Die digitale Evolution wird auch vor dem Bargeld nicht halt machen: Kommentar

DIW Wochenbericht 51/52 / 2022, S. 692

Alexander Kriwoluzky

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Im British Museum in London können Besucher*innen gerade die alten Formen des Geldes bestaunen: Muscheln, Perlen und antike Bronzemünzen. Werden unsere Nachfahren das heutige Bargeld einmal ähnlich betrachten und sich dabei sagen: „Verrückt, was die Menschen früher als wertvoll ansahen“? Ohne Zweifel, ja. Das heutige Bargeld wird in 100 Jahren mit ziemlicher Sicherheit nur noch im Museum zu bewundern sein.

Deutschen Besucher*innen in London wird aber noch etwas anderes auffallen: Man verwendet dort kein Bargeld. Alles kann, und teilweise muss es sogar, mit Karten oder, noch praktischer, per Mobiltelefon bezahlt werden. Und wer einmal in den Genuss dieser bargeldlosen Welt gekommen ist, erkennt schnell, wie unpraktisch Bargeld ist. Zum Ersten geht es schnell verloren oder wird leicht gestohlen. Zum Zweiten läuft der eigentliche Bezahlvorgang in der Regel alles andere als geschmiert ab: Obwohl das Portemonnaie schwer wiegt, fehlen gerade die passenden Münzen. In der Pandemie hat sich das Bargeld, zum Dritten, noch unter einem anderen Aspekt als unpraktisch erwiesen: Es haften Viren und Bakterien daran. Geld stinkt zwar nicht mehr, ist aber unhygienisch!

Warum hängen trotzdem so viele Menschen am Bargeld? Als Hauptgrund wird häufig der Datenschutz genannt. Das Vertrauen darauf, dass die Daten geschützt werden können, ist bei vielen Menschen gering. Dabei gibt es eine Gruppe von Leuten, die sich über die Freiheit des Bargelds am meisten freut: Kriminelle! In kaum einem Land ist es so einfach, kriminell erworbenes Geld zu waschen wie in Deutschland. Wo sonst lassen sich mehrere Rolex einfach in bar bezahlen? Die Freiheit des Bargeldes erschwert den Kampf gegen das organisierte Verbrechen.

Während gerade ältere Generationen den Neuerungen der Technik skeptisch gegenüberstehen, begegnen junge Menschen diesen viel offener. Bitcoin, Ether oder andere Kryptowährungen sind Teil eines digitalen Lifestyles, der die Bequemlichkeit des digitalen Zahlungsverkehrs mit einer geschützten Privatsphäre verbunden hat – zumindest bis zu dessen drastischem Wertverlust. Es wäre hier aber zu früh, das Ende der Kryptowährungen auszurufen. Facebook hat vor ein paar Jahren einen Versuch gestartet, eine stabile Kryptowährung, die Libra, zu etablieren. Ihr Wert sollte durch einen Korb an Dollar, Euro und Yen, den Facebook wie eine Zentralbank hält, voll gedeckt sein. Das bedeutet, dass der Wert der Libra so stabil wie die jeweiligen Währungen ist. Libra wäre das erste globale Zahlungsmittel gewesen! Ein Traum für digitale Nomad*innen und Weltbürger*innen – und ein Albtraum für Datenschützer*innen.

Spätestens die Diskussion über die mögliche Einführung der Libra-Währung hat die Zentralbanken weltweit aufgeschreckt und zum Nachdenken über digitales Zentralbankgeld, also digitale Geldscheine, gezwungen. Deswegen entwickelt die Europäische Zentralbank Konzepte für einen digitalen Euro, der von Geschäftsbanken ausgegeben werden kann. Dabei soll er die Eigenschaften der Kryptowährungen übernehmen, also eben auch eine gewisse Privatsphäre garantieren, die derjenigen des Bargelds ähneln wird. Der digitale Euro wird dann auch die Wertstabilität des Euro bieten, indem er – genau wie sein analoges Gegenstück – durch Wertpapiere wie Staatsschulden gedeckt ist.

Inwiefern wir in der Zukunft mit auf unseren Mobiltelefonen gespeicherten Kreditkarten oder mit digitalen Währungen zahlen, die von großen Technologiekonzernen oder direkt von der Zentralbank herausgegeben werden, ist nicht sicher, eines ist aber gewiss: Früher oder später wird eine Tochter mit ihrem Vater ein Museum besuchen, in dem alte und ausgediente Zahlungsmittel ausgestellt werden, und sagen: „Schwer vorstellbar, dass die Menschen früher diese ganzen Münzen mit sich herumgetragen haben, nur um sie dann vielleicht doch nicht zu verwenden. Da finde ich die Muscheln schöner.“ Und danach gehen sie im Museumsrestaurant einen Kakao trinken, den sie – natürlich – digital bezahlen.

Der Beitrag ist am 12. Dezember in einer längeren Fassung in der Ausgabe 3/2022 des Leibniz-Magazins mit dem Schwerpunkt Geld erschienen.

Alexander Kriwoluzky

Abteilungsleiter in der Abteilung Makroökonomie

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