„Finanzkrisen sind kaum vorhersehbar, aber wir dürfen sie auch nicht herbeireden“

Statement vom 20. März 2023

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), zur angespannten Lage im Bankensektor:

BlockquoteNiemand kann zu jetzigen Zeitpunkt ausschließen, dass die Turbulenzen im Bankensektor auch in Deutschland und Europa zu signifikanten Beeinträchtigungen bei Wachstum und Wohlstand führen. Finanzkrisen sind per Definition kaum vorhersehbar, aber wir dürfen sie auch nicht herbeireden. Die systemischen Risiken im Finanzsystem sind heute deutlich geringer als während der Lehman-Pleite im September 2008. Viele Finanzinstitute verfügen über mehr Eigenkapital und Absicherungen. Aktuell ist meine größte Sorge, dass es zu einer Panik auf den Kapitalmärkten kommt, da niemand weiß, welche Banken noch in Schieflage geraten könnten. Eine solche Panik könnte zu sogenannten selbsterfüllenden Prophezeiungen führen. Dies bedeutet, dass die Sorgen um die Liquidität des Bankensektors auch die Existenz von solchen Banken gefährdet, die ansonsten solvent wären.

Der Fall von Credit Suisse zeigt deutlich, dass auch systemrelevante Banken in Schieflage geraten können. Daher sollte auch kein deutscher Finanzminister leichtfertig Entwarnung geben, da er ansonsten droht, seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen. Die Politik muss offen und ehrlich kommunizieren, darf Probleme nicht klein reden, sollte aber auch darauf verzichten, weitere Ängste zu schüren. Die Bundesregierung, allen voran Bundeskanzler und Finanzminister, muss nun den schwierigen Balanceakt bewältigen, einerseits transparent mit dieser schwierigen Lage umzugehen, andererseits glaubwürdig zu versichern, dass sie alles Notwendige tun wird, diese zu beruhigen.

Es gibt auch in Deutschland bereits Anzeichen für erhebliche Verluste bei Finanzinstituten, wie die Abschreibungen der Sparkassen in den vergangenen Wochen zeigen. Die Verluste werden sich mit jedem Zinsanstieg der Europäischen Zentralbank weiter verschärfen. Daher halte ich die Zinserhöhung der EZB vom vergangenen Donnerstag im besten Fall für eine riskante Entscheidung und im negativen Fall für einen schwerwiegenden Fehler. Es wird sich diese Woche zeigen, ob die US-Notenbank der Zinserhöhung der EZB folgen wird oder ihren Fokus auf Finanzstabilität legt und davon absieht. Die EZB befindet sich in einem Dilemma, da sie einerseits die Inflation mit Zinserhöhungen in den Griff bekommen muss und andererseits Zinserhöhungen die Finanzstabilität schwächen. Eine Eskalation der Situation und eine Bankenkrise sind derzeit die größte Gefahr für die Preisstabilität in Deutschland und Europa. Sie könnten die Wirtschaft empfindlich schwächen und die Arbeitslosigkeit erhöhen, weil sie die Kreditvergabe an Unternehmen noch stärker beeinträchtigen würden.

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