DIW Wochenbericht 8 / 2023, S. 87-94
Gökhan Ider, Alexander Kriwoluzky, Frederik Kurcz, Ben Schumann
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„Wir sehen erste Erfolge der EZB-Zinspolitik, denn die Inflationsraten waren in den vergangenen Monaten leicht rückläufig. Der EZB gelingt es auch, die Inflationserwartungen einzufangen. Da gab es immer mehr Abweichungen nach oben. Nun gehen sie aber zurück Richtung Zwei-Prozent-Ziel.“ Alexander Kriwoluzky
Durch die Corona-Pandemie und insbesondere den russischen Angriffskrieg in der Ukraine sind die Energiepreise stark gestiegen. Die damit einhergehende hohe Verbraucherpreisinflation zwingt die Europäische Zentralbank (EZB) ihrem Mandat entsprechend zum Handeln. Jedoch äußerte die EZB zunächst selbst Zweifel, etwas gegen die Energiepreissteigerungen ausrichten zu können. Wie dieser Wochenbericht auf Basis einer Analyse struktureller Zusammenhänge im Euroraum unterstreicht, ist die EZB mit Blick auf die Energiepreisentwicklung jedoch alles andere als machtlos: Nachdem bereits im vergangenen Jahr in einem Wochenbericht gezeigt wurde, dass Kraftstoff- und Heizkosten im Zuge einer Zinserhöhung grundsätzlich sinken, identifiziert der vorliegende Bericht drei geldpolitische Wirkungskanäle. Dabei kommt es zu teils gegenläufigen Effekten. Es zeigt sich aber, dass die EZB mit Leitzinserhöhungen die Energiepreise unter dem Strich tatsächlich dämpfen kann.
Was kann eine Zentralbank gegen steigende Inflation tun? Wenige Fragen sind in der Ökonomie so gut erforscht wie diese. Die kurze Antwort lautet: die Zinsen erhöhen. Ein höherer Leitzins hebt das allgemeine Zinsniveau an – in der Folge investieren Unternehmen weniger und die privaten Haushalte schränken ihren Konsum ein. Der resultierende gesamtwirtschaftliche Rückgang der Nachfrage wirkt dann dämpfend auf die Preise.
Deswegen überraschte es, als die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, angesichts stark steigender Preise sagte, dass eine Zinserhöhung dem Preisanstieg keinen Einhalt gebieten könne.EZB-Präsidentin Christine Lagarde sagte am 7. Februar 2022 im Rahmen des EU Parliament’s Monetary Dialogue: „Now, if we were to take monetary policy action [...] and rapidly hiking interest rates, would that have an impact on energy prices right away? I don’t think so.“ Hintergrund der Aussage war, dass der Preisanstieg im Euroraum vor allem auf einen Anstieg der Energiepreise zurückgeführt werden konnte (Abbildung 1). Nachdem die Preise für Öl und Gas schon im Jahr 2021 stiegen, führte der Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine im vergangenen Jahr zu einem weiteren starken Preisanstieg. In diesem Umfeld könne – so eine verbreitete Auffassung – eine Zinserhöhung ihren Zweck verfehlen, da die Nachfrage nach Energie davon nicht beeinflusst werde. Zudem hätte eine Nachfrageveränderung im Euroraum nicht unbedingt eine Veränderung der Preise für Energie zur Folge, da wichtige Energiepreise wie Öl auf dem Weltmarkt bestimmt würden. Zudem verbillige eine Aufwertung des Euro relativ zum US-Dollar zwar Öl im Euroraum, diese Preisveränderung müsse aber nicht zwingend an die Konsument*innen weitergegeben werden.Vgl. beispielsweise Carin van der Cruijsen, Jakob De Haan und Maarten Van Rooij (2023): High inflation erodes trust in the ECB. VoxEU (online verfügbar; abgerufen am 9. Februar 2023. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt); und Kai Philipp Christoffel, Günter Coenen und Anders Warne (2008): The new area-wide model of the euro area: a micro-founded open-economy model for forecasting and policy analysis. ECB working paper 944.
In diesem Wochenbericht wird mithilfe eines Zeitreihenmodells für den Euroraum untersucht, inwiefern eine Zinsveränderung die Energiepreise beeinflusst, indem ein struktureller Effekt von Zinsänderungen der EZB im Euroraum für den Zeitraum 1999 bis 2020 geschätzt wird. Zudem wird gezeigt, durch welche Kanäle die Zinsveränderung auf die Wirtschaft wirkt. In der ökonometrischen Analyse werden unterschiedliche Kanäle identifiziert, durch die die Geldpolitik die Energiepreise im Euroraum beeinflussen kann.Eine theoretische Fundierung der Kanäle und weitere Ergebnisse sind nachzulesen in Gökhan Ider et al. (2023): Can the ECB influence consumer energy prices? DIW Discussion Paper 2033, im Erscheinen.
Um die Effekte der Geldpolitik der EZB auf den Euroraum abzuschätzen, wird ein Strukturelles Vektorautoregressives Modell (SVAR-Modell) verwendet, in dem die Zinsen der einjährigen Bundesanleihen, die Industrieproduktion, Verbraucherpreise, Energiepreise, der Wechselkurs des Euro zum US-Dollar, ein Kreditzins-Spread und der Ölpreis der Sorte Brent abgebildet sind (Kasten 1). Exogene Effekte der Geldpolitik werden durch die Zinsen im Euroraum kurz vor und kurz nach der Bekanntgabe von Zinsentscheidungen beziehungsweise durch deren Differenz gemessen. Dadurch lassen sich kausale Effekte der Geldpolitik auf die Wirtschaft des Euroraums isolieren, da die Zinsdifferenz die unerwartete und dementsprechend nicht an den Finanzmärkten eingepreiste geldpolitische Entscheidung widerspiegelt (Kasten 2).
In diesem Wochenbericht wird anhand eines empirischen Modells gezeigt, wie sich die geldpolitischen Entscheidungen der EZB auf die Verbraucherpreise und die Wirtschaftsaktivität im Euroraum auswirken. Dafür kommt eine der modernsten empirischen Methoden zum Einsatz, das Bayesianische-Proxy-Strukturelle-Vektorautoregressive-Zeitreihenmodell (BP-SVAR)Jonas E. Arias et al. (2021): Inference in Bayesian Proxy-SVARs. Journal of Econometrics, 225, 88–106., um die dynamische Struktur der Wirtschaft des Euroraums zu erfassen. Das BP-SVAR-Modell wird mit Euroraumdaten von Januar 1999 bis Februar 2020 geschätzt.Der Stichprobenzeitraum umfasst nicht die Covid-19-Pandemie ab März 2020. Ein längerer Stichprobenzeitraum, der die Pandemie einschließt, ändert jedoch nichts an den Ergebnissen, vgl. Ider et al. (2023), a.a.O.
Das Basismodell für die Wirtschaft des Euroraums umfasst die Rendite einjähriger Bundesanleihen, den Industrieproduktionsindex, den Verbraucherpreisindex, die Energiekomponente des Verbraucherpreisindexes, den Brent-Ölpreis, ein Maß für die Kreditrisikoprämie sowie den Wechselkurs des Euro zum US-Dollar. Das Modell enthält Standardvariablen, um die notwendige makroökonomische Dynamik in der Wirtschaft zu erfassen, und wird erweitert, um die Auswirkungen der EZB-Geldpolitik auf die Verbraucherpreise für Energie über den Wechselkurs und den Ölpreis zu schätzen. Das Modell hat eine monatliche Frequenz, enthält eine Konstante sowie zwölf Vergangenheitswerte für jede Variable. Zwar erlaubt die bayesianische Schätzmethode, zusätzliche Informationen in das Schätzverfahren aufzunehmen, jedoch wird davon in dieser Studie kein Gebrauch gemacht. Demnach reflektieren die Ergebnisse die Informationen aus den zugrundeliegenden Zeitreihen. Die geschätzten geldpolitischen Effekte werden anhand von Impuls-Antwort-Funktionen präsentiert, die eine durchschnittliche dynamische Reaktion der Variablen im modellierten System auf eine Zinserhöhung widergeben. Das verwendete SVAR-Modell ist linear, daher gelten die genau umgekehrten Resultate für eine Zinssenkung.
Die Auswirkungen der Geldpolitik auf die Wirtschaft können nur dann genau untersucht werden, wenn Änderungen in der Zentralbankpolitik ermittelt werden, die keine endogenen Reaktionen auf wirtschaftliche Fundamentaldaten und damit erwartbar sind. Solche exogenen Änderungen der Geldpolitik werden als geldpolitische Schocks bezeichnet, die nicht erwartet und daher nicht schon eingepreist sind. Die Ankündigung geldpolitischer Entscheidungen durch die Zentralbank bietet die Möglichkeit, unerwartete Änderungen der Geldpolitik zu isolieren, und kann daher zur Messung der Auswirkungen der Geldpolitik auf die Wirtschaft verwendet werden.Mark Gertler und Peter Karadi (2015): Monetary Policy Surprises, Credit Costs, and Economic Activity. American Economic Journal: Macroeconomics, 7, 44–76.
Hier wird die moderne Hochfrequenz-Identifikationsmethode verwendet, die solche unerwarteten Veränderungen in der Geldpolitik isoliert, indem Veränderungen der Zins-Futures in einem engen Zeitfenster um die Ankündigung der Zentralbank herum gemessen werden. Angenommen wird, dass, wenn sich die Markterwartungen über die Geldpolitik verändern, sich auch die Zins-Futures verändern. Darüber hinaus verändern sich die Futures höchstwahrscheinlich nur aufgrund der Geldpolitik, da in dem kurzen Zeitraum um die Entscheidung nicht systematisch andere Effekte auftreten. Dies hat sich in den grundlegenden Arbeiten der einschlägigen Literatur als eine gültige und vernünftige Annahme erwiesen. In der Regel veröffentlicht die EZB ihren geldpolitischen Beschluss in einer Pressemitteilung am Tag der geldpolitischen Sitzung des EZB-Rats, gefolgt von einer Pressekonferenz. Als geldpolitische Überraschung wird die Veränderung des Drei-Monats-Overnight-Index-Swap-Satzes (OIS) vor der Pressemitteilung und nach der Pressekonferenz betrachtet.Hochfrequenzdaten wurden der Euro Area Monetary Policy Event-Study Database (EA-MPD) entnommen, die der folgenden Publikation anhängig sind: Carlo Altavilla et al. (2019): Measuring euro area monetary policy. Journal of Monetary Economics, 108, 162–179. Darüber hinaus wird die „poor man’s“-Vorzeichenbedingung verwendet, um Informationseffekte eines Zinsentschlusses herauszufiltern.Marek Jarocinski und Peter Karadi (2020): Deconstructing Monetary Policy Surprises – The Role of Information Shocks. American Economic Journal Macroeconomics, 12, 1–43.
Diese identifizierte unerwartete Änderung der Politik wird als Instrument im Zeitreihenmodell verwendet, um die exogenen Änderungen der Geldpolitik zu erfassen. Der geldpolitische Kurs wird durch einen Zinssatz im Zeitreihenmodell dargestellt, der in diesem Fall derjenige für einjährige deutsche Staatsanleihen ist.
Die Analyse zeigt, dass infolge einer Zinserhöhung die Industrieproduktion und die Konsument *innenpreise sinken, was im Einklang mit gängigen monetären Theorien steht (Abbildung 2).Jordi Galí (2015): Monetary policy, inflation, and the business cycle: an introduction to the new Keynesian framework and its applications. Princeton University Press; Frank Smets und Rafael Wouters (2007): Shocks and frictions in US business cycles: A Bayesian DSGE approach. American Economic Review, 97(3), 586–606. Die Rendite der weithin als sicher geltenden Bundesanleihe steigt nach der Zinserhöhung (die in der Analyse auch als „Schock“ bezeichnet wird) um wenige Basispunkte und führt zu einer Verringerung des Verbraucherpreisindexes um etwas weniger als 0,1 Prozent. Die Energiepreise sinken jedoch um mehr als das Fünffache. In den Verbraucherpreisindex fließen aus dem Energiebereich hauptsächlich Heizenergie- und Strompreise sowie Kraftstoffpreise für den privaten Verkehr ein. Ausschlaggebend für den im Vergleich zum Gesamtindex kräftigen Rückgang der Energiepreise ist die Reaktion des Wechselkurses und des Ölpreises, da Öl der wichtigste Treiber der Energiepreise ist.Öl ist mit 45 Prozent (im Jahr 2019) der wichtigste Energierohstoff im Warenkorb, der dem Verbraucherpreisindex zugrunde liegt. Da für Investor*innen die Anlage in Euro durch die Zinserhöhung attraktiver wird, wertet der Euro zum US-Dollar auf. Ein zentrales, neues Ergebnis dieser Studie ist der Einfluss der EZB-Geldpolitik auf den globalen Ölpreis, der stark fällt. Dies impliziert, dass der Euroraum ein nicht zu unterschätzendes Gewicht auf dem globalen Markt für Energie und insbesondere Öl aufweist. Daher ist es von zentraler Bedeutung, den Nachfragerückgang, den die EZB durch Zinserhöhungen erzeugt, auch für den Ölmarkt zu berücksichtigen.
Die EZB kann mit ihrer Geldpolitik also nicht nur die Energiepreise beeinflussen, sondern diese reagieren verglichen mit dem Gesamtindex zudem außergewöhnlich stark auf eine Zinserhöhung.
Um zu verstehen, warum die Energiepreise (so stark) auf die Zinsänderung reagieren, ist es essenziell, die Effekte der Geldpolitik auf den globalen Ölpreis und den Wechselkurs des Euro zum US-Dollar zu betrachten. Insbesondere lassen sich dabei drei Wirkungskanäle unterscheiden. Um die Bedeutung der unterschiedlichen Transmissionskanäle zu quantifizieren, werden drei kontrafaktische Szenarien (Kasten 3) simuliert, in denen die jeweiligen Kanäle wirken. Der Unterschied zwischen der Reaktion der Energiepreise im ursprünglichen SVAR-Modell und der Reaktion im kontrafaktischen Szenario gibt Aufschluss darüber, wie bedeutend die einzelnen Kanäle für die Auswirkungen der Zinsänderung auf die europäischen Energiepreise sind.
Um die Bedeutung der einzelnen Transmissionskanäle herauszuarbeiten, werden kontrafaktische Szenarien berechnet, in denen die Zinsanhebung der EZB verschiedene Variablen nicht verändert. Diese Szenarien wurden mit der Minimum-Relative-Entropy-Methode (MRE-Methode)Max Breitenlechner, Georgios Georgiadis und Ben Schumann (2022): What Goes around Comes around: How Large Are Spillbacks from US Monetary Policy? Journal of Monetary Economics, 131, 45–l60. berechnet.
Generell kann jedes kontrafaktische Szenario durch zwei Eigenschaften charakterisiert werden. Die erste Eigenschaft eines solchen Szenarios ist durch das gewünschte Versuchsergebnis gegeben, das per Definition von dem tatsächlichen Versuchsergebnis abweicht. Im Falle eines Münzwurfs, der Zahl zeigt, wäre das gewünschte kontrafaktische Ergebnis beispielsweise ein Münzwurf, der Kopf zeigt. Die zweite Eigenschaft eines Szenarios ist beschrieben durch die möglichen Umstände, die sich verändern dürfen, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Im Falle eines Münzwurfs wären dies beispielweise die Höhe des Wurfs, der Wind zum Zeitpunkt des Falls oder das Gewicht der Münze. MRE-Szenarien berechnen die nötige minimale Veränderung der Umstände, sodass das gewünschte Versuchsergebnis erzielt wird. Dies ermöglicht es, das wahrscheinlichste Szenario zu berechnen, bei dem das gewünschte kontrafaktische Ergebnis eintritt.
In der abgebildeten Anwendung ist das Ziel, die Auswirkungen eines geldpolitischen Schocks zu berechnen, der manche der endogenen Variablen nicht verändert. Die Umstände, die sich in der hier gewählten Implementation des MRE-Verfahrens verändern dürfen, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen, sind die Parameter des SVAR-Modells. Das MRE-Verfahren berechnet somit die minimale Veränderung der Parameter, so dass das gewünschte Ergebnis eintritt. Dies stellt sicher, dass das erzeugte kontrafaktische Szenario das wahrscheinlichste Szenario ist, das das gewünschte Ergebnis erzielt. Intuitiv bedeutet dies, dass die Dynamiken der anderen endogenen Variablen im SVAR-Modell so nah wie möglich an den tatsächlich beobachteten Dynamiken aus der ursprünglichen Schätzung sind.
Ein naheliegender Kanal folgt aus dem allgemeinen Nachfrage- und Produktionsrückgang im Euroraum infolge einer Zinserhöhung und der daraus resultierenden geringeren Nachfrage nach Öl. Eine Analyse auf Basis der Annahme, dass der Euroraum eine kleine offene Volkswirtschaft ist, verkennt die globale Bedeutung des Euroraums und unterbindet per Annahme jeglichen Einfluss des Euroraums auf den globalen Preis für Öl, das am Weltmarkt in US-Dollar gehandelt wird. Bliebe der globale Ölpreis also – kontrafaktisch – unbeeinflusst von der Zinsänderung, würden die Energiepreise vor allem in den ersten sechs Monaten nach dem Zinsentscheid deutlich weniger stark fallen (Abbildung 3). An der Differenz zwischen dem ursprünglichen und dem kontrafaktischen Szenario mit stabilem Ölpreis lässt sich die Bedeutung dieses geldpolitischen Kanals bemessen.Die kontrafaktischen Analysen können auch in einer strukturellen Szenarioanalyse simuliert werden, vgl. Joan Antolin Diaz, Ivan Petrella und Juan F. Rubio-Ramirez (2021): Structural scenario analysis with SVARs. Journal of Monetary Economics 117, 798–815. In Ider et al. (2023), a.a.O. wird gezeigt, dass sich die Ergebnisse dabei nicht verändern.
Das Benchmark-Modell (Abbildung 2) hat gezeigt, dass eine Zinsanhebung durch die EZB den Euro gegenüber dem US-Dollar aufwertet. Dies impliziert zwei gegenläufige Effekte mit Blick auf die Öl- und Energiepreise im Euroraum: Auf der einen Seite hat die Aufwertung des Euro zur Folge, dass die Preise für importiertes Öl in Euro fallen. Dadurch sinken die lokalen, in Euro gemessenen Energiepreise, die für Konsument*innen, Unternehmen und Zentralbanken im Euroraum von Bedeutung sind. Im Folgenden wird dieser Kanal als lokaler Preiseffekt des Wechselkurses bezeichnet.
Auf der anderen Seite steigt aufgrund der gesunkenen lokalen Energiepreise im Euroraum die Nachfrage nach Energiegütern. Dies erhöht unter anderem die globale Nachfrage nach Öl und damit den in US-Dollar gemessenen Weltmarktpreis für Öl. Somit könnte eine Aufwertung des Euro auch dazu führen, dass die lokalen, in Euro gemessenen Energiepreise steigen, da der globale Ölpreis steigt. Dies ist der globale Preiseffekt des Wechselkurses.
Aufgrund dieser gegenläufigen Effekte ist im Vorhinein nicht klar, ob der in Euro gemessene Preis von Öl und anderen Energiegütern durch die Aufwertung des Euro infolge der Zinserhöhung letztlich fällt oder steigt. Um dies zu untersuchen und dabei zwischen den beiden Effekten zu unterscheiden, werden zwei weitere kontrafaktische Szenarien berechnet (Abbildung 4 und Abbildung 5).
Das erste dieser Szenarien beinhaltet eine Zinsanhebung der EZB, in deren Folge der Euro nicht aufwertet, was Aufschluss über den Gesamteffekt des lokalen und globalen Preiseffekts des Wechselkurses gibt (Abbildung 4). Dabei zeigt sich, dass der globale Ölpreis und die lokalen Energiepreise ohne die Aufwertung des Wechselkurses stärker fallen würden. Der aufgewertete Euro trägt also offenbar dazu bei, dass die globalen und lokalen Energiepreise steigen beziehungsweise weniger stark sinken. Der globale Preiseffekt des Wechselkurses scheint also stärker zu wirken als der lokale Preiseffekt.
Das letzte kontrafaktische Szenario zeigt jedoch, dass der lokale Preiseffekt des Wechselkurses durchaus eine Rolle spielt. Das verdeutlicht eine Simulation, in der die Zinserhöhung der EZB erstens den Euro gegenüber dem US-Dollar nicht aufwertet und zweitens diese fehlende Aufwertung den globalen Ölpreis im Vergleich zum Benchmark-Modell unverändert lässt (Abbildung 5). Es zeigt sich, dass die lokalen Energiepreise ohne die Euro-Aufwertung und bei gleichbleibenden globalen Ölpreisen weniger sinken. Dies bedeutet, dass die Aufwertung des Euro durchaus einen negativen – sprich dämpfenden – Effekt auf die in Euro gemessenen Energiepreise im Euroraum hat. Dieser lokale Preiseffekt des Wechselkurses wird jedoch vom globalen Preiseffekt überkompensiert und tritt daher in den Hintergrund.
Die Analyse zeigt, dass die EZB mit ihren Zinserhöhungen die Inflation bekämpfen kann. Vor diesem Hintergrund sind die im vergangenen Jahr erfolgten Zinserhöhungen erst einmal richtig. Allerdings zeigen die Ergebnisse, dass eine Zinserhöhung auch zu einem Rückgang der Wirtschaftsleistung und zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führt. Deswegen sind die Maßnahmen der EZB mit wirtschaftlichen Kosten verbunden. Allerdings muss die EZB in dem derzeitigen inflationären Umfeld vor allem auf die Entwicklung der Inflationserwartungen achten, die essenziell für die Entwicklung der Inflation in der mittleren Frist sind. Diese kann sie mit den Zinserhöhungen einfangen und somit ihr Inflationsziel von zwei Prozent in der mittleren Frist erreichen.
Die Analyse in diesem Wochenbericht identifiziert drei Kanäle, durch die die Geldpolitik in Form einer Zinserhöhung auf die Energiepreise wirkt. Der bedeutendste Kanal ist die sinkende gesamtwirtschaftliche Nachfrage nach einer Zinserhöhung im Euroraum, in deren Folge die Preise auf dem Weltmarkt sinken. Der Euroraum ist keine kleine Volkswirtschaft, sondern ein gewichtiger Spieler auf dem Energiemarkt. Zudem zeigt die Analyse, dass die Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar infolge der Zinsanhebung der EZB dazu führt, dass der globale und in US-Dollar notierte Ölpreis steigt. Einerseits wird Öl im Euroraum durch den stärkeren Euro zwar günstiger, damit zieht aber auch die Nachfrage nach Öl an, was es – in Dollar gerechnet – wiederum teurer macht. Dieser globale Preiseffekt überkompensiert den Ölpreisrückgang in Euro durch den günstigeren Wechselkurs, also den lokalen Preiseffekt. Betrachtet man die beiden Preiseffekte des Wechselkurses zusammen, wirkt die Aufwertung des Euro nach einem Zinsanstieg dem nachfrageinduzierten Fall der lokalen und globalen Energiepreise also entgegen. Unter Berücksichtigung aller drei Transmissionskanäle zeigt sich unter dem Strich dennoch, dass eine Zinsanhebung der EZB die globalen und lokalen Energiepreise durchaus senkt, da der Euroraum weniger Energie nachfragt.
Als die EZB nach langem Zögern die Zinsen im Euroraum seit Juli 2022 sukzessive erhöhte, hat sie somit erfolgreich einen weiteren Anstieg der Inflation verhindert und die Inflationserwartungen, die die Inflation in der mittleren Frist mitbestimmen, verringert.
Themen: Ressourcenmärkte, Geldpolitik, Europa, Energiewirtschaft
JEL-Classification: E31;E52;Q43
Keywords: ECB monetary policy, energy prices, exchange rate channel
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-8-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/271736