DIW Wochenbericht 12 / 2023, S. 139-145
Celina Tippmann, Felix Weinhardt
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„Kinder müssen mehr Unterstützung erfahren, um längerfristige Effekte der Arbeitslosigkeit von Eltern zu vermeiden. Der Ganztagsschulausbau und der damit verbundene Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz ab 2026 kann, wenn die Betreuungsqualität hoch ist, solche Effekte hoffentlich mindern.“ Felix Weinhardt
Wenn Eltern arbeitslos werden, hat das in mehrerlei Hinsicht Konsequenzen – nicht nur für sie selbst, sondern auch für ihr Umfeld. Dieser Bericht geht auf Basis von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) der Frage nach, welchen Einfluss die Arbeitslosigkeit von Eltern in der Grundschulphase ihrer Kinder auf deren Bildungsergebnisse hat. Dafür werden Bildungsverläufe von Kindern, von denen ein Elternteil während der Grundschulphase arbeitslos wurde, mit Bildungsverläufen von Kindern, deren Eltern nicht arbeitslos waren, verglichen. Da diese Gruppen grundsätzlich sehr unterschiedlich sind, wird vorher eine Vergleichsgruppe aus statistisch betrachtet ähnlichen Familien gebildet. Ein zentrales Ergebnis ist, dass Kinder deutlich seltener (Fach-)Abitur machen und ein Studium abschließen, wenn während ihrer Grundschulzeit ein Elternteil arbeitslos war. Aufgrund ihrer Methode liefert die Studie starke Indizien dafür, dass die gemessenen Effekte kausal zu interpretieren sind, die Arbeitslosigkeit der Eltern also tatsächlich die Ursache ist. Damit zeigt sich einmal mehr, dass Bildungsverläufe in Deutschland sehr von der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situation der Eltern abhängen.
Die nachteiligen Konsequenzen für Menschen, die arbeitslos werden, sind vielfach dokumentiert: Arbeitslosigkeit reduziert das verfügbare Einkommen, die physische und psychische Gesundheit verschlechtert sich, die Lebenszufriedenheit sinkt, und es ist sogar möglich, dass das Sterbe- und Suizidrisiko steigt.Siehe zum Beispiel Kenneth A. Couch und Dana W. Placzek (2010): Earnings losses of displaced workers revisited. American Economic Review, 100 (1), 572–589; Hendrik Schmitz (2011): Why are the unemployed in worse health? The causal effect of unemployment on health. Labour Economics, 18 (1), 71–78; Karsten I. Paul und Klaus Moser (2009): Unemployment impairs mental health: Meta-analyses. Journal of Vocational Behavior, 74 (3), 264–282; Sonja C. Kassenboehmer und John P. Haisken-DeNew (2009): You’re fired! The causal negative effect of entry unemployment on life satisfaction. The Economic Journal, 119 (536), 448–462; Daniel Sullivan und Till von Wachter (2009): Job displacement and mortality: An analysis using administrative data. The Quarterly Journal of Economics, 124 (3), 1265–1306; Allison Milner, Andrew Page und Anthony D. LaMontagne (2014): Cause and effect in studies on unemployment, mental health and suicide: A meta-analytic and conceptual review. Psychological Medicine, 44 (5), 909–917. Viel weniger ist jedoch über die potenziellen Effekte auf andere Haushaltsmitglieder bekannt. Laut dem europäischen Statistikamt Eurostat leben in Deutschland 8,8 Prozent aller Kinder im Alter bis 17 Jahre in Haushalten ohne erwerbstätige Personen.Eurostat (2022): Population in jobless households (online verfügbar, abgerufen am 14. März 2023. Dies gilt auch für alle anderen Online-Quellen dieses Berichts, sofern nicht anders vermerkt). Erwerbslosigkeit ist nicht mit Arbeitslosigkeit gleichzusetzen, die Zahl dient lediglich der Veranschaulichung. In Anbetracht der wesentlichen Rolle von elterlichem Input für die schulische Entwicklung von Kindern ist zu vermuten, dass sich Arbeitslosigkeit von Eltern auch auf die Bildung ihrer Kinder auswirken kann. Studien aus anderen Ländern weisen zum Teil nach, dass der Bildungsverlauf von Kindern beeinträchtigt werden kann, wenn die Eltern arbeitslos werden.Siehe zum Beispiel Nathaniel G. Hilger (2016): Parental job loss and children’s long-term outcomes: Evidence from 7 million fathers’ layoffs. American Economic Journal: Applied Economics, 8 (3), 247–83; Michael B. Coelli (2011): Parental job loss and the education enrollment of youth. Labour Economics, 18 (1), 25–35; Bernhard Schmidpeter (2020): The long-term labor market effects of parental unemployment. Verfügbar unter SSRN 3677143. Angesichts der Unterschiede in den institutionellen Gegebenheiten zwischen Ländern, etwa mit Blick auf die Sozialversicherungs- oder Schulsysteme, ist eine bloße Übertragung der Erkenntnisse auf Deutschland jedoch schwierig.
Vor diesem Hintergrund untersucht die vorliegende Studie auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), wie sich die Arbeitslosigkeit von Vätern und Müttern in Deutschland auf die Bildungslaufbahn ihrer Kinder, die zwischen 1979 und 2001 geboren wurden, auswirkt (Kasten 1). Von bereits existierenden Studien im deutschen Kontext grenzt sie sich insbesondere dadurch ab, dass der Schwerpunkt auf Kindern im Grundschulalter zum Zeitpunkt der Arbeitslosigkeit eines Elternteils liegt.Vgl. Kristina Lindemann und Markus Gangl (2018): The intergenerational effects of unemployment: How parental unemployment affects educational transitions in Germany. SOEPpapers 971 (online verfügbar); Steffen Müller, Regina T. Riphahn und Caroline Schwientek (2016): Paternal unemployment during childhood: Causal effects on youth worklessness and educational attainment. Oxford Economic Papers, 69 (1), 213–238.
Die Analyse beruht auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Das SOEP ist eine repräsentative Befragung privater Haushalte in Deutschland, die seit 1984 jährlich durchgeführt wird.Jan Goebel et al. (2018): The German Socio-Economic Panel (SOEP). Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Band 239, Heft 2 (online verfügbar). Aktuell werden jedes Jahr rund 30000 Personen in etwa 15000 Haushalten befragt. Das SOEP zeichnet sich dadurch aus, dass jedes Jahr dieselben Haushalte befragt werden und dass Personen, die die befragten Haushalte verlassen, einzeln weiterverfolgt werden und selbst als Haushalt in die Befragung aufgenommen werden. Dadurch ist es möglich, Kinder auch nach dem Auszug aus dem Elternhaus weiter zu beobachten und die Entwicklung ihrer Lebensläufe als Erwachsene zu analysieren. Mithilfe von Identifikationsnummern können Kinder ihren Eltern zugeordnet werden.
Die vorliegende Studie konzentriert sich auf die Bildungsergebnisse und legt ein besonderes Augenmerk auf die Schulübergänge. Als erstes wird betrachtet, welche Schulform die Kinder im ersten Jahr nach der Grundschule besuchen. Dabei wird zwischen dem Gymnasium einerseits und der Real- und Hauptschule andererseits unterschieden. Aufgrund der Möglichkeit des Schulwechsels wird außerdem gemessen, welchen Schulabschluss die Kinder am Ende der Schullaufbahn erhalten. Entsprechend wird zwischen einem Abschluss mit oder ohne Hochschulzulassung unterschieden. Im Anschluss daran wird erfasst, ob die Kinder nach Beendigung der Schullaufbahn eine Ausbildung, ein Studium oder keines von beidem abschließen. Die Stichprobe ist allerdings nicht groß genug, um beispielsweise Abgrenzungen zwischen einem Bachelor- und Masterabschluss oder einem Abschluss von einer Universität oder einer Fachhochschule zu treffen. Die genannten Bildungsergebnisse liegen als binäre Variablen vor, die den Wert 1 annehmen, wenn das Ergebnis vorliegt, und andernfalls den Wert 0. Zuletzt wird noch der Notendurchschnitt in Mathematik, Deutsch und der ersten Fremdsprache auf dem Zeugnis im Alter von 17 Jahren herangezogen. Zwecks einer einfacheren Interpretation der Ergebnisse werden die Schulnoten umgedreht, sodass ein höherer Wert einem besseren Ergebnis entspricht.
Die Stichprobe wird auf Kinder beschränkt, deren Eltern zu Beginn des Beobachtungszeitraums und vor Eintritt der Arbeitslosigkeit beide im erwerbsfähigen Alter zwischen 18 und 67 Jahren und weder selbstständig noch im Staatsdienst beschäftigt sind. Die endgültige Stichprobe setzt sich aus den Geburtskohorten von 1979 bis 2001 zusammen. Sie umfasst für den Fall einer Arbeitslosigkeit des Vaters bis zu 1124 Personen und für den Fall einer Arbeitslosigkeit der Mutter bis zu 834 Personen. Jeweils rund zehn Prozent davon entfallen auf die Untersuchungsgruppe (Kinder mit arbeitslosem Elternteil) und der Rest auf die Vergleichsgruppe (Kinder ohne arbeitslosen Elternteil). Die Stichprobengröße schwankt zwischen den betrachteten Ergebnissen: Es kommt vor, dass Haushalte aus dem SOEP ausscheiden und der Lebenslauf der Kinder ab einem bestimmten Zeitpunkt dann nicht mehr in die Analyse einfließen kann. Zwar handelt es sich insgesamt um relativ kleine Stichproben, die Stichprobengröße liegt aber in derselben Größenordnung wie in vergleichbaren Studien.Vgl. Lindemann und Gangl (2019), a.a.O.; Jan Marcus (2013): The effect of unemployment on the mental health of spouses – Evidence from plant closures in Germany. Journal of Health Economics, 32 (3), 546–558; Milena Nikolova und Boris N. Nikolaev (2021): Family matters: The effects of parental unemployment in early childhood and adolescence on subjective well-being later in life. Journal of Economic Behavior & Organization, 181, 312–331. In den genannten Studien besteht die Untersuchungsgruppe jeweils aus 137 bis 145, 109 sowie 66 bis 122 Personen. Daraus ergeben sich zum Teil allerdings größere statistische Unsicherheiten bei der Schätzung der Effekte.
Es ist bekannt, dass Arbeitslosigkeit in der Regel mit einem geringeren verfügbaren Haushaltseinkommen einhergeht.Siehe zum Beispiel Couch und Placzek (2010), a.a.O.; Alexander Hijzen, Richard Upward und Peter W. Wright (2010): The income losses of displaced workers. Journal of Human Resources, 45 (1), 243–269. Damit können Eltern auf weniger finanzielle Mittel zurückgreifen, um in die Bildung ihrer Kinder zu investieren und diese bei ihren Bildungsvorhaben zu unterstützen, zum Beispiel über private NachhilfeVgl. Adrian Hille, C. Katharina Spieß und Mila Staneva (2016): Immer mehr Schülerinnen und Schüler nehmen Nachhilfe, besonders in Haushalten mit mittlerem Einkommen. DIW Wochenbericht Nr. 6, 111–120 (online verfügbar). oder die Finanzierung von (Lebenshaltungs-)Kosten einer tertiären Ausbildung.Siehe zum Beispiel Dieter Dohmen et al. (2021): Entwicklung der Einnahmen von Studierenden. Eine Re-Analyse der 19., 20. und 21. Sozialerhebung. Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie: Studie für das Deutsche Studentenwerk. Laut der 21. Sozialerhebung im Auftrag des Deutschen Studentenwerks erhielten Studierende im Jahr 2016 durchschnittlich 52 Prozent ihres Einkommens von den Eltern und nur 13 Prozent aus der BAföG-Förderung. Gleichzeitig haben betroffene Eltern infolge eines Jobverlusts zunächst einmal mehr Zeit, die sie zur Betreuung ihrer Kinder nutzen können.Andreas Knabe et al. (2010): Dissatisfied with life but having a good day: Time-use and well-being of the unemployed. The Economic Journal, 120 (547), 867–889. Dies kann sich vor allem im Grundschulalter förderlich auf den Lernprozess der Kinder auswirken, beispielsweise, wenn Eltern mehr bei den Hausaufgaben helfen können. Allerdings zeigen zahlreiche empirische Studien, dass Arbeitslosigkeit die mentale Gesundheit und Lebenszufriedenheit von betroffenen Personen beeinträchtigt und mit höheren Scheidungsraten in Verbindung gebracht wird.Siehe zum Beispiel Martin Browning und Eskil Heinesen (2012): Effect of job loss due to plant closure on mortality and hospitalization. Journal of Health Economics, 31 (4), 599–616; Nattavudh Powdthavee und Anna Vignoles (2008): Mental health of parents and life satisfaction of children: A within-family analysis of intergenerational transmission of well-being. Social Indicators Research, 88 (3), 397–422; Kassenboehmer und Haisken-DeNew (2009), a.a.O.; Jessamyn Schaller und Mariana Zerpa (2019): Short-run effects of parental job loss on child health. American Journal of Health Economics, 5 (1), 8–41; Marcus Eliason (2012): Lost jobs, broken marriages. Journal of Population Economics, 25 (4), 1365–1397. Dadurch kann sich das Familienumfeld, in dem Kinder aufwachsen, deutlich verschlechtern und zu Stress führen, der Kinder belastet. Vorstellbar ist außerdem, dass elterliche Arbeitslosigkeit Bildungsentscheidungen beeinflusst, indem sie auf die Erwartungen über Bildungsrenditen oder Erfolgschancen einwirkt. Auf der einen Seite könnten Kinder Bewältigungsstrategien entwickeln, um das Risiko einer eigenen Arbeitslosigkeit in der Zukunft zu minimieren.Siehe Mark D. Seery (2011): Resilience: A silver lining to experiencing adverse life events? Current Directions in Psychological Science, 20 (6), 390–394. Auf der anderen Seite könnten Kinder übermäßig pessimistische Erwartungen über die eigenen Erfolgschancen auf dem Arbeitsmarkt entwickeln, die sie zurückhaltender und risikoaverser machen. Somit lässt sich nicht vorhersagen, ob potenzielle Übertragungseffekte positiver oder negativer Natur sind.
Es besteht Grund zur Annahme, dass die verschiedenen Mechanismen in ihrer Wirkungsweise davon abhängen, welches Elternteil von der Arbeitslosigkeit betroffen ist. Väter tragen durchschnittlich noch immer einen größeren Teil zum Haushaltseinkommen bei als Mütter. Wie groß die Einschränkung der finanziellen Ressourcen ist, wie viel der frei gewordenen Zeit für Kinderbetreuung genutzt wird oder wie groß die psychische Belastung für das Elternteil ist, kann sich stark unterscheiden, je nachdem, ob die Mutter oder der Vater arbeitslos ist.
Der Frage, ob Arbeitslosigkeit Auswirkungen auf die Kinder von betroffenen Personen hat und damit deren Bildungslaufbahn beeinflussen kann, soll daher empirisch nachgegangen werden. Dazu werden Kinder, bei denen ein Elternteil während des Beobachtungszeitraums mindestens einmal seinen Arbeitsplatz verliert und sich infolgedessen arbeitslos meldet (Untersuchungsgruppe), mit Kindern verglichen, bei denen kein Elternteil in dieser Zeit Arbeitslosigkeitserfahrungen jeglicher Art macht (Vergleichsgruppe). Es ist wichtig, nicht nur den Arbeitsplatzverlust per se zu betrachten, weil darauf nicht zwangsläufig Arbeitslosigkeit folgen muss. Das Auftreten einer Arbeitslosigkeit wird in dem Zeitraum gemessen, in dem die Kinder zwischen sechs und neun Jahre alt sind. Dies ist das typische Alter der Kinder während der Grundschulzeit vor dem Übergang auf eine weiterführende Schule. Da anzunehmen ist, dass die Ergebnisse je nach Geschlecht des betroffenen Elternteils variieren, werden zwei Untersuchungsgruppen gebildet: In der einen erleben die Väter Arbeitslosigkeit, in der anderen die Mütter. Die Vergleichsgruppe bleibt in beiden Fällen gleich.
Die Zusammensetzung der Untersuchungs- und Vergleichsgruppe ist unausgewogen (Tabelle 1).Die Gruppen werden dabei vor Eintritt einer etwaigen Arbeitslosigkeit verglichen. Es zeigt sich, dass Kinder in der Untersuchungsgruppe negativ selektiert sind: Das bedeutet, dass gerade die Kinder im Grundschulalter von elterlicher Arbeitslosigkeit betroffen sind, die ohnehin schon mit schlechteren Bildungsergebnissen rechnen müssen. So leben zum Beispiel Kinder in der Untersuchungsgruppe in Haushalten mit niedrigerem Bildungsniveau und geringerem Haushaltseinkommen, die zudem eher zur Miete als im Eigentum wohnen und in denen die Eltern häufiger getrennt sind. Diese Unausgewogenheit von Untersuchungs- und Vergleichsgruppe lässt sich jedoch methodisch abmildern, sodass nach entsprechenden Anpassungen dennoch sinnvolle Vergleiche möglich sind (Kasten 2).
In Prozent, sofern nicht anders angegeben
Variable | Mittelwert Untersuchungsgruppe (Beispiel: Vater arbeitslos) | Mittelwert in der Vergleichsgruppe (kein Elternteil arbeitslos) | Differenz |
---|---|---|---|
Merkmale des Kindes | |||
Weiblich | 52,7 | 52,0 | 0,7 |
Migrationshintergrund | 22,1 | 16,9 | 5,2 |
Merkmale des Haushalts | |||
Wohnort in ländlicher Region | 47,7 | 27,0 | 20,7*** |
Wohnort in Ostdeutschland (inkl. Berlin) | 41,9 | 10,1 | 31,8*** |
Eltern sind miteinander verheiratet | 83,7 | 96,9 | −13,2*** |
Kinder im Haushalt (Anzahl) | 2,5 | 2,2 | 0,3** |
Wohnen im Eigentum | 29,4 | 58,0 | −28,6*** |
Netto-Haushaltseinkommen pro Jahr (in Euro) | 24250 | 31914 | −7664*** |
Merkmale des Vaters | |||
Arbeitserfahrung in Vollzeit (in Jahren) | 13,4 | 15,4 | −2,0*** |
Sozioökonomischer Index (Skala von 16 bis 90) | 32,7 | 43,9 | −11,2*** |
Abitur | 4,2 | 23,5 | −19,3*** |
Hochschulabschluss | 0,9 | 17,9 | −17,0*** |
Stichprobengröße | 103 | 1060 |
Anmerkungen: Dargestellt sind die Mittelwerte einer Auswahl von Kontrollvariablen in der Untersuchungs- und Vergleichsgruppe sowie deren Differenz. Berechnet wurden die Mittelwerte auf Basis der unverarbeiteten Daten (vor „Entropy Balancing“, siehe Kasten 2 in diesem Bericht), gemessen im Kindesalter von sechs Jahren (beziehungsweise im Alter von fünf Jahren, wenn die Arbeitslosigkeit des Elternteils schon im sechsten Lebensjahr des Kindes eintrat). Die Sternchen an den Werten bezeichnen das Signifikanzniveau. Je mehr Sternchen, desto geringer die Irrtumswahrscheinlichkeit: ***, ** und * geben die Signifikanz auf dem Ein-, Fünf- und Zehn-Prozent-Niveau an. Das Bild ist sehr ähnlich, wenn in der Untersuchungsgruppe die Arbeitslosigkeit der Mutter betrachtet wird.
Quelle: Sozio-oekonomisches Panel (SOEP v37), eigene Berechnungen.
Die zentrale methodische Herausforderung besteht darin, dass das Auftreten eines unfreiwilligen Arbeitsplatzverlustes nicht zufällig über die Bevölkerung verteilt ist. Vielmehr kann es in bestimmten Merkmalen des arbeitslosen Elternteils begründet sein, die wiederum systematisch mit den Bildungsergebnissen der Kinder zusammenhängen. Stellt man zum Beispiel fest, dass Kinder mit einem arbeitslosen Elternteil seltener studieren, lässt sich daraus nicht ohne Weiteres schlussfolgern, dass die Arbeitslosigkeit die Ursache dafür ist. Stattdessen ist es denkbar, dass beide Beobachtungen lediglich darauf zurückzuführen sind, dass Eltern ohne einen Hochschulabschluss ein höheres Arbeitslosigkeitsrisiko haben und gleichzeitig Kinder von solchen Eltern seltener studieren. Sofern derartige Selektionsverzerrungen nicht berücksichtigt werden, können Ergebnisse nur als Korrelation interpretiert werden. Ziel dieser Studie ist allerdings, kausale Zusammenhänge zwischen der Arbeitslosigkeit von Eltern und den Bildungsergebnissen ihrer Kinder zu identifizieren. Zu diesem Zweck werden zwei Strategien verwendet.
Erstens werden nur Arbeitsplatzverluste betrachtet, die möglichst exogene Gründe haben. Das heißt, dass die Gründe nicht mit Faktoren in Verbindung stehen, die auch die Bildungsergebnisse der Kinder erklären können. Gibt eine befragte Person im SOEP die Beendigung einer Erwerbstätigkeit an, fragen die Interviewer*innen nach der Ursache und bieten der Person 13 Antwortmöglichkeiten an. Zwei davon sind „Betriebsschließungen“ und „Kündigungen durch den Arbeitgeber“. Vor allem Betriebsschließungen können als exogener Grund verstanden werden, weil sie alle Arbeitnehmer*innen eines Unternehmens unabhängig von der Leistung und Merkmalen wie Bildungsabschlüssen gleichermaßen treffen. Da Betriebsschließungen aber nicht häufig genug vorkommen, werden ebenfalls Kündigungen durch Arbeitgeber*innen mit einbezogen.Damit entfallen in der Untersuchungsgruppe rund 20 Prozent der betrachteten Arbeitsplatzverluste auf Betriebsschließungen und der Rest auf Kündigungen durch Arbeitgeber*innen. Wegen des strengen Kündigungsschutzes in Deutschland erfolgen solche Kündigungen eher aus betriebsbedingten als aus verhaltensbedingten Gründen.Siehe Frauke Peter (2016): The effect of involuntary maternal job loss on children’s behaviour and non-cognitive skills. Labour Economics, 42, 43–63.
Bedenken über eine negative Selektion bestehen jedoch weiter: Untersuchungs- und Vergleichsgruppe sind immer noch zu unterschiedlichSiehe Tabelle 1 in diesem Wochenbericht., um einen sinnvollen Vergleich zu gewährleisten. Offenbar sind Arbeitnehmer*innen nicht zufällig bei Unternehmen tätig, die zu Kündigungen aus betrieblichen Gründen gezwungen sind oder das Geschäft komplett aufgeben müssen. Es kann beispielsweise sein, dass Personen ohne Universitätsabschluss eher bei solchen Unternehmen angestellt sind und größere Probleme haben, zeitnah eine neue Beschäftigung zu finden, bevor die Kündigung wirksam wird.
Eine Lösung bietet an dieser Stelle eine ökonometrische Methode zur Datenvorverarbeitung, die als „Entropy Balancing“ bekannt ist.Jens Hainmueller (2012): Entropy balancing for causal effects: A multivariate reweighting method to produce balanced samples in observational studies. Political Analysis, 20 (1), 25–46. Im Kern zielt diese Methode darauf ab, die Vergleichsgruppe so neu zu gewichten, dass sie besser mit der Untersuchungsgruppe vergleichbar ist. Darunter ist zu verstehen, dass im Ergebnis Variablen wie etwa der Indikator für das Vorliegen eines Hochschulabschlusses des Elternteils bei beiden Gruppen den gleichen Mittelwert aufweisen. Anschließend wird die Schätzung des Effekts von elterlicher Arbeitslosigkeit auf die Bildungsergebnisse der Kinder mit den neu gewichteten Daten durchgeführt. Die Schätzung beruht auf der Grundannahme, dass es keine unbeobachteten Merkmale mehr gibt, die gleichzeitig den Arbeitsplatzverlust durch Betriebsschließungen oder Kündigung des Arbeitgebers beziehungsweise der Arbeitgeberin und die Bildungsergebnisse der Kinder beeinflussen. Es ist davon auszugehen, dass diese Annahme nicht voll erfüllt ist und die Effekte durch unbeobachtete Merkmale somit nach oben verzerrt sind. Aus diesem Grund werden Placebo-Tests durchgeführt.
Die Berechnungen ergeben, dass sich Arbeitslosigkeit tatsächlich auf die Bildungsergebnisse der Kinder der betroffenen Personen auswirkt. Der Effekt der Arbeitslosigkeit des Vaters ist bei den betrachteten Bildungsergebnissen der Kinder insgesamt negativ (Abbildung und Tabelle 2). Hervorzuheben ist in erster Linie der Effekt auf die Art des Schulabschlusses: Kinder, deren Väter in ihrer Grundschulzeit arbeitslos wurden, schließen die Schule mit einer um rund 30 Prozentpunkte geringeren Wahrscheinlichkeit mit dem Abitur oder Fachabitur ab. Entsprechend höher ist die Wahrscheinlichkeit, in diesem Fall die Schule mit einem Haupt- oder Realschulabschluss zu beenden. Der Effekt der Arbeitslosigkeit des Vaters zeigt sich auch noch nach der Schullaufbahn: So sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind einen Studienabschluss erlangt, um fast neun Prozentpunkte. Mit Blick auf die Wahrscheinlichkeit, eine Berufsausbildung abzuschließen, ändert sich jedoch nichts. Ebenso wenig verändert sich die Wahrscheinlichkeit, weder das eine (Studium) noch das andere (Berufsausbildung) abzuschließen. Betrachtet man den Übergang von der Grund- zur weiterführenden Schule, lassen sich zwar Effekte nachweisen, allerdings sind sie weniger stark ausgeprägt. Die Wahrscheinlichkeit, auf eine Haupt- oder Realschule zu wechseln, steigt infolge einer Arbeitslosigkeit des Vaters zwar um zehn Prozentpunkte, der Effekt ist im statistischen Sinne jedoch nur wenig signifikant. Die Auswirkungen auf den Notendurchschnitt der mit 17 Jahren im Schulsystem verbliebenen Kinder sind mit einer Verringerung um 0,15 Notenpunkte überschaubar.
In Prozentpunkten, sofern nicht anders angegeben
Arbeitslosigkeit des Vaters | Arbeitslosigkeit der Mutter | |
---|---|---|
Besuch der Haupt- oder Realschule | ||
Arbeitslosigkeit des Elternteils im Alter von 6–9 | 10,4* | 6,3 |
Stichprobengröße | 1124 | 834 |
Besuch des Gymnasiums | ||
Arbeitslosigkeit des Elternteils im Alter von 6–9 | −7,1 | −8,7 |
Stichprobengröße | 1124 | 834 |
Notendurchschnitt im Alter von 17 (in Notenpunkten) | ||
Arbeitslosigkeit des Elternteils im Alter von 6–9 | −0,15* | 0,09 |
Stichprobengröße | 851 | 626 |
Haupt- oder Realschulabschluss | ||
Arbeitslosigkeit des Elternteils im Alter von 6–9 | 28,1*** | 17,8* |
Stichprobengröße | 626 | 496 |
Abitur oder Fachabitur | ||
Arbeitslosigkeit des Elternteils im Alter von 6–9 | −30,8*** | −24,6** |
Stichprobengröße | 626 | 496 |
Abschluss einer Berufsausbildung | ||
Arbeitslosigkeit des Elternteils im Alter von 6–9 | 4,5 | 0,9 |
Stichprobengröße | 796 | 600 |
Abschluss eines Studiums | ||
Arbeitslosigkeit des Elternteils im Alter von 6–9 | −8,8*** | −5,4 |
Stichprobengröße | 796 | 600 |
Kein Berufsausbildungs- oder Studienabschluss | ||
Arbeitslosigkeit des Elternteils im Alter von 6–9 | 11,3 | −0,6 |
Stichprobengröße | 923 | 685 |
Anmerkungen: Lineares Regressionsmodell auf Basis der vorverarbeiteten Daten (nach „Entropy Balancing“, siehe Kasten 2 in diesem Bericht). Das Modell beinhaltet eine Reihe von Kontrollvariablen, die Informationen über das Kind, die Familie und den Haushalt sowie über das betroffene Elternteil messen. Ausgewiesen sind die durchschnittlichen Effekte. Die Sternchen an den Werten bezeichnen das Signifikanzniveau. Je mehr Sternchen, desto geringer die Irrtumswahrscheinlichkeit: ***, ** und * geben die Signifikanz auf dem Ein-, Fünf- und Zehn-Prozent-Niveau an.
Quelle: Sozio-oekonomisches Panel (SOEP v37), eigene Berechnungen.
Betrachtet man die Ergebnisse in Bezug auf eine Arbeitslosigkeit der Mutter, fällt auf, dass negative Effekte nicht wie bei den Vätern an die Kinder weitergegeben werden.Vgl. Lindemann und Gangl (2019), a.a.O. Sie finden ebenfalls keinen Effekt der Arbeitslosigkeit von Müttern auf post-sekundäre Bildungsübergänge, wobei sie den Eintritt der Arbeitslosigkeit in einem späteren Kindesalter betrachten. Einzig bei der Frage, welchen Schulabschluss die Kinder erreichen, scheint es generationenübergreifende Auswirkungen von mütterlicher Arbeitslosigkeit zu geben. Die Wahrscheinlichkeit für einen Haupt- oder Realschulabschluss steigt um rund 18 Prozentpunkte, wohingegen die Wahrscheinlichkeit für einen Abschluss mit Hochschulzulassung um fast 25 Prozentpunkte sinkt. Damit treten die Effekte nicht ganz so stark auf wie bei der väterlichen Arbeitslosigkeit und haben eine schwächere statistische Signifikanz, bewegen sich jedoch etwa in derselben Größenordnung.
Die gemessenen Effekte erscheinen zum Teil sehr hoch. Jedoch ist zu beachten, dass es sich um geschätzte Durchschnittswerte handelt und dass die Schätzungen mit statistischen Unsicherheiten verbunden sind. Mit Blick auf (Fach-)Abitur als Schulabschluss des Kindes liegt der Wert am oberen Ende eines 95-Prozent-Konfidenzintervalls bei etwa 14 Prozentpunkten (Abbildung). Der geschätzte Durchschnittseffekt einer Arbeitslosigkeit des Vaters könnte also auch auch in diesem Bereich statt bei gut 30 Prozentpunkten liegen.
Um so weit wie möglich sicherzugehen, dass die Arbeitslosigkeit der Eltern tatsächlich die Ursache für die Bildungsergebnisse ist, die Ergebnisse also eine Kausalität und nicht Korrelation widerspiegeln, wird zuletzt noch ein sogenannter Placebo-Test durchgeführt. Die dem Placebo-Test zugrunde liegende Intuition ist, dass sich Arbeitslosigkeit der Eltern nur dann kausal auf Bildungsergebnisse der Kinder auswirken kann, wenn sie dem jeweiligen Ergebnis zeitlich vorangestellt ist. In diesem Sinne wird der Effekt von Arbeitslosigkeit auf die Bildungsergebnisse noch einmal geschätzt, allerdings mit dem Unterschied, dass die Eltern erst in einem Alter der Kindes arbeitslos werden, in der das jeweilige Bildungsergebnis bereits eingetreten ist. Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Übergang von der Grund- in die Sekundarstufe betrachtet wird, das von Arbeitslosigkeit betroffene Elternteil aber erst während der Sekundarstufenzeit des Kindes arbeitslos wird. Sollten hier immer noch signifikante Effekte gemessen werden können, würde dies auf eine Korrelation hinweisen. Dann müsste es eine andere Ursache als die Arbeitslosigkeit der Eltern im Grundschulalter ihrer Kinder geben, die die unterschiedlichen Bildungsergebnisse der Kinder erklärt. Da im Zuge des Placebo-Tests jedoch alle Koeffizienten statistisch insignifikant werden und nahe Null liegen, bestätigt sich: Werden Eltern im Grundschulalter ihrer Kinder arbeitslos, wirkt sich dies direkt negativ auf den Bildungsverlauf ihrer Kinder aus.
Die Konsequenzen von Arbeitslosigkeit bekommen nicht nur die arbeitslosen Personen selbst zu spüren, sondern auch deren Kinder. Dieser Wochenbericht zeigt, dass die Arbeitslosigkeit von Eltern im Grundschulalter ihrer Kinder deren Bildungserfolg schmälert: Die Kinder machen seltener (Fach-)Abitur und schließen mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit ein Studium ab. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil zwischen dem Auftreten der Arbeitslosigkeit im Grundschulalter und dem Eintreten der betrachteten Bildungsergebnisse viele Jahre liegen. Es liegt deshalb nahe, dass die generationsübergreifenden Folgen von Arbeitslosigkeit langanhaltend sind, sich über die Jahre verstärken und damit bis ins Erwachsenenalter hinein fortbestehen.
Die Übertragungseffekte lassen sich in erster Linie im Fall einer Arbeitslosigkeit des Vaters identifizieren. Bei Müttern deuten die gemessenen Effekte zwar prinzipiell in die gleiche Richtung, die statistische Signifikanz der Effekte ist jedoch schwächer ausgeprägt und teilweise nicht vorhanden. Daraus sollte aber nicht der Schluss gezogen werden, dass der Arbeitslosigkeit von Vätern in der heutigen Debatte eine größere Aufmerksamkeit zukommen sollte als der Arbeitslosigkeit von Müttern. Die Analyse beruht nämlich auf Daten von Kindern, deren Geburtsjahre mittlerweile zwei bis vier Jahrzehnte zurückliegen. Seitdem haben sich unter anderem Geschlechterrollen und die Erwerbstätigkeit von Müttern verändert. Deswegen können die Ergebnisse nicht eins zu eins auf Kinder übertragen werden, die heute zur Schule gehen.
Arbeitslosigkeit der einen Generation verursacht unter dem Strich hohe indirekte Kosten für die nachfolgende Generation. Bleiben die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf Kinder im politischen Diskurs unberücksichtigt, werden die Kosten von Arbeitslosigkeit für die Gesellschaft unterschätzt. Neben einem gut funktionierenden Arbeitsmarkt können politische Maßnahmen so gestaltet werden, dass sie die nachteiligen Folgen für Betroffene und deren Umkreis abmildern. Gleichzeitig gilt es aber auch dafür zu sorgen, dass der Erfolg von Kindern im deutschen Schulsystem künftig weniger vom Elternhaus abhängt. Der Ausbau der Ganztagsschulen erscheint in diesem Zusammenhang als ein Schritt in die richtige Richtung. Es wurde aber noch nicht untersucht, inwieweit Ganztagsschulen die hier dokumentierten generationenübergreifenden Abhängigkeiten tatsächlich reduzieren können. Tiefergehende Forschung ist nötig, um die Wirkungsmechanismen hinter den Übertragungseffekten zu entschlüsseln. Nur so kann ein besseres Verständnis dafür erreicht werden, wie Kinder effektiv vor den negativen Folgen elterlicher Arbeitslosigkeit geschützt werden können. Dies ist in Zeiten des Fachkräftemangels nicht nur aus chancenpolitischer Sicht notwendig.
Themen: Familie, Bildung, Arbeit und Beschäftigung
JEL-Classification: I24;J63;J65
Keywords: Parental unemployment, intergenerational spillover, education, human capital formation, family environment, plant closure, entropy balancing, Socioeconomic Panel
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-12-1
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/271748