DIW Wochenbericht 51/52 / 2022, S. 691
Felix Weinhardt, Erich Wittenberg
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Herr Weinhardt, wie hat sich die Zahl der Schüler*innen entwickelt, die in Deutschland Privatschulen besuchen? Diese Zahl steigt nach wie vor. Interessant ist, dass insbesondere in Ostdeutschland ein sehr dynamischer Trend zu erkennen ist und hier Kinder aus einem Elternhaus mit einem Hochschulabschluss bereits zu 25 Prozent eine Privatschule besuchen.
Inwieweit stimmt der Eindruck, dass vornehmlich Kinder aus gut situierten Elternhäusern eine Privatschule besuchen? Wenn wir die Elternhäuser der Kinder, die Privatschulen oder öffentliche Schulen besuchen, vergleichen, zeigen sich in der Tat große sozioökonomische Unterschiede. Beispielsweise kommen Kinder, die auf Privatschulen gehen, aus Haushalten, die ungefähr ein um ein Drittel höheres Haushaltseinkommen und um ungefähr 50 Prozent öfter einen Hochschulabschluss haben. Unterschiede zeigen sich auch beim Migrationshintergrund. Verglichen mit öffentlichen Schulen gibt es auf Privatschulen nur ungefähr halb so viele Kinder mit Migrationshintergrund.
Sind Privatschulen eher in privilegierten Gegenden angesiedelt? In Westdeutschland ist es tendenziell tatsächlich so, dass Privatschulen näher an Haushalten mit einem höheren Einkommen liegen. Allerdings wohnen hier auch viele Kinder mit Migrationshintergrund in der Nähe von Privatschulen. Interessant ist, dass sich in Ostdeutschland kein solcher Zusammenhang zeigt. Aus statistischer Sicht würde man sagen, dass die Privatschulen in Ostdeutschland breiter und zufälliger verteilt sind als in Westdeutschland.
Welche Rolle spielt die Entfernung zur Schule bei der Wahl der Schulform? Vor allem Elternhäuser mit einem akademischen Abschluss reagieren sehr sensitiv auf die Entfernung zu einer Schule. Das gilt insbesondere für Ostdeutschland. Dort gehen Kinder aus solchen Haushalten mit einer Wahrscheinlichkeit von 35 Prozent auf eine Privatschule, wenn diese nicht mehr als zwei Kilometer entfernt liegt. Kinder, die nicht aus einem Akademiker*innenhaushalt kommen, besuchen auch dann deutlich seltener eine Privatschule, wenn diese in unmittelbarer Nähe liegt.
Wie ist es zu erklären, dass Kinder aus benachteiligten Haushalten seltener Privatschulen besuchen, auch wenn diese von der Entfernung her gut zu erreichen wären? Ein Faktor, den wir auch untersucht haben, ist natürlich das Schulgeld. Die Privatschulen in Deutschland sind größtenteils öffentlich finanziert, sehr häufig muss aber trotzdem noch ein Zusatzbeitrag geleistet werden. Es ist naheliegend anzunehmen, dass Familien, die über eher geringe Einkommen verfügen, diesen Betrag seltener zahlen wollen und können. Wir haben uns die Bundesländer angeschaut, in denen es faktisch Schulgeldverbote gibt. Dort zeigt sich, dass auch Kinder aus Haushalten ohne Hochschulbildung und mit niedrigerem Einkommen eine Privatschule besuchen, wenn diese in der Nähe liegt. Nichtsdestotrotz bleiben aber auch in diesen Bundesländern große Unterschiede im Privatschulbesuch bestehen. Das Schulgeld allein ist also nicht die Erklärung.
Wo liegt insgesamt der Hauptgrund für die soziale Selektion an Privatschulen? Die Frage lässt sich leider nicht eindeutig beantworten. Es scheint so zu sein, dass Haushalte mit niedrigem Einkommen und ohne Hochschulbildung private Schulen gar nicht als Wahloption wahrnehmen, selbst wenn sie in direkter Nähe wohnen. Wir denken, dass fehlende Informationen über die Qualität der Schulen eine Rolle spielen. Es könnte helfen, diese Informationen insbesondere einkommensschwachen und bildungsfernen Haushalten zugänglich zu machen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob nicht Schulgelder generell abgeschafft werden sollten. Dann müssten diese Schulen natürlich anders finanziert werden.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Verteilung, Ungleichheit, Bildung
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2022-51-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/268697