdings gilt dies nicht für alle Selbstständige gleichermaßen. Wichtige Unterschiede zeigen sich insbesondere beim Digitalisierungsgrad: Bei einer Unterteilung aller befragten Selbstständigen in drei Gruppen, die sich nach ihrem Digitalisierungsgrad unterscheiden, treten nur bei denjenigen Selbstständigen positive Effekte auf, die bereits vor der Krise verstärkt in die Digitalisierung investiert hatten (elf Prozentpunkte). Bei Unternehmungen mit niedrigem oder mittlerem Digitalisierungsgrad steigt die Einschätzung, die Krise zu überstehen, trotz des Bezugs der Soforthilfe nicht signifikant an. Setzt man den Anstieg von elf Prozentpunkten bei den hoch digitalisierten Unternehmungen ins Verhältnis zum Ausgangsniveau in der Kontrollgruppe, das heißt den Anteil jener, die ohne Soforthilfe glauben, die Krise zu überstehen (40 Prozent), so hat der Bezug der Soforthilfe den Anteil derer, die glauben, im folgenden Jahr die eigene Unternehmung fortsetzen zu können, um etwa ein Viertel erhöht.
Insgesamt | Digitalisierungsgrad vor Corona | |||
---|---|---|---|---|
niedrig | mittel | hoch | ||
Zukunftseinschätzung ohne Soforthilfe (Grundniveau) | 0,384 | 0,384 | 0,336 | 0,401 |
Effekt der Soforthilfe | 0,065** | 0,053 | 0,07 | 0,110** |
Standardfehler | 0,023 | 0,033 | 0,109 | 0,040 |
Anzahl der Beobachtungen | 6756 | 3263 | 919 | 2574 |
Anmerkungen: Das Grundniveau gibt den Anteil der Selbstständigen in der Kontrollgruppe an, die es für (sehr) wahrscheinlich halten, ihre Selbstständigkeit trotz der Covid-19-Krise fortführen zu können. Die Sternchen an den Werten bezeichnen das Signifikanzniveau, das die statistische Genauigkeit der Schätzung angibt. Je mehr Sternchen, desto geringer die Irrtumswahrscheinlichkeit: ***, ** und * geben die Signifikanz auf dem 0,1-, Ein- und Fünf-Prozent-Niveau an.
Quelle: Umfrage Selbstständige während der Covid-19-Pandemie in Deutschland, Welle 2020; eigene Berechnungen.
Weitere 20 Prozent der Selbstständigen haben zu Beginn der Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020 in die Digitalisierung der Unternehmung investiert. Die Analysen machen jedoch deutlich, dass solche kurzfristigen Bemühungen – im Unterschied zu Selbstständigen, die solche Investitionen bereits vor der Krise getätigt hatten – keinen unmittelbaren Einfluss auf die Wirkung der Soforthilfe hatten. Entsprechend hat sich bei Selbstständigen, die ad-hoc in die Digitalisierung investiert haben, die Zuversicht, mit ihrer Unternehmung durch die Krise zu kommen, durch die Soforthilfe nicht erhöht (Tabelle 2).
Veränderungen im Digitalisierungsgrad während Corona | |||
---|---|---|---|
gesunken | gleichgeblieben | angestiegen | |
Zukunftseinschätzung ohne Soforthilfe (Grundniveau) | 0,22 | 0,393 | 0,422 |
Effekt der Soforthilfe | 0,076 | 0,074* | 0,036 |
Standardfehler | 0,091 | 0,035 | 0,045 |
Anzahl der Beobachtungen | 818 | 3426 | 2403 |
Anmerkungen: Das Grundniveau gibt den Anteil der Selbstständigen in der Kontrollgruppe an, die es für (sehr) wahrscheinlich halten, ihre Selbstständigkeit trotz der Covid-19-Krise fortführen zu können. Die Sternchen an den Werten bezeichnen das Signifikanzniveau, das die statistische Genauigkeit der Schätzung angibt. Je mehr Sternchen, desto geringer die Irrtumswahrscheinlichkeit: ***, ** und * geben die Signifikanz auf dem 0,1-, Ein- und Fünf-Prozent-Niveau an.
Quelle: Umfrage Selbstständige während der Covid-19-Pandemie in Deutschland, Welle 2020; eigene Berechnungen.
Die Soforthilfe war die erste in einer Reihe vom Bund aufgelegter Unterstützungsmaßnahmen, die aus der Corona-Pandemie resultierende Umsatzeinbrüche von Selbstständigen durch die Deckung fixer Betriebskosten abfedern sollte. Ziel der Soforthilfe war es, die Zuversicht bei den betroffenen Selbstständigen dahingehend zu erhöhen, dass ihre Unternehmungen die Pandemie überleben würden. Dieser Bericht zeigt, dass die Soforthilfe unter den Selbstständigen insgesamt nur eine moderat positive Wirkung entfaltet hat. Allerdings variiert der Effekt mit dem Digitalisierungsgrad der Unternehmungen. Bei Selbstständigen, deren Unternehmungen einen hohen Digitalisierungsgrad aufwiesen, hat die Soforthilfe die Zuversicht weitaus mehr erhöht, die negativen Folgen der Corona-Krise überstehen zu können. Das finanzielle Unterstützungsprogramm hat bei diesen Selbstständigen also eine höhere Wirkung entfaltet und Marktaustritte aufgrund pessimistischer Zukunftseinschätzungen vermutlich eher verhindert.
Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass Digitalisierung nicht kurzfristig aufgeholt werden kann. Denn bei Selbstständigen, die ihre Unternehmungen erst im Verlauf dieser ersten Krisenphase digitalisiert haben, hat die Soforthilfe die Zuversicht nicht erhöht, die negativen Folgen der Corona-Krise zu überstehen. Dies weist darauf hin, dass eine langfristige Strategie für die Digitalisierung eine wichtige Voraussetzung ist, um für Krisen gewappnet zu sein. Zudem verdeutlichen die Ergebnisse dieser Analyse, dass sich Digitalisierung nicht nur auf interne Geschäftsprozesse beschränken, sondern auch die Entwicklung digitaler Produkte und Dienstleistungen sowie die Betreuung der Kund*innen und die Vertriebskanäle umfassen sollte. Letztere waren besonders entscheidend für die Bewältigung der Covid-19-Krise.
Die Ergebnisse dieser Untersuchung lassen Rückschlüsse darauf zu, wie Hilfsprogramme für die von den Folgen der Covid-19-Pandemie betroffenen Selbstständigen eine bessere Wirkung entfalten können. Auch wenn kurzfristige und unbürokratische Maßnahmen zur finanziellen Unterstützung in Krisensituation helfen können, Härten abzufedern und Vertrauen zu schaffen, sollte dabei berücksichtigt werden, dass die Wirkung solcher Maßnahmen von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird. Der Einsatz finanzieller Soforthilfen sollte von daher in einem breiteren Kontext betrachtet werden. Maßnahmen, die die Digitalisierung von Selbstständigen sowie kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) fördern oder erleichtern, tragen mittel- bis langfristig zu mehr Krisenresilienz bei und haben somit vorbeugenden Charakter. Zu solchen Maßnahmen können niederschwellige Beratungsangebote sowie finanzielle Unterstützung für Investitionen in technologische Ausrüstung und Weiterbildung im Umgang mit digitalen Anwendungen zählen. Allerdings sollten auch solche Hilfsprogramme evaluiert und bei Bedarf angepasst werden. Ebenfalls wichtig ist die Verfügbarkeit von schnellem Internet auch im ländlichen Raum, um den Selbstständigen den überregionalen Zugang zu Kund*innen zu ermöglichen. Nicht zuletzt bleibt es Aufgabe der Selbstständigen, eine Digitalisierungsstrategie zu entwickeln, diese umzusetzen und sich für künftige Krisen zu wappnen. Gleichzeitig sollten politische Entscheidungsträger *innen abwägen, in welcher Form Unternehmungen in Krisenzeiten unterstützt werden sollen, deren Angebote sich grundsätzlich nicht digitalisieren lassen.
Themen: Unternehmen, Konjunktur, Gesundheit, Digitalisierung
JEL-Classification: C14;H43;L25;L26;J68;O33
Keywords: Employment, Emergency Aid, Treatment Effects, Covid-19, Entrepreneurship, Digitalization, Resilience
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-44-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/266743