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Warum Reiche in Deutschland vergleichsweise wenig spenden: Kommentar

DIW Wochenbericht 10 / 2023, S. 124

Marcel Fratzscher

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Nach dem Erdbeben in der Türkei und Syrien sind die notleidenden Menschen auf Spenden angewiesen. Die Spendenbereitschaft liegt Untersuchungen zufolge gerade nach Katastrophen sehr hoch. Nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine vor einem Jahr hatten die Menschen in Deutschland sogar mehr gespendet als jemals zuvor. Zwischen 40 und 50 Prozent der Erwachsenen spenden hierzulande jedes Jahr. Eine Studie des DIW Berlin mit dem Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) zeigt einen klaren Trend: Die Spendenbereitschaft hierzulande nimmt kontinuierlich zu. Im Jahr 2021 wurden 12,9 Milliarden Euro gespendet – deutlich mehr als die 10,3 Milliarden Euro im Jahr 2019 oder in vielen früheren Jahren.

Das Spendenverhalten in Deutschland unterscheidet sich nicht zuletzt nach dem Einkommen – allerdings anders, als viele denken würden: Zwar spenden Menschen mit geringen Einkommen seltener als Menschen mit hohen Einkommen. Wenn die zehn Prozent der Menschen mit den geringsten Einkommen jedoch spenden, dann geben sie im Durchschnitt 1,9 Prozent ihres durchschnittlichen jährlichen Einkommens. Das ist prozentual doppelt so viel wie bei den zehn Prozent der Menschen mit den höchsten Einkommen, die lediglich 0,9 Prozent des Einkommens geben. Dieser Unterschied verstärkt sich sogar, wenn man die steuerliche Absetzbarkeit von Spenden berücksichtigt, die sich nach dem individuellen Steuersatz richtet. Da Menschen mit geringen Einkommen keine oder nur eine geringe Einkommensteuer zahlen, werden sie steuerlich nicht oder nur geringfügig entlastet. Kurzum: Reiche Spender*innen in Deutschland geben gemessen an ihrem verfügbaren Einkommen deutlich weniger Geld als Menschen mit geringer Einkunft.

Was erklärt diesen Unterschied im Spendenverhalten? Ein Vergleich zwischen Deutschland und den USA kann eine Antwort bieten: In den USA ist das private Spendenaufkommen viel höher als in Deutschland, vor allem von Menschen mit sehr hohem Einkommen und Vermögen. So haben sich zahlreiche Hochvermögende in den USA dem Giving Pledge von Microsoft-Gründer Bill Gates angeschlossen und versprochen, den größten Teil ihres Vermögens noch zu Lebzeiten über Spenden an die Gesellschaft zurückzugeben. Der gesellschaftliche Konsens in den USA ist: Ein moralisches Leben führt jemand, der erfolgreich ist und viel Vermögen erwirtschaftet, aber arm stirbt und den größten Teil seines Reichtums zu Lebzeiten an die Gesellschaft spendet. In Deutschland dominiert die entgegengesetzte Logik: Ein moralisches Leben ist ein sparsames Leben mit großer Akkumulation von Vermögen, das an die nächste Generation vererbt wird.

Auch ein unterschiedliches Staatsverständnis dürfte eine wichtige Rolle spielen. Anders als in den USA sehen in Deutschland viele die soziale Sicherung primär als Aufgabe des Staates an. Dabei gilt das Motto: Ich zahle Steuern, damit der Staat die sozialen Aufgaben übernimmt und ich keine finanzielle Verantwortung mehr trage. In Bezug auf Spenden und Steuern zeigt sich in Deutschland ein Widerspruch: Viele wollen, dass der Staat die soziale Absicherung übernimmt. Gleichzeitig wird lautstark eine hohe Steuerbelastung beklagt. Viele wollen die Steuern senken, was den Sozialstaat und die Handlungsfähigkeit des Staates schwächen und damit mehr Spenden für sozial Benachteiligte erfordern würde. Die Kritik trifft allerdings nicht auf alle Hochvermögenden zu. Immer mehr Erb*innen hierzulande engagieren sich in Initiativen wie Tax Me Now. Sie haben den Wunsch, der Staat möge große Vermögen stärker besteuern, um seine Aufgaben besser erfüllen zu können, allen Bürger*innen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, sozialen Frieden zu gewährleisten und öffentliche Leistungen bereitzustellen.

Unser Verhältnis zu Spenden und Steuern in Deutschland ist also stark geprägt von einem widersprüchlichen Staatsverständnis. Mehr Bescheidenheit und Solidarität, damit eine größere Spendenbereitschaft gerade von Gutverdienenden und vor allem die Entrichtung und nicht die Vermeidung von Steuern, würden uns als Gesellschaft guttun. Aber vielleicht ist der einzige Weg, um Solidarität und soziale Absicherung zu ermöglichen, nicht eine höhere Spendenbereitschaft, sondern höhere Steuern auf große Vermögen, sodass der Staat seine Aufgaben ausreichend erfüllen kann.

Der Kommentar ist in einer längeren Version am 24. Februar 2023 bei ZEIT Online erschienen.

Themen: Verteilung

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