DIW Wochenbericht 9 / 2023, S. 106
Clara Schäper, Erich Wittenberg
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Frau Schäper, der Gender Pay Gap, also der prozentuale Unterschied der durchschnittlichen Bruttostundenlöhne von Männern und Frauen, betrug im Jahr 2022 – wie schon im Jahr zuvor – 18 Prozent. Dieser Wert ist nicht für alle Beschäftigten gleich. Wo liegen die Unterschiede? Wir sehen vor allem Unterschiede im Lebensverlauf. Das bedeutet, dieser Gender Pay Gap ist nicht für jede Altersgruppe gleich. Im Alter zwischen 20 und 30 Jahren ist er mit sieben Prozent noch recht gering, steigt dann aber ab dem Alter von 30 Jahren stark an und liegt dann ab 40 Jahren konstant über 22 Prozent.
Warum ist der Gender Pay Gap bei den 20 bis 30-Jährigen noch nicht sehr ausgeprägt und steigt dann an? Eine Erklärung dafür, dass der Gender Pay Gap ab 30 rapide ansteigt, ist, dass zu diesem Zeitpunkt die Familiengründung mit der Geburt des ersten Kindes stattfindet. In dieser Zeit verbringen Frauen erst einmal mehr Zeit zu Hause, um sich um die Kinder zu kümmern. Diese unbezahlte Sorgearbeit, die sogenannte Care-Arbeit, bedeutet nicht nur Kinderbetreuung, sondern auch Kochen, Waschen, Putzen und Erledigungen. Wenn Frauen später wieder in den Beruf einsteigen, arbeiten sie oft in Teilzeit und verbringen weniger Zeit mit Erwerbsarbeit, was dann zu einem wesentlichen Teil den Gender Pay Gap erklärt.
Sie haben für den Gender Pay Gap und für den Gender Care Gap, also den Unterschied in der unbezahlten Sorgearbeit, die Verläufe über den Lebenszyklus verglichen. Was haben Sie dabei herausgefunden? Wir haben herausgefunden, dass sich die beiden Verläufe sehr parallel entwickeln, zumindest bis zum Alter von 40 Jahren. Mit Anfang 20 ist die geschlechtsspezifische Lohnlücke sowohl in den Stundenlöhnen als auch in der unbezahlten Sorgearbeit noch sehr gering. Die Lücken steigen dann bis zum Alter von 40 Jahren rapide an. Ab einem Alter von 40 Jahren jedoch beobachten wir einen Unterschied in den Verläufen. Der Gender Care Gap sinkt, während der Gender Pay Gap ab 40 Jahren konstant hoch bleibt. Das bedeutet, obwohl sich die Ungleichheit in der Sorgearbeit wieder etwas angleicht, gibt es einen langfristigen Effekt für die ungleiche Verteilung der Lohneinkünfte. Das zeigt uns, dass diese Zeit im Alter von 30 bis 40 die entscheidenden Jahre am Arbeitsmarkt sind. Wenn Frauen in diesen Jahren viel weniger Zeit am Arbeitsmarkt verbringen, hat das einen langfristigen Einfluss auf ihre Erwerbsbiografien und Verdienstmöglichkeiten.
Inwieweit gibt es regionale Unterschiede? Sowohl der Gender Pay Gap als auch der Gender Care Gap sind in Ostdeutschland geringer als in Westdeutschland. Insbesondere beim Gender Pay Gap ist der Unterschied massiv. Er liegt in Ostdeutschland im Durchschnitt über alle Altersgruppen nur bei sieben Prozent, während er in Westdeutschland 19 Prozent beträgt. Das hängt auch wieder mit der Sorgearbeit zusammen. Männer in Ostdeutschland verwenden mehr Zeit für Sorgearbeit als westdeutsche Männer. Umgekehrt verbringen ostdeutsche Frauen zwischen 30 und 40 Jahren etwas weniger Stunden pro Tag mit Sorgearbeit als westdeutsche Frauen.
Welche Bedeutung könnten Ihre Ergebnisse für künftige familienpolitische Entscheidungen haben? Wenn die Politik für die Gleichstellung von Männern und Frauen den Gender Care Gap und den Gender Pay Gap reduzieren will, muss sie diese zwei Indikatoren immer zusammen denken. Denn wenn wir eine gleichberechtigte Aufteilung in der unbezahlten Sorgearbeit erreichen, erreichen wir damit auch eine Verringerung des Gender Pay Gaps. Konkrete Politikmaßnahmen könnten hier zum Beispiel eine Erweiterung der Partnermonate im Elterngeld darstellen. Hier könnte die Politik durchaus mehr Anreize schaffen, dass bereits ab der Geburt des ersten Kindes Eltern ihre Zeit gleichberechtigter aufteilen.
p>Das Gespräch führte Erich Wittenberg.
Themen: Verteilung, Ungleichheit, Gender, Familie, Bildung