DIW Wochenbericht 51/52 / 2022, S. 683-690
Marcel Helbig, Laura Schmitz, Felix Weinhardt
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„Haushalte mit niedrigem Einkommen und ohne Hochschulbildung scheinen private Schulen oft gar nicht als Wahloption wahrzunehmen, selbst wenn sie in direkter Nähe wohnen. Das Schulgeld allein kann dies nicht erklären, wie unsere Analysen zeigen. Es braucht unter anderem zugänglichere und transparentere Informationen über Privatschulen, um diese für alle interessant zu machen.“ Felix Weinhardt
Die Zahl der Privatschüler*innen steigt in Deutschland stetig, insbesondere in Ostdeutschland. Besonders häufig kommen sie aus Haushalten mit hohem Einkommen und hohem Bildungsniveau. Dieser Wochenbericht untersucht, welche Rolle die räumliche Verteilung von Privatschulen für die Struktur der Schüler*innenschaft spielt. In einem ersten Schritt wird untersucht, in welchen Gegenden es Privatschulen gibt. Dabei zeigt sich, dass Privatschulen in Ostdeutschland geografisch breiter und zufälliger verteilt sind als in Westdeutschland – es gibt sie also nicht nur dort, wo vor allem privilegierte Haushalte wohnen. In einem zweiten Schritt wird untersucht, ob die geografische Nähe zu einer Privatschule den Besuch selbiger wahrscheinlicher macht. Es zeigt sich, dass das bei einkommensstarken und bildungsnahen Haushalten der Fall ist. Einkommensschwache und bildungsferne Haushalte schicken ihre Kinder hingegen auch dann nicht häufiger auf eine Privatschule, wenn sie in deren Nähe wohnen. Offenbar stellen private Schulen für sie meistens keine Alternative dar. Wie weitere Analysen zeigen, ist dies auch, aber nicht allein durch das Schulgeld zu erklären. Nötig sind daher unter anderem zugänglichere Informationen über Privatschulen. Diese könnten stärker öffentlich gefördert werden – letztlich müssen aber auch öffentliche Schulen für privilegierte Haushalte attraktiver werden, um soziale Unterschiede mit Blick auf die Schulwahl zu reduzieren.
Die Zahl der allgemeinbildenden Privatschulen ist in Deutschland in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen – allein von 1992 bis 2020 um 86 Prozent auf 3711 Schulen.Statistisches Bundesamt (2021): Private Schulen – Fachserie 11, Reihe 1.1, Schuljahr 2020/21 (online verfügbar; abgerufen am 14. Dezember 2022. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Dieser Anstieg ist insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern zu beobachten. Während dort Privatschulen vor der Wiedervereinigung noch verboten waren, ist der Anteil der Privatschüler*innen mit elf Prozent mittlerweile höher als in Westdeutschland, wo knapp neun Prozent der Schüler*innen Privatschulen besuchen.
Die deutsche Privatschullandschaft ist sehr heterogen: Privatschulen sind in Deutschland mehrheitlich konfessionelle Schulen, gefolgt von Schulen mit reformpädagogischer Ausrichtung wie Waldorf- oder Montessorischulen. Außerdem existieren internationale Schulen und Privatschulen mit anderen Weltanschauungen.Vgl. beispielsweise Heiner Ullrich und Susanne Strunck (2009): Zwischen Kontinuität und Innovation: Aktuelle Entwicklungen im deutschen Privatschulwesen. Zeitschrift für Pädagogik 55 (2), 228–243. Schulen in privater Trägerschaft erhalten staatliche Beihilfe und können Schulgelder erheben; zudem soll der Schulträger einen Eigenanteil an der Finanzierung leisten. Die staatlichen Zuschüsse für Privatschulen sind daher niedriger als für öffentliche Schulen.Siehe Pia Akkaya, Marcel Helbig und Michael Wrase (2019): Voraussetzung sozialer Verantwortung – Privatschulfinanzierung in den deutschen Bundesländern. Darstellung und Vergleich der Finanzierungssysteme für allgemeinbildende Ersatzschulen in den 16 Ländern. WZB Discussion Paper 2019-006. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
Prinzipiell können Privatschulen aus bildungsökonomischer Sicht für einen größeren Wettbewerb sorgen und somit im besten Fall die Qualität auch an öffentlichen Schulen steigern.Ludger Woessmann (2007): International evidence on school competition, autonomy, and accountability: A review. Peabody Journal of Education 82 (2–3), 473–497. Je nach Ausgestaltung – an welche Regeln sich diese Schulen halten müssen, wie sie finanziert werden und wie zugänglich sie für verschiedene Schüler*innengruppen sind – kann ein wachsender Privatschulsektor aber auch zu einer steigenden Segregation der Schüler*innenschaft führen.
In Deutschland stehen Privatschulen unter Aufsicht des Staates und müssen sich somit an dieselben Prüfungs- und Versetzungsordnungen halten wie öffentliche Schulen. Zudem gilt das „Sonderungsverbot“, demzufolge an Schulen in freier Trägerschaft „keine Sonderung nach den Besitzverhältnissen der Eltern“ gefördert werden darf.Grundgesetz (GG), Artikel 7, Absatz 4 (online verfügbar). Privatschulen dürfen demnach zwar generell ein Schulgeld verlangen, müssen dieses aber entweder nach dem Einkommen der Eltern beziehungsweise Sorgeberechtigten staffeln oder so niedrig ansetzen, dass es theoretisch von allen Eltern gezahlt werden kann. Allerdings ist umstritten, inwieweit das Sonderungsverbot genaue Regelungen für die Schulgeldordnungen vorschreibt, sodass es in den Bundesländern sehr unterschiedlich ausgelegt wird. Es gibt auch Länder, in denen eine rechtliche Schulgeldfreiheit (Rheinland-Pfalz) oder eine faktische Schulgeldfreiheit (Saarland und Nordrhein-Westfalen) gilt.Für eine ausführliche Darstellung der Regelungen in den Bundesländern siehe Marcel Helbig und Michael Wrase (2017): Übersicht über die Vorgaben zur Einhaltung des Sonderungsverbots in den Bundesländern: Aktualisierte und ergänzte Fassung auf der Grundlage der in NVwZ 2016 entwickelten Kriterien. WZB Discussion Paper 2017–004 (online verfügbar).
Ein häufig diskutierter Aspekt des Privatschulausbaus betrifft die sozioökonomische Selektion an Privatschulen und deren Implikationen für die Bildungsungleichheit in Deutschland. Auf privaten Schulen finden sich seltener Kinder aus bildungsfernen Haushalten mit geringen EinkommenMarcel Helbig, Rita Nikolai und Michael Wrase (2017): Privatschulen und soziale Frage. Wirkung rechtlicher Vorgaben zum Sonderungsverbot in den Bundesländern. Leviathan: Zeitschrift für Sozialwissenschaft, 45, 357–380. und dafür häufiger Kinder, deren Eltern einen höheren beruflichen StatusKlaus Klemm et al. (2018): Privatschulen in Deutschland. Trends und Leistungsvergleiche. Friedrich-Ebert-Stiftung. oder einen höheren BildungsabschlussKatja Görlitz, C. Katharina Spieß und Elena Ziege (2018): Fast jedes zehnte Kind geht auf eine Privatschule: Nutzung hängt insbesondere in Ostdeutschland zunehmend vom Einkommen der Eltern ab. DIW Wochenbericht Nr. 51+52, 1103–1111 (online verfügbar). aufweisen. Ein Vergleich von Kindern und Jugendlichen auf allgemeinbildenden Schulen in den Jahren 2002 bis 2019 zeigt, dass Privatschüler*innen häufiger aus bildungsnahen und einkommensstarken Haushalten kommen, seltener Sozialtransfers beziehen und seltener einen Migrationshintergrund haben (Tabelle 1).Diese Segregation von Privatschulen bedeutet nicht zwangsläufig, dass dadurch die Bildungssegregation in Deutschland auch insgesamt steigt. Dies hängt auch davon ab, welche staatlichen Schulen die Kinder, die auf Privatschulen gehen, andernfalls besucht hätten. Denn auch zwischen staatlichen Schulen und Nachbarschaften gibt es zum Teil eine starke Segregation.
In Prozent (sofern nicht anders angegeben)
Öffentliche Schulen | Privatschule | Differenz | |
---|---|---|---|
Merkmale des Kindes | |||
Weiblich | 48 | 54 | −6*** |
Alter (in Jahren) | 11,1 | 11,3 | −0,2** |
Migrationshintergrund | 23 | 11 | 12*** |
Merkmale des Haushaltes | |||
Keine Ausbildung | 9 | 2 | 7*** |
Ausbildung | 59 | 47 | 12*** |
Hochschulabschluss | 33 | 51 | −19*** |
Haushaltsnettoeinkommen (in Euro) | 21644 | 29062 | −7418*** |
Bezug von Sozialleistungen | 20 | 9 | 11*** |
Distanz zu Privatschule (in Kilometern) | 8,9 | 5,7 | 3,2*** |
Distanz zu öffentlicher Schule (in Kilometern) | 1,8 | 2,2 | −0,4*** |
Gemeindegröße | |||
unter 50000 Einwohner*innen | 38 | 31 | 7*** |
50000 bis 100000 Einwohner*innen | 9 | 9 | 0 |
100000 bis 500000 Einwohner*innen | 31 | 33 | −2 |
mehr als 500000 Einwohner*innen | 31 | 36 | −5*** |
Beobachtungen (Anzahl) | 22373 | 2081 |
Anmerkungen: Die Sternchen an den Werten bezeichnen das Signifikanzniveau. Je mehr Sternchen, desto geringer die Irrtumswahrscheinlichkeit: *** und ** geben die Signifikanz auf dem Ein- und Fünf-Prozent-Niveau an. Das äquivalenzgewichtete jährliche Haushaltsnettoeinkommen berücksichtigt bei der Gewichtung die Größe und Zusammensetzung der Haushalte.
Quellen: Sozio-oekonomisches Panel (SOEP v36 für die Jahre 2002, 2005, 2007, 2011, 2013, 2015, 2017 und 2019; gewichtet), amtliche Schuldaten; eigene Berechnungen.
Um diese Segregation an Privatschulen besser zu verstehen, ist es wichtig zu untersuchen, welche Mechanismen zur sozialen Ungleichverteilung der Schüler*innen auf Privatschulen führen können. Weitgehend unerforscht sind dabei strukturelle Faktoren wie die sozialräumliche Verteilung von privaten Schulen. Wenn sich Privatschulen vorwiegend dort befinden, wo Kinder aus einkommensstarken und bildungsnahen Elternhäusern wohnen, dann könnten die Ungleichheiten bei der Privatschulwahl zumindest teilweise auf die räumliche Verteilung von Schulen und Kindern zurückzuführen sein. Bei der sozialräumlichen Komponente spielen zwei Aspekte eine Rolle: Erstens, wo sich Privatschulen und Haushalte ansiedeln, und zweitens, ob – und für welche Gruppen im Besonderen – die Entfernung eine Rolle bei der Schulwahl spielt.
In Bezug auf die erste Frage kann es für private Schulen einerseits aus finanzieller Sicht sinnvoll sein, sich dort anzusiedeln, wo es genügend Schüler*innen gibt, deren Eltern sich für private Schulangebote interessieren und bereit und in der Lage sind, ein möglichst hohes Schulgeld zu zahlen. Auf diese zusätzliche Finanzierung sind Schulen in freier Trägerschaft insoweit angewiesen, als dass sie geringere staatliche Förderung erhalten als öffentliche Schulen. In einigen Fällen aber könnte es für private Schulen – in Abhängigkeit von der Höhe der Schulgelder, die diese in ihrem Bundesland verlangen können und wollen – auch finanziell sinnvoll sein, sich in sozioökonomisch schwächeren Gegenden anzusiedeln. Denn: Zum einen sind hier im Schnitt die Mieten für Schulgebäude geringer, was mehr Geld für Personal und Ausstattung lässt. Zum anderen wäre es gerade im Fall von Großstädten denkbar, dass sich Privatschulen in sozioökonomisch eher schwächeren Stadtteilen ansiedeln, um dort wohnenden Besserverdienenden oder Familien mit besonderen pädagogischen Präferenzen eine Alternative zur öffentlichen Einzugsschule zu bieten. Damit könnten Privatschulen auch dazu beizutragen, dass solche einkommensstarken Familien überhaupt in sozioökonomisch schwächere Stadtteile ziehen.
Mit Blick auf die individuelle Perspektive ist zu erwarten, dass die geografische Verfügbarkeit generell eine Rolle dabei spielt, ob eine Privatschule besucht wird. In der bildungsökonomischen Literatur ist der Zusammenhang zwischen Distanz zu Schulen und deren Besuch theoretisch wie empirisch gut belegt: Unter Abwägung der finanziellen und zeitlichen Kosten und des potenziellen Nutzens sind Individuen umso eher bereit, ein Bildungsangebot anzunehmen, je geringer die Pendelzeit und somit die Kosten sind.Vgl. zum Beispiel David Card (1993): Using geographic variation in college proximity to estimate the return to schooling. NBER Working Paper 4483. National Bureau of Economic Research. Es ist ebenfalls möglich, dass individuelle Haushalte den Wohnort unter anderem in Abhängigkeit von der Verfügbarkeit von Schulen wählen – und auch hier können Privatschulen eine Rolle spielen. Dieser Bericht abstrahiert von diesen Überlegungen und untersucht den Einfluss von Entfernungen zwischen Privatschulen und Haushalten anhand der beobachteten Distanzen zum Zeitpunkt des Schulbesuchs.
Bezüglich sozialer Ungleichheiten bei der Privatschulwahl würde man einerseits erwarten, dass sich ressourcenschwächere Haushalte stärker durch die Entfernung zur nächsten (Privat-)Schule von deren Besuch abhalten lassen, weil für sie die Kosten eines längeren Schulweges stärker ins Gewicht fallen. Wenn aber andererseits diese Gruppe den Nutzen eines Privatschulbesuchs (etwa die Pädagogik oder das soziale Umfeld) insgesamt niedriger als die mit ihm verbundenen Kosten einschätzt, dann würde für sie die Entfernung zur nächsten Privatschule eine geringere Rolle spielen.Vgl. Stephan Köppe (2012): Wahlfreiheit und Nutzerrollen im deutschen Bildungssystem. WSI-Mitteilungen, 65 (3), 206–215 (online verfügbar). Zudem könnte es sein, dass Nicht-Akademiker*innen mögliche Alternativen zur Einzugsschule weniger bewusst sind.Vgl. Marcel Helbig und Tanja Mayer (2022): Soziale Ungleichheiten beim Privatschulzugang. Die Wahl einer privaten Grundschule aus Elternsicht am Beispiel einer deutschen Großstadt (Manuskript eingereicht zur Publikation). Demnach zeigt sich für die private Grundschulwahl in Erfurt, dass rund 25 Prozent der Eltern zukünftiger Grundschulkinder mit niedrigem Bildungsabschluss nicht bewusst war, dass sie eine private Schule hätten wählen können (nur zwei Prozent bei Akademiker*inneneltern). Zudem gab ein substanzieller Teil von Eltern mit niedrigem Bildungsabschluss an, sich eine private Schule finanziell nicht leisten zu können. Wegen dieser unterschiedlichen, teils gegenläufigen Zusammenhänge könnten die folgenden empirischen Analysen sowohl eine höhere als auch eine geringere Sensitivität von Haushalten mit niedrigen Einkommen und Bildungsgrad auf die Entfernung zur nächsten Privatschule ergeben.
Im ersten Teil der Analyse wird untersucht, wie die Entfernung zur nächstgelegenen Privatschule mit sozioökonomischen Eigenschaften zusammenhängt. Hierbei zeigt sich, dass in Westdeutschland einerseits Kinder aus einkommensstarken und Akademiker*innenhaushalten im Durchschnitt näher an Schulen in freier Trägerschaft wohnen. Andererseits leben in westdeutschen Bundesländern aber auch Schüler*innen mit Migrationshintergrund häufiger in der Nähe von Privatschulen (Abbildung 1, oberer Teil). Dieses sozialräumliche Muster könnte damit zusammenhängen, dass sich private Schulen in den westdeutschen Städten häufig im Innenstadtbereich befinden, wo auch vergleichsweise viele Familien mit Migrationshintergrund leben. Ein anderer Erklärungsansatz wäre, dass private Schulen gerade dort für Kinder aus höher gebildeten und einkommensstarken Elternhäusern eine besonders attraktive Alternative zur Einzugsschule sind, wo ein hoher Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund wohnt.Vgl. zum Beispiel Mohammad Akbarpour et al. (2022): Centralized School choice with unequal outside options. Journal of Public Economics, 210, 104644. In Ostdeutschland lassen sich solche Muster hingegen nicht beobachten: Dort hängt die Entfernung zu Privatschulen generell nicht mit individuellen sozioökonomischen Merkmalen der Schüler*innen beziehungsweise ihrer Eltern zusammen, was für eine zufälligere Verteilung von Privatschulen spricht (Abbildung 1, unterer Teil). Vgl. Margret Kraul (2014): Privatschulen in Deutschland. Bundeszentrale für politische Bildung (online verfügbar).
In der multivariaten Analyse (Kasten) zeigt sich, dass Kinder aus Familien mit hohem Bildungsniveau und hohem Einkommen häufiger auf Privatschulen gehen, während Schüler*innen mit Migrationshintergrund und aus Haushalten, die Sozialtransfers beziehen, seltener solche Schulen besuchen (Tabelle 2, Spalte 1). Die sozioökonomische Selektion ist dabei in Ostdeutschland zum Teil noch stärker ausgeprägt als in Westdeutschland (Tabelle 3, Spalte 1). In Westdeutschland sind Kinder mit Migrationshintergrund seltener in Privatschulen zu finden, selbst wenn sie näher an privaten Schulen wohnen.
In Prozentpunkten
Modell (1) | Modell (2) | Modell (3) | |
---|---|---|---|
Distanz zu Privatschule | −3,3*** | −2,5*** | |
Trend über die Zeit | 0,2** | 0,1 | 0,1 |
Ausbildung der Eltern | 1,6 | 1,7 | 3,0 |
Hochschulabschluss der Eltern | 5,0*** | 4,7*** | 7,9*** |
Migrationshintergrund des Kindes | −2,9*** | −2,8*** | −5,3*** |
Haushaltseinkommen | 2,2*** | 2,1** | 1,7 |
Bezug von Sozialleistungen | −2,4*** | −2,1*** | −2,0*** |
Interaktion Distanz-Ausbildung | −0,9 | ||
Interaktion Distanz-Hochschulabschluss | −2,1** | ||
Interaktion Distanz-Migrationshintergrund | 1,6** | ||
Interaktion Distanz-Einkommen | 0,3 | ||
Beobachtungen (Anzahl) | 22016 | 22016 | 22016 |
Lesebeispiele:
Modell (1): Um wie viel Prozentpunkte steigt die Wahrscheinlichkeit eines Privatschulbesuchs, wenn das jeweilige Merkmal zutrifft?
Modell (2): Wie verändert sich das vorherige Ergebnis, wenn die Entfernung vom Wohnort zur nächsten Privatschule berücksichtigt wird?
Modell (3): Welche Rolle spielt die Entfernung zur nächsten Privatschule für den Besuch selbiger? Beispiel: Der Interaktionsterm Distanz-Hochschulabschluss ist statistisch signifikant auf dem Fünf-Prozent-Level und das negative Vorzeichen besagt, dass der Privatschulbesuch für diese Gruppe stärker negativ mit der Distanz zur nächsten privaten Schule zusammenhängt als bei Haushalten ohne Hochschulabschluss.
Anmerkungen: Die Sternchen an den Werten bezeichnen das Signifikanzniveau. Je mehr Sternchen, desto geringer die Irrtumswahrscheinlichkeit: *** und ** geben die Signifikanz auf dem Ein- und Fünf-Prozent-Niveau an. Das äquivalenzgewichtete jährliche Haushaltsnettoeinkommen berücksichtigt bei der Gewichtung die Größe und Zusammensetzung der Haushalte. Weitere individuelle Kontrollvariablen: Bundesland, Anzahl weiterer Kinder im Haushalt, Schultyp, Alter des Kindes, Geschlecht des Kindes, Gemeindegröße, Distanz zur nächsten öffentlichen Schule. Die Distanz zur Privatschule und das Haushaltseinkommen wurden in logarithmierter Form verwendet.
Quellen: Sozio-oekonomisches Panel (SOEP v36 für die Jahre 2002, 2005, 2007, 2011, 2013, 2015, 2017 und 2019; gewichtet), amtliche Schuldaten; eigene Berechnungen.
In Prozentpunkten
Modell (1) | Modell (2) | Modell (3) | |
---|---|---|---|
Westdeutschland | |||
Distanz zu Privatschule | −3,2*** | −2,6** | |
Trend über die Zeit | 0,2** | 0,1 | 0,1 |
Ausbildung der Eltern | 1,9* | 2,0* | 4,2** |
Hochschulabschluss der Eltern | 4,7*** | 4,4*** | 6,3*** |
Migrationshintergrund des Kindes | −2,8*** | −2,7*** | −5,5*** |
Haushaltseinkommen | 1,7* | 1,6* | 0,8 |
Bezug von Sozialleistungen | −2,5*** | −2,1** | −2,0** |
Interaktion Distanz-Ausbildung | −1,4 | ||
Interaktion Distanz-Hochschulabschluss | −1,2 | ||
Interaktion Distanz-Migrationshintergrund | 1,7** | ||
Interaktion Distanz-Einkommen | 0,5 | ||
Beobachtungen (Anzahl) | 18330 | 18330 | 18330 |
Ostdeutschland | |||
Distanz zu Privatschule | −4,3*** | −1,2 | |
Trend über die Zeit | 0,5*** | 0,3 | 0,2 |
Ausbildung der Eltern | 0,5 | −0,5 | 1,3 |
Hochschulabschluss der Eltern | 7,6** | 6,5 | 20*** |
Migrationshintergrund des Kindes | −8,5** | −8,0** | −12,1* |
Haushaltseinkommen | 5,8*** | 6,0*** | 6,8*** |
Bezug von Sozialleistungen | −0,3 | −0,6 | −0,7 |
Interaktion Distanz-Ausbildung | −0,4 | ||
Interaktion Distanz-Hochschulabschluss | −7,6** | ||
Interaktion Distanz-Migrationshintergrund | 2,9 | ||
Interaktion Distanz-Einkommen | −1,3** | ||
Beobachtungen (Anzahl) | 3686 | 3686 | 3686 |
Lesebeispiele:
Modell (1): Um wie viel Prozentpunkte steigt die Wahrscheinlichkeit eines Privatschulbesuchs, wenn das jeweilige Merkmal zutrifft?
Modell (2): Wie verändert sich das vorherige Ergebnis, wenn die Entfernung vom Wohnort zur nächsten Privatschule berücksichtigt wird?
Modell (3): Welche Rolle spielt die Entfernung zur nächsten Privatschule für den Besuch selbiger? Beispiel: Der Interaktionsterm Distanz-Hochschulabschluss ist im Fall von Westdeutschland statistisch nicht signifikant. Dies bedeutet, dass der Privatschulbesuch für diese Gruppe nicht stärker negativ mit der Distanz zur nächsten privaten Schule zusammenhängt als bei Haushalten ohne Hochschulabschluss.
Anmerkungen: Die Sternchen an den Werten bezeichnen das Signifikanzniveau. Je mehr Sternchen, desto geringer die Irrtumswahrscheinlichkeit: ***, ** und * geben die Signifikanz auf dem Ein-, Fünf- und Zehn-Prozent-Niveau an. Das äquivalenzgewichtete jährliche Haushaltsnettoeinkommen berücksichtigt bei der Gewichtung die Größe und Zusammensetzung der Haushalte. Weitere individuelle Kontrollvariablen: Bundesland, Anzahl weiterer Kinder im Haushalt, Schultyp, Alter des Kindes, Geschlecht des Kindes, Gemeindegröße, Distanz zur nächsten öffentlichen Schule. Die Distanz zur Privatschule und das Haushaltseinkommen wurden in logarithmierter Form verwendet.
Quellen: Sozio-oekonomisches Panel (SOEP v36 für die Jahre 2002, 2005, 2007, 2011, 2013, 2015, 2017 und 2019; gewichtet), amtliche Schuldaten; eigene Berechnungen.
Die Analysen beruhen auf den geo-referenzierten Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Das SOEP ist eine repräsentative Befragung privater Haushalte, die seit 1984 jährlich durchgeführt wird.Jan Goebel et al. (2019): The German socio-economic panel (SOEP). Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 239 (2), 345–360. Mit anonymisierten Regionalinformationen bis hin zu den Koordinaten des Straßenblocks der SOEP-Befragten lassen sich zahlreiche Regionalindikatoren mit den SOEP-Daten verknüpfen („Geo-Referenzierung“). Für die hier vorgenommenen Analysen wurden die SOEP-Daten mit eigens dafür gesammelten Adressdaten aller allgemeinbildenden Schulen für die Jahre 2002 bis 2019 verbunden.Der Zugang zu den Adressdaten der Schulen wurden bundesweit bei den Kultus- beziehungsweise Bildungsministerien beantragt. Für einige Bundesländer liegen die Adressdaten erst für spätere Jahre vor: Baden-Württemberg seit 2002, Niedersachsen seit 2004, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Saarland seit 2005, Berlin und Hamburg seit 2010. Durch das Hinzuspielen der Schul-Adressdaten wird das SOEP um folgende Variablen erweitert: Distanzen in Kilometern zur nächstgelegenen Grundschule, zur nächstgelegenen weiterführenden Schule mit gymnasialer Oberstufe und zur nächstgelegenen weiterführenden Schule ohne gymnasiale Oberstufe.
Die abhängige Variable in den Analysen ist die Trägerschaft der besuchten Schule. Da die Frage zum Schulträger nur in den Jahren 2002, 2005, 2007, 2011, 2013, 2015, 2017 und 2019 im SOEP abgefragt wurde, können in der Untersuchung nur Beobachtungen aus diesen Jahren genutzt werden. Ein*e Schüler*in im SOEP wird in den Analysen dann als Privatschüler*in kategorisiert, wenn die Antwort auf die Frage nach der Trägerschaft „privat“, „kirchlich“ oder „andere Privatschule“Die generierte Variable wertet die Information zur Trägerschaft für jedes Jahr, in dem diese abgefragt wurde, einzeln aus. Die Ankreuzmöglichkeiten unterscheiden sich über die Jahre leicht. Die Kontrollgruppe bildet immer die Gruppe der Schüler*innen in Schulen „öffentlicher Trägerschaft“. Die Gruppe der Privatschüler*innen setzt sich je nach Jahr aus den Angaben „privat“, „kirchlich“, „kirchlich-gemeinnützig“, „privat-gemeinnützig“, „privat-gewerblich“ und „private, gemeinnützige Elterninitiative“ zusammen. lautete. Zwischen 2002 und 2019 wurde diese Frage 29219 mal beantwortet, wobei einige Schüler*innen mehrfach beobachtet werden. Insgesamt umfasst die Stichprobe 7075 Individuen, die diese Frage beantwortet haben – einige im Laufe ihrer Schulzeit mehrfach.
Für die Analyse der Rolle sozioökonomischer Merkmale und der Entfernung für den Privatschulbesuch werden multivariate lineare WahrscheinlichkeitsmodelleVgl. John M. Wooldridge (2010): Linear Probability Model for Binary Response. Econometric Analysis of Cross Section and Panel Data. Cambridge. MA, MIT Press. der folgenden Form verwendet:
Neben den individuellen sozioökonomischen Variablen Xit werden regionale fixe Effekte auf Kreisebene verwendet.Die sozioökonomischen Variablen umfassen das Alter und Geschlecht des Kindes, das Haushaltseinkommen, den Bildungsgrad der Eltern, die Anzahl der Kinder im Haushalt, den Bezug von Sozialleistungen, den Migrationshintergrund, Gemeindegrößen, die Distanz zur nächsten öffentlichen Schule und den Schultyp. Der Index i steht für ein*e Schüler*in i im jeweiligen Jahr t. Somit werden Veränderungen über den Beobachtungszeitraum innerhalb eines Kreises berücksichtigt. Die Schätzungen beinhalten darüber hinaus Haushaltsgewichte und auf der Haushaltsebene geclusterte Standardfehler. Um zu untersuchen, ob sich der Einfluss der Entfernung zur nächsten Privatschule auf den Besuch einer solchen Schule zwischen sozialen Gruppen unterscheidet, werden Interaktionseffekte zwischen der Entfernung zur nächsten Privatschule mit dem Bildungsgrad und dem Einkommen der Eltern sowie mit dem Migrationshintergrund geschätzt. Die Distanz hat nach den Schätzergebnissen ein negatives Vorzeichen, weil mit einer größeren Entfernung die Wahrscheinlichkeit eines Privatschulbesuchs sinkt. Ist die Interaktion – beispielsweise mit dem Bildungsgrad der Eltern (Distanz-Hochschulabschluss) – zusätzlich negativ und statistisch signifikant (markiert mit *, ** oder ***), so bedeutet das, dass die Entfernung bei höher gebildeten Familien einen stärkeren negativen Einfluss auf den Privatschulbesuch hat als bei Familien ohne Hochschulabschluss – also die Entfernung hier eine größere Rolle spielt. Umgekehrt bedeutet ein positiver und statistisch signifikanter Interaktionsterm, zum Beispiel im Fall von Kindern mit Migrationshintergrund (Distanz-Migrationshintergrund), dass die Entfernung für diese Gruppe eine kleinere Rolle bei der Privatschulwahl spielt als für Kinder ohne Migrationshintergrund.
Nimmt man die Distanz zur nächsten privaten Schule in die Analyse mit auf (Tabellen 2 und 3, Spalte 2), so zeigt sich, dass die Entfernung zur nächsten Privatschule generell ein wichtiger Faktor für die Entscheidung für den Besuch einer Privatschule ist: Wer näher an Privatschulen wohnt, besucht diese auch häufiger. Allerdings scheint die Distanz nur geringfügig die sozioökonomische Selektion beim Privatschulbesuch zu erklären, was daran zu erkennen ist, dass sich die Koeffizienten im zweiten Modell im Vergleich zum ersten Modell kaum verändern.
Zudem zeigt sich in der Analyse (Tabellen 2 und 3, Spalte 3), dass die Entfernung zur nächsten Privatschule nicht für alle sozialen Gruppen die gleiche Rolle für den Privatschulbesuch spielt. Kinder von Eltern mit Hochschulabschluss werden durch die Entfernung zur nächsten Privatschule stärker in ihrer Entscheidung beeinflusst, eine solche auch zu besuchen – was sich am statistisch signifikanten Interaktionsterm Distanz-Hochschulabschluss zeigt (Tabelle 2). Für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund ist das gegenteilige Muster zu beobachten: Für sie ist die Entfernung zur nächsten Privatschule für die Wahl einer Privatschule weniger wichtig als für Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund.
Betrachtet man West- und Ostdeutschland getrennt, zeigen sich abweichende Muster (Tabelle 3). In den ostdeutschen Bundesländern besteht ein stärkerer Einfluss der Interaktionen von Distanz mit Einkommen und Bildungsgrad, in Westdeutschland mit dem Migrationshintergrund. Dies erklärt die oben beschriebenen Muster: Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund wohnen in Westdeutschland zwar im Schnitt näher an Privatschulen, lassen sich in ihrer Schulwahl aber weniger oft durch die Entfernung beeinflussen. Somit sind sie trotz ihrer Nähe zu Privatschulen seltener dort zu finden. In Ostdeutschland wohnen bildungsnahe und einkommensstarke Haushalte zwar nicht systematisch näher an Privatschulen, aber wenn sie es tun, sind sie sehr häufig an Privatschulen zu finden. Kinder aus Akademiker*innenhaushalten besuchen in den ostdeutschen Bundesländern eine Privatschule mit einer Wahrscheinlichkeit von 35 Prozent, wenn die nächste Privatschule weniger als zwei Kilometer entfernt liegt, während ihre Privatschulbesuchsquote mit jedem weiteren Kilometer stark absinkt (Abbildung 2). Für Haushalte ohne Hochschulabschluss zeigt sich hingegen kein systematischer Zusammenhang mit der Entfernung zur nächsten Privatschule.
Dass sich Familien mit Migrationshintergrund im Westen und Haushalte mit geringem Einkommen und ohne hohen Bildungsabschluss im Osten Deutschlands kaum durch die Entfernung zur nächsten Privatschule beeinflussen lassen, kann daran liegen, dass private Schulen aus anderen Gründen für sie keine Alternative sind. Möglicherweise ist das der Fall, weil die pädagogischen Modelle an privaten Schulen sie weniger stark ansprechen, oder aber, weil sie das Schulgeld als zu hoch empfinden.
Eine zusätzliche Analyse soll prüfen, ob sich das beobachtete Muster auch in Bundesländern mit einer langen Tradition einer Schulgeldfreiheit (Rheinland-Pfalz, außer an freien Waldorfschulen) beziehungsweise faktischer Schulgeldfreiheit (Saarland und Nordrhein-Westfalen)Vgl. Helbig und Wrase (2017), a.a.O. zeigt (ohne Tabelle). Tatsächlich tritt in dieser Analyse für die schulgeldfreien Länder ein anderes Muster hervor: Hier spielt die Entfernung zur nächsten Privatschule für Haushalte mit niedrigen Einkommen eine größere Rolle als für Haushalte mit hohem Einkommen. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass der Privatschulbesuch für untere Einkommensgruppen in schulgeldfreien Ländern eher eine Wahloption darstellt, weil die subjektiven Kosten des Privatschulbesuchs eine geringere Rolle spielen. Dennoch sind auch in den schulgeldfreien Ländern viele Unterschiede mit Blick auf den Privatschulbesuch ähnlich stark ausgeprägt wie in den anderen westdeutschen Ländern.Zu diesem Befund kamen auch Helbig et al. (2017), a.a.O. für die größeren Städte in Rheinland-Pfalz. Hieran zeigt sich, dass sozioökonomische Unterschiede beim Privatschulbesuch bei weitem nicht nur durch das Schulgeld erklärt werden können.
Mit dem steigenden Einfluss des Privatschulsektors im deutschen Bildungssystem nimmt auch die öffentliche Diskussion über dessen Rolle für Bildungsungleichheiten zu. Auf Basis aktueller Daten wurde in diesem Bericht gezeigt, dass die räumliche Verteilung von Privatschulen, also die Distanz vom Wohn- zum Schulort, nur eine untergeordnete Rolle für die Entstehung sozialer Ungleichheiten bei der Inanspruchnahme von Privatschulen spielt. Die geografische Komponente ist aber insofern wichtig, als dass bildungsnahe, einkommensstarke und nicht migrantische Haushalte „entfernungssensibler“ handeln, sich also eher durch die geografische Verfügbarkeit von privaten Schulen für solche Schulen entscheiden. Dies deutet darauf hin, dass Haushalte mit niedriger Bildung, unterdurchschnittlichen Einkommen und/oder Migrationshintergrund einen Privatschulbesuch nicht im gleichen Maße als Bildungsalternative wahrnehmen wie andere Haushalte. In den westdeutschen Bundesländern mit Schulgeldverbot verändert sich dieses Muster: Dort sind Haushalte mit niedrigen Einkommen entfernungssensibler. Wenn sie in der Nähe einer Privatschule wohnen, entscheiden sie sich also auch häufiger als in anderen Bundesländern für eine solche Schule. Dies verdeutlicht, dass das Schulgeld eine gewisse Rolle für die Schulwahl spielt.
Einheitliche und bindende Standards mit Blick auf die Einkommensstaffelung beim Schulgeld oder Obergrenzen könnten dabei helfen, Ungleichheiten abzubauen. Dies impliziert möglicherweise auch, dass private Schulen von öffentlicher Seite aus finanziell besser beziehungsweise ähnlich wie staatliche Schulen ausgestattet werden müssten.Siehe hierzu auch Wolfram Cremer (2019): Die Gründungs- und Betätigungsfreiheit von Ersatzschulen im Kontext ihrer verfassungsfundierten sozialstaatlichen Imprägnierung. Informationsschrift Recht und Bildung des Instituts für Bildungsrecht und Bildungsforschung e.V., Ausgabe 1/19, 3–17. Cremer schlägt darin ein Modell von besser finanzierten Privatschulen bei gleichzeitigem Schulgeldverbot vor. Dass ein solches Modell erfolgreich sein kann, zeigen beispielsweise die komplett staatlich finanzierten und autonomen „Charter Schools“ in den USA. Dort profitiert das Bildungssystem vom verstärkten Wettbewerb – ohne, dass es zu einer verstärkten Segregation kommt.Joshua D. Angrist, Parag A. Pathak und Christopher R. Walters (2013): Explaining charter school effectiveness. American Economic Journal: Applied Economics 5 (4), 1–27.
Allerdings finden sich auch in den schulgeldfreien Bundesländern Belege dafür, dass bei weitem nicht nur das Schulgeld zu sozialen Ungleichheiten beim Privatschulbesuch führt. Wenn für Kinder von Haushalten mit geringen Einkommen beziehungsweise ohne hohen Bildungsabschluss Privatschulen – beispielsweise wegen deren pädagogischer Konzepte – gar nicht als Alternative zu staatlichen Schulen wahrgenommen werden, würden auch restriktivere Schulgeldmodelle nicht viel an den bestehenden Ungleichheiten verändern. Hier kann es sinnvoll sein, mehr Informationen über Schulwahlalternativen im Privatschulsystem zugänglich zu machen. An Transparenz im privaten Schulsystem mangelt es nämlich in Deutschland. Trotz der überwiegend staatlichen Finanzierung der Privatschulen sind sie nicht Teil der öffentlichen Bildungsberichterstattung. Die Bildungsforschung hat kaum Kenntnis über Selektionsprozesse bei der Aufnahme an Privatschulen, über Ausbildung und Bezahlung der Lehrkräfte und die Kompetenzentwicklung an Privatschulen.
Letztlich sollte es aber die größte politische Priorität sein, das öffentliche Bildungssystem für Akademiker*innenhaushalte wieder attraktiver zu machen, sodass diese nicht zunehmend in den privaten Sektor abwandern. Dem zunehmenden Wettbewerb sollten sich die staatlichen Schulen stellen.
Themen: Verteilung, Ungleichheit, Bildung
JEL-Classification: H52;I21;I22;I24
Keywords: education, inequality, private schools, school choice
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-51-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/268696