DIW Wochenbericht 11 / 2023, S. 127-134
Franziska Bremus, Malte Rieth
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„Offene Finanzmärkte helfen nach einer Naturkatastrophe, die Wachstumskräfte in Industrieländern zu stärken. Die Rahmenbedingungen sollten so gesetzt sein, dass ausländische Investitionen in Eigenkapital attraktiv sind. Denn hier sind die Effekte besonders deutlich.“ Malte Rieth
Aufgrund des Klimawandels kommt es häufiger zu Stürmen, Überschwemmungen und anderen Naturkatastrophen. Die vorliegende empirische Analyse zeigt, dass eine bessere Integration von Ländern in internationale Finanzmärkte die gesamtwirtschaftlichen Abwehrkräfte gegen solche Schocks stärkt. Die Produktion ist nach einer Naturkatastrophe in Volkswirtschaften, die über Auslandsforderungen und -verbindlichkeiten stark mit anderen Finanzmärkten verflochten sind, signifikant höher als in weniger integrierten Volkswirtschaften. Die empirischen Ergebnisse legen nahe, dass die Finanzierung über ausländisches Eigenkapital und auch Investitionen in ausländische Anleihen eine schnellere Erholung begünstigen. Fremdkapital aus dem Ausland kann hingegen die Erholung nach einer Naturkatastrophe bremsen. Dieser Befund unterstreicht trotz aller Vorbehalte gegen zu starke Abhängigkeiten die Vorteile globaler Verflechtungen der Finanzmärkte, die vor allem dann stabilisierend wirken können, wenn sie diversifiziert und auf Eigenkapital ausgerichtet sind. Dies sollte die Europäische Kommission berücksichtigen, wenn sie die dringend erforderliche Kapitalmarktunion vorantreibt.
Die zahlreichen, aber auch sehr verschiedenen Krisen der vergangenen Jahre haben eins gemeinsam: Sie haben die Globalisierung in Frage gestellt. Seit der globalen Finanzkrise von 2008/09 blicken viele Menschen skeptischer auf internationale finanzielle Verflechtungen. Lieferkettenstörungen im Zuge der Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben die Nachteile von wirtschaftlichen Abhängigkeiten spürbar gemacht und protektionistische Tendenzen befördert. Gleichzeitig stellt die Klimakrise eine weltweite Herausforderung dar, die an nationalen Grenzen keinen Halt macht und nur global gelöst werden kann. Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Hitzewellen mit großflächigen Waldbränden und Stürme werden im Zuge des Klimawandels künftig häufiger auftreten und Menschen, Staaten und Unternehmen weltweit treffen. Der vorliegende Bericht untersucht, welche Rolle die internationalen Finanzmärkte spielen, um wirtschaftliche Verwerfungen nach einer Naturkatastrophe für die betroffene Volkswirtschaft abzufedern. Dies gilt natürlich nicht nur für durch den Klimawandel verursachte Phänomene, sondern auch für Katastrophen wie das jüngste Erdbeben in der Türkei und Syrien.
Zudem geht der Bericht der Frage nach, welche Finanzinstrumente besonders hilfreich für eine schnelle Erholung nach solchen Schocks sind. Neben staatlichen Hilfs- und Wiederaufbaumaßnahmen oder internationalen Transferzahlungen können Kapitalanlagen und Finanzierungsmöglichkeiten im Ausland zu einer schnelleren wirtschaftlichen Erholung beitragen. Dabei können Struktur und Höhe der Auslandsforderungen und -verbindlichkeiten eines Landes die Reaktion auf negative inländische Schocks über verschiedene Kanäle beeinflussen. Zunächst führt eine größere Offenheit der Finanzmärkte in der Regel zu niedrigeren Kapitalkosten, was das Investitions- und Produktionswachstum generell, aber insbesondere nach negativen wirtschaftlichen Schocks begünstigt. Zweitens erweitert die Integration der Finanzmärkte die Verfügbarkeit von Finanzmitteln. Zusätzlich zu Finanzierungsquellen im Inland kann durch internationale Kapitalzuflüsse, zum Beispiel Kredite aus dem Ausland, die Anfälligkeit von Konsum und Einkommen gegenüber gesamtwirtschaftlichen Schwankungen verringert werden. Außerdem ermöglichen Auslandsverbindlichkeiten, Verluste mit ausländischen Gläubigern und Eigentümern zu teilen, indem etwa geringere Dividenden gezahlt werden.
Verschiedene Studien haben gezeigt, dass eine bessere Integration einer Volkswirtschaft in die internationalen Finanzmärkte dazu beiträgt, generell länderspezifische Einkommens- und Konsumschwankungen zu glätten.Vgl. Ayhan Kose et al. (2009): Does financial globalization promote risk sharing? Journal of Development Economics 89 (2), 258–270 (online verfügbar, abgerufen am 24. Februar 2023. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt); Mathias Hoffmann et al. (2019): Channels of risk sharing in the eurozone: what can Banking and Capital Market Union achieve? IMF Economic Review 67 (3), 443–495 (online verfügbar); Franziska Bremus und Claudia Buch (2019): Capital Markets Union and Cross-Border Risk Sharing. In: Franklin Allen et al. (Hrsg.): Capital Markets Union and Beyond. MIT Press, 29–44. Fällt in einem Land die Produktion – aufgrund von Schäden im Zuge einer Naturkatastrophe oder aus anderen Gründen –, leiden darunter Einkommen und Konsum im Inland. Wird ein solcher Schock aber über viele Länder verteilt, zum Beispiel weil ausländische Gläubiger einen Teil der Verluste mittragen oder Kapital zur Finanzierung des Wiederaufbaus aus dem Ausland genutzt werden kann, dann sinken das Einkommen und der Konsum im betroffenen Land weniger stark. Außerdem können Zinseinkünfte auf Kapitalanlagen im Ausland oder Gewinnbeteiligungen an ausländischen Unternehmen, die nicht von der inländischen Krise beeinträchtigt sind, das Einkommen der heimischen Wirtschaftsakteure stabilisieren. Verbindungen mit den internationalen Finanzmärkten, beispielsweise grenzüberschreitende Investitionen in Wertpapiere ausländischer Unternehmen oder Kapitalzuströme aus dem Ausland für die Finanzierung heimischer Unternehmen, können also länderspezifische Schocks wie ein Stoßdämpfer zu einem gewissen Grad abfedern. Gleichzeitig sind Länder, die in die internationalen Finanzmärkte integriert sind, selbst zu einem gewissen Grad den wirtschaftlichen Schwankungen ihrer Gläubiger und Schuldner im Ausland ausgesetzt.
Enge finanzielle Verflechtungen mit dem Ausland können die wirtschaftliche Erholung eines Landes nach einer Naturkatastrophe aber auch behindern. Für Entwicklungs- und Schwellenländer weisen empirische Untersuchungen darauf hin, dass ausländisches Kapital nach Naturkatastrophen oft schnell abgezogen wird, so dass sich die Finanzierungsbedingungen zusätzlich verschlechtern.Vgl. Antonio C. David (2011): How do international financial flows to developing countries respond to natural disasters? Global Economy Journal 11 (4), 185–243 (online verfügbar); Dean Yang (2008): Coping with disaster: The impact of hurricanes on international financial flows, 1970–2002. The BE Journal of Economic Analysis & Policy 8 (1) (online verfügbar); Ilan Noy (2009): The macroeconomic consequences of disasters. Journal of Development Economics 88 (2), 221–231 (online verfügbar). Grundsätzlich scheinen besser entwickelte Finanzmärkte die wirtschaftliche Bewältigung von Naturkatastrophen aber zu fördern. Je höher beispielsweise das Verhältnis von Krediten zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) eines Landes ist, desto schneller erholen sich die betroffenen Länder.Thomas K.J. McDermott et al. (2014): Disasters and development: natural disasters, credit constraints, and economic growth. Oxford Economic Papers 66 (3), 750–773 (online verfügbar). Finanzierungsbeschränkungen können hingegen die Investitionen und damit den Wiederaufbau des Kapitalstocks bremsen.
Die bisherige makroökonomische Literatur hat hauptsächlich die Rolle der Finanzmärkte für die wirtschaftliche Erholung nach Naturkatastrophen in Entwicklungs- und Schwellenländern untersucht. Da aber durch den Klimawandel verursachte Naturkatastrophen zunehmend auch Industrieländer treffen, werden im Folgenden gesamtwirtschaftliche Daten für die 25 Euroraum- und OECD-Gründungsländer über den Zeitraum 1995 bis 2018 analysiert (Kasten). Damit sollen die Rolle der Finanzmarktintegration und die Finanzinstrumente beleuchtet werden, die die wirtschaftliche Bewältigung von Naturkatastrophen begünstigen. Anhand eines dynamischen Panelmodells wird in der hier zugrunde liegenden Studie die Entwicklung von BIP, Investitionen und privatem Konsum nach einer Naturkatastrophe für Länder mit einem hohen Grad an Finanzmarktoffenheit im Vergleich zu einem geringen Offenheitsgrad geschätzt.Franziska Bremus und Malte Rieth (2023): Integrating Out Natural Disaster Shocks (unveröffentlichtes Arbeitspapier). Entscheidend ist dabei die Finanzmarktintegration zum Zeitpunkt der Naturkatastrophe.
Naturkatastrophen eignen sich zum einen besonders gut zur Untersuchung der Auswirkungen der Finanzmarktintegration auf die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes, weil sie exogene Schocks darstellen, die nicht systematisch mit der Struktur oder Offenheit einer Volkswirtschaft zusammenhängen. Zum anderen werden Naturkatastrophen in Zukunft durch den Klimawandel häufiger auftreten. Daher ist es besonders relevant, Mechanismen zu erkennen, die die absehbaren Folgen abfedern können.
Die hier untersuchte Stichprobe umfasst Quartals- und Jahresdaten für den Zeitraum 1995 bis 2018 für folgende 25 Euroraum- und OECD-Gründungsländer: Australien, Belgien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Japan, Kanada, Lettland, Litauen, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Südkorea, USA und Vereinigtes Königreich. Der Grad der Finanzmarktintegration variiert in einem Land über die Zeit. Entscheidend ist, ob ein Land zum Zeitpunkt einer Naturkatastrophe über oder unter dem Median der drei hier betrachteten Integrationsmaße liegt.
Um die Bedeutung offener Finanzmärkte und verschiedener Arten der Integration für die Erholung nach einer Naturkatastrophe zu untersuchen, wird ein dynamisches Panel-Modell für das BIP und wichtige Unterkomponenten geschätzt:
wobei Δy die Quartalswachstumsrate des BIP darstellt, Si,t−j ist der wirtschaftliche Schaden durch eine Naturkatastrophe in Land i zum Zeitpunkt t−j und, FI ist einer von drei Indikatoren für die Stärke der internationalen Finanzmarktintegration eines Landes, der den Wert 1 annimmt, wenn ein Land i zum Zeitpunkt t−j eine überdurchschnittlich hohe Finanzmarktintegration aufweist und sonst 0. νi, θt, Q sind Länder-, Jahres- und Quartalskonstanten, GDPρc ist das BIP pro Kopf im ersten Quartal 1995 als Maß dafür, wie entwickelt eine Volkswirtschaft ist, und ϵi,t ist ein Fehlerterm. FIi,t−jSi,t−j ist eine Interaktion zwischen dem Schaden durch eine Naturkatastrophe und der Finanzmarktintegrationsvariable. Der Effekt der Finanzmarktintegration auf die Wachstumsrate wird vor allem durch die Koeffizienten δj gemessen.
Während Naturkatastrophen wie Erdbeben und Überschwemmungen in der öffentlichen Wahrnehmung lange Zeit ein Problem vor allem für Schwellenländer waren, treten diese tatsächlich auch in Industrieländern regelmäßig auf (Abbildung 1). Fast in jedem Quartal seit Mitte der 1990er Jahre gab es in den untersuchten 25 Industrieländern mindestens eine größere Katastrophe. Der gesamte Schaden in diesen Ländern belief sich pro Quartal üblicherweise auf weniger als ein Prozent des BIP. Hin und wieder kam es aber zu sehr starken Stürmen oder Erdbeben, die in Summe einen Schaden in Höhe von fünf oder sogar acht Prozent des BIP verursachten.
Im Folgenden wird nur die Differenz zwischen Situationen, in denen Länder viele Auslandsforderungen beziehungsweise -verbindlichkeiten haben, und Situationen, in denen sie wenige haben, betrachtet. Es wird also nur der Unterschied zwischen beiden Situationen analysiert, nicht der Effekt der Katastrophen selbst. Letzteres ist Gegenstand der Klimafolgenforschung.
Verwandte Studien haben gezeigt, dass durch die Schäden an Gebäuden, Fabriken und Infrastruktur die Produktion nach einer Naturkatastrophe vorübergehend sinkt und gleichzeitig die Inflation steigt.Marcel Fratzscher et al. (2020): Inflation targeting as a shock absorber. Journal of International Economics 123, 103308 (online verfügbar); Noy (2009), a.a.O. Der Wiederaufbau führt anschließend zu hohen Investitionen, und Versicherungsauszahlungen für die Schäden im Privatsektor stabilisieren den privaten Konsum. Damit kommt es nach einem temporären Rückgang des BIP zu Aufholwachstum – was gemäß der im Folgenden zu testenden Thesen stärker oder schwächer ausfallen kann, je nachdem wie stark und auf welche Art die Finanzmärkte eines Landes international integriert sind.
Dabei werden drei verschiedene Maße für die internationalen finanziellen Verflechtungen eines Landes betrachtet. Zunächst wird die Bedeutung von inländischen Anlagen in Wertpapiere ausländischer Emittenten (relativ zum BIP) untersucht. Dazu werden Daten des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der „External Wealth of Nations“-Datenbank (EWN)Gian Maria Milesi-Ferretti (2022): The External Wealth of Nations Database. The BrookingsInstitution (online verfügbar), basierend auf Philip R. Lane und Gian Maria Milesi-Ferretti (2018): The External Wealth of Nations Revisited: International Financial Integration in the Aftermath of the Global Financial Crisis. IMF Economic Review 66, 189–222. zu grenzüberschreitenden Eigenkapitalinvestitionen, zum Beispiel in Aktien oder Investmentfonds, mit grenzüberschreitenden Investitionen in Anleihen und andere Schuldverschreibungen (Fremdkapital) zusammengefasst. Wird eine Volkswirtschaft von einer Naturkatastrophe getroffen, so kann ein Teil der Einkommensverluste durch Zinseinkünfte und Dividendenzahlungen aus dem Ausland ausgeglichen werden. Anhand dieses ersten Maßes für Finanzmarktintegration soll getestet werden, ob Länder besser aus einer Krise kommen, wenn sie hohe Bestände an ausländischen Wertpapieren halten.
Nach dem Blick auf die Auslandsforderungen einer Volkwirtschaft wird in einem zweiten Schritt die Rolle der Auslandsverbindlichkeiten, also die Finanzierungsseite, unter die Lupe genommen. Zum einen werden die Verbindlichkeiten gegenüber Eigenkapitalgebern aus dem Ausland, die zum Beispiel einheimische Aktien halten, im Verhältnis zur Fremdkapitalfinanzierung (Anleihen, Schuldverschreibungen) aus dem Ausland betrachtet. Da die Theorie gegenläufige Effekte für Eigenkapital- und Fremdkapitalpositionen aus dem Ausland nahelegt, wird hier das Verhältnis dieser beiden Unterkomponenten statt der Summe (wie im Falle der Auslandsforderungen) verwendet. Während sich die Finanzierung über ausländisches Eigenkapital in verschiedenen Studien als besonders günstig für die Glättung länderspezifischer Schocks gezeigt hat,Kose et al. (2009), a.a.O.; Hoffmann et al. (2019), a.a.O.; Bremus und Buch (2019), a.a.O. beispielsweise weil Dividenden abhängig von der wirtschaftlichen Situation der Unternehmen gezahlt werden, kann die Finanzierung über Fremdkapital gesamtwirtschaftliche Schwankungen sogar verstärken. Die zu testende These ist also, ob eine höhere Eigen- zu Fremdkapitalfinanzierungsquote aus dem Ausland die Erholung nach einer Naturkatastrophe im Inland beschleunigt.
Neben den internationalen Verflechtungen über Wertpapiere wie Aktien und Anleihen werden drittens Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zu den Verbindlichkeiten gegenüber ausländischen Banken (in Prozent des BIP) genutzt. Damit kann die Wirkung internationaler Kredite – einer wichtigen Finanzierungsquelle in den Industrieländern – auf die Konjunkturglättung analysiert werden. In der Literatur finden sich sowohl positive als auch negative Effekte der Kreditfinanzierung über ausländische Banken für die Absorption von wirtschaftlichen Schocks.
Einerseits können Kredite aus dem Ausland in Krisenzeiten stabilisierend wirken, da sie das Inland weniger abhängig von inländischen Banken machen. Wenn das Kreditangebot heimischer Banken in Folge einer Naturkatastrophe zurückgeht, kann die Finanzierung über Kredite ausländischer Banken, die nicht von der Katastrophe betroffen sind, die einheimischen Finanzierungsbedingungen verbessern. Vor allem ausländische Banken, die mit Filialen vor Ort nah an den Kund*innen und dementsprechend gut informiert über deren wirtschaftliche Lage sind, können die steigende Kreditnachfrage im Zuge des Wiederaufbaus bedienen.Vgl. Michael Koetter et al. (2020): Borrowers under water! Rare disasters, regional banks, and recovery lending. Journal of Financial Intermediation 43, 100811 (online verfügbar); Ulrich Schuewer et al. (2019): How do banks react to catastrophic events? Evidence from Hurricane Katrina. Review of Finance 23 (1), 75–116 (online verfügbar).
Andererseits verringern Schäden durch Naturkatastrophen die Rückzahlungswahrscheinlichkeit von Krediten und den Wert von Kreditsicherheiten. Außerdem können die Gläubiger Ausfallrisiken schwerer einschätzen, so dass sich ausländische Banken zum Teil aus dem betroffenen Land zurückziehen.David (2011), a.a.O.; Yang (2008), a.a.O. Damit können die wirtschaftlichen Verwerfungen noch verstärkt werden, die Erholung wird erschwert.
Die drei verschiedenen Maße der Finanzmarktintegration – Wertpapierinvestitionen im Ausland, Finanzierung über internationales Eigen- relativ zu Fremdkapital sowie Verbindlichkeiten gegenüber Banken aus dem Ausland – haben sich in den hier betrachteten Industrieländern über die Zeit unterschiedlich entwickelt. Während die grenzüberschreitenden Bestände an Wertpapieren von 40 Prozent im Jahr 1995 auf 150 Prozent des BIP bis zur globalen Finanzkrise zugelegt haben, gingen sie anschließend zunächst zurück und lagen im Jahr 2018 wieder bei rund 150 Prozent. Das Verhältnis von Eigen- zu Fremdkapitalfinanzierung aus dem Ausland hat hingegen vor allem seit der globalen Finanzkrise über die internationalen Kapitalmärkte zugenommen und lag im Jahr 2018 bei rund 100 Prozent (Abbildung 2). Im Zuge der Entschuldung des Bankensystems sind die Kredite von ausländischen Banken relativ zum BIP dagegen seit 2008/09 deutlich zurückgegangen. Je nachdem, welche Finanzinstrumente man betrachtet, hat sich die Integration der Finanzmärkte in den vergangenen Jahren also unterschiedlich entwickelt.
Um zu schätzen, welche Bedeutung ein hoher Grad an Finanzmarktintegration für die Resilienz eines Landes hat, wird im Folgenden für jedes dieser drei Offenheitsmaße eine Indikatorvariable generiert, die den Wert 1 annimmt, wenn der Median der Variable für ein Land über vier Quartale oberhalb des Stichprobenmittels liegt und den Wert 0 annimmt, wenn er darunter liegt.Um die Auswirkungen von besonders großen oder kleinen Beobachtungen zu verringern, wird für die vorliegenden Berechnungen der Median verwendet. Die Indikatoren werden darüber hinaus in jeweils zwei Unterkomponenten zerlegt, für die ebenfalls Indikatorvariablen erstellt werden mit dem Wert 1 für „hohe internationale Integration“ und dem Wert 0 für „geringe internationale Integration“. Damit können genauere Aussagen zu möglichen Vor- und Nachteilen einzelner Komponenten der Auslandspositionen eines Landes getroffen werden.
Die Schätzergebnisse deuten darauf hin, dass engere Verbindungen mit den Finanzmärkten im Ausland die Widerstandsfähigkeit stärken. Das Bruttoinlandsprodukt wächst nach einer Naturkatastrophe kräftiger, wenn ein Land besser in die Finanzmärkte integriert ist, als wenn es weniger integriert ist (Abbildung 3). Mit überdurchschnittlichen Auslandspositionen – sowohl auf der Anlage- als auch auf der Finanzierungsseite – wächst eine Volkswirtschaft nach einer Naturkatastrophe stärker als mit unterdurchschnittlichen Verbindungen zu Gläubigern und Schuldnern im Ausland.
Eine Diversifizierung von ausländischen Anlagen und Finanzierungsquellen aus dem Ausland kann also zur Abfederung der wirtschaftlichen Verwerfungen durch Naturkatastrophen beitragen. Der größte Effekt stellt sich dabei in der vorliegenden Stichprobe für ein hohes Verhältnis von Eigen- zu Fremdkapitalfinanzierung ein. Zwei Jahre nach dem Schock ist das BIP um fast vier Prozentpunkte höher bei einem hohen Wert dieses Offenheitsmaßes als im Falle eines geringen Wertes. Die direkte und automatische Teilung von Verlusten mit ausländischen Kapitalgebern scheint also besonders vorteilhaft für die Bewältigung von Naturkatastrophen zu sein.
Ein Blick auf die Treiber der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bei der Bewältigung der Katastrophe zeigt, dass ein hohes Verhältnis von Eigen- zu Fremdfinanzierung aus dem Ausland besonders über eine kräftigere Investitionstätigkeit wirkt (Abbildung 4). Für den privaten Konsum sind dagegen vor allem überdurchschnittliche Investitionen in Wertpapiere im Ausland und damit eine Streuung der Einkommensquellen förderlich, um zügig aus der Krise zu kommen (Abbildung 5). Bei hohen Beständen an Investitionen in Aktien und Anleihen ausländischer Emittenten können Zins- und Dividendeneinkünfte den Produktionsrückgang im Inland infolge einer Naturkatastrophe zum Teil ausgleichen und damit zu einer höheren Konsumdynamik beitragen als in einer Situation mit unterdurchschnittlichen Auslandsforderungen. Ein hohes Niveau an Krediten ausländischer Banken kann die inländische Verwendung ebenfalls stützen, der Effekt auf den privaten Konsum ist allerdings statistisch nicht signifikant.
Um die möglichen Vor- und Nachteile einzelner Finanzinstrumente zu beleuchten, werden darüber hinaus die Auslandsforderungen und -verbindlichkeiten in Aktien und Investmentfonds (Eigenkapital), das grenzüberschreitende Fremdkapital sowie die ausländischen Kredite an Banken und an Nicht-Banken getrennt voneinander betrachtet. Hierbei zeigt sich, dass vor allem die Investitionen in ausländische Anleihen und die Finanzierung über ausländisches Eigenkapital sowie über direkte Kredite von ausländischen Banken an heimische Unternehmen eine rasche Erholung fördern. Ein hohes Niveau an Finanzierung über ausländisches Fremdkapital in Form von Anleihen und Interbankenkrediten kann dagegen das Aufholwachstum schwächen.
Die empirischen Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine gute Finanzmarktintegration einer Volkswirtschaft die wirtschaftliche Erholung nach einer Naturkatastrophe begünstigen kann. Die hier betrachteten Industrieländer erholen sich besser nach einem solchen Schock, wenn sie enge finanzielle Verbindungen mit Gläubigern und Schuldnern aus dem Ausland haben. Vor diesem Hintergrund ist die EU-Initiative zu einer besseren Integration der europäischen Kapitalmärkte nicht nur wichtig zur Mobilisierung von privatem Kapital für die Finanzierung der ökologischen und digitalen Transformation. Sie ist auch zu begrüßen, weil die Verteilung der länderspezifischen Schocks auf viele Schultern innerhalb der Union zur Krisenbewältigung beiträgt.
Allerdings spielt die Art der Integration eine wichtige Rolle. Während grenzüberschreitende Anlagen in Anleihen, Eigenkapitalfinanzierung aus dem Ausland und direkte Kredite von ausländischen Banken an nichtfinanzielle Unternehmen in der betroffenen Volkswirtschaft das Aufholwachstum stärken, können Interbankenkredite und ein hohes Niveau an weiterem Fremdkapital aus dem Ausland die Erholung nach einer Naturkatastrophe sogar bremsen. Dementsprechend sollten Politik und Regulierung nicht nur Rahmenbedingungen schaffen, die die internationale Diversifizierung der Auslandspositionen fördern, sondern insbesondere auch Hindernisse für Kapitalzuflüsse in Form von Eigenkapital beseitigen.Vgl. Tatsiana Kliatskova et al. (2023): Insolvency Regimes and Cross-Border Investment Decisions. Journal of International Money and Finance 131, 102795. Für die europäischen Länder ist dafür ein transparenter Binnenmarkt für Kapital mit verlässlichen und möglichst harmonisierten rechtlichen Regeln unerlässlich. Die von der EU angestrebte, aber noch nicht vollendete Kapitalmarktunion könnte die Wirtschaft der europäischen Länder auch resilienter gegen die Verwerfungen durch Naturkatastrophen machen.
Themen: Geldpolitik, Finanzmärkte, Europa
JEL-Classification: Q54;E44;F36;F62;G11;G15
Keywords: Financial integration, natural disasters, shock absorption, crisis recovery, capital markets union
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-11-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/271747