DIW Wochenbericht 3/4 / 2023, S. 34-41
Anja Kirsch, Virginia Sondergeld, Philipp Alexander Thompson, Katharina Wrohlich
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Im Rahmen ihrer Jahresabschlüsse müssen viele Unternehmen in Deutschland nicht nur über ihre finanziellen Kennzahlen berichten. Seit einigen Jahren verlangt der Gesetzgeber vermehrt auch Auskünfte zu nichtfinanziellen Aspekten wie der Beteiligung von Frauen an Führungspositionen. Dieser zweite Teil des DIW Managerinnen-Barometers 2023 zeigt auf Basis einer quantitativen Textanalyse von Unternehmensberichten, dass die großen börsennotierten Konzerne in Deutschland die Vorgaben sehr unterschiedlich umsetzen. Zwar hat die Berichterstattung über Frauen und Führungspositionen entsprechend der Vorgaben im Untersuchungszeitraum von 2009 bis 2020 insgesamt stark zugenommen. Allerdings treten auch deutliche Unterschiede in der Themenschwerpunktsetzung zu Tage: So findet sich eine gleichstellungsorientierte Gruppe von Unternehmen, die umfangreich über konkrete Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen berichtet. Diese Gruppe weist eine deutlich höhere Beteiligung von Frauen im Aufsichtsrat auf als Unternehmen, die eher complianceorientiert berichten und in erster Linie daran interessiert scheinen, die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen. Die Berichterstattung der Unternehmen zu Frauen und Führungspositionen ist also ein Indikator und damit nützliches Signal nach außen, wie ernst es Unternehmen mit der Gleichstellung ist.
In diesem zweiten Teil des DIW Managerinnen-Barometers 2023 werden die Auswirkungen der sich verändernden gesetzlichen Rahmenbedingungen auf die Berichterstattung der größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland auf Basis quantitativer Textanalysen von KonzernabschlüssenIn dieser Studie wurden Konzernabschlüsse als Sonderform des Jahresabschlusses analysiert, da alle in diesem Bericht analysierten Unternehmen Konzerne sind. Der Konzernabschluss stellt im Gegensatz zum Einzel-Jahresabschluss der Muttergesellschaft die Situation im Gesamtkonzern dar. der Jahre 2009 bis 2020 analysiert.Diese Forschung wurde im Rahmen der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern durch die Berlin University Alliance gefördert.
Seit der Einführung des „Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FüPoG)“ im Jahr 2015 hat sich in den Chefetagen von Unternehmen in Deutschland viel getan. Die Beteiligung von Frauen in Aufsichtsräten hat stark zugelegt, und auch in den Vorständen lässt sich ein Aufwärtstrend erkennen.Vgl. dazu in dieser Wochenberichtsausgabe Anja Kirsch, Virginia Sondergeld und Katharina Wrohlich (2023): Erneut mehr Frauen in Vorständen großer Unternehmen – durch Beteiligungsgebot angestoßene Dynamik lässt aber wieder nach. DIW Wochenbericht Nr. 3+4, 22–33. In Bezug auf die Regelungen des Gesetzes konzentriert sich die öffentliche Aufmerksamkeit meist auf die darin enthaltene Geschlechterquote für Aufsichtsräte und das Mindestbeteiligungsgebot für Vorstände. Ein weniger beachteter Aspekt ist, dass das Gesetz Berichtspflichten zur Repräsentation von Frauen in Führungspositionen enthält. Zusammen mit dem 2017 eingeführten CSR-Richtlinie-UmsetzungsgesetzDas CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz (RUG) setzt die auf EU-Ebene beschlossene nichtfinanzielle Berichterstattungsdirektive in deutsches Recht um und soll so die soziale und ökologische Unternehmensverantwortung (Corporate Social Responsibility, CSR) stärken. Kern dieser Gesetzgebung ist es, so die Europäische Kommission, „Unternehmen [abzuverlangen], Informationen darüber zu veröffentlichen, wie sie operieren und soziale und ökologische Herausforderungen meistern. Dies hilft Investor*innen, zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, Konsument*innen, Gesetzgebern und anderen Stakeholdern, die nichtfinanziellen Leistungen großer Unternehmen zu evaluieren, und setzt Anreize für diese Unternehmen, verantwortungsbewusste Geschäftspraktiken zu entwickeln.“ (online verfügbar). wurde die Unternehmens- beziehungsweise Konzernberichterstattung (nachfolgend Unternehmensberichterstattung) zur Beteiligung von Frauen an Führungspositionen grundlegend verändert.
Das FüPoG ist seit Mai 2015 in Kraft. Im August 2021 wurden die darin enthaltenen Regelungen durch das „Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Regelungen für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FüPoG II)“ weiterentwickelt.
Das Gesetz verpflichtet Unternehmen, die börsennotiert sind und gleichzeitig der paritätischen Mitbestimmung unterliegen, zu einer Geschlechterquote im Aufsichtsrat von mindestens 30 Prozent. Der Aufsichtsrat von Unternehmen, die entweder börsennotiert oder mitbestimmt sind, muss eine eigene Zielgröße für den Frauenanteil im Aufsichtsrat und eine Frist, bis zu der dieses Ziel erreicht sein soll, festlegen.
Für die erstgenannte Gruppe – also börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Unternehmen – beinhaltet das Gesetz seit 2021 noch eine weitere Vorgabe, falls deren Vorstand aus mehr als drei Personen besteht: nämlich, dass mindestens eine Frau und mindestens ein Mann Mitglied des Vorstands sein müssen. Bei börsennotierten oder mitbestimmten Unternehmen, für die diese Bestimmung nicht gilt, muss der Aufsichtsrat eine eigene Zielgröße für den Frauenanteil im Vorstand und eine Frist für das Erreichen des Ziels festlegen. Der Vorstand von börsennotierten oder mitbestimmten Unternehmen ist seinerseits verpflichtet, Zielgrößen für den Frauenanteil in den beiden Führungsebenen unterhalb des Vorstands und eine entsprechende Zielerreichungsfrist festzulegen.
Bislang wenig im Fokus der Öffentlichkeit steht, dass das FüPoG darüber hinaus eine Berichtspflicht vorsieht. Derzufolge müssen Unternehmen in ihrem Lagebericht die selbst festgelegten Zielgrößen und Fristen beschreiben. Falls sie die eigens gesteckten Zielgrößen zum Fristende nicht erreicht haben, müssen sie Gründe dafür angeben. Auch Unternehmen, für die die Geschlechterquote von 30 Prozent im Aufsichtsrat gilt, müssen Gründe angeben, wenn sie die Quote verfehlt haben.
Neu ist seit dem Jahr 2021 die Regelung, wonach Unternehmen, die sich eine Zielgröße von null Frauen im Aufsichtsrat, Vorstand oder in den beiden darunter liegenden Führungsebenen gesetzt haben, eine ausführliche Begründung für diesen Beschluss darlegen müssen.
Auf Ebene der Europäischen Union (EU) wurde im Jahr 2014 eine „Richtlinie über die Offenlegung nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen“ eingeführt. Sie beinhaltet eine gesetzliche Berichtspflicht, die Unternehmen vorschreibt, öffentliche Angaben zur Zusammensetzung und Arbeitsweise der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane zu machen, ihr Diversitätskonzept für diese Organe zu beschreiben und über dessen Umsetzung und Ergebnisse zu berichten.EU-Richtlinie über die Offenlegung nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen (Non-Financial Reporting Directive 2014/95/EU) (online verfügbar). Diese Richtlinie wurde im April 2017 im „Gesetz zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten (CSR-RUG)“ in nationales Gesetz überführt.
Seither sind große Aktiengesellschaften verpflichtet, ihr Diversitätskonzept im Hinblick auf die Zusammensetzung ihres Vorstands und Aufsichtsrats zu beschreiben. Dazu können Aspekte wie Alter, Geschlecht, Bildungs- oder Berufshintergrund gehören. Unternehmen müssen die Ziele dieses Diversitätskonzepts, die Art und Weise seiner Umsetzung und die im Geschäftsjahr erreichten Ergebnisse beschreiben. Wenn ein Unternehmen kein Diversitätskonzept verfolgt, hat es dies zu erläutern.
Der vorrangige Zweck der Unternehmensberichterstattung ist es, Informationen zur Vermögens-, Finanz- und Ertragslage eines Unternehmens an Investor*innen und andere Stakeholder zu vermitteln. Insbesondere der Lagebericht soll Informationen zum wirtschaftlichen Zustand eines Unternehmens verdichten, die Stellung und Entwicklung des Unternehmens im Vergleich zum Gesamtmarkt und dem wirtschaftlichen Umfeld einschätzen, über den Jahres- oder Konzernabschluss hinausgehende Informationen ergänzen und prognoseorientierte Informationen enthalten.Klaus Ruhnke, Sönke Sievers und Dirk Simons (2018): Rechnungslegung nach IFRS und HGB: Lehrbuch zur Theorie und Praxis der Unternehmenspublizität mit Beispielen und Übungen. Freiburg.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat ein weiterer Zweck der Unternehmensberichterstattung an Bedeutung gewonnen: Nun soll die Berichterstattung auch dazu dienen, die soziale Verantwortung von Unternehmen zu erhöhen, indem diese ihre Aktivitäten auf transparente Weise ihren Stakeholdern offenlegen müssen.David Hess (2007): Social reporting and new governance regulation: The prospects of achieving corporate accountability through transparency. Business Ethics Quarterly 17 (3), 453–476. So verfolgen Gesetzgeber umweltpolitische und soziale Ziele, indem sie die Offenlegung nichtfinanzieller Informationen in der Unternehmensberichterstattung verlangen, statt direkte Regeln zu erlassen. Mit anderen Worten: Sie verwenden das Instrument der Berichtspflicht, um gesellschaftspolitische Ziele zu erreichen.Barnali Choudhury und Martin Petrin (2018): Corporate governance that ‘works for everyone’: Promoting public policies through corporate governance mechanisms. Journal of Corporate Law Studies 18 (2), 381-415.
Dieser Regulierungsansatz hat den Vorteil, dass Unternehmen ihrer sozialen Verantwortung auf flexible Weise nachkommen dürfen. Der Nachteil ist, dass dieser Ansatz möglicherweise nicht zu einer substanziellen Verhaltensänderung der Unternehmen führt, sondern lediglich zu symbolischer Compliance durch standardisierte Aussagen in den Unternehmensberichten.Gregory Jackson et al. (2020): Mandatory non-financial disclosure and its influence on CSR: An international comparison. Journal of Business Ethics 162 (2), 323–342. Um eine effektive Wirkung zu entfalten, muss auf die vorgeschriebene Transparenz – die ja kein Selbstzweck ist – eine Veränderung der Unternehmenspraxis folgen. Dies kann auf zwei Weisen geschehen: Erstens können Unternehmen die veröffentlichten Informationen verwenden, um sich mit anderen Unternehmen zu vergleichen (Benchmarking) und auf dieser Basis bessere Praktiken (Best Practices) zu entwickeln. Zweitens können Stakeholder auf Basis der Informationen Druck auf Unternehmen ausüben, ihr Verhalten zu verändern.
Die gesetzlichen Berichtspflichten zu Zielgrößen und Fristen bezüglich der Beteiligung von Frauen an Führungspositionen sowie zum Diversitätskonzept sind solche indirekten Maßnahmen, um ein gesellschaftspolitisches Ziel zu erreichen, nämlich die Gleichstellung der Geschlechter in wirtschaftlichen Entscheidungspositionen. Die Berichtspflichten sind indirekte Maßnahmen, weil sie den Unternehmen nicht vorschreiben, wie die Zusammensetzung ihrer Gremien auszusehen hat, sondern sie lediglich verpflichten, ihre Zusammensetzung, Entscheidungen und Pläne diesbezüglich offenzulegen. Unternehmen können mehr oder weniger ausführlich darüber berichten. Die erhöhte Transparenz ermöglicht es Stakeholdern, das Engagement von Unternehmen für Gleichstellung besser einzuschätzen.
Zivilgesellschaftliche Akteure wie die „AllBright Stiftung“ und „Frauen in die Aufsichtsräte (FidAR)“ analysieren regelmäßig die Unternehmensberichterstattung zu Frauen in Führungspositionen und veröffentlichen ihre Erkenntnisse.AllBright Stiftung (2022): Kampf um die besten Köpfe: Die Konkurrenz um Vorständinnen nimmt zu (online verfügbar); FidAR (2022): Women-on-Board-Index 185 (online verfügbar). Dadurch ist weithin bekannt geworden, dass sich viele Unternehmen eine „Zielgröße Null“ insbesondere für den angestrebten Frauenanteil in ihren Vorständen gesetzt haben und dass nur sehr wenige Unternehmen Ziele formuliert haben, die sie nicht sowieso schon erreicht hatten.AllBright Stiftung (2016): Zielgröße: Null Frauen. Die verschenkte Chance deutscher Unternehmen (online verfügbar)
Die hier vorgestellten empirischen Ergebnisse basieren auf der Auswertung der Konzernabschlüsse aller Unternehmen, die im Zeitraum 2009 bis 2022 im DAX-30 beziehungsweise DAX-40 vertreten waren (insgesamt 554 Berichte der Berichtsjahre 2009 bis 2020 von 51 Unternehmen). Es wurden quantitative Textanalysemethoden verwendet, die eine statistisch fundierte Auswertung großer Textmengen ermöglichen (Kasten). Als relevante Textstellen wurden hierzu alle Absätze identifiziert, die sich mit Frauen und Führungspositionen beschäftigen.
Die Ergebnisse dieser Studie beruhen auf der Analyse der jährlichen Konzernabschlüsse aller in den Jahren 2009 bis 2022 im DAX-30 beziehungsweise DAX-40 vertretenen Unternehmen. 554 Konzernberichte der Berichtsjahre 2009 bis 2020 von 51 Unternehmen wurden aus dem Online-Unternehmensregister des Bundesanzeigers bezogen, in dem rechenschaftspflichtige Unternehmen ihre Abschlussdokumente in standardisiertem Format hinterlegen müssen.Da einzelne Unternehmen der Stichprobe innerhalb des Untersuchungszeitraumes von 2009 bis 2020 neu an der Börse notiert wurden oder ihre Börsennotierung verloren haben, liegen nicht für alle Unternehmen Berichte für alle zwölf Jahre vor. Im Durchschnitt sind je Unternehmen 10,86 Berichte in die Analyse eingeflossen. Die Daten zu Frauenanteilen in Aufsichtsräten und Vorständen stammen aus den jährlichen Erhebungen des DIW Managerinnen-Barometers.
Als für das Thema Frauen und Führungspositionen relevante Textstellen der Berichte wurden alle Absätze identifiziert, in denen eine Kombination von Keywords für Frauen („Frau“, „weiblich“) und Führungspositionen („Führung“, „Aufsichtsrat“, „Vorstand“) zu finden war.
Für die inhaltliche Analyse der Berichterstattung wurde die Methode des Topic-Modeling mithilfe eines Latent-Dirichlet-Allocation-Algorithmus (LDA) genutzt – eine Methode, die im explorativen Text MiningText Mining bezeichnet „den Prozess, wertvolle Informationen aus Textdaten zu extrahieren“. Dies geschieht computergestützt mit Hilfe von Methoden der Statistik und des maschinellen Lernens beziehungsweise künstlicher Intelligenz. Siehe Mehdi Allahyari et al. (2017): A brief survey of text mining: Classification, clustering and extraction techniques (online verfügbar). häufig zur Identifikation latenter Themenstrukturen genutzt wird,David M. Blei, Andrew Y. Ng und Michael I. Jordan (2003): Latent Dirichlet Allocation. Journal of Machine Learning Research 3 (Jan), 993–1022. aber unter anderem auch in der Analyse von Gensequenzen Verwendung findet.Jonathan K. Pritchard, Matthew Stephens und Peter Donnelly (2000): Inference of population structure using multilocus genotype data. Genetics 155 (2), 945–959. Der LDA-Algorithmus modelliert die Zusammensetzung von Texten (hier: Absätzen) aus einem oder mehreren Themen („Topics“), die wiederum durch unterschiedliche Wahrscheinlichkeitsverteilungen für das Auftreten einzelner Wörter charakterisiert sind. Auf diese Weise lassen sich umfangreiche Mengen an Text verschiedenen Themenkategorien zuordnen. Eine zentrale Herausforderung bei der Nutzung des LDA-Verfahrens besteht in der Festlegung der Zahl an Themen, die durch den Algorithmus identifiziert werden sollen. Diese Zahl wurde hier durch eine Kombination statistischer Performance-Metriken und inhaltlicher Vergleiche verschiedener Topic-Lösungen bestimmt. Der LDA-Algorithmus wurde anhand der Textstellen aus den Konzernberichten der Jahre 2009 bis 2020 „trainiert“ und identifizierte acht unterschiedliche Themen. Die große Textmenge ermöglicht dem Algorithmus dabei eine trennscharfe Identifikation der Themen. Vier Themen beziehen sich dezidiert auf die Gleichstellung der Geschlechter in der Unternehmensführung. Vier weitere Themen, nämlich Ressortzuteilungen und personelle Veränderungen, Vergütung von Aufsichtsrat und Vorstand, Ausschusszusammensetzung und eine Restkategorie enthalten die für die Textselektion genutzten Keywords ohne Bezug zur Gleichstellung. Daher flossen nur die vier als relevant eingestuften Themen in die weitergehenden Trendanalysen und Vergleiche ein.
Um Gruppen („Cluster“) von Unternehmen mit ähnlichen thematischen Schwerpunkten in der Berichterstattung zu Frauen und Führungspositionen zu finden, wurde eine hierarchische Clusteranalyse auf Basis der (euklidischen) Distanzen zwischen den durchschnittlichen Themenanteilen durchgeführt. Der Zeitraum für diese Analyse wurde auf die Jahre 2015 bis 2020 beschränkt, um die aktuelleren Charakteristika der Unternehmensberichterstattung in den Fokus zu rücken.
Betrachtet man zunächst die Entwicklung der Unternehmensberichterstattung zu Frauen und Führungspositionen im Ganzen, wird deutlich, dass die beobachteten Unternehmen über die Zeit deutlich mehr berichten. So war der durchschnittliche Umfang der Berichterstattung zu Frauen und Führungspositionen, gemessen an der Zahl der Wörter, im Jahr 2020 etwa neun Mal so groß wie im Jahr 2009 (Abbildung 1). Hierbei sticht zunächst der starke Anstieg von 2009 bis 2011 ins Auge. In diesem Zeitraum, nämlich im Mai 2010, wurde die Empfehlung in den Deutschen Corporate-Governance-Kodex (DCGK) aufgenommen, dass Aufsichtsräte konkrete Ziele für ihre Zusammensetzung festlegen und dabei auf eine „angemessene Berücksichtigung von Frauen“ achten sollen. Diese Ziele sollen im Geschäftsbericht veröffentlicht werden. Der nächste sprunghafte Anstieg fand von 2014 auf 2015 statt. Im Mai 2015 trat das FüPoG I mit seinen eingangs skizzierten Berichtspflichten in Kraft. Seither bleibt die durchschnittliche Berichterstattung zum Thema auf dem Niveau von etwa 650 bis 850 Wörtern pro Konzernabschluss.
Bei genauerer Betrachtung der Inhalte der Unternehmensberichterstattung zu Frauen und Führungspositionen mithilfe des sogenannten Topic-Modelings (Kasten) lassen sich vier zentrale Themen identifizieren:
Diese Themen werden durch typische Begriffe charakterisiert, die in unterschiedlicher Häufigkeit in den Konzernberichten auftauchen. Eine Auswahl zentraler Begriffe jeden Themas kann in Form einer sogenannten Wortwolke veranschaulicht werden (Abbildung 2).
Bei den beiden erstgenannten Themen (Quote und Zielgrößen für Aufsichtsrat und Vorstand; Zielgrößen unterhalb des Vorstands) handelt es sich um Compliance-Themen, deren primäre Funktion darin besteht, die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen und Berichtspflichten zu Quoten und Zielgrößen zu signalisieren. Das Thema „Qualifikationen des Aufsichtsrats und Vorstands“ widmet sich vornehmlich der Legitimation der Besetzung der Führungsgremien durch die Darstellung der Qualifikationen und der Diversität aller Mitglieder. Hierbei werden weniger das Geschlecht, sondern vielmehr andere Diversitätsdimensionen hervorgehoben, wie Internationalität, Alter und verschiedenartige Fachkenntnisse. Das Thema „Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen“ legt schließlich dar, wie Unternehmen die Gleichstellung von Frauen und Männern in Führungspositionen aktiv fördern, also das „Wie“ der Gleichstellung. Dazu zählen unter anderem Maßnahmen zur unternehmensinternen Identifizierung von Frauen für Führungspositionen, zur Gewinnung von Mitarbeiterinnen auf dem externen Arbeitsmarkt und zur Identifizierung und Beseitigung von Faktoren, die die Karrieren und die Beförderung von Frauen im Unternehmen behindern. Außerdem geht es darum, Verantwortungsstrukturen für die Gleichstellung der Geschlechter im Unternehmen zu etablieren, Führungskräfte für die Themen Gender und Diversity zu sensibilisieren und um Maßnahmen zur Schulung, Beratung und Vernetzung von Frauen.
Hinter den bisher dargestellten Gesamttrends in der Berichterstattung lässt sich eine fortdauernde Divergenz zwischen den Unternehmen feststellen. Auf Basis der identifizierten Berichtsthemen können für jeden Bericht die Textanteile bestimmt werden, die jeweils auf die einzelnen Themen entfallen. Analysiert man diese relativen Textanteile in der jüngeren Berichterstattung der Unternehmen aus den Jahren 2015 bis 2020, lassen sich die untersuchten DAX-Unternehmen in zwei Cluster ähnlicher Größe unterteilen: ein gleichstellungsorientiertes Cluster und ein complianceorientiertes Cluster. In den beiden Clustern sind jeweils Unternehmen mit ähnlicher thematischer Schwerpunktsetzung in ihrer Berichterstattung über Frauen und Führungspositionen zusammengefasst. Die insgesamt 23 Unternehmen im gleichstellungsorientierten Cluster räumen im Durchschnitt insbesondere Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen einen großen Raum ein (Abbildung 3). Im complianceorientierten Cluster, dem 28 Unternehmen angehören, liegt der Hauptschwerpunkt der Berichterstattung auf der Erfüllung der gesetzlich vorgeschriebenen Berichtspflichten, insbesondere zu Quoten und Zielgrößen in Aufsichtsrat und Vorstand. Die Unternehmen dieses Clusters beschäftigen sich im Durchschnitt deutlich weniger mit aktiven Gleichstellungsmaßnahmen.
Die Trends in der Berichterstattung dieser beiden Cluster weisen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede auf. Gemeinsam ist beiden Clustern die Zunahme der Berichterstattung über die Themen Quoten und Zielgrößen in Aufsichtsrat und Vorstand sowie über Zielgrößen unterhalb des Vorstands parallel zur Einführung gesetzlicher Berichtspflichten. So ist der sprunghafte Anstieg des durchschnittlichen Berichtsumfangs ab 2015 primär auf die Zunahme dieser Compliance-Berichterstattung mit Bezug zum FüPoG zurückzuführen. Bei der Frage nach dem „Wie“ der Gleichstellung zeichnet sich dagegen ein klarer Unterschied zwischen den Clustern ab: Die Unternehmen im gleichstellungsorientierten Cluster weisen eine beträchtliche Zunahme in der Berichterstattung über Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen auf (Abbildung 4). Unter den complianceorientierten Unternehmen dagegen hat die Berichterstattung zu diesem Thema seit 2011 im Durchschnitt sichtlich abgenommen. Insgesamt haben sich so im Kontext der Einführung von Empfehlungen zu Diversity im DCGK im Jahr 2010, der Einführung des FüPoG im Jahr 2015 und insbesondere des CSR-RUG im Jahr 2017 die Unterschiede in der Berichterstattung zwischen den beiden Clustern deutlich vergrößert.
Somit nutzt nur etwas weniger als die Hälfte der betrachteten Unternehmen – nämlich die gleichstellungsorientierten – die Gelegenheit, umfassend über aktive Bemühungen auf dem Weg zur Gleichstellung der Geschlechter zu berichten und sich so als moderne, diverse Organisationen zu präsentieren. Die andere Hälfte der Unternehmen – die complianceorientierten – beschränken sich überwiegend darauf, die Einhaltung der neuen gesetzlichen Berichtspflichten zu signalisieren.
Die Analysen zeigen, dass es trotz einheitlicher gesetzlicher Regelungen zur Berichterstattung über Frauen und Führungspositionen Unterschiede in der Art und Weise gibt, in der Unternehmen das Thema aufgreifen. Vor diesem Hintergrund – und mit Blick auf die potenzielle Reputationswirkung der Unternehmensberichterstattung – stellt sich die Frage, inwieweit diese Unterschiede in der Berichterstattung der Unternehmen darauf hinweisen, ob sie sich substanziell für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen engagieren oder ob sie lediglich auf Compliance mit den gesetzlichen Regelungen bedacht sind.
Um diese Frage beantworten zu können, wurden die Zusammenhänge zwischen der Gleichstellungs- beziehungsweise Compliance-Orientierung in den Jahresabschlüssen und den Frauenanteilen in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen betrachtet. Demnach wiesen die Unternehmen im gleichstellungsorientierten Cluster im Jahr 2022 mit durchschnittlich 40 Prozent einen deutlich höheren Frauenanteil im Aufsichtsrat auf als die Unternehmen im complianceorientierten Cluster mit 34 Prozent (Tabelle). Dieser Unterschied ist auch im statistischen Sinne signifikant.In einem konservativen zweiseitigen T-Test auf unterschiedliche Mittelwerte, mit p<0,05 und angenommener Heteroskedastizität. Der Anstieg des Frauenanteils im Aufsichtsrat seit 2015 war im gleichstellungsorientierten Cluster mit 13 Prozentpunkten zudem etwas höher als im complianceorientierten Cluster (elf Prozentpunkte). Beim Frauenanteil im Vorstand lagen beide Unternehmenscluster im Jahr 2022 mit 20 Prozent gleichauf. Auch hier war der Anstieg des Frauenanteils seit 2015 im gleichstellungsorientierten Cluster mit 15 Prozentpunkten etwas höher als im complianceorientierten Cluster (zwölf Prozentpunkte). Konkret bedeutet dies, dass die durchschnittliche Zahl von Frauen im Vorstand in den Jahren 2015 bis 2022 bei den gleichstellungsorientierten Unternehmen von 0,33 auf 1,18 gestiegen ist, bei den complianceorientierten dagegen von 0,55 auf 1,16.Im Durchschnitt hatten die untersuchten Unternehmen im Jahr 2022 einen etwa fünfköpfigen Vorstand (5,49) und einen etwa fünfzehnköpfigen Aufsichtsrat (14,68).
In Prozent
Frauenanteil im Aufsichtsrat | Frauenanteil im Vorstand | |||
---|---|---|---|---|
2015 | 2022 | 2015 | 2022 | |
Gleichstellungsorientierte Unternehmen | 27 | 40 | 5 | 20 |
Complianceorientierte Unternehmen | 23 | 34 | 8 | 20 |
1 Die Auswertung basiert auf den Konzernabschlüssen aller Unternehmen, die im Zeitraum 2009 bis 2022 im DAX-30 beziehungsweise DAX-40 vertreten waren (insgesamt 51 Unternehmen). Das gleichstellungsorientierte Cluster besteht aus 23 Unternehmen, das complianceorientierte aus 28 Unternehmen.
Quelle: Eigene Erhebungen und Berechnungen.
Unter den großen börsennotierten Unternehmen hatten also jene, die in ihrer Berichterstattung einen thematischen Fokus auf konkrete Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen legten, in den Folgejahren einen höheren Frauenanteil in ihren Aufsichtsräten und einen gleich hohen Frauenanteil in ihren Vorständen. Außerdem konnten diese Unternehmen in beiden Gremien einen höheren Anstieg des Frauenanteils verzeichnen als diejenigen Unternehmen, die sich in ihren Berichten überwiegend auf die Erfüllung der gesetzlichen Pflichtangaben beschränkten. Insofern ist die Berichterstattung der Unternehmen über deren Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen durchaus ein Signal für Stakeholder: Sie können über diesen Weg Unternehmen identifizieren, die die Gleichstellung der Geschlechter in Führungspositionen aktiv und konkret verbessern wollen.
Wie die Analysen zeigen, hat die Einführung gesetzlicher nichtfinanzieller Berichtspflichten durch das FüPoG und das CSR-RUG die Berichterstattung der Unternehmen zu Frauen und Führungspositionen nachhaltig verändert. So machen große, börsennotierte Konzerne in ihren Jahresabschlüssen im Durchschnitt mittlerweile deutlich mehr Angaben zu diesem Thema als noch vor einigen Jahren. Gleichzeitig bestehen hinsichtlich der Art, wie Unternehmen über Frauen und Führungspositionen berichten, und hinsichtlich der Inhalte deutliche Unterschiede, die mit der Einführung gesetzlicher Berichtspflichten noch zugenommen haben. Die unterschiedlichen thematischen Schwerpunktsetzungen in der Unternehmensberichterstattung gewähren Einblicke, mit welchen strategischen Orientierungen Unternehmen der gesellschaftlichen Forderung nach Gleichstellung der Geschlechter in Führungspositionen begegnen.
Dabei zeigt sich, dass in diesem Zusammenhang gut die Hälfte der untersuchten Unternehmen den Fokus auf Compliance legt – sie achten also in erster Linie darauf, die gesetzlichen Mindestanforderungen zur Berichterstattung bezüglich Zielgrößen und Frauenanteilen in ihren Führungsgremien zu erfüllen. Gleichstellung wird hier als externe Forderung präsentiert, zu der man Stellung bezieht. Dieses vergleichsweise geringe Engagement spiegelt sich auch im tatsächlichen Frauenanteil in den Aufsichtsräten dieser Unternehmen wider, der im Durchschnitt nur leicht über der gesetzlich vorgeschriebenen Quote von 30 Prozent liegt.
Die andere Hälfte der Unternehmen dagegen berichtet über die Pflichtangaben hinaus umfangreich über das „Wie“ der Gleichstellung, also ihre konkreten, aktiven Maßnahmen zur Gleichstellung der Geschlechter in Führungspositionen. Für diese Unternehmen sind Berichtspflichten offenbar ein Anlass, tiefergehende Strategien zur Verbesserung der Chancengleichheit darzustellen. Solche Berichterstattung, die über die bloße Compliance mit gesetzlichen Berichtspflichten hinausgeht, kann als Signal eines substanziellen (und nicht nur symbolischen) Engagements für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen wirken. Dies wird sowohl mit Blick auf die stärkere Beteiligung von Frauen in den Aufsichtsräten dieser Unternehmen sichtbar als auch mit Blick auf die Bandbreite dargestellter Maßnahmen, die geeignet sind, die Teilhabe von Frauen an Führungspositionen zu erhöhen.
Über die Angaben zu aktuellen Frauenanteilen und Zielgrößen für Führungsgremien hinaus stellt also auch der unstrukturierte inhaltliche Teil der Berichterstattung zu Frauen und Führungspositionen eine wertvolle Informationsquelle dar: Stakeholder, Wettbewerber und die Öffentlichkeit erhalten so Einblicke in den aktuellen Stand der Gleichstellung in Unternehmen, können unterschiedliche Herangehensweisen vergleichen und Best Practices identifizieren. Gesetzliche Berichtspflichten haben die Unternehmenstransparenz unter dem Strich also erhöht, indem sie deutlicher hervortreten lassen, wie sich Unternehmen zum Thema Gleichstellung positionieren.
Themen: Unternehmen, Gender, Arbeit und Beschäftigung
JEL-Classification: D22;J78;K38;M12;M14;M51
Keywords: accountability, board composition, board diversity, boards of directors, CEOs, corporate boards, corporate governance, CSR, diversity, executive boards, female directors, gender equality, gender quota, Germany, leadership positions, managers, non-financial disclosure, non-financial reporting, private companies, public companies, supervisory boards
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-3-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/268704