DIW Wochenbericht 12 / 2023, S. 146
Felix Weinhardt, Erich Wittenberg
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Herr Weinhardt, Sie haben untersucht, welchen Einfluss die Arbeitslosigkeit von Eltern während der Grundschulphase ihrer Kinder auf deren Bildungsverläufe haben kann. Was ist das zentrale Ergebnis Ihrer Studie? Wir haben uns Kinder der Geburtsjahrgänge 1979 bis 2001 jeweils im Alter von sechs bis neun Jahren angeschaut. Wenn die Eltern in diesem Alter der Kinder arbeitslos werden, hat das tatsächlich negative Effekte auf deren spätere Bildungsergebnisse. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind Abitur oder Fachabitur macht, verringert sich dann beispielsweise um ungefähr 30 Prozentpunkte. Das ist ein sehr großer Effekt, der zudem im statistischen Sinne signifikant ist. Auch die Wahrscheinlichkeit, ein Studium abzuschließen, ist um ungefähr acht bis neun Prozentpunkte niedriger. Bei den Noten sehen wir hingegen nicht so eindeutige Effekte.
Sind nicht Kinder, die von elterlicher Arbeitslosigkeit betroffen sind, statistisch betrachtet ohnehin schon eher benachteiligt? Das ist in der Tat so. Wir können nicht einfach Kinder, von denen ein Elternteil arbeitslos wird, mit Kindern vergleichen, wo dies nicht der Fall ist, weil es hier ganz viele andere Unterschiede gibt, die auch mit dem Bildungserfolg zusammenhängen können. Das ist ein Problem, das wir in unserem Bericht jedoch methodisch lösen können – unser Studiendesign erlaubt es also, die Ergebnisse kausal zu interpretieren.
Könnte die elterliche Arbeitslosigkeit nicht auch positive Effekte haben? Zum Beispiel dadurch, dass die Eltern mehr Zeit für ihre Kinder haben? Theoretisch wäre das denkbar. Es gibt aber bereits Literatur, die zeigt, welche negativen Effekte Arbeitslosigkeit auf die Eltern selbst hat. Dadurch kann sich das Klima im Haushalt oder auch die finanzielle Situation so verändern, dass dem Kind nicht mehr als vorher geholfen werden kann, trotz zusätzlicher zeitlicher Ressourcen.
Macht es einen Unterschied, ob der Vater oder die Mutter arbeitslos wird? Ja. Wir sehen, dass die negativen Effekte primär bei einer Arbeitslosigkeit des Vaters auftreten. Wir sind aber vorsichtig mit Schlussfolgerungen bezüglich der Bedeutung einer Arbeitslosigkeit der Mutter, denn über die Zeit hat sich zum Beispiel die Erwerbstätigkeit von Frauen deutlich erhöht. Somit könnte die Arbeitslosigkeit von Müttern für jüngere Geburtsjahrgänge eine größere Rolle spielen als in unserer Untersuchung.
Wirkt sich die Arbeitslosigkeit von Eltern in der Grundschulphase ihrer Kinder stärker aus als in späteren Schulphasen? Es gibt andere Studien, die sich angeschaut haben, was passiert, wenn die Eltern zu einem späteren Zeitpunkt arbeitslos werden. Tendenziell werden dort auch negative Effekte gefunden. Die negativen Auswirkungen, die wir für die Arbeitslosigkeit in der Grundschulphase der Kinder finden, sind jedoch noch etwas stärker ausgeprägt. Das spricht dafür, dass dies wirklich eine kritische Phase ist, in der die Kinder noch stark am Elternhaus orientiert sind und solche Veränderungen besonders negative Auswirkungen haben.
Was bedeuten Ihre Ergebnisse für künftige bildungspolitische Entscheidungen? Es ist wichtig zu sehen, dass hier Kinder für etwas benachteiligt werden, für das sie selbst nichts können. Auf der einen Seite gibt es aus chancenpolitischer Sicht natürlich Handlungsbedarf. Unabhängig von der chancenpolitischen Sicht geht uns hier aber auch sehr viel Bildungspotenzial verloren. Kinder müssen in solchen Phasen mehr Unterstützung erfahren, um längerfristige Effekte der Arbeitslosigkeit von Eltern zu vermeiden. Der Ganztagsschulausbau und der damit verbundene Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz ab 2026 kann, wenn die Betreuungsqualität hoch ist, solche Effekte hoffentlich mindern.
Themen: Familie, Bildung, Arbeit und Beschäftigung
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-12-2
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/271749