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Erneuerbare Energien in Bayern: Im Wahlkampf stirbt die Wahrheit: Kommentar

DIW Wochenbericht 9 / 2023, S. 108

Claudia Kemfert

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Es ist Wahljahr in Bayern – am 8. Oktober entscheiden die Bürger*innen im größten deutschen Flächenland über einen neuen Landtag. Die heiße Phase des Wahlkampfes wirft ihre Schatten voraus. Fakten können da schnell unter die Räder kommen oder so gebogen werden, dass sie einem in den Kram passen. So twitterte der amtierende bayerische Ministerpräsident Markus Söder Ende Januar dieses Jahres: „Bayern ist Deutscher Meister 2022 beim Ausbau Erneuerbarer Energien“. Beim Zubau liege man mit einer neu installierten Leistung von fast 2150 Megawatt „mit weitem Abstand auf Platz 1“. Dabei beruft sich Söder auf Zahlen der Bundesnetzagentur. Die bloßen Zahlen stimmen – aber stimmt auch die damit verbundene Botschaft?

Die bittere Wahrheit ist: Weder ist Bayern führend im Bereich erneuerbarer Energien, noch erfüllt das Land seine selbst gesteckten Energiewende-Ziele: So prüft beispielsweise die Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) für den Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (VBEW) regelmäßig, ob Bayern die selbst gesteckten Energiewende-Ziele erreicht. Ergebnis: Bayern ist bei keinem einzigen Indikator der Energiewende auch nur ansatzweise im Plan.

Dass Bayern im Hinblick auf die installierte Leistung der erneuerbaren Energien unübertroffen sei, ist irreführend und Rosinenpickerei. Sie stimmt nur, wenn man den Blick sehr verengt. Bayerns Anteil an den Erneuerbaren – sowohl beim Bestand als auch beim Zubau – entfällt fast komplett auf Solarenergie. Das fällt auch direkt ins Auge, wenn man die Grafik betrachtet, mit der Söder den erwähnten Tweet Ende Januar schmückte. In einem fairen Ländervergleich muss die installierte Leistung der erneuerbaren Energien in Relation zur Fläche eines Landes oder zur Bevölkerungszahl berechnet werden. Bayern ist flächenmäßig das größte Bundesland. Betrachtet man die installierte Leistung der erneuerbaren Energien pro Quadratkilometer, ist Bayern nicht Deutscher Meister, sondern liegt im hinteren Mittelfeld.

Zudem ist der Hinweis auf die absolute installierte Leistung insofern irreführend, als dass sie lediglich die maximal mögliche Leistung einer Anlage benennt und vernachlässigt, wie viele Stunden sie mit welcher Leistung tatsächlich in Betrieb ist. Da Solarenergie nachts und im Winter wenig Leistung liefert, kommen Solaranlagen hierzulande nur auf etwa halb so viele Volllaststunden pro Jahr wie Windräder. Kurzum: Ein starker Zubau der Solarenergie ist weitaus besser als nichts, aber nicht so viel wert wie ein Zubau in gleicher Größenordnung bei der Windkraft. Zumal das Potenzial dafür in Bayern aufgrund der enormen Fläche grundsätzlich vorhanden wäre.

Doch seitdem Bayern die Windenergie-Abstandsregel, die sogenannte 10H-Regel, eingeführt hat, ist das nutzbare Windenergiepotenzial in Bayern um rund 90 Prozent gesunken. Im letzten Jahr sind nur 14 Windanlagen ans Netz gegangen, bei etwa der Hälfte betrug die Planungszeit im Durchschnitt zehn Jahre. Von einem hohen Tempo beim Ausbau kann da keine Rede sein. Um die gesteckten Energiewende-Ziele zu erreichen, wäre ein Zubau von zwei großen Windanlagen pro Woche notwendig.

Der unzureichende Zubau der erneuerbaren Energien wird vor allem in der bayerischen Industrie kritisch gesehen. Völlig zu Recht weisen die Industrievertreter*innen darauf hin, dass die wirtschaftlichen Vorteile der erneuerbaren Energien in Bayern enorm sind und Bayern vor allem aufgrund des unzureichenden Zubaus der erneuerbaren Energien unter hohen Energiepreisen zu leiden hat. Auch mit Blick auf Bayerns Führungsanspruch beim Wasserstoff klaffen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. Entsprechende Anlagen und bundeslandübergreifende Wasserstoffstrategien: Fehlanzeige. Bayern droht auch hier den Anschluss zu verlieren, ein weiterer erheblicher Standortnachteil.

Wenn es Bayern gelänge, aus der aktuellen Position im hinteren Mittelfeld noch auf die Poleposition zu fahren, wäre das eine beachtliche Leistung, die angesichts der Möglichkeiten in diesem Bundesland allerdings nicht außer Reichweite ist. Dafür braucht es jedoch dringend eine ehrliche Bestandsaufnahme statt Wahlkampfpolemik.

Claudia Kemfert

Abteilungsleiterin in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt

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