DIW Wochenbericht 12 / 2023, S. 148
get_appDownload (PDF 80 KB)
get_appGesamtausgabe/ Whole Issue (PDF 2.43 MB - barrierefrei / universal access)
Die deutsche Volkswirtschaft bezieht ihre Rohstoffe, gemessen an ihrem Wert, zu 90 Prozent aus dem Ausland. In einer Welt freien und sicheren Handels wäre das kaum eine Notiz wert, doch die Zeiten haben sich bekanntlich geändert. Die proklamierte „Zeitenwende“ bringt es mit sich, dass die bestehende Abhängigkeit Deutschlands von ausländischen Importen neu hinterfragt wird. Es macht einen großen Unterschied, ob Rohstoffe aus der Europäischen Union oder aus „kritischen“ Staaten, die wie Russland ihre Lieferungen auch als politisches Instrument nutzen, geliefert werden.
Die EU- Kommission verfasst seit 2011 alle drei Jahre einen Bericht, der kritische mineralische Rohstoffimporte identifiziert, die zwei Kriterien erfüllen: Erstens sind sie essentiell für moderne Schlüsselindustrien, wie die Chipindustrie oder die Batteriefertigung. Ohne diese Rohstoffe kommt es also über kurz oder lang zu einem Zusammenbruch moderner Volkswirtschaften. Zweitens wird die Lieferung solcher Rohstoffe als gefährdet eingeschätzt, da es (Quasi-) Monopole auf der Lieferantenseite gibt, Transportwege unsicher sind oder Lieferanten als nicht vollkommen verlässlich eingeschätzt werden. Es könnte also dazu kommen, dass die heimische Wirtschaft nur partiell, zu extrem hohen Preisen oder sogar gar nicht mehr mit den notwendigen Rohstoffen beliefert wird. Insgesamt handelt es sich hierbei um 30 kritische mineralische Rohstoffe – dazu gehören Lithium, Kobalt oder Seltene Erden.
Aus wirtschaftspolitischer Sicht können sechs verschiedene Maßnahmen ergriffen werden, um die Sicherheit der Versorgung zu verbessern. Drei kurzfristige Maßnahmen lassen die grundsätzliche Abhängigkeit von Importen unverändert, aber streben eine bessere Position der europäischen Länder an. Drei weitere Maßnahmen ersetzen Importe durch geeignete Maßnahmen und verbessern damit die Versorgungssicherheit Europas fundamental und langfristig. Erstens ist es aufgrund der hohen Angebotskonzentration mancher Rohstoffe hilfreich, dieser Marktmacht durch eine Bündelung der Nachfrage, zum Beispiel auf EU-Ebene, zu begegnen. Dazu müssten sich die Unternehmen und Staaten in der EU verständigen. Zweites kann das Risiko aus Importen dadurch kurzfristig gesenkt werden, dass Lieferanten systematisch diversifiziert werden. Hier gibt es noch Verbesserungspotential. Drittens kann Lagerhaltung kritischer Rohstoffe vorgeschrieben werden.
Beim Ersatz von Importen kritischer mineralischer Rohstoffe können drei weitere Maßnahmen bedacht werden. Recht unstrittig dürfte erstens eine Ausweitung verbunden mit einer systematischen Organisation des Recyclings von mineralischen Rohstoffen sein. Dabei geht es dann nicht mehr nur um Wirtschaftlichkeit, sondern auch um Versorgungssicherheit. Zweitens schafft nur die Förderung kritischer mineralischer Rohstoffe in der EU eine wirkliche Unabhängigkeit von anderen Staaten, auch wenn es für die Erschließung neuer Förderstätten einen jahrelangen Vorlauf braucht. Allerdings stößt die Förderung von Rohstoffen und genauso ihre Verarbeitung auf Widerstände, da beides mit Umweltbelastungen verbunden ist. Einen eleganten, aber nicht gut planbaren Ausweg aus der Abhängigkeit bieten drittens technologische Innovationen, die entweder generell mit weniger Rohstoffeinsatz auskommen oder jedenfalls kritische mineralische Rohstoffe substituieren.
Zusammenfassend scheint es sinnvoll, mehrere (oder alle) Maßnahmen parallel anzustoßen. Bedauerlicherweise sind Problem und Gegenmaßnahmen schon lange bekannt. Woran es mangelt, ist eine konsequente Umsetzung. Insofern hat die EU-Kommission vergangene Woche mit der Vorlage des „Critical Raw Materials Act“ einen wichtigen Schritt getan. Erstmals werden damit auf EU-Ebene konkrete Ziele für das Jahr 2030 benannt, wie die Versorgung aus heimischer Förderung zu wenigstens zehn Prozent oder eine Recycling-Quote (bezogen auf den Verbrauch) von 15 Prozent. Allerdings ist diese Vorlage nicht übermäßig ambitioniert und es werden, verglichen mit den sechs genannten Wegen, auch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Immerhin ist ein Anfang gemacht.
Der Beitrag ist in einer längeren Fassung am 6. März auf der Website der Stiftung Energie & Klimaschutz erschienen und wurde am 16. März im letzten Absatz aktualisiert.
Themen: Ressourcenmärkte, Europa
DOI:
https://doi.org/10.18723/diw_wb:2023-12-3
Frei zugängliche Version: (econstor)
http://hdl.handle.net/10419/271750