DIW Wochenbericht 5 / 2023, S. 56
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Seit dem 1. Januar 2021 leisten nur noch etwa zehn Prozent der deutschen Steuerzahler*innen den Solidaritätszuschlag. Prompt reichten Betroffene Klage ein. Die erste ist nun vom Bundesfinanzhof abgewiesen worden. Generell kann dieser solche Klagen abweisen oder sie dem Bundesverfassungsgericht vorlegen – wo bereits die Klage der FDP auf Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlags anhängig ist. Üblicherweise vertritt das zuständige Ministerium seine Position vor Gericht. Darauf hat das Finanzministerium allerdings kurzfristig verzichtet.
Das am häufigsten angeführte Argument gegen den Soli ist wohl, er diene dem Aufbau Ost und dieser sei beendet. Dies kann aber nicht überzeugen: Der Solidaritätszuschlag ist eine eigene Steuer und Steuern dürfen per Definition nicht zweckgebunden sein. Allerdings wurde der im Jahr 1995 eingeführte Solidaritätszuschlag mit dem hohen Finanzbedarf des Bundes infolge der deutschen Teilung begründet. Zu schlussfolgern, dass die Einnahmen einen Bezug zu diesen Ausgaben haben müssen, ist somit naheliegend. Nicht richtig ist allerdings, dass mit dem Auslaufen des zweiten Solidarpakts – über den ein wesentlicher Teil der teilungsbedingten Ausgaben geleistet wurde – der Bund solche Lasten nicht mehr schultert.
Noch immer liegt das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner*in in den ostdeutschen Ländern bei nur rund 74 Prozent dessen, was in den westdeutschen Ländern erwirtschaftet wird. Dies ist auch teilungsbedingt. Die daraus resultierende Finanzschwäche federt der Bund durch allgemeine Zuweisungen ab. Besondere Zuweisungen kommen wegen der nach wie vor höheren strukturellen Arbeitslosigkeit hinzu. Die geringere Wirtschaftskraft führt beim Bund zu höheren Ausgaben je Einwohner*in beim Bürgergeld, bei den Kosten der Unterkunft oder beim Wohngeld. Auch die Belastungen der gesetzlichen Rentenversicherung durch die deutsche Teilung – diese werden wegen der Abwanderung junger und qualifizierter Bevölkerungsteile von Ost nach West in Zukunft zu- statt abnehmen – schlagen sich über den Zuschuss im Bundeshaushalt nieder. Schließlich fließen wegen der geringeren Wirtschaftskraft auch überproportional hohe Ausgaben für Wirtschaftsförderung in den ostdeutschen Landesteil. Alles in allem dürften sich für den Bund so immer noch teilungsbedingte Lasten in Höhe eines niedrigen zweistelligen Milliardenbetrags ergeben.
Auch das zweithäufigste Argument für die „Verfassungswidrigkeit“, eine Ergänzung(-sabgabe) zur Einkommensteuer dürfe nur befristet erhoben werden, sie solle schließlich nur Bedarfsspitzen finanzieren, kann nicht überzeugen. Zwar ist der Begriff „Solidaritätszuschlag“ für die Meisten wohl untrennbar mit der deutschen Einheit verbunden, zwingend ist dies aber nicht. Im Jahr 1991/1992 wurde der Solidaritätszuschlag mit der Begründung erhoben, dass der Bundeshaushalt durch den Golfkrieg und den Zusammenbruch der Sowjetunion stark belastet sei. Dass der Bund derzeit durch den Ukrainekrieg besonders hohen Ausgaben gegenübersteht, wird wohl niemand in Zweifel ziehen. Und es wäre naiv davon auszugehen, künftig mit dem Sondervermögen Bundeswehr alle weiteren Belastungen auffangen zu können. Dafür sind die Investitionsrückstände zu hoch, dafür hinken die deutschen Militärausgaben zu stark hinter der eingegangenen Verpflichtung, jährlich dauerhaft mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben, her. Ein Solidaritätszuschlag kann somit nach wie vor ökonomisch gut begründet werden.
Für den Bund ist die Haushaltslage derzeit auch mit Soli schwierig: Aufgrund neuer Maßnahmen klaffen bereits heute Lücken in der mittelfristigen Finanzplanung. Eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben, möglicherweise neue Ausgaben für Klima- und Digitalwende, die unweigerlich zulasten des Bundes gingen, und die proklamierte Einhaltung der Schuldenbremse – dies ist auch ohne die Abschaffung des Rest-Solis bereits die Quadratur des Kreises. Aus finanzpolitischer Sicht ist es wenig nachvollziehbar, dass entgegen ursprünglicher Absichtserklärung am 17. Januar kein*e ministerielle*r Vertreter*in bei der Anhörung vor dem Bundesfinanzhof Position bezogen hat.
Themen: Steuern
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-5-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/268709