DIW Wochenbericht 49 / 2022, S. 664
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In kaum einem Land sparen die Menschen mehr als in Deutschland. Mit 40 Prozent hat Deutschland einen ungewöhnlich hohen Anteil an Menschen, die praktisch keine nennenswerten Ersparnisse haben und somit auch keine nennenswerte private Vorsorge oder Absicherung. Wenig bekannt ist, dass vor allem Frauen deutlich weniger sparen als Männer, obwohl Frauen eine deutlich höhere Sparquote haben, also mehr ihres monatlichen verfügbaren Einkommens auf die hohe Kante legen. Frauen haben durchschnittlich eine Sparquote von 14 Prozent, Männer dagegen sparen lediglich zehn Prozent ihres monatlichen Einkommens. Gleichzeitig haben Männer ein mehr als doppelt so hohes mittleres Nettovermögen im Vergleich zu Frauen. Gerade unter den 40 Prozent der Menschen in Deutschland, die praktisch keine Ersparnisse haben, sind Frauen besonders häufig vertreten.
Was erklärt diesen vermeintlichen Widerspruch einer höheren Sparquote bei gleichzeitig deutlich geringeren privaten Ersparnissen von Frauen? Drei Gründe spielen eine wichtige Rolle. Zum einen haben Frauen ein geringeres Erwerbseinkommen als Männer. Der Gender Pay Gap, also der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern, liegt in Deutschland bei rund 18 Prozent. Ein Grund dafür ist, dass Frauen deutlich häufiger in Teilzeit arbeiten als Männer. Gerade Teilzeitjobs sind aber schlechter bezahlt.
Dieser Unterschied bei den Arbeitseinkommen führt zu dramatisch geringeren Pensionsansprüchen für Frauen, die um 26 Prozent unter denen der Männer liegen. Bei dem gesamten Arbeitseinkommen über die Lebensspanne beträgt der Unterschied gar 50 Prozent, Frauen beziehen in ihrem Leben also nur ungefähr die Hälfte der Arbeitseinkommen von Männern. Daher ist es nicht überraschend, dass das Armutsrisiko unter Frauen deutlich höher und die soziale Teilhabe geringer ist.
Eine zweite Erklärung für den Gender Gap beim Sparverhalten ist die deutlich höhere Besteuerung der Arbeitseinkommen von Zweitverdienenden (meist Frauen) und Hauptverdienenden (meist Männern), wie eine Studie des DIW Berlin gezeigt hat. Dies liegt am Ehegattensplitting, also der gemeinsamen Veranlagung bei der Einkommensteuer von Paaren, die dazu führt, dass es meistens Frauen sind, die nach dem Wiedereinstieg in den Beruf nach der Familiengründung ab dem ersten Euro sehr viel stärker besteuert werden als Männer.
Ein dritter Grund hängt mit der Tatsache zusammen, dass Frauen ihr Erspartes viel seltener in Aktien oder Immobilien und häufiger als Spareinlage anlegen. Damit erhalten sie eine deutlich geringere Rendite auf ihre Ersparnisse, was es noch schwerer macht, die Ersparnisse zu mehren. Einer der Gründe dafür ist ein geringeres Finanzwissen von Frauen, wie eine Studie zeigt, aber auch eine höhere Risikoaversion von Frauen im Vergleich zu Männern.
All diese Gründe führen zu der enormen Ungleichheit bei privaten Ersparnissen zwischen Frauen und Männern in Deutschland. Kritiker dieser Analyse wenden gerne ein, diese Unterschiede seien größtenteils das Resultat freier Entscheidungen. Dies ist jedoch oft nicht so. Denn Frauen arbeiten häufig nicht freiwillig deutlich weniger. Es sind unzureichende Betreuungsangebote für die Kinder, eine fehlende Vereinbarkeit von Beruf und Familie, wenig Flexibilität am Arbeitsplatz, die Frauen keine Wahl lassen oder durch die deutlich höhere Besteuerung zumindest wenige Anreize setzen, ihre Arbeitszeit zu erhöhen.
Die riesige Lücke bei den Ersparnissen ist ein wichtiges gesellschaftliches Problem. Ersparnisse geben Sicherheit und die Freiheit, mehr Eigenverantwortung für das eigene Leben übernehmen zu können. Finanzielle Bildung sowohl bei Frauen als auch bei Männern zu verbessern sollte eine universelle Priorität in Deutschland sein. Aber die Politik muss noch dringender die Diskriminierung und die Hürden für Beschäftigung und gute Einkommen von Frauen im Arbeitsmarkt angehen. Und sie muss das Steuersystem endlich so reformieren, dass vor allem Frauen mit geringen und mittleren Einkommen nicht weniger Netto vom Brutto bleibt als Männern.
Der Beitrag ist in einer längeren Fassung am 25. November bei Zeit online erschienen.
Themen: Ungleichheit, Rente und Vorsorge, Gender
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-49-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/267703