DIW Wochenbericht 47 / 2022, S. 632
Gert G. Wagner
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Geld schießt keine Tore. Das machen die Spieler*innen immer noch selbst. Aber der Marktwert professioneller Fußballspieler*innen ist trotzdem ein guter Indikator, den Ausgang von Wettbewerben wie der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar zu prognostizieren. Denn der Sachverstand von Fußballfans – als „Weisheit der Vielen“ – spielt bei der Feststellung der Marktwerte eine wesentliche Rolle. Und diese sprechen für England als kommenden Weltmeister. Dicht dahinter folgen Brasilien und Frankreich und mit schon etwas größerem Abstand Portugal. Erst dann kommt – gleichauf mit Spanien – die Auswahl des Deutschen Fußballbundes (DFB). Mit durchschnittlich 34 Millionen Euro ist der Marktwert pro Spieler im DFB-Team rund 14 Millionen geringer als im englischen Team.
Mit Hilfe der von transfermarkt.de geschätzten Marktwerte der Spieler konnte der Autor dieses Beitrags die Gewinner der Fußball-Weltmeisterschaften der Männer in den Jahren 2006, 2010 und 2018 korrekt vorhersagen. Nur 2014 klappte das nicht ganz – damals sah die Marktwertmethode die siegreiche DFB-Auswahl auf Platz 2. Auch bei den Europameisterschaften erlaubte die Methode gute Prognosen – was wegen der zeitweiligen sportlichen Überlegenheit der Spanier allerdings nicht besonders schwierig war: 2008 und 2012 wurde das damals teuerste spanische Team Europameister. Portugal war 2016 hingegen eine echte Überraschung (bei jeder Prognosemethode). 2021 war das damals wie heute nach Marktwerten führende Team England immerhin im Endspiel.
Der Marktwert ist eine Skala, die offenbar die Leistungsstärke der Spieler gut abbildet. Denn die Marktwerte sind in den meisten Fällen keine wirklich anhand von realisierten Transfers gemessenen Transferwerte, sondern beruhen auf der Einschätzung der Spielstärke der Spieler – im Fall von transfermarkt.de durch die Betreiber und die Fans, die dort aktiv mitmachen. Die so geschätzten Marktwerte sind ein sehr guter Wert für die Wettkampfstärke von Teams. Wenn Betreiber und Fans auf transfermarkt.de Spielstärke und Wettkampfbedeutung eines Spielers einschätzen, nehmen sie intuitiv auch eine Gewichtung der verschiedenen Fähigkeiten vor, die ein Fußballspieler und eine Fußballmannschaft haben sollten. Da die Marktwertmethode regelmäßig genauso gut ist oder sogar besser als komplizierte Prognosemodelle, scheint die intuitive Gewichtung unter dem Strich aussagekräftiger zu sein als die Gewichtung durch Wissenschaftler*innen. Mit anderen Worten: Prognosemodelle mit Daten und Ergebnissen der Vergangenheit zu füttern – wie es bei der Analyse von Daten im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) gemacht wird – führt zumindest in diesem Fall nicht zu besseren Ergebnissen als menschliche Intuition im Sinne der „Weisheit der Vielen“. Und tatsächlich ist der Begriff „Weisheit der Vielen“ in der Prognoseliteratur bekannt und anerkannt.
Bei der kommenden WM dürfte die Marktwertmethode besonders erfolgreich sein: Aufgrund des ungewöhnlichen WM-Termins im Winter mitten in der europäischen Saison ist die Vorbereitungszeit für die Nationalmannschaften deutlich kürzer als eigentlich bei einer WM. Somit kommt es viel mehr auf die Spielstärke der einzelnen Spieler an und weniger auf das eingespielte Mannschaftsgefüge. Damit dürfte der durchschnittliche Marktwert der Spieler eines Teams sogar noch an Aussagekraft gewinnen.
Demnach liegt das englische Team kurz vor Beginn der WM mit 48 Millionen Euro Marktwert pro Spieler an der Spitze, gefolgt von Brasilien mit 44 Millionen und Frankreich mit 40 Millionen. Da die Marktwerte der englischen Liga wegen des vielen Geldes dort etwas aufgebläht sind, ist der ohnehin nicht große Unterschied tendenziell sogar geringer einzuschätzen. Alle drei Teams sind somit annähernd gleichwertige Marktwertfavoriten. Mit etwa 36 Millionen pro Spieler folgen mit einigem Abstand Portugal und mit etwa 34 Millionen Deutschland und Spanien – alle drei Teams sind allenfalls Geheimfavoriten. Der ewige Geheimfavorit Belgien hat nur noch einen durchschnittlichen Marktwert von 22 Millionen; davor liegen noch Argentinien und die Niederlande mit 25 und 23 Millionen. Für Argentiniens 35-jährigen Superstar Messi dürfte es die letzte WM sein. Dieser Druck macht sein Team zum echten Geheimfavoriten.
Dieser Text ist die gekürzte und aktualisierte Version eines am 20. November 2022 im Tagesspiegel erschienenen Gastbeitrags.
Themen: Märkte
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-47-4
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/267698