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Die Gewährung voller Rentenansprüche bei Midijobs ist wenig zielgenau: Interview

DIW Wochenbericht 7 / 2023, S. 83

Hermann Buslei, Erich Wittenberg

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Herr Buslei, wer einen sogenannten Midijob hat, zahlt nur einen reduzierten Sozialversicherungsbeitrag. Was genau ist ein Midijob und was hat es mit dieser Förderung auf sich? Die Midijob-Zone liegt in einem Einkommensbereich oberhalb der sogenannten Geringfügigkeitsgrenze und reicht von 520 Euro bis 2000 Euro Monatseinkommen. Der Gesamtsozialversicherungsbeitragssatz von 40,45 Prozent, der in diesem Bereich sonst fällig wäre, wird an der unteren Grenze dieses Einkommensbereichs auf 28 Prozent gesenkt und steigt von dort aus bis zur Midijob-Grenze von 2000 Euro auf den normalen Satz an. Die Besonderheit dieser Midijob-Förderung ist, dass trotz der reduzierten Rentenversicherungsbeiträge der volle Rentenanspruch erworben wird.

Wie hoch ist die monatliche Entlastung für die einzelne betroffene Person? Die einzelnen Beschäftigten werden durch diese Regelung alleine bei den Beiträgen zur Rentenversicherung um zwölf Euro pro Monat entlastet. Die Gesamtentlastung bei allen Sozialversicherungsbeiträgen beläuft sich dann auf knapp 27 Euro.

Welche Kosten entstehen der gesetzlichen Rentenversicherung durch die reduzierten Beiträge? Insgesamt ergibt unsere Schätzung etwa 6,2 Millionen begünstigte Personen. Der Rentenversicherung entgeht pro Jahr knapp eine Milliarde Euro durch diese Regelung.

Kommen die Entlastungen tatsächlich den Personen zugute, die sie auch brauchen? Die Entlastung innerhalb des Bereichs von 520 bis 2000 Euro ist ausschließlich an das Arbeitsentgelt pro Monat gebunden. Nicht geprüft wird, ob die Person einen hohen Stundenlohn für den Midijob erhält und in diesem Bereich nur deshalb liegt, weil sie wenige Stunden arbeitet. Es wird auch nicht überprüft, ob diese Person über ein hohes Haushaltseinkommen oder über sonstige Einkommen neben dem Arbeitsentgelt verfügt. Personen, auf die das zutrifft, werden später wahrscheinlich nicht von Altersarmut betroffen sein. Wenn die Förderung auch Altersarmut vermeiden soll, ist sie also nicht zielgenau, weil ein Teil auf Personen entfällt, die vermutlich nicht von Altersarmut betroffen sein werden.

Wie könnte die Entlastung zielgenauer erfolgen? Das ist gar nicht so einfach. Man müsste dann das Finanzierungsvolumen der Förderung umschichten hin zu einer Maßnahme, die tatsächlich die beobachteten niedrigen Alterseinkommen erhöhen würde. Eine Möglichkeit, in diese Richtung zu gehen, besteht darin, dass man den schon bestehenden Grundrentenzuschlag mit geringeren Voraussetzungen versehen würde. Man könnte auch die dort erfolgte Förderung erhöhen oder die Einkommensanrechnung vermindern.

Wie verträgt sich die Midijob-Förderung mit dem Äquivalenzprinzip, nach dem sich die Höhe der Rente aus der Zahl der Beitragsjahre und der Höhe des Einkommens berechnet? Das Äquivalenzprinzip sieht keine Unterstützung oder Umverteilung nach dem Einkommen vor und wir haben es hier, wie ich meine, mit einer begrenzten Durchbrechung dieses Prinzips zu tun. Das Äquivalenzprinzip hat allerdings in der jüngsten Zeit schon einige Kritik erfahren, insbesondere weil Personen, die über hohe Einkommen verfügen und damit auch hohe Rentenanwartschaften erwerben, auch länger leben und damit deutlich überproportional von der Rentenversicherung profitieren. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass solche umverteilenden Maßnahmen den Gruppen, die geringere Einkommen und damit auch eine eher kurze Lebenserwartung aufweisen, zugutekommen würden. Diese Maßnahmen der Umverteilung weisen zumindest in die richtige Richtung.

Das Gespräch führte Erich Wittenberg.

O-Ton von Hermann Buslei
"Die Gewährung voller Rentenansprüche bei Midijobs ist wenig zielgenau" - Interview mit Hermann Buslei

Hermann Buslei

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Staat

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