DIW Wochenbericht 50 / 2022, S. 667-675
Lukas Menkhoff, Marius Zeevaert
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„Die Produktion kritischer Rohstoffe konzentriert sich teilweise bis zu 80 oder sogar über 90 Prozent auf einzelne Länder. Das heißt, es besteht eine sehr große Marktkonzentration, der mit kurz- und langfristigen Maßnahmen begegnet werden sollte.“ Marius Zeevaert
Bei der Versorgung mit Rohstoffen hängt die deutsche Volkswirtschaft zu über 90 Prozent von Importen ab. Viele dieser Rohstoffimporte stammen aus nur wenigen Förderländern. Häufig sind diese Länder wenig demokratisch verfasst. Insofern sind die Lieferrisiken teilweise extrem hoch, auch bei mineralischen Rohstoffen, darunter Seltene Erden, Lithium und Magnesium. Um die Sicherheit von Rohstoffimporten zu erhöhen, kann die Wirtschaftspolitik verschiedene Maßnahmen ergreifen. So könnten europäische Abnehmer ihre Beschaffung kritischer Rohstoffe bündeln, um der Marktmacht der wenigen Anbieter etwas entgegen zu setzen. Ferner könnten noch weitere Diversifizierungspotenziale beim Import genutzt werden. Auch die Lagerhaltung sollte überdacht und um eine verpflichtende Mindestreserve ergänzt werden. Längerfristig könnten Rohstoffimporte reduziert werden, indem Möglichkeiten zum Recycling stärker genutzt werden und die Förderung von mineralischen Rohstoffen im Inland ausgebaut wird. Schließlich sollten technische Innovationen angestoßen werden, um Einfuhren von Rohstoffen zu ersetzen. Die Maßnahmen sollten – soweit möglich – auf europäischer Ebene koordiniert werden.
Die Ereignisse des Jahres 2022 haben deutlich gemacht, dass das Verfügen über Rohstoffe als politisches Druckmittel eingesetzt werden kann. Jahrzehntelang schien es zwei verschiedene Welten zu geben, die Weltmärkte für Rohstoffe und die internationale Politik. So hatte die Sowjetunion selbst im Kalten Krieg Rohstoffe verlässlich an den westlichen „Feind“ verkauft. Diese Verlässlichkeit gilt nicht mehr, so dass die Verantwortlichen in Regierung und Wirtschaft wissen, dass mehr Anstrengungen unternommen werden müssen, um die Rohstoffversorgung zu sichern.
Von allen in Deutschland genutzten Rohstoffen beträgt der Anteil der Importe, gemessen am Wert der Rohstoffe, deutlich über 90 Prozent. Rohstoffsicherheit bedeutet daher kurzfristig, den Import dieser Rohstoffe zu gewährleisten. Die meisten dieser Rohstoffe werden aus unterschiedlichen Regionen der Welt importiert, darunter auch aus Ländern, die aus europäischer Sicht nicht als zuverlässige Lieferländer gelten. Dies ist im Fall von Erdgas und Erdöl im Zuge des Krieges gegen die Ukraine sehr deutlich geworden. Gemessen am Importanteil gilt dies aber in noch höherem Maße für mineralische Rohstoffe.Neben Energieträgern und mineralischen Rohstoffen gibt es in Europa und Deutschland weitere Abhängigkeiten, zum Beispiel bei elektronischen und medizinischen Vorprodukten.
Die Europäische Kommission erstellt seit 2011 alle drei Jahre in einer Bestandsaufnahme eine Liste „kritischer Rohstoffe“.European Commission (2020): Study on the EU’s List of Critical Raw Materials – Final Report, Brussels (online verfügbar, abgerufen am 28. November 2022. Dies gilt für alle anderen Online-Quellen des Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Berücksichtigt werden alle Rohstoffe, die weder Energieträger noch landwirtschaftliche Rohstoffe sind. Als kritisch gilt ein Rohstoff, wenn zwei Kriterien erfüllt sind: Zum einen muss der Rohstoff ökonomisch wichtig sein und zum anderen muss sein Angebot als riskant eingeschätzt werden.European Commission (2019): Methodology for Establishing the EU List of Critical Raw Materials (online verfügbar). Bei der Wichtigkeit geht es vor allem um Rohstoffe für moderne Technologien (wie Halbleiter, Batterietechnik oder Raumfahrt). Beim Angebotsrisiko werden die Lieferwilligkeit von Ländern, die Transportmittel und -wege, oder der mangelnde Wettbewerb zwischen Anbietern berücksichtigt.
Von 83 betrachteten Rohstoffen gelten 30 als kritisch. Die übrigen sind zwar nicht unwichtig, aber weniger kritisch. In beiden Dimensionen als unkritisch gilt zum Beispiel Gold, während Silber einem geringen Risiko unterliegt, aber wichtig ist. Teakholz unterliegt zwar einem Lieferrisiko, wird aber als ökonomisch weniger wichtig eingeschätzt. In der kritischen Gruppe finden sich insbesondere Seltene Erden, oder auch Magnesium, Lithium, Kobalt und Bauxit.
In Reaktion auf das neue weltwirtschaftliche Umfeld hat die EU-Kommission einen Aktionsplan zu kritischen Rohstoffen für das Frühjahr 2023 angekündigt. Dieser dürfte konkreter als vorherige Empfehlungen sein und über bisherige Ansatzpunkte, darunter die Diversifizierung der Importe, hinausgehen. Die Bundesregierung zieht zudem nationale Maßnahmen in Erwägung.Bisher sind dies Überlegungen, wie der Einsatz von Fördermitteln und Kreditbürgschaften, um Rohstoffe zu sichern, vgl. Julia Löhr (2020): Ein Gesetz für die Rohstoffsicherheit. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. Oktober 2022 (online verfügbar). Das mögliche Handlungsspektrum umfasst kurzfristige sowie langfristige Maßnahmen (Kasten).
Bereits im Jahr 2008 hat die Europäische Kommission eine Rohstoffinitiative (RMI, Raw Materials Initiative) ergriffen. Demnach bemüht sich die EU um Diversifizierung der Bezugsländer, Recycling von Rohstoffen und höhere Effizienz des Rohstoffeinsatzes. Seit dem Jahr 2011 wird alle drei Jahre eine Studie zu kritischen Rohstoffen verfasst, deren neueste Ausgabe von 2020 für die Definition kritischer Rohstoffe im vorliegenden Wochenbericht genutzt wird. Dabei ist mit jeder Ausgabe die Anzahl der berücksichtigten Rohstoffe gestiegen, zuletzt auf 83 Rohstoffe. Von diesen gelten 30 als „kritisch“, diese sind also gleichermaßen für Europa wichtig und unterliegen einem erhöhten Lieferrisiko.
Deutschland hat erstmals im Jahr 2010 eine Rohstoffstrategie verfasst. Eine Konsequenz war die Gründung der Deutsche Rohstoffagentur (DERA) als Teil der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), die wiederum im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) liegt. Die DERA sammelt Informationen zu mineralischen und Energierohstoffen, bewertet diese und berät dazu deutsche Unternehmen. Zuletzt wurde die Rohstoffstrategie im Jahr 2020 aktualisiert. In dieser spricht das Ministerium unter anderem davon, „die Möglichkeiten zusätzlicher staatlicher Maßnahmen zur Rohstoffsicherung in einer Auftragsstudie prüfen [zu] lassen.“ Diese Studie liegt seit August 2022 vor.
Kurzfristige Maßnahmen gehen davon aus, dass Importe kritischer Rohstoffe unverändert notwendig sind. Die Lieferanten bleiben grundsätzlich dieselben, die Volumina steigen möglicherweise sogar, beispielsweise um die Energiewende zu stemmen. Dann bleiben immer noch drei verschiedene Maßnahmen: Ein Ansatzpunkt ist die Bündelung der Nachfrage, um der Marktmacht weniger Anbieter entgegenzuwirken. Eine weitere Maßnahme ist die stärkere Diversifizierung der Lieferländer, die tendenziell die Macht einzelner Anbieter senkt und zudem Importrückgänge bei einem Lieferantenausfall abfedert. Schließlich kann eine verpflichtende Mindestreserve temporär die Versorgungssicherheit gewährleisten.
Längerfristig kann die Sicherheit der Rohstoffversorgung erhöht werden, indem Rohstoffimporte durch drei Maßnahmen teilweise ersetzt werden. Hierzu gehört ein verbessertes Recycling. Dies kann durch verstärkte Bestrebungen wie verbesserten gesetzlich verankerten Recyclingquoten erreicht werden.Sachverständigenrat für Umweltfragen (2020): Umweltgutachten 2020: Für eine entschlossene Umweltpolitik in Deutschland und Europa (online verfügbar). Weiterhin können eigene Produktionsmöglichkeiten stärker genutzt werden, und schließlich lassen sich technische Innovationen fördern, die den Einsatz kritischer Rohstoffe reduzieren oder sogar komplett ersetzen.Zum Beispiel eine Großbatterie, die ohne kritische Rohstoffe auskommt, vgl. Marcus Theurer (2022): Die grüne Mega-Batterie aus Franken. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. November 2022 (online verfügbar).
Bei allen sechs genannten Maßnahmen wäre es für Deutschland von Vorteil, wenn die Länder in der Europäischen Union (EU) kooperieren würden. Dies wird bei einem Vergleich der Abhängigkeit von Rohstoffimporten zwischen Deutschland und der EU deutlich. Bei 14 von 27 kritischen Rohstoffe (aus der EU-Liste) sind sowohl Deutschland als auch Europa zu hundert Prozent von Importen abhängig, bei drei weiteren sind es jeweils über 95 Prozent (Abbildung 1). Daneben gibt es sieben Rohstoffe, bei denen Deutschland komplett von Importen abhängt, die EU aber maximal zu 80 Prozent. Damit verbleiben zwei Rohstoffe, die Deutschland und die EU zu 50 bis 80 Prozent importieren. Lediglich bei Boraten ist die Abhängigkeit Deutschlands geringer als die der EU. Zusammenfassend ist Deutschland bei einem Rohstoff weniger vom Import abhängig als die EU, aber in sieben Fällen ist die EU unabhängiger. Diese Asymmetrie gilt für die meisten anderen EU-Länder in ähnlicher Weise, was einen starken Anreiz zur europäischen Kooperation schafft.
Ein Ansatzpunkt für die europäische Zusammenarbeit ist der gemeinsame Einkauf der importierten Rohstoffe, um damit der Marktmacht weniger Anbieter kritischer Rohstoffe entgegenzuwirken. Bei einer Betrachtung der einzelnen Seltenen Erden (wie Cer und Dysprosium) steigt die Zahl der kritischen Rohstoffe auf der Liste der EU-Kommission von 30 auf 44. Bei allen 44 Rohstoffen hat das jeweils größte Lieferland bereits einen erheblichen Marktanteil. Der geringste Anteil an der globalen Produktion beträgt 28 Prozent, der größte 93 Prozent (Abbildung 2). Der Median liegt bei 74 Prozent.
Importe zu diversifizieren, um nicht von den Zufälligkeiten bei einem oder ganz wenigen Anbietern abhängig zu sein, ist eine hilfreiche Maßnahme. Allerdings ist das kurzfristige Diversifizierungspotential für einen großen Nachfrager – wie die Länder der EU – begrenzt, wenn der Weltmarkt zu 74 Prozent und mehr von einem einzigen Anbieter dominiert wird.
Neben die ökonomische tritt eine politische Dimension, wenn wichtige Lieferländer zugleich politisch als wenig verlässlich gelten (Abbildung 3).Die Weltbank stellt für fast alle Länder der Welt über lange Zeiträume einen Voice-and-Accountability-Index bereit, der eine inhaltlich und räumlich gute Abdeckung bietet. Vgl. Weltbank (2022): Worldwide Governance Indicators (online verfügbar). Die Einstufung als kritisches Lieferland kann anhand des „Voice-and-Accountability“-Index der Weltbank erfolgen. Länder gelten als kritisch, falls der Wert schlechter als derjenige der Türkei ist, die wiederum mit Abstand den schwächsten Wert unter allen OECD-Mitgliedern aufweist. Es zeigt sich, dass viele der kritischen Rohstoffe von der EU nahezu komplett aus wenig demokratisch verfassten Ländern importiert werden. China spielt hier eine herausgehobene Rolle.Vgl. auch Melinda Fremery und Thomas Obst (2022): Globalisierungskrise: Welche Abhängigkeiten bestehen bei kritischen Gütern und Rohstoffen aus China? IW-Kurzbericht 48/2022 (online verfügbar). In solchen Fällen kann ein Ansatzpunkt sein, andere Förderländer als Anbieter zu gewinnen.
Demgegenüber ist kurzfristig das Potential begrenzt, weniger aus Ländern zu importieren, deren „Voice-and-Accountability“-Index unterhalb desjenigen der Türkei liegt. Dies lässt sich anhand der Differenz von Importanteilen der EU aus kritischen Ländern und deren Anteilen an der weltweiten Produktion abbilden (Abbildung 4).Vgl. ähnlich Lisandra Flach et al. (2022): Wie abhängig ist Deutschland von Rohstoffimporten? Ifo-Institut (online verfügbar). Demnach gibt es nur wenige mineralische Rohstoffe, die Europa überproportional aus wenig demokratischen Ländern importiert (positiver Bereich). Hier besteht demnach ein kurzfristiges Diversifizierungspotential, indem mehr aus demokratisch verfassten Lieferländern importiert wird. Umgekehrt zeigt sich, dass bei vielen Rohstoffen bereits überproportional auf die Produktion demokratischer Länder zurückgegriffen wird (negativer Bereich) und hier das Potenzial zur Änderung der Bezugsländer somit geringer ist.
Das wohl „sicherste“ Fördergebiet ist die EU selbst. So werden von den 30 betrachteten kritischen Rohstoffen momentan zwölf in der EU gefördert, aber bislang oft nur in sehr geringen Mengen.U.S. Geological Survey (2022): Mineral Commodity Summaries (online verfügbar); Österreichisches Finanzministerium (2022): World Mining Data (online verfügbar); Minerals4EU (2022): European Minerals Yearbook (online verfügbar); EU Commission (2020): Critical Raw Materials Factsheets (online verfügbar). Bei fünf weiteren Rohstoffen gibt es in der EU bislang nicht genutzte Vorkommen. Bei drei weiteren Rohstoffen wird zwar erwartet, dass es EU-Vorkommen gibt, jedoch sind diese nicht quantifiziert.
Allerdings bestehen Widerstände gegen jede Art von Rohstoffabbau und Umweltnutzung, die sich auch bei einer klimaschonenden Energiewende nicht vermeiden lassen. So verständlich dies im Einzelfall oder aus Sicht von Betroffenen sein mag, so wenig ist dies gesamtwirtschaftlich mit dem Ziel vereinbar, die Abhängigkeit von Importen kritischer Rohstoffe zu senken. Die Gesellschaft muss daher überlegen, wie sie die drei Ziele von hohem Einkommen (als Hochtechnologiestandort), Rohstoffsicherheit (durch weniger Abhängigkeit von wenig demokratisch verfassten Ländern) und Schonung der eigenen Umwelt (durch Vermeidung von Rohstoffabbau) austarieren möchte (Abbildung 5). Diese Zielkonflikte können gemildert werden (beispielsweise durch Recycling), aber es müssen Entscheidungen getroffen werden.
Eine Haltung, wie sie in der noch aktuellen Rohstoffstrategie der Bundesregierung formuliert wird, bleibt unzureichend, da sie in der gegenwärtigen Lage sehr passiv wirkt: „Die Bundesregierung wird Initiativen der Europäischen Kommission unterstützen, die auf eine Wiederbelebung der primären Gewinnung von notwendigen metallischen Rohstoffen für E-Mobilität und Energiewende wie Kupfer, Lithium und Nickel in den Mitgliedstaaten der Europäischen Kommission abzielen.“Bundesregierung (2020): Rohstoffstrategie der Bundesregierung, Sicherung einer nachhaltigen Rohstoffversorgung Deutschlands mit nichtenergetischen mineralischen Rohstoffen (online verfügbar).
Für alle kritischen Rohstoffe gilt, dass es sinnvoll ist, Nachfrage zu bündeln, verpflichtende Mindestreserven einzuführen, Recycling zu nutzen und Substitution durch Innovation zu fördern. Bei den Maßnahmen der Diversifizierung und eigenen Förderung ist die Lage jedoch vielfältig. Dies zeigen die Beispiele Seltene Erden, Magnesium und Lithium.
Die 17 Elemente der Seltenen Erden werden für eine Vielzahl von Schlüsseltechnologien genutzt und sind insbesondere für den Bau von Elektroautos und Windturbinen zentral. Die EU ist fast vollständig abhängig von Importen des Rohstoffs: 94 Prozent der EU-Importe kommen aus besonders kritischen Ländern, allen voran China (Abbildung 6).
Eine kurz- bis mittelfristige Rohstoffdiversifizierung wird bei den Seltenen Erden für die EU schwierig werden. Neben China produzieren auch Myanmar, die USA und Australien größere Mengen an Seltenen Erden, aber ihre Exporte sind sehr gering, weil sie vor allem die jeweils heimische Industrie beliefern.Zu den Angaben der Handelsdaten der Seltenen Erden siehe Eurostat (2022): EU-Handel seit 1988 nach HS2-4-6 und KN8 (online verfügbar); und UN Comtrade (2022): Trade Data (online verfügbar), siehe zu Angaben von Produktion und Reserven U.S. Geological Survey (2022), a.a.O. Da in diesem Fall sowie bei anderen Rohstoffen verschiedene Datenquellen verwendet wurden, sind die Abgrenzungen der jeweiligen Rohstoffe teilweise unterschiedlich. Die jeweiligen Anteile sind daher nur eingeschränkt vergleichbar. Daher wird es für europäische Interessenten teuer bis unmöglich werden, amerikanische und australische Seltene Erden zu beziehen. Einzig Thailand hat neben China einen signifikanten Überschuss an Seltenen Erden und könnte der EU bei einer mittelfristigen Diversifizierung helfen. Jedoch prognostiziert die Internationale Energieagentur, dass die weltweite Nachfrage nach Seltenen Erden für das Erreichen der Pariser Klimaziele allein bis zum Jahr 2040 auf das Siebenfache steigen dürfte.International Energy Agency (IEA) (2021): The Role of Critical Minerals in Clean Energy Transitions (online verfügbar). Somit ist für eine langfristige Rohstoffdiversifizierung vor allem eine Ausweitung der Produktion in demokratischen Lieferländern entscheidend.
Neben den kritischen Ländern China, Russland und Vietnam verfügen vor allem Brasilien, Indien und Australien über große Reserven an Seltenen Erden. Es ist daher zur langfristigen Rohstoffsicherung im europäischen Interesse, einen Ausbau der Produktionskapazitäten in diesen Ländern zu stärken. Dafür sollte die EU prüfen, inwiefern sie Explorationsvorhaben in diesen Ländern konkret unterstützen kann, und sie sollte zudem Handelshemmnisse mit diesen Ländern reduzieren.
Eine weitere Option, um Abhängigkeiten bei Rohstoffimporten zu senken, besteht darin, die Produktion in der EU zu beginnen oder auszuweiten. So werden einige der kritischen Rohstoffe wie Flussspat bereits in Deutschland oder anderen EU-Ländern produziert, aber weitaus mehr wäre geologisch möglich. Ein Beispiel hierfür ist Magnesium, welches momentan wegen seiner Materialeigenschaften unter anderem bei der Herstellung von Getriebegehäusen für Autos eingesetzt wird. Da Magnesium auch für Brennstoffzellen, mit denen Wasserstoff in Elektrizität gewandelt werden kann, nötig ist, spielt es eine wichtige Rolle für das Erreichen der Klimaziele.EU-Kommission (2020): Critical Raw Materials for Strategic Technologies and Sectors in the EU—A Foresight Study (online verfügbar).
Magnesium wird weltweit zu 90,7 Prozent in China gefertigt; 93,3 Prozent der EU-Importe stammen von dort.Die Daten beziehen sich auf weiterverarbeitetes und recyceltes Magnesium. Als im Jahr 2021 die Produktion von Magnesium wegen Energiesparvorgaben in China gesunken ist, hat die Abhängigkeit in der EU bereits zu einer angespannten Versorgungssituation und drohenden Betriebsschließungen in der Autoindustrie geführt.Deutsche Rohstoffagentur (2021): Rohstoff-Engpass: Chinas Magnesium-Metallexport eingebrochen – Versorgung auf dem Weltmarkt bleibt angespannt (online verfügbar). Diese Abhängigkeit ist unnötig, da es weltweit außerordentlich hohe Vorkommen an Magnesium gibt. Es liegen zwar keine genauen Schätzungen der Reserven pro Land vor, was daran liegt, dass Magnesium aus Meereswasser, Dolomitstein und anderen Mineralien gewonnen werden kann. Es gibt aber erste Bestrebungen von Unternehmen, Magnesium in der EU abzubauen. Von der EU sollte überdacht werden, diese Vorhaben stärker zu unterstützen. Bei Magnesium und einigen anderen der 30 kritischen Rohstoffe sind nicht fehlende Vorkommen in der EU der Grund für die hohe Importabhängigkeit, sondern es sind die hohen Kosten der heimischen Produktion.
Trotz des Fokus auf Rohstoffe aus kritischen Ländern sollten auch Abhängigkeiten von demokratischen Ländern von der EU adressiert werden. Denn auch diese Länder könnten ihre Marktmacht nutzen, um hohe Preise zu erzielen oder Exporte vollständig zu stoppen, wie das Beispiel Indonesien im Jahr 2020 für Nickel zeigte.
Unter den 30 von der EU als besonders kritisch eingestuften Rohstoffen findet sich auch Lithium. Lithium wird unter anderem für Batterien in Elektroautos eingesetzt und ist somit besonders wichtig für das Erreichen der Klimaziele. Entsprechend prognostiziert die Internationale Energieagentur, dass die globale Nachfrage nach Lithium bis zum Jahr 2040 auf mehr als das 40-fache steigen könnte, wenn ein nachhaltiges Entwicklungsszenario verfolgt wird.IEA (2021), a.a.O. Daher ist es bedenklich, dass im Jahr 2020 die EU 63 Prozent ihrer Lithiumimporte allein aus Chile bezog. Dies gibt dem Land eine hohe Marktmacht.
Ein Blick auf die globalen Exportländer zeigt, dass Australien, China und Argentinien ebenfalls als Lieferländer für Lithium in Betracht kommen. Jedoch exportiert neben Chile fast nur China in großen Mengen Lithium. Da mehr Importe aus China die Rohstoffimporte nicht sicherer machen würden, bleibt vor allem eine verstärkte Kooperation mit den anderen potenziellen Produzenten. Zudem kann die Lithiumproduktion auch in Europa, zum Beispiel in Spanien, gesteigert werden.Linda Osusky (2022): Spanische Mine könnte bald ans Netz gehen. Tagesspiegel, 9. November 2022 (online verfügbar). Auch in Deutschland gibt es großen Vorkommen an Lithium im Oberrheingraben, der allerdings als erdbebengefährdet gilt. Gelingt es mit modernen und umweltschonenden Methoden, Lithium sicher zu gewinnen, könnte die deutsche Importabhängigkeit deutlich gesenkt werden.Für verschiedene Szenarien steigender Lithiumnachfrage schätzt die Deutsche Rohstoffagentur, dass Europa sich bis 2030 bestenfalls zu rund 30 Prozent mit eigener Förderung versorgen könnte, hinzu kämen einige Prozentpunkte aus Recycling, so dass die überwiegende Menge weiterhin zu importieren ist. Vgl. Deutsche Rohstoffagentur (2022): DERA stellt Ergebnisse der Rohstoffbewertung Lithium vor: Hohe Angebotskonzentration bei Lithium – Schlüsselrohstoff und limitierender Faktor für die Verkehrswende und Speicherung regenerativer Energien, 24. Juni 2022 (online verfügbar).
Länder wie Japan oder Südkorea sind in einer weitgehend vergleichbaren Lage wie Deutschland. Sie haben bereits weitergehende Maßnahmen ergriffen. Beide Länder fordern zum Beispiel verpflichtende Mindestreserven bei kritischen Rohsoffen. Japan hat diese auf einen Verbrauch von 180 Tagen festgesetzt. Südkorea hat jüngst ein staatliches Rohstoffunternehmen gegründet, um die Exploration zu unterstützen. Beide Länder fördern gezielt Recycling und subventionieren Forschung, die der Substitution kritischer Rohstoffe gilt.Vgl. diese und weitere Beispiele in Ernst & Young (2022): Staatliche Instrumente zur Erhöhung der Versorgungssicherheit von mineralischen Rohstoffen. Bericht an das BMWK, August (online verfügbar).
Als weiteres Beispiel unterstützen die USA ihre heimische Produktion an Seltenen Erden durch staatliche Investitionen und Steueranreize für Raffinerien und Produktionsstätten. So konnte die Produktion von null Tonnen im Jahr 2017 auf 39000 Tonnen im Jahr 2020 erhöht werden, was etwa 15 Prozent der Weltproduktion entspricht. Die EU könnte derartige Maßnahmen für kritische Rohstoffe mit eigenen europäischen Reserven zum Beispiel bei Magnesium vornehmen. Bei Rohstoffen, bei denen die EU nicht über Reserven verfügt, wird eine Unterstützung schwieriger. In diesem Fall könnten Investitionen in neue Minen und Raffinerien in Ländern in Betracht gezogen werden, die als zuverlässig gelten. Auch strategische Partnerschaften nach dem Vorbild der Energiepartnerschaften sollten angedacht werden.Siehe Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2021): Jahresbericht 2020 (online verfügbar).
Der Handlungsdruck zur sicheren Versorgung mit kritischen Rohstoffen ist offensichtlich und von der Politik erkannt. Selbst wenn kein wichtiges Lieferland der betrachteten Rohstoffe, darunter in erster Linie China, die Exporte nach Europa stoppt oder kürzt, so ist die extreme Konzentration der Anbieter in Kombination mit dem zwingenden Importbedarf der deutschen und europäischen Wirtschaft eine extrem vulnerable Kombination. Aufgrund des langen Anlaufs für Maßnahmen, wie die Ausweitung des Recyclings, scheint es sinnvoll, alle verfügbaren Maßnahmen gleichzeitig einzusetzen.
Kurzfristig, und ohne den Importbedarf zu kürzen, sind insbesondere drei Maßnahmen verfügbar: Erstens, eine Bündelung der Nachfrage auf nationaler, besser europäischer Ebene. Zweitens, systematische Information zu den Lieferanten und darauf aufbauend die Nutzung heutiger Diversifikationspotentiale. Drittens, ein staatlich angeregter und zentral abgestimmter Aufbau von Mindestreserven, die ähnlich wie bei Energierohstoffen eine Notfallversorgung sichern.
Parallel dazu ist überlegenswert, die Importnachfrage nach Rohstoffen langfristig zu reduzieren. Hierzu kann Recycling stärker gefördert werden. Eine weitere Maßnahme, gerade bei unverzichtbaren Rohstoffen, wäre der Ausbau der europäischen Förderung, an der sich Deutschland als größtes Industrieland in Europa angemessen beteiligen sollte. Schließlich sollten Technologien gefördert werden, die ohne oder mit weniger importierten Rohstoffen auskommen.
Bei allen Maßnahmen gibt es klare Vorteile, sie auf europäischer Ebene koordiniert einzusetzen. Allerdings sind die dafür notwendigen Prozesse oft langwierig, falls überhaupt realistisch. Insofern ist es angeraten, nicht allein auf europäische Kooperation zu setzen, sondern auch national so zügig wie möglich mit der Umsetzung von Maßnahmen zu beginnen.
Themen: Ressourcenmärkte, Europa
JEL-Classification: F14;F52;Q37
Keywords: raw material imports, national security, vulnerability, diversification
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-50-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/267705