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Industrieforschung in Deutschland nach wie vor stark, aber zunehmend unter Druck: Interview

DIW Wochenbericht 45 / 2022, S. 590

Heike Belitz, Erich Wittenberg

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Frau Belitz, wie haben sich die Aufwendungen der deutschen Industrie für Forschung und Entwicklung (FuE) in den letzten Jahren entwickelt? In den Jahren vor der Corona-Pandemie sind die Forschungsaufwendungen der Industrie eigentlich immer gestiegen, aber im Jahr 2020 gab es einen ziemlich starken Rückschlag. Hierin unterschied sich Deutschland überraschenderweise von anderen Ländern. Während im gesamten OECD-Raum die Forschungsaufwendungen in etwa gleich blieben, sind sie in Deutschland insgesamt um gut fünf Prozent zurückgegangen. In der Wirtschaft lag der Rückgang sogar bei über sieben Prozent.

Wie ist dieser Rückgang zu erklären und in welchen Bereichen ist er besonders deutlich? Es scheint so zu sein, dass strukturelle Gründe eine große Rolle spielen, denn der Rückgang war in Deutschland besonders stark im Kraftfahrzeugbau. Das hängt vermutlich mit der Frage zusammen, wie sich gerade diese Branche für die Zukunft aufstellt. Es gibt aber auch einen positiven Aspekt, denn das Forschungspersonal haben die Unternehmen deutlich weniger reduziert als die Forschungsaufwendungen. Wir vermuten, dass die Unternehmen doch bemüht sind, ihr Forschungspersonal auch in einer Krise zu halten.

In welchen Forschungsbereichen wird im Ausland mehr investiert als in Deutschland? Vor allem die USA haben ihre Forschungsaufwendungen stark gesteigert. Die Forschung ist dort auf andere Industriebranchen und andere Technologien konzentriert. Hier sind es Bereiche wie Computertechnologie, Hardwareproduktion, Softwareproduktion, aber eben auch der Gesundheitsbereich mit Biotechnologie und Pharmaindustrie, in denen die Forschungsaufwendungen besonders stark steigen.

Wie steht es um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrieforschung? Wir haben eine starke Industrieforschung in Deutschland, aber der weltweit wichtigste Industrieforschungsstandort ist inzwischen China, gefolgt von den USA und Japan, Deutschland dann an vierter Stelle. Deutschland hat seine Position bei der Industrieforschung auch in den letzten Jahren ganz gut halten können, sie wird aber angegriffen von Ländern wie China und den USA. Etwas Sorgen bereitet uns der Rückgang des Wachstums der Forschungsaufwendungen. Da unterscheidet sich Deutschland sowohl vom Durchschnitt der OECD-Länder als auch vom Durchschnitt der EU-Länder, wo das Wachstum der FuE-Aufwendungen in den letzten Jahren eher zugenommen hat.

Wie fällt der Vergleich aus, wenn man die FuE-Intensität betrachtet, also das Verhältnis der Forschungsaufwendungen zur damit erzeugten Produktion? Die deutschen Unternehmen sind sehr forschungsintensiv, wenn man den Anteil der Forschungsaufwendungen am Umsatz misst. Vergleicht man die großen forschungsstarken Unternehmen miteinander, sieht man, dass die deutschen internationalen Konzerne Forschungsintensitäten haben, die in vielen Branchen denen der USA ähneln. Daher schätze ich die Forschungsintensität insgesamt als international wettbewerbsfähig ein. Die Unterschiede in der Dynamik kommen im Wesentlichen durch eine andere Konzentration auf Branchen und damit auch Technologien zustande.

Wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung der FuE-Aufwendungen in Deutschland ein? Nach ersten Zahlen, die den Trend für 2021 andeuten, sind die Forschungsaufwendungen in Deutschland wieder um knapp sechs Prozent gestiegen. Sie haben aber damit noch nicht in allen Branchen das Vorkrisenniveau erreicht. Aufgrund der Spezialisierung der deutschen Industrie auf Branchen, in denen sich die Forschungsaufwendungen nicht so dynamisch entwickeln, wird das Wachstum wahrscheinlich auch in den nächsten Jahren eher moderat bleiben.

Das Gespräch führte Erich Wittenberg.

O-Ton von Heike Belitz
Industrieforschung in Deutschland nach wie vor stark, aber zunehmend unter Druck - Interview mit Heike Belitz

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